Kommt eine Japanerin nach Berlin…

Ich habe Besuch aus Tokyo bekommen und dabei die hässlichen und schönen Seiten dieser Stadt erleben müssen.

Engelsbecken in Berlin, in der Nähe ist ihre Unterkunft

Eine gute Freundin aus Tokyo, Architektin, hat ihre Urlaubstage zusammengekratzt um nach Berlin zu kommen. Sie war vor ein paar Jahren schonmal hier und hat sich in die Stadt verliebt, kein Wunder bei der spannenden Architektur-Geschichte der Stadt. Das ich hier auch wohne, war dann noch ein nettes Plus.

Letzte Nacht holte ich sie vom Flughafen ab. Sie hatte dieselbe Airline wie ich bei meinem Rückflug, mit exakt derselben Route und mit fast exakt zwei Monaten Abstand. Das hieß auch, dass ihr Flieger exakt wie meiner auch zu spät kam. Es folgte eine lange Warterunde vor dem Gate.

Diese Warterunden sind immer so emotional, Familie, Freunde und Verliebte warten auf ihre Liebsten, nach langer oder kurzer Abwesenheit. Es wird geweint, geknutscht, umarmt. Ein schwules Pärchen hatte dabei den leidenschaftlichsten Kuss-Moment, und stellte dabei die alten Verheirateten ordentlich in den Schatten, direkt romantisch.

Nachts in Berlin fahren im Gegensatz zu Tokyo ordentlich viele öffentliche Verkehrsmittel – damit fahren in der Nacht dann aber auch ordentlich viele kaputte Typen.
Die Japanerin hatte sich eine Wohnung zur Untermiete in Kreuzberg gesucht und da mussten wir irgendwie hin. Ich hatte mir im Vorfeld schon eine Route ausgesucht, leider durch unschöne Ecken von Berlin, wie Schöneweide – ein Bezirk den man vorallem nachts meiden sollte.

Über Berlin kann man sagen, je weiter man vom Zentrum weg ist, desto assozialer wird die Gegend. In der Nacht potenziert sich dieser Umstand leider noch.
Im Zug nach Schöneweide ging es schon los. Ich unterhielt mich auf Englisch mit ihr, während sich drei junge Assis uns gegenüber setzten, mit HipHop auf dem Handy-Lautsprecher aufgedreht. Anscheinend dachten sie, dass wir kein Deutsch sprachen, sonst hätten sie nicht angefangen über uns und vorallem über die Japanerin herzuziehen und uns zu beleidigen. Sie hatte das Glück das alles nicht zu verstehen – ich hingegen schon.

Ich zog es vor, das Ganze zu ignorieren und vorallem ihren Besuch in Berlin nicht mit einer Schlägerei in der S-Bahn zu beginnen, im Nachhinein ärgerte es mich schon. Es beschäftigte mich sehr, wie jemand so viel Hass für einen total Fremden haben kann, um es dann noch aggressiv zu äußern. Natürlich war der Typ auch nur ein feiges Würstchen, der sich ohne seine zwei Freunde und unter der Annahme, wir würden sein Gesabbel nicht verstehen, nicht trauen würde rumzublubbern. Wenn man soviel unbegründeten Hass für Andere empfindet, ist das meistens auch ein Hass gegen sich selbst. Wer zufrieden mit sich selbst ist, hat keinen Grund, andere zu nerven.
Dieser Hass von einem Berliner Bewohner, den ich so zwar kannte aber lange nicht mehr so erlebt habe, beschäftigte mich an diesem Abend noch sehr lange. Einerseits bereute ich, meinem Ärger keine Luft gemacht zu haben. Allerdings hätte ich mit Gewalt als Mittel, nur noch mit mehr Hass auf seinen Hass reagiert. Das hätte nichts gebracht.

Mit Ärger in meinem Bauch erreichten wir dann Kreuzberg. Schon die ersten zwei Menschen die wir trafen und nach dem Weg fragten, gaben mir wieder Hoffnung für Berlin. Nett, freundlich und ehrlich nahmen sie sich Zeit für uns, und erklärten uns die Richtung zum Altbau, mit der leeren Wohnung.

Wie eine Japanerin in Tokyo an eine 3-Zimmer Erdgeschoss-Wohnung in einem Berliner Altbau gekommen ist, kam so: In ihrem Haus in Tokyo lebte auch ein deutsches Mädel. Freunde von ihren Freunden hatten nun die Wohnung in Tokyo und sind derzeit im Urlaub. Die Japanerin und die Besitzer haben sich noch nie in ihrem Leben getroffen, trotzdem stimmten sie zu, ihre komplette Wohnung ihr für 10 Tage zu überlassen – komplett mit Einrichtung, Technik und Computer.

Den Schlüssel hinterließen sie drei Häuser weiter bei einem Freund. Bei dem klingelten wir dann, mitten in der Nacht, doch es machte keiner auf. Als wir so vor der Haustür standen, kam eine Frau vorbei, die die Tür öffnete und fragt, ob sie uns helfen kann. Wir erklärten unsere Situation und sie lud uns in ihre Wohnung ein. Es war mitten in der Nacht und wir weckten ihre Tochter auf, die das Treiben mit großen Augen betrachtete. Sie bot uns was zu trinken und ihr Telefon an, und wir konnten den Schlüsselhalter noch erreichen. Der wusste nur, dass eine Japanerin kommt um nen Schlüssel abzuholen – das reichte schon als Vertrauensbasis. Der Typ, ein türkischstämmiger Kreuzberger aus dem Erdgeschoss, brachte den Schlüssel dann zur Wohnung in der wir waren und meinte, wenn wir noch was brauchen, sollen wir einfach klingeln.

Wir gingen dann drei Häuser weiter, zur eigentlichen Wohnung, und ab ins Treppenhaus. Okay, sage ich, welche Wohnung sollen wir aufschließen? Wie heisst die Person? Die Japanerin machte fragende Augen und schaute auf ihr iPhone. Sie wollte noch einmal auf die Email schauen, die sie von dem Besitzer der Wohnung hatte. Doch sie erhielt kein Signal und ihr Softbank Immerüberall-Internet Deal funktioniert eben nicht in Deutschland. Sie hatte allen Ernstes sich nicht den Namen der Wohnungsinhaber auf ein Stück Papier geschrieben, sondern vertraute auf die Technik, die jetzt grad versagte. Womit auch wieder mal das Klischee vom technikbesessenen Japaner, der auf n Stift und Papier verzichtet, bestätigt wäre 😉

Ich bin also nochmal zum türkischen Nachbar, drei Häuser zurück. Ich klingelte und es öffnete eine stämmige Dame, ebenfalls mit türkischen Akzent. Ich fragte ob ihr Mann zuhause ist und sie verneinte. Ich meinte, ich hör doch einen Mann dahinten. Sagt sie, hier gibts schon einen Mann, ist nur eben ihr Mitbewohner und nicht ihr Mann. Sichtlich amüsiert kam dann Kerl von hinten vor. Ich meinte, dass wir nicht wissen in welche Wohnung wir sollen. “Kein Problem, komm ich mit” sagte er um 2 Uhr nachts in Berlin Kreuzberg und begleitete mich wieder drei Häuser weiter. Als seine Mitbewohnerin außer Hörweite war, meinte er auch zu mir, dass das schon ca. 30 mal vorgekommen ist, dass sie nach ihrem Ehemann gefragt worden ist, wenn er gemeint war.

Wieder zurück im Treppenhaus fanden wir dann die richtige Wohnung, die größer war als das gesamte Haus der Japanerin in Tokyo. Die kam aus dem Staunen nicht mehr raus und wollte am liebsten für immer hier im Kiez wohnen. Ich war nach all dem Gerenne einfach nur müde und schlief auf der Couch ein.

Heute morgen gab es dann im Sonnenschein ein ordentliches Frühstück in einem Café in Kreuzberg, zwischen Alleen und Parkanlagen. Was mich an Kreuzberg immer wieder fasziniert, ist, dass Integration hier funktionierte. Wenn du nach Kreuzberg ziehst, bist du Kreuzberger. Egal ob du aus Lybien, der Türkei oder Schwaben kommst. Du bist wie alle hier Kreuzberger. Vielleicht haben wir auch deshalb so viel Vertrauen genießen dürfen, weil wir mit der Übergabe des Schlüssels auch zu Kreuzberger wurden – auch wenn es nur für 10 Tage ist.
Beim Frühstück ist der Japanerin auch aufgegangen, dass wir in Deutschland ein anderes Steckdosensystem als in Japan haben, und sie keinen Konverter mitbrachte. Da nützt auch japanischer High-Tech nix, wenn deutscher Kartoffelstrom nicht ans Gerät passt.

Auf dem Weg nachhause in der Ubahn wurde ich einmal angebettelt und zweimal angeschrien, allerdings von irgendwelchen Verrückten, die eben auch in dieser Stadt rumlaufen und auch zu ihrem Charakter gehören. Das find ich dann noch amüsant, aber wenn man nur aus Hass und nichts als Hass andere anschreit, hört es auf.

Es gibt in Berlin vieles, was man vermeiden sollte. In der letzten Nacht sind Sachen passiert, wo es nicht nur beim Schreien blieb: In Charlottenburg wurde ein 26-Jähriger von zwei Männern ohne Vorwarnung und erkennbaren Grund ins Gesicht geschlagen und danach auf die Gleise geworfen, am Alex geriet eine 22-jährige Frau in Streit mit 8 Personen, von der einer sie zusammengeschlagen hat und als sie bewusstlos am Boden lag noch mehrmals gegen den Kopf getreten hat und ein betrunkener Idiot hat drei Polizisten verletzt, u.a. in dem der den Finger eines Beamten so lange nach hinten gebogen hat, bis er brach.

Das Alles passierte, neben anderen Sachen, allein in der letzten Nacht in dieser Stadt.
In der letzten Nacht nahmen aber auch Kreuzberger Nachbarn zwei Fremde bei sich auf.

Bei der Dame, die uns letzte Nacht geholfen hatte, bedankte ich mich und schilderte mein Erlebnis aus der S-Bahn. Ich dankte ihr vorallem, dass sie meinen Glauben an die Berliner wieder hergestellt hat.

“Danke”, sagte sie “aber ich bin garnicht aus Berlin, ich bin vor Jahren nach Kreuzberg gezogen”

9 thoughts on “Kommt eine Japanerin nach Berlin…”

  1. Scheint als ob ich im Oktober bei meinem Berlinaufenthalt mal einen Abstecher nach Kreuzberg machen sollte. Muss gestehen das ich noch nie dort war. Gelobe Besserung. Dieser völlig grundlose Hass auf andere gibt einem schon zu denken. Ich finde Du hast es sehr gut gesagt, da ist ein gutes Stück Selbsthass dabei. Allein das nützt einem bei einer Auseinandersetzung wenig.
    Sehr interessant finde ich den Umstand das man in Gegenwart eines Menschen der als Gast in der eigenen Stadt zugegen ist, neue Sichtweisen auf altbekanntes erhält. Diese können leider auch negativer Art sein, eine Bereicherung ist es allemal.

    Einmal mehr möchte ich mich für deine immer sehr ausführlichen und interessanten Erfahrungsberichte bedanken. Gerne mehr ),D

  2. Danke für den Interessanten Einblick in unsere Hauptstadt.Aber mich wundert das dass tolle IPhone so ein Totalversager ist wenn es kein Netz hat.
    Bei meinem “ödem” japanisches Telephon kann ich alle anderen Funktionen nutzen auch ohne Netz.

    Oder hatte sie die Info in “der Cloud” gespeichert? Nun dann hätten wir den perfekten Grund warum diese “Cloud” Idee ev. nicht so gut ist.

    Ich bewundere das du so ruhig bleiben konntest bei den Typen, mir wäre das wirklich schwer gefallen.

  3. Wie sooft schön geschrieben. Ich persönlich mag Berlin nicht, aber es liegt nicht an den kaputten Idioten, die es einfach überall gibt, als bayrischer Franke habe ich ein angeborenes Problem mit euch Preussen 😉
    Ich finde es gut, dass Du Deinem Ärger keinen freien Lauf gelassen hast, damit hast Du Deinen Gast in keine schlimme Lage gebracht, auch wenn Du dem Hanswurst gerne das nächste Mal von mir mit eine watschen kannst.

    Viele Grüße
    Thorsten

  4. @heydalEs gibt Kreuzberg und es gibt Kreuzberg. Nicht der ganze Bezirk ist seinem Klischee verhaftet, es gibt auch Ecken, die man ebenso wie besagtes “Schweineöde” meiden sollte.

  5. Danke Fritz für diesen tollen Bericht! Ich habe noch nie jemanden so von Kreuzberg reden hören!
    Wenn ich an Berlin-Kreuzberg denke, sehe ich immer folgendes:

    Viele asoziale Ausländer, viele asoziale glatzköpfige Deutsche, Mord und Totschlag überall und den dazu passenden Polizei-Großeinsätzen rund um die Uhr.

    Hätte ganz ehrlich nie gedacht, dass es dort auch nette Menschen gibt.

    1. is das jetzt zynisch gemeint?
      glatzen gibts in kreuzberg eher wenig, eher noch extreme linke die dann im friedrichshain und prenzlauer berg ein paar teure autos anzünden. assoziale ausländer gibts in kreuzberg genauso wie überall sonst auf der welt.
      auf dem weg nachhause kam ich am kottbusser tor vorbei, mittlerweile stadtbekannter umschlagplatz für drogen. ich sah auch einen araber wie er versucht einem türken ein paar tütchen von irgenwas zu verkaufen – auf der ubahntreppe am hellichten tag. dafür kann kreuzberg aber nix wenn sich ein paar geschäftstüchtige dealer einen verkehrsknotenpunkt ausgesucht haben. ein paar türkische muttis haben inzwischen so eine art bürger patrouille aufgestellt, einfach um präsenz zu zeigen, wenn die polizei schon nich da is.
      meine erfahrung nach sind dealern und junkies allerdings relativ friedlich. die wollen dir zwar was verkaufen, wenn du aber nix willst lassen sie dich schnell in ruhe (is ja auch gegens geschäft). und die junkies wollen nur ihren stoff konsumieren, und sind danach immer zufrieden mit sich und der welt. ich hatte mal ein paar shootings in verlassenen gebäuden, wo sich einige junkies niedergelassen haben. die lassen einen aber in ruhe, man muss nur ein bisschen auf die spritzen am boden aufpassen. großstadt eben.

  6. Komme ja nun selber aus Berlin und wohne eigentlich auch recht gerne hier, auch wenn es mich temporär hoffentlich späte auch mal in die Weite Welt zieht.
    Den Post von Tobey kann ich nur entnehmen, dass er ansich noch nie in Kreuzberg war, sondern seine Informationen sich auf RTL2 Berichte über den 1 Mai beschränken plus noch ein paar Erzählungen von Freunden die auch noch nie da waren. 😉 Nicht bös gemeint, bin mir aber sicher, es trifft zu.

    Klar gibt es in Kreuzberg mehr Brennpunkte und Ecken die man im dunkeln meiden sollte als in einigen anderen Bezirken und die hohe Konzentration an mediterranen Mitbewohnern mit nicht so hohher Schuldbildung ist auch höher, aber das wars auch schon. Dort findeste genauso viel nette Menschen wie anderswo auch. Also lieber Tobey, erst selber angucken, dann reden.

    Die verrückten in der Bahn hab ich auch immer wieder. In der Ringbahn (südring) ist immer wieder so ein Obdachloser (zumniedst sieht er so aus), recht ungepflegt und immer aufs übleste Zugedröhnt. Aber man gewöhnt sich dran.

    P.S. Ist der Besuch hübsch? :>

  7. Das war weder zynisch noch sarkastisch. Ich habe echt dieses Bild im Kopf. Keine Ahnung wieso es da ist, wahrscheinlich aus den Medien.Da ich noch nie jemanden getroffen habe, der aus Kreuzberg kommt und mir etwas anderes erzählen konnte, sitzt dieses Bild von Kreuzberg in meinem Kopf. Ist so ein bisschen wie mit Bielefeld. Kenne auch keinen, der mir die Existenz von Bielefeld bestätigen kann ^^

    Ist auch nicht so, als könnte ich einfach mal so hin spazieren um es mir anzuschauen.

    Darum auch nochmal Danke Fritz, dass du neben deinen schönen Bildern und deinen tollen Geschichten über Japan auch mein Bild von der eigenen Hauptstadt etwas aufpeppeln konntest 🙂

  8. Solltest du mal nach Berlin kommen, schau es dir ruhig an. 😉
    Wie überall auf der Welt werden in den Medien nur die Tehmen vertieft, die sich super als Aufreißer eignen, und was passt da besser als Gewalt und brennende Mülltonnen gepaart mit Asifamilien und Ehrenmorden.

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