Gräber, die die Stadt hinauf wachsen

Die zweite Hälfte vom dritten Tag in Nagasaki. Nachdem wir uns die Orte angeschaut haben, die mit der Atombombe zu tun hatten, ging es weiter durch die Stadt. Vertreter der Stadt hatten sich immer noch nicht bei uns gemeldet und wir warteten weiter auf den Anruf….

Am Tag zuvor sprachen wir noch mit Vertretern der Stadt. Der Wellengang sah zwar zu wild aus, aber sobald er sich ändern sollte, würden wir einen Anruf bekommen. Wir brauchten ca. eine Stunde bis zum Fischerdörfchen, wo das Boot auf uns warten sollte, das uns zur Ruineninsel bringt. Den gesamten Tag planten wir so, dass wir schnell zu dem Ort und auf die Insel kommen, sobald uns der Anruf erreicht. Es war nun allerdings schon Nachmittag – und der Anruf kam nicht.

Unsicher, ob er nun noch kommt oder nicht, wollten wir nicht einfach nur rumsitzen. Schließlich lud eine fremde Stadt ein, entdeckt zu werden.
Wir nahmen die Straßenbahn und fuhren wieder in die Stadt.

Die Straßenbahnen sind eine weitere Parallele zu Hiroshima, die hier in Nagasaki genauso fahren, wie auch früher in jeder größeren japanischen Stadt.
In Nagasaki ist es eine sehr bequeme und preisgünstige Transportmöglichkeit. Jede Fahrt, egal wie weit, kostet nur 150yen, die man beim Aussteigen beim Fahrrer in nen Automaten schmeisst – und damit fangen die Probleme an.

Ich war ja nun schon einen Tag länger in der Stadt, und hatte somit einen Tag länger Erfahrung mit den Straßenbahnen. Am ersten Tag machte ich mich gleich bei den Fahrgästen unbeliebt, indem ich mich mit meinen dicken Rucksack immer ungeschickt in den Weg stellte – bei der engen Konstruktion und vielen Menschen nicht schwer. Nach der Erfahrung suchte ich mir von da an immer eine Ecke beim Ausgang um nicht allzuviel Platz wegzunehmen.
Ein anderes Mal verpasste ich meine Station, rannte noch schnell nach vorne und bat den Fahrer mich rauszulassen. Der bremste dann noch schnell und ließ mich ein paar Meter hinter der Station, mitten auf den Gleisen raus. Die Straßenbahnen kommen zwar alle recht zügig, doch in dem Fall war sie mir dann doch zu schnell.

Die Bezahlung war auch immer ein Akt, denn wenn man die 150yen nicht passend hatte, musste man so einen Geldwechsel-Automaten bedienen. Zuerst versuchte ich, wie in Deutschland übrig, dem Fahrer das Geld zu geben, doch der verwies nur an eben diesen Automaten. Ich hatte zwar 100yen, doch keine 50. Ich packte also meine 100yen vorne in die Kasse, dann einen ganzen 1000yen Schein in den Wechsler, der dann viel, viel Kleingeld ausspuckte. Ich kramte alles zusammen, hantierte mit meinen vielen Gepäck herum, und packte schlussendlich die fehlenden 50yen vorne in den Automaten – der inzwischen wieder umgeschaltet hatte und ignorierte, dass ich bereits 100yen eingezahlt hatte. Hinter mir stauten sich Schuldmädchen und älter Damen, die schon genervt husteten. Der Fahrer signalisierte mir dann mit der internationalen “Ja komm passt, und nun geh!”-Geste, dass ich das Fahrzeug verlassen kann.
Dieselbe Geste bekam ich auch, als ich mal versuchte nur mit 10yen Stücken zu bezahlen, da ich es nicht passend hatte und mir der Wechsler Respekt abverlangte. Nach dem 13. Einwurf kam dann die Handbewegung, dass ich gehen sollte. Ich sparte zwar Geld, doch der Fahrer fuhr dann etwas schneller als sonst fix zur nächsten Station.

Ich war nur wenige Tage in Nagasaki, trotzdem brachte ich es fertig, mit der Straßenbahn überfordert zu sein. Nach den Erlebnissen nutzte ich die Straßenbahn weiter, doch jedesmal ging ich vorher auf Nummer sicher, dass ich auch ja 150yen passend dabei hatte – und wenn nicht, ging es vorher nochmal in den Conbini. Am Ende hatte ich dann ne ganze Jackentasche voll mit 100 und 50yen Stücken, damit auch garnix schief gehen kann…


Dunstglocken-Nagasaki

Wir gingen, nun zum dritten Mal in Folge, zur Bibliothek mit gratis Internet, die mir ja zwei Tage zuvor einen eingeschweissten Ausweis ausgestellt haben. Die sinds wohl gewöhnt, dass Touris mehrmals während ihres Aufenthalts vorbeischauen…

Nachdem wir nun viele Sehenswürdigkeiten gesehen haben, ging es nun wieder auf einen Friedhof. Wieder ein Friedhof, auf dem viele Ausländer begraben lagen.

Dieser Friedhof ist verdammt groß, vom Fuß an führt er den ganzen Hügel hinauf und bietet oben einen weiten Überblick über die Stadt.

…wenn es nicht so diesig wäre.

Es ist bestimmt ein großartiger Ort für Fotos bei klaren Wetter, hinter der Stadt liegen noch weitere Hügel, und dahinter das Meer.

Meine Begleiterin hatte weniger Lust auf die Aussicht, denn zwischen den Gräbern tummelten sich Moskitos, die mich zwar in Ruhe ließen, meine Begleiterin aber verfolgten.
Den Hügel hinauf gab es keinen Weg, wir bewegten uns immer von Grab zu Grab, es gab nur kleine, ungeordnete Gänge und Stufen mittendrin. Mehrmals landeten wir in einer Sackgasse, da wir auch den Hügel hinauf im Nebel nicht wirklich sahen.

Oben angekommen, musste ich irgendwie resümieren. Hier saß ich nun, über Gräbern und in der Dunstglocke, in der zweiten Stadt, die von der Atombombe getroffen wurde, über 1300km von Tokyo entfernt und über 8700km weit weg von Berlin – die Stadt, in die ich in weniger als einer Woche wieder zurückkehren werde. Dann wird ein Jahr Japan vorbei sein.

Es wirkte unreal und so weit weg, und doch würde ich eine Woche später in Berlin aufwachen, weit weg von Nagasaki und seinen ewigen Gräbern. Ich seufzte laut, und ging den Hügel wieder hinab.

Den ausländischen Friedhof, den wir beim Aufstieg verpassten, entdeckten wir fast schon zufällig beim Abstieg.

Dieser war allerdings eine ziemliche Goldgrube. Denn hier, mehr in der Nähe der Stadt, lagen die Kapitäne, Diplomaten oder andere Offizielle mit prächtigen Gräbern.

Ein Blick über die Grabsteine war auch ein Blick in die Jahrhunderte. Schriften in Latein, Englisch, Portugiesisch, viel Holländisch und auch Deutsch gab es zu entdecken. Bei einigen ließ sich auch rekonstruieren, wie sie gelebt haben und gestorben sind.

Dieses riesige Monument sagte es zwar nicht, doch der Tod vom Kapitän und seiner Manschaft am selben Tag legt nahe, dass ihr Schiff Ende des 19. Jhd. vor der Küste von Nagasaki gesunken ist. Kollegen haben dann das Grab errichtet.

Ich suchte auch verstärkt nach einem deutschen Grab – und schlussendlich, fand ich eins.

Und dann noch ausgerechnet von meinem Namensvetter.

Fritz von Zander
12. Januar 1861 – 9. Mai 1892

Ein Preuße, geschickt vom Kaiser um das deutsche Konsulat in Nagasaki zu betreuen.
Im Internet gibt es nicht viel von ihm, das Einzige, was ich gefunden habe, ist seine Listung in einer Aufzählung von allen Ausländern, die in Nagasaki begraben sind. Und schon war er vergessen, wenn neben seinem Namen nichts mehr von ihm übrig bleibt. Nur noch sein Name, und sein steinernes Grab.

Den Hügel hinab, begrüßte uns ein kleiner Hund.

Putziges Tierchen, das uns freudig auf seinen Stummelbeinchen begrüßte. Was er allerdings nicht mochte, war meine Kamera.

Man beachte seinen skeptischen Blick. Denn nur ein paar Sekunden nachdem ich das Bild machte, knurrte er mich an und fletschte die Zähne. Ich erschrak sehr über diesen Gemütswechsel und steckt schnell die Kamera weg. Sein Frauchen war sichtlich amüsiert und erklärte, dass er keine Kameras mag. Hät sie ruhig mal vorher sagen können.

Es dauerte nicht mehr lang und es war wieder zappenduster.

Es war nun Abend, das Licht war weg und der Anruf kam nie. Eine Lösung hatte ich erstmal nicht parat, schließlich wollte meine Begleiterin morgen schon die Stadt verlassen und mir war nicht klar, wie es die nächsten Tage bei mir ausschaut. Wir wollten erstmal essen gehen.

Die Auswahl war groß, doch wir nahmen dann ein chinesisches Restaurant. Mit gebratenen Reis konnte ich nicht falsch liegen, meine Begleiterin nahm, zum zweiten Mal in Folge, die Nagasaki-Spezialität: Nudeln mit einer Meeresfrüchte-Cremesoße.


Der Hauptbahnhof

Gestärkt gingen wir zu unserem Hotelzimmer, das wir nun zum ersten Mal betraten. Absolut geräumig und mit zwei seperaten Badezimmern ausgestattet war es mehr, als wir erhofft hatten. Es gab auch einen kleinen Balkon mit Ausblick – auf noch mehr Gräber hinterm Haus…

…auf ein weiteres Hotel, oben am Hügel und im Dunst….

…und auf OH MEIN GOTT, DA IST ER WIEDER!!

Der riesige Buddha stand unweit vom Haus, mit Blick direkt in unser Fenster. Ich zog die Vorhänge zu und wand mich an meine Begleiterin.
Ich bat sie den Typ von der Stadt anzurufen. Ich hatte keine Lust mehr auf seinen Anruf zu warten und machte eine klare Ansage. Morgen treffen wir uns um 7 Uhr in dem Fischerdörfchen und fahren zur Insel – Wetter hin oder her. Meine Begleiterin, und somit Übersetzungshilfe würde morgen wieder nach Tokyo fahren und auch mir ging die Zeit etwas aus. Sollte ich jemals auf diese Ruineninsel kommen, musste es morgen sein.
Wir riefen den Typen von der Stadt an diesem Sonntag-Abend an, weit über jede Arbeitszeit hinaus, und machten die Ansage.
Seine Antwort, “okay”, überraschte mich dann doch in seiner Einfachheit, aber es war mir in dem Moment genug. Ich legte den Futon zurecht und schlief ein.

Der nächste Morgen begann früh und mit einem Blick aus dem Fenster.

Der riesige Buddha hatte die Nacht auch überstanden und starrte immer noch auf die Stadt…

Wir checkten aus und ließen unser Gepäck wieder in der Lobby. Der einzige Angestellte war extra für uns so früh aufgestanden und lächelte uns sichtlich müde an.

In aller Früh machten wir uns auf den Weg zum Bus, der uns zu dem Fischerdorf bringen sollte, nicht wissend, ob wir von dort nun zur Insel kommen, oder nicht…

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Die Nagasaki-Nacherzählung:

Teil I – Nach Nagasaki, der Insel wegen
Teil II – Nagasaki, Stadt im Regen
Teil III – Buddha und die zerstörte Stadt
Teil IV – Gräber, die die Stadt hinauf wachsen
Teil V – Die touristenfreundliche Ruine im Pazifik
Teil VI – Eine Insel für die Holländer und ihre Dirnen


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