Zwiebeln für Fukushima I

Im Sommer war ich mit einer Gruppe von freiwilligen Helfern in Minami-Soma, einem Ort in der Präfektur Fukushima – 40km vom Reaktor entfernt. Ein Teil des Ortes liegt im 20km Bannkreis rund um das havarierte Kraftwerk, die Mehrheit der Bevölkerung hat die Stadt bereits verlassen. Kontaminierter Reis und radioaktiv belastetes Gemüse sind hier ihr größtes Problem.

Fukushima spaltet nicht nur Atome sondern auch Gemüter. Wenn ich nach meiner Rückkehr in Deutschland mal beiläufig erwähnte, dass ich in diesem Sommer in Fukushima war, wichen die Leute meist instinktiv zurück. Auch wenn ich mich nur einen Tag lang dort aufhielt – das reicht schon, um den Status eines Leprakranken zu bekommen.
Auch wenn mittlerweile jedem Deutschen Fukushima mindestens genauso bekannt ist wie Hiroshima, so ganz stimmen die Termini meistens nicht. Es gibt die Präfektur Fukushima, deren Hauptstadt ist Fukushima (City) und von dort sind es nochmal 60km bis zum Reaktor Fukushima-Daiichi (Fukushima Nr. 1). Doch der Name Fukushima, auf was er sich auch beziehen mag, löst immer eine gewisse Vorsicht beim Gesprächspartner aus.

Als ich diesem Sommer in Japan war, wollte ich unbedingt auch in den Norden. Allein, um mir selbst ein Bild von der Lage zu machen, ein halbes Jahr nach dem Beben vom 11. März. Ich war zuvor ja nur auf die lauten Medien angewiesen, die inzwischen Japan wieder vergessen hatten. Ein Blogeintrag bei einem deutschen Kollegen aus Tokyo machte mich dann auf das Projekt “Save Minami-Soma” aufmerksam.

Save Minami-Soma ist ein Projekt, welches sich rein durch Spenden finanziert und zum Großteil von in Japan lebenden Ausländern verantwortet wird. Der Kontakt war schnell hergestellt, auch wenn die klare Ansage war, dass ich nur als freiwilliger Helfer mitkommen könne und nicht als Fotograf. Es war zwar gewünscht, dass ich auch Bilder mache, doch nur wenn gerade nichts mit anzupacken ist.
Ich willigte gerne ein.

Mit Verspätung erschien ich am Treffpunkt in Roppongi in Tokyo. Einer der beiden Trucks, mit denen wir in der Nacht Richtung Norden fahren sollten, stand schon vor dem Parkplatz. Den anderen würden wir gleich noch abholen. Schon als ich am anderen Ende der Straße eintraf, erkannte mich der Leiter des Projekts als Helfer, auch wenn ich ihn an dem Tag zum allerersten mal traf. Nicht viele blonde Westler verirrten sich in diese Seitenstraße.
Der Projektleiter kam in den 80er Jahren aus den USA nach Tokyo. In Japan lebte er mehre Jahre lang als Gelegenheitsmodel ohne Visum. Verdienen konnte er damals ganz gut. Über 2.000 Euro am Tag waren als Gage keine Seltenheit. Er war einer der ersten, der den riesigen Bedarf an westlichen Models in Tokyo ausnutzte. Heute seien es doch zu viele von ihnen in Tokyo, beschwerte er sich, und die Gagen wären im Keller. Ein bisschen verärgert war er auch darüber, dass die Marktlücke, die er früher entdeckte und ausnutzte, nun von anderen ebenso ausgenutzt wird. Japanisch spricht er bis heute kaum. Für das, und das Visum hat er seine japanische Frau.

Ihm gefiel die Rolle des Ausländers, der ganz alleine Japan rettet, sehr. Frustriert mit der langsamen Art, wie die japanischen Freiwilligendienste agieren, gründete er selbst sein eigenes Projekt. Dies sollte nun seine zweite Fahrt nach Minami-Soma sein, bis zum jetzigen Zeitpunkt im Dezember sollten noch zwei weitere folgen.

Mit dabei war noch ein Brite, der nach drei englischen Worten bei mir schon erkannte, dass ich aus Deutschland stammte. Ich musste mir im Laufe der folgenden Reise noch diversen Scherze in der Hinsicht anhören, doch im Gegensatz zu denen vom Amerikaner, trafen die vom Briten meistens und brachten mich auch zum Lachen. Zusammen fuhren wir zum Ort, wo wir die Trucks beladen sollten.

Die Paletten mit Wasserflaschen, Dosen mit Obst & Gemüse und Tüten mit Süßigkeiten für die Kinder standen schon vor den beiden offenen Trucks, als wir ankamen. Wie die gemieteten Trucks waren auch sie durch Spenden finanziert. Vieles kam auch von Second Harvest Japan, vor deren Büro wir uns hier trafen. Sie sind vergleichbar mit den Tafeln, die in Deutschland Nahrungsmittelspenden sammeln. Vor dem Tsunami waren sie vorallem dafür bekannt, Essen an Obdachlose zu verteilen. Seit März ist Second Harvest Japan jedoch verstärkt im Norden Japans unterwegs.

Der Rest der Gruppe, der ungefähr 10 Leute angehörten, warteten schon hier auf uns oder traf nach und nach ein. Es waren nur vier Japaner dabei, darunter die beiden einzigen Damen. Der Rest war divers. Der deutsche Blogautor, durch den ich vom Projekt erfahren habe, war ebenfalls vor Ort. Er hatte Spenden auf seiner Website gesammelt, die er nun dem Leiter des Projekts überreichte. Ebenso war ein Lehrer aus Kanada dabei, dessen Schüler durch Kuchenbasare und Flohmärkte Geld für die Kinder im Tsunami-Gebiet sammelten. Mit ihm, und einem Japaner, der längere Zeit in den USA lebte und etwas amerikanisiert war, saß ich vorne im zweiten Truck.

In diesem Sommer in Japan habe ich viel über die Freiwilligen erfahren, die sich nach dem Tsunami Richtung Nord-Japan aufgemacht haben oder es nach wie vor regelmäßig tun. Bei einem habe ich sogar in Tokyo übernachtet. Die Gründe, warum sie helfen, ist bei jedem unterschiedlich. Und so hatte auch bei dieser Fahrt nach Fukushima jeder seine eigene Beweggründe. Ich wollte helfen, aber mir auch ein Bild von der wirklichen Lage vor Ort machen. Andere wollten einfach mit anpacken, weil ihnen die Geschwindigkeit der japanischen Behörden nicht ausreichte. Doch ich glaube, es befriedigt auch gewisse Bedürfnisse nach Abenteuer und Heldentum.
Als mir der Amerikaner zum ersten Mal von seinem Projekt erzählte, sprach er wie im Rausch. Und auch die anderen, als sie mir von ihrem ersten Einsatz erzählten, berichteten von dem Adrenalin, dass sie eine Woche lang verseuchten Schlamm schaufeln ließ. Am Ende gab es die Anerkennung und Dankbarkeit der Einheimischen. Die nimmt man gerne mit, wenn man zurück in seine eigene Wohnung nach Tokyo fährt, während die, den man eine Woche lang geholfen hat, in ihre Notbehausungen zurückkehren und dort mehrere Monate lang bleiben müssen.

Wie auch immer die eigene Motivation zu begründen ist – wichtig ist nur, dass reale Hilfe geleistet wird. Und sei sie noch so klein. Doch den Eindruck von Katastrophentourismus konnte ich nicht verlieren. Die Fahrt ist für die Helfer kostenfrei.
Vollbepackt fuhren wir los. Die Fenster vom Truck waren offen und eine leichte Sommerbrise wehte in die Kabine. Aus den Lautsprecher tönte U2 mit “A beautiful day” während wir auf dem Weg nach Fukushima waren.

Um den Stau rund um Tokyo zu vermeiden, fuhren wir nachts. Unterwegs wollten wir die fast vollen Trucks noch mit frischen Gemüse bei einem Großhändler befüllen. Doch bis dahin waren es noch ein paar hundert Kilometer. Gegen 2 Uhr machten wir eine Pause auf einem Rastplatz um den folgenden Tag durchzusprechen.


Der Leiter des Projekts, deutlich zu erkennen am Knie der Kompetenz

Um 3 Uhr sollte es weitergehen, jeder könne also noch eine Stunde schlafen bevor es morgen dann richtig los geht. Wir können entweder in den Trucks pennen, oder auf einer Parkbank. Es war Sommer und warm genug. Doch ich persönlich kann nicht so einfach den Schalter auf “Schlaf” legen. Ich zog also über den Rastplatz.

In den Kabinen und Vordersitzen der Autos schliefen überall diejenigen, die kein Hotel mehr erwischt haben oder sich keins leisten konnten. Beleuchtet vom Rastplatz und den Amaturen sahen die leblosen Körper aus wie fehlplatzierte Leichen. Als ich versucht habe, sie zu fotografieren, sind die toten Körper allerdings aufgewacht.

Zurück am Truck stand dann schon der Kanadier, rat- und rastlos wie ich.

Beherzt machte er den Truck auf, legte sich eine Plane zurecht und schlief zwischen Dosensuppen und Kohlrabi ein.

Ohne bessere Optionen tat ich es ihm gleich und machte es mir hinten bequem.


Geräuschkulisse

Hinter mir war die Autobahn, neben mir die rumorenden Trucks und ab und an fuhr ein Reisebus vorbei. Sofern die Insassen noch wach waren, wunderten sie sich, was denn ein blonder Westler hinten auf einem Truck treibt.


Ausblick von der Ladefläche

Gegen 3 Uhr kam mir dann der Brite entgegen, lächelnd und recht aufgedreht. Ob er denn schlafen konnte, fragte ich ihn. Nein sagt er, aber er hätte schon zwei Tassen Kaffee intus. Gleich wird er sich wieder ans Steuer vom ersten Truck setzen.

Der nächste Stopp unsere Karawane, dem zwei Kleinlaster und ein Kombi angehörten, sollte der Gemüse-Händler sein. Es war noch dunkel, als wir ankamen.

Die frischen Kisten stapelten sich schon, bereit für uns sie mitzunehmen.

Doch vor Sonnenaufgang sollte erstmal nichts passieren, hieß es dann. Der Händler hätte nicht so früh mit uns gerechnet, und wir sollen erstmal warten. Viel mehr konnten wir auch nicht tun.

Wir parkten unsere Autos vor einem Conbini. Umgeben war er nur von Reisfeldern und einsamen Landstraßen. Ich wartete die ganze Zeit auf den Sonnenaufgang. Da sie nicht kommen wollte, ging ich kurz aufs Klo. Als ich wieder rauskam, war die Sonne einfach da. Als hätte sie auf meinen Moment der Unachtsamkeit gewartet.

Wir versorgten uns mit Essen und Trinken. Einige dösten weg, in der Erwartung der Anspannung vom folgenden Tag.

Als es dann hell wurde, konnten wir endlich das Gemüse aufladen. Kartoffeln, Rettiche und Zwiebeln für die Leute in Fukushima.

Der Truck war nun berstend voll.

Von nun an hatten wir die Sonne als Begleiter.

Die Route, die wir nahmen, war bewusst so geplant, dass sie uns in einem weiten Bogen um das Kraftwerk und die radioaktiven Hotspots vorbei führt. Bei ihrer ersten Tour hatte die Gruppe zwei Geigerzähler vorne an den Truck geschraubt. Die gefährlichen Regionen waren ihnen bekannt.


Unser Fahrer


Der Leiter, Herr des Geldes und der Lebensmittel, an der letzten Tankstelle vor Fukushima

Wir fuhren immer dem vorderen Truck hinterher…

…nur noch durch einen Tunnel…

…und wir waren dem Ziel nahe.

Wie unsere Arbeit in Minami-Soma aussah und wie es im Tsunami-Gebiet aussieht, steht dann in den nächsten beiden Teilen.

7 thoughts on “Zwiebeln für Fukushima I”

  1. Auf diesen Eintrag habe ich gewartet! Gespannt warte ich auf die die noch folgen. Habe deinen Blog damals bei dem von Tabibito entdeckt und lese seitdem mit. Besonders gefallen haben mir deine Einträge über Japan und die Bilder natürlich.

    1. hehe, danke dass du dich so lang geduldet hast 😉 Wir sind ja im August hingefahren, aber vor Dezember habe ich es nicht geschafft aufzuschreiben, Uni und Kram eben…

  2. […] Im Sommer war ich mit einer Gruppe von freiwilligen Helfern in Minami-Soma, einem Ort in der Präfektur Fukushima – 40km vom Reaktor entfernt. Ein Teil des Ortes liegt im 20km Bannkreis rund um das havarierte Kraftwerk, die Mehrheit der Bevölkerung hat die Stadt bereits verlassen. Kontaminierter Reis und radioaktiv belastetes Gemüse sind hier ihr größtes Problem. Fortsetzung von Teil 1 […]

  3. […] Ein Jahr nach der Katastrophe ist Minamisoma noch weit weg vom Alltag. Die Trümmer des Tsunami sind weggeräumt, der Wiederaufbau kommt nicht in die Gänge. Die Strahlung bereitet dem Bürgermeister sorgen. Die Dekontaminierung ist ein ständiges Thema. Von ursprünglich 70‘000 Einwohnern sind noch 40‘000 geblieben. Viele junge Menschen haben der Stadt den Rücken gekehrt. Die Schüler, die geblieben sind, sollten sich nur 2 Stunden pro Tag draussen aufhalten und dies noch mit Mundschutz (Eine interessante Foto-Reportage von Asienspiegel-Autor Fritz Schumann aus Minamisoma gibt es hier zu sehen). […]

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