Endlich Finnland III: Im Haus am See

Weiter geht die Reise. Tiina lud mich in ihr Heimatdorf ein, zum Haus ihrer Eltern. Hier in Südostfinnland gab es weniger Wind, viele Bäume und unzählige Seen. Einer davon befand sich in ihrem Garten.

Der letzte Morgen auf der Matratze. Wieder war ich der erste, der wach war. Wieder machte ich die Küche sauber. Das Hühnchengelage der letzten Nacht sah und roch man noch. Tiinas Freund verspeist Hähnchenflügel übrigens so: den ganzen Flügel in den Mund, laut schmatzend im Mund hin und her schieben, komplett abnagen, den Kopf dann über den Teller beugen und die Knochen langsam aus dem Mund fallen lassen. Das ganze sieben mal. Ich bekam nur vier Flügel runter.

Ich wollte mich gerade an den Herd machen, dessen schwarzen Fettflecken schon seit fünf Winter eingebrannt waren, da wachte Tiina auf. “Du hättest das nicht alles sauber machen müssen”. Oh doch.

Wir winkten ihrem Freund zum Abschied und machten uns auf den Weg zur Busstation. Die finnische Landschaft ist zersetzt von Seen, Hügeln und tiefen Wäldern. Man kann eine Stunde fahren, ohne je einen Menschen oder eine Straßenlaterne zu sehen. Züge erreichen daher nicht alle Orte. Nützlicher ist das gut ausgebaute Bus-Netzwerk. Für Studenten kosten die sonst sehr teuren Tickets nur die Hälfte. Wie schon auf der Fahrt nach Helsinki ging Tiina vor, lächelte den Fahrer an und meinte, wir sind beide Studenten. Halbherzig zeigte ich meinen Ausweis aus Hannover vor. Meine Finger verdeckten ganz zufällig die halbe Plastikkarte. Doch der Fahrer winkte uns nur nach hinten durch. Ab nach Mäntyharju.

“Wohin?” fragte ich. “Mäntyharrju!“, ausgesprochen Manntüharrrryu. Das R macht die Hälfte des Wortklangs aus.
Ich weiß nicht mehr genau, wie lange die Fahrt dauerte. Wir redeten die ganze Zeit. Über Japan, die Zukunft, die Wälder und die Berge, die am Fenster vorbei zogen. Irgendwann, als die Dämmerung einsetzte, kamen wir in einem kleinen Ort mit Bahnstation an. Davor ein Glaskasten. Es war ein Café im finnisch-amerikanischen Country-Stil. Schwierig zu beschreiben, auf jeden Fall viel Holz, Fässer und Whiskey. Und Tee für 1,50 Euro.
Wir warteten auf Tiinas Vater, der uns mit dem Auto abholen wollte. “Er sieht aus wie der Weihnachtsmann”, sagte sie. “Aber sag ihm nicht, dass er aussieht wie der Weihnachtsmann. Er hört das nicht so gerne.” Auf dem Tisch vor uns lag eine aufgeschlagene Zeitung. Von Seite eins bis zwölf waren nur finnische Politiker abgedruckt. Tiina, die sonst ein positives Wort über jeden sagen kann, hatte diesmal keine. Finnische Politiker, zumindest die abgedruckten, äußerten sich wohl sehr europa-feindlich. Das mag sie nicht. Sie ist für ein harmonisches Zusammenleben und freies Reisen in Europa. Bevor ich zu Seite 13 kam, parkte ihr Vater schon draußen. Er sah tatsächlich aus wie der Weihnachtsmann.

Ich begrüßte ihn auf Finnisch und stellte mich vor. Ich fragte ihn auf Englisch, wie es ihm denn geht. Sein Blick ging zu Tiina. Die lachte nur und meinte “ach ja, mein Vater spricht kein Englisch.” Diese Aussage sollte sich eine Flasche Wodka später als Trugschluss erweisen. Tiina erzählte mir auch einmal, wie sie mit ihrem Freund auf Englisch telefonierte, als sie daheim war. Nach dem Gespräch kicherte ihr Vater schelmisch. Er versteht mehr, als er zugeben möchte.

Auf der Fahrt zum Haus des Weihnachtsmanns saß ich hinten. Dunkle Wälder zogen links und rechts und vorbei und höchstens alle 10 Minuten ein Auto. Das Gespräch kriege ich nicht mehr zusammen. Ich machte nur die mentale Notiz, das es gut lief und ich Eindruck beim Vater machte. Tiina übersetzte fleißig alles, was ich und der Vater sagten. Dabei hob sie ihre Stimme kräftig an. Der Weihnachtsmann war schwerhörig.

An den Lichtern konnte ich erkennen, dass wir in eine Siedlung einbogen. Die letzte Lampe am Ende der Straße gehörte zum Wohnhaus der Familie. Beim Einparken bellte das Haus schon. Jussu, der sehr alte Hund der Familie, begrüßte mich mit seinem Teddi im Mund und nickte mit dem Kopf auf und ab. Fast wie eine höfliche Verbeugung. Ob der Hund krank sei, fragte ich Tiina. Nein, sagte sie, uns hat nur das Bellen genervt, da haben wir ihm das Nicken beigebracht. Jussu war froh mich und Tiina zu sehen.

Die Mutter begrüßte mich per Handschlag und mit einem vollen Kühlschrank. Es waren sogar zwei Kühlschränke. Der eine für Gemüse, Butter, Milch und Wodka. Der andere war oben für die Ernte und unten für das Fleisch von der Jagd und von der Farm. Tiinas Vater hatte es zwar nicht erlegt oder gemästet, aber er hat viele Freunde, die ihn beschenken. Eine Tüte im unterstes Fach enthält ganze Schweinohren. Die bekommt Jussu jeden Abend.
Die Familie deckte den Tisch und ich bezog mein Zimmer. Ich bekam den Raum von Tiinas Schwester. Das offizielle Gästezimmer aber noch so eingerichtet wie zu ihrer Teenager-Zeit, die nur wenige Jahre zurück liegt. Tiinas Schwester steht auf Frauen, daher befanden sich viele junge Damen auf Postern an der Wand. Damit hatte ich nun wirklich keine Probleme. Ganz im Gegenteil.


Eines der wenige Poster ohne jungen Dame im Zimmer: Eine Karte der Welt der Mumins

Und endlich gabs ein richtiges Bett! Ich hätte direkt einschlafen können, doch der Geruch aus der Küche lockte. Vorher gab mir der Vater noch eine Tour des Hauses. Tiina konnte nicht mehr übersetzen, da sie mit ihrem Freund telefonierte. Ich verstand zwar kein Finnisch, aber was das Wohnzimmer und was das Klo war, konnte ich so einigermaßen ausmachen. Wir beendeten die Tour im Kaminzimmer, wo der Vater frischgeschlagenes Holz anzündete. Es knisterte. Ich war die ganze Woche nicht so entspannt wie in diesem Moment.

Ein Wort der Tour des Hauses verstand ich aber. Sauna. Jedes Haus in Finnland hat eine. Das Feuer im Kamin wärmte sie bereits auf. Nach dem Essen sollte jeder einmal rein. “Du verlässt das Land nicht, ohne in einer Sauna gewesen zu sein!” drohte mir Tiina mit einem Lächeln. “Du bist Sauna ja nicht gewohnt, also starten wir mal bei 70°C.” Ich schwitzte schon beim Gedanken daran.

Beim Essen gab es selbstgemachte Fleischbällchen und Saft aus Moosbeeren. Die Erkältung, die Tiina und ihr Freund die letzten Tage plagte, machte sich nun auch bei mir breit. Schon in Porvoo kündigte Tiina das Hausmittel ihrer Mutter gegen Erkältungen an: in Wodka aufgelöster Knoblauch. Den gab es im Anschluss. Die Mutter stellte das Schnapsglas vor mir auf den Tisch und drei Finnen guckten mich erwartungsvoll an. Der Geruch von Knoblauch war streng. Mit einem großen Schluck leerte ich das Glas. Eine Wärme machte sich in meinem Hals breit. Als ich das Glas wieder auf den Tisch stellte, merkte ich, dass die Blicke immer noch auf mir ruhten. Es ist gut, sagte ich. Erleichterung. Kann ich noch einen haben? Mutter war zufrieden und schenkte nach, der Vater lachte anerkennend und bot mir gleich einen Whiskey an. Und Tiina gluckste vergnügt.


Die Siedlung erinnerte mich an nordamerikanische Suburbs. Alle Häuser sind flach gebaut. Genug Platz hat man ja.

Zurück im Zimmer checkte ich meine Ausrüstung. Nichts vergessen, alles ist da und noch Platz für knapp 1.000 Bilder. Sollte reichen. Es klopfte an die Tür. Die Sauna sei nun fertig, aber zunächst würden die Eltern reingehen. Ein nackter Weihnachtsmann ging im Flur an mir vorbei und lachte.

Die Familie sauniert jeden Abend, es gehört dazu wie das Zähneputzen. Feuchtglänzend und mit einem Handtuch bekleidet erklärte mir der Vater, hauptberuflich Elektro-Ingenieur, wie Sauna funktioniert. Seine Handzeichen brauchten keine Übersetzung: Du sitzt hier. Da sind die Kohlen. Hier ist die Kelle. Dann machst du so. Er schüttete frisches Wasser auf die Kohlen und es zischte. Der Dampf beschlug mir die Brille. Okay, sagte ich. Okay sagte der Weihnachtsmann, lachte und ging mit Frau Weihnachtsmann ins Schlafzimmer. Ich war nun auf mich allein gestellt.

Wie beim Bad in einer heißen Quelle in Japan duscht man sich, bevor man in die Sauna geht. Ich ließ meine Brille im Vorraum und setzte mich aufs Fichtenholz. Es dampfte.

Und nun? Lektüre kann man sich in den Dampf nicht mitnehmen. Mein iPod hätte in der Luftfeuchtigkeit wahrscheinlich einen Kurzschluss. Aber auch mal gut, auf nichts starren zu müssen, und die Gedanken frei im Dampf atmen zu lassen.

Nach einer Weile löste ich mich wieder vom Holz und ging raus. Tiina stand schon im Gang. Und? Wie wars? Ich keuchte. Sie reichte mir ein Glas Eiswasser. Um das verlorene Wasser zurück zu bekommen, sagte sie. Eine echte Saunaexpertin. In der einen Hand das Handtuch um meine Hüfte, in der anderen das Glas, ging ich durch das Kaminzimmer in den Garten. Zum Abkühlen. Es war frisch, aber es wehte kein Wind. Über dem See konnte man die Milchstraße im Himmel erkennen.

Wieder drin warf ich mir Schlafklamotten über und fiel im lesbischen Zimmer aufs Bett. Nichts in der Welt hätte mich jetzt davon wegziehen können.

Der nächste Tag war diesig. Während meiner gesamten Zeit in Finnland wechselte sich das Wetter ab. Sonne, wolkig, Sonne, wolkig. Heute wars grau.
Tiina hatte eigentlich einen besonderen Platz im Wald, den sie mir zeigen wollte. Aber der sollte auf gutes Wetter warten. Heute gingen wir nur um den See.

So ein finnischer Mischwald gewinnt echt gegen deutsche Monokulturen-Wälder.

Überall lagen vereinzelt kleine Boote. Alle waren nur aufs Land geschoben, keins war vertaut. Alle gehörten den Anwohnern. Das Gebiet ist beliebt bei Urlaubern, erklärte Tiina. Viele haben hier ihr Sommerhaus. Im Winter und Herbst sind die meisten der Behausungen leer und es ist ruhig. So wie jetzt.

Wir erreichten einen Steg. Der See lag ruhig und fast unberührt vor uns.

Die Bootshäuser warteten auf den nächsten Frühling. Tiina tanzte derweil den Steg entlang.

Ein Schild begrüßte uns, als wir aus dem Wald heraus kamen. Auch wenn man in Finnland nie wirklich aus dem Wald heraus kommt.

Da ich die ganze Zeit fotografierte, versuchte sich Tiina auch einmal in den Spuren des Regens.

Das Ergebnis:

Tiinas Familie war nicht der einzige Grund, warum ich nach Mäntyharju fuhr. Dort gab es nämlich eine Geschichte für mich zu fotografieren. Zu dieser Geschichte kann ich mich an dieser Stelle noch nicht äußern. Es ging um ein Auto, eine Sauna mit zwei dicke Finnen und mir in der Mitte, und eine große Flasche Wodka.
Ein Andermal.

Viel wichtiger ist, dass ich an diesem Morgen nicht die Küche putzen musste. Das erledigte die Frau des Weihnachtsmanns.


Jussus Teddy. Bissfest.

Im nächsten Teil geht es dann noch tiefer in die finnischen Wälder.

Endlich Finnland
Teil 1 – Train Job
Teil 2 – Helsinki ist nicht hell
Teil 3 – Im Haus am See
Teil 4 – Im Innern des Waldes
Teil 5 – Schlaflos in Kopenhagen
Extra: Das Saunamobil

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