In Tokyo habe ich mehrere Monate als einziger deutscher Kellner in einem deutschen Restaurant gearbeitet. Ich habe die Zeit sehr genossen. Hier nun ein paar Geschichten aus dieser Zeit.
Sie hatte immer was gegens Fotografieren, auch wenn ich ihr versicherte, dass ich Profi bin und keinen Schabernack treibe
Jeden Feierabend, immer ca. 23.30 Uhr, nachdem die letzten Gäste gingen, setzten wir uns alle zusammen hin und tranken noch was. Meine Kollegen meist ein frisches Bier, ich einen Ananassaft oder eine Cola. Ich mochte diese Runden am Abend. Es war alles ungezwungen, keine Analyse vom Tag oder ein Fazit, was man besser machen müsste, wie es bei deutschen Betrieben der Fall ist, wenn alle am Ende des Tages zusammen kommen. Man konnte reden, oder nur schweigen, oder sich komplett verabschieden. Es gab keinen Druck oder sozialen Zwang. Mir persönlich war es immer recht, mich über eventuell dämliche Gäste vom Tage zu beschweren oder Witze drüber zu machen, wenn sie besonders nervig waren. Dann haben wir drüber gelacht und der Stress vom Tag war vergessen.
Das Restaurant hatte nur zwei feste Angestellte, der Rest bestand aus Teilzeitkräften. Erstaunlich fand ich, was meine Kollegen, fast alle jung und in meinem Alter, nebenbei machten.
Einer war Student an der Elite-Uni Waseda, kam aber ursprünglich aus Hakodate auf Hokkaido, dem kalten Norden, wo seine Familie in einem Tempel wohnt (und auch betreibt). Wenn er mit dem Studium fertig ist, wird er wieder zurück gehen und den “Familienbetrieb” weiterführen, unabhängig vom Abschluss. Und so wie ich ihn verstanden habe, ist die Zeit in Tokyo für ihn hier, wo er alleine lebt, auch eine kleine Auszeit von diesen Pflichten. Auch wenn diese Teilzeit ihn Studiengebühren von über eine Million Yen (10.000 Euro) kosten (die wohl seinen Eltern zahlen werden). Er studiert Deutsch und Jura (hängt in Japan beides zusammen, da einige Sachen im japanischen Rechtsystem auf dem deutschen basieren), Englisch hatte er auch belegt, doch sprechen konnte er beide Sprachen nicht. Er war von Allen dort der cleverste und wusste das auch. Er wusste auch, dass ich sein Japanisch oft nicht verstand – er sprach Dialekt und sehr schnell – was er manchmal ausnutzte. Dafür zog ich ihn dann mit seinem schlechten Englisch auf 😉
Er kam oft direkt von der Uni ins Restaurant und hatte so seine Bücher dabei. Ich bat ihn einmal, mir sein Englisch-Buch zu zeigen. Wie erwähnt ist Waseda eine Elite-Uni auf einem hohen Niveau. Sein Englisch-Buch erinnerte mich allerdings an die Bücher, die ich in der Grundschule in Englisch hatte. Ich las dann mal eine Übung aus dem Buch vor, eine Frage auf Englisch: “Was würdest du mit einer Million Dollar machen?”. Der Student überlegte lange und nahm mir dann das Buch weg, um die Antwort nachzuschlagen. Mit Japanern und Englisch ist das ja immer so ne Sache 😉
Trotzdem war der Kerl wirklich klug. Er konnte mir alle deutschen Bundeskanzler und sogar einige Bundespräsidenten aufzählen – viele deutsche Studenten scheitern ja schon daran. Er spielt auch wie ich das japanische Brett-Spiel Go.
Tischmeister
Ein Anderer, ich nannte ihn immer Teberu-Sensei (Tisch-Lehrer), weil er immer die Tische kontrollierte, die ich gedeckt hatte und notfalls korrigierte.
Bei ihm merkte ich stark, dieses Senpai-Kohai System, was in den Japanern drin steckt. Grob kann man sagen, dass der Senpai jemand ist, der älter ist und mehr Erfahrung hat, und seinen jüngeren Schützling, dem Kohai, alles erklären muss. Das kann allerdings auch in einer Befehlskette ausarten, oftmals sollte ich nen Tisch abräumen, weil er als mein Senpai keine Lust dazu hatte. Mit ihm verstand ich mich mit am Besten, durfte ihn auch beim Vornamen nennen. Allerdings stritt ich mich auch mit ihm am Meisten. Oftmals, weil ich etwas falsch verstanden hatte.
Wenn mal nix zu Tun war, lernte ich Japanisch. Meine Kollegen halfen mir dabei manchmal, in dem sie Sachen erklärten und aufschrieben. Es machte jedoch mal ein Zettel die Runde, der mir garnicht gefiel. Übersetzt hieß es: Fritz’ erste Worte waren Schnitzel und Bretzel.
Ich empfand das als beleidigend, nahm den Zettel, zerknüllte ihn und warf ihm dem Schreiber, dem Tisch-Lehrer, ins Gesicht. Der war sehr erbost, doch vor den Gästen prügelt es sich schlecht. Wir sprachen den Rest des Abend kein Wort mehr miteinander.
Eine Woche später erzählte ich dem Oberkellner die Geschichte, der musste nur Lachen und erklärte mir, wie das gemeint war. Es war eine Art Sprechübung, vor Beginn der Arbeit. Dass da mein Name mit Bretzel und Schnitzel stand, lag einfach an einer ähnlichen Aussprache der Worte im Japanischen, an dem ‘tsu’-Laut in der Mitte. Ich hatte dann eine Woche lang schlechtes Gewissen und als ich ihn das erste mal wieder sah, verbeugte ich mich tief und entschuldigte mich, weil das ja in Japan so üblich ist. Er wusste erst nicht warum ich mich entschuldige, ich erkärte es ihm und er meinte nur “Ach das? Is doch egal” und lächelte. Toleranz für interkulturelle Missverständnisse haben Japaner wohl mehr als wir.
Ein anderes Mal stand er mir im Weg und ich trat ihn sachte gegens Bein, dass er sich doch bewegt. Fand er gar nicht cool und in der Küche trat er dann zurück. Dann waren wir aber auch quitt.
Eine echte deutsche Ritterstatue! Der Chef prahlte gerne vor Gästen, dass die direkt aus Deutschland kommt und 300.000 Yen (ca. 2800€) gekostet haben soll. Der Oberkellner meinte immer nur dazu, dass der Ritter je nach Geschichte mal 300.000 Yen, mal 200.000 oder mal 150.000 Yen gekostet haben soll. Wir mutmassten beide, dass er den wohl für 100€ aufm Flohmarkt gekauft hatte und nun was vom (metallenen) Pferd erzählt
Ein Brauch, den meine Kollegen überhaupt gar nicht kannten, und ich ihnen beibrachte, war das kollegiale High Five. Immer wenn ich mich freute, grad eine coole Aktion oder Leistung passierte, oder einfach zur Begrüßung, hob ich die Hand um mit meinem Gegenüber die Freude zu teilen. Zu Anfang hatte ich oft die Hand oben und wurde nur verdutzt angeschaut. Mit der Zeit lernten sie aber, wie ich das meinte und erwiederten es freundlich.
Der Oberkellner erklärte mir mal, dass Japaner ein Volk von Samurai sind und “Samurai machen nicht High Five”. Samurai verbeugen sich vor einander. Sag ich gut, die Deutschen sind ein Volk von Fußballspieler, und da klatscht man nun mal ab. In Japan kennt man ein High Five auch nur als “High Touch” aus dem Sport. Im Alltag eher unüblich.
Mit den Gästen klatschte ich auch ab und an ab, wo es dann heftige Kritik vom Senpai gab, dass man doch sowas nicht macht. Die Gäste fanden diesen “Regelbruch” aber eigentlich sehr witzig und machten auch immer mit. Als ich dann beim Oberkellner nachfragte meinte der nur “Fritz ist Ausländer, der darf das”. Fand ich in dem Augenblick cool, aber für die Gruppenharmonie war das nicht gut.
Das heisst nicht, dass ich von da an gehasst wurde. Aber es war klar, dass ich eine Sonderrolle unter meinen Kollegen hatte. Natürlich, als einziger blonder und Deutscher in einem deutschen Restaurant in Tokyo würde ich immer eine Sonderposition haben. Doch neben dem Zoo-Faktor hatte ich auch Sonderrechte, wie z.b. mal einen Scherz mit dem Gast zu machen, oder mich zu meinen Freunden, wenn sie mich besuchten, an den Tisch zu setzen.
Im Allgemeinen war es immer harmonisch, aber so manchmal merkte ich doch schon, einen gewissen Neid.
Manchmal nervten sie mich auch mit der Aufforderung “Lern Japanisch!”, wenn ich etwas nach dem 5. Mal nicht verstanden hatte. Das war durchaus richtig, aber irgendwo auch frech. Ich wagte mich in Japan an meine dritte Fremdsprache, wo ich bereits eine fließend spreche und eine andere zumindest verstehe. Das Einzige was meine Kollegen konnten war Japanisch und drei/vier englische Wörter. Trotzdem halfen sie mir sehr oft beim Lernen und waren absolut geduldig.
Der Kollege, der am gleichen Tag wie ich das Vorstellungsgespräch hatte und dort auch genommen wurde, war mit seinem Universitäts-Team Boxing-Champion von ganz Japan. Die Uni und Boxen hat er leider abgebrochen und fing dann einige Wochen später in meinem Restaurant an. Ich fragte ihn mal wie lang er das hier machen will und er wusste nicht. Wahrscheinlich weiss er so vieles grad nicht in seinem Leben und stürzte sich so in die Arbeit. An sechs Tagen in der Woche stand er im Restaurant, damit verdiente er nicht schlecht. Er lebt alleine in Tokyo, doch was er mit all dem Geld machen will, wusste er nicht. Erstmal sparen war ja auch nicht verkehrt.
Mit ihm verstand ich mich am Besten, vielleicht auch, weil wir zur selben Zeit angefangen haben. Er war zu Anfang sehr schüchtern und reserviert, doch ich hatte das Gefühl, dass sich da ein sehr amüsanter Geselle versteckt. Ich sollte recht behalten. Er hatte einen sehr trockenen Humor und konnte großartige Grimassen schneiden. Das traute er sich allerdings nur in meiner Gegenwart, da die Hierarchie zwischen uns flacher war, als zwischen ihm und den anderen.
Theke mit deutschen und japanischen Bier im Fass
Er war allerdings absolut nicht stress-resistent.
Einer von uns musste immer an die Theke um das Bier zu zapfen. Das kann schonmal stressig werden, wenn 20 Leute auf einmal Bier bestellen. Bier hatte die oberste Priorität bei uns, wir sollten lieber mal das warme Essen stehen lassen, um ja nicht den Schaum auf den Bier absacken zu lassen, der musste perfekt sein. Bei diesem Zeitdruck kann man schonmal ins Schwitzen kommen. Der Typ aus Hokkaido war da ein absoluter Profi drin, ließ sich von nix aus der Ruhe bringen und konnte sogar nebenbei quatschen. Der Boxer… der hatte da mehr Probleme mit. Am Nervigsten fand ichs, wenn er laut wurde und mir Befehle entgegen schrie, wenn es unnötig war. Meisten sah er das dann auch gleich ein. Es nützt ja nix, wenn alle im Stress sind.
Sein Name war Shoji, doch gegen Ende nannte ich ihn immer Shojira, nach Godzilla (japanisch: gojira), weil er eines Tages mit einer coolen Igelfrisur aufkreuzte, die an die Zacken einer Echse erinnerten. Das, und die Godzilla Statue, die 100m vorm Restaurant stand, führten zum Spitznamen, den er freudig entgegen nahm.
Wir hatten mal einen großen Armdrück-Abend, weil ich ständig meine Kollegen herausforderte, die aber immer kneiften. Allerdings war das einem Monat nach meinem Unfall, wo ich mir die Hand geprellt hatte. Das war ziemlich dämlich, da schon kurz nach dem Zudrücken ein stechender Schmerz meine Hand durchfuhr – und ihn die nächsten Tage auch nicht verließ. Ich war also draußen, aber meine Kollegen wollten es jetzt wissen. Reihum wurde nun der Stärkste gesucht, und zu Anfang konnte der Oberkellner es auch für sich entscheiden. Bis er dann auf den Boxer traf, der ihm nen heftigen Kampf bot. Mit ganzen Körpereinsatz konnte der Oberkellner es sich dann noch für sich entscheiden. Am nächsten Tag im Restaurant allerdings rieb er sich oft schmerzverzerrt den Oberarm, wenn grad keiner hinschaute. Gewinnen um jeden Preis.
Die Küche bestand aus drei ständigen Mitarbeitern, aus einem Team von insgesamt 5 Leuten, darunter drei Japaner und zwei Leuten aus Bangladesch. Ja, das deutsche Essen in Tokyo wurde von Leuten aus Bangladesch zubereitet, die noch nie in Deutschland waren 😉 Das war aber kein Problem, die konnten gut kochen und sprachen fließend Japanisch – und NUR japanisch. Kein Wort Englisch, was manchmal etwas komisch wirkte, wenn der Ausländer sich mit dem Ausländer in einer dritten Fremdsprache unterhält. Einer der Typen aus Bangladesch war wohl offensichtlich schwul, ständig versuchte er mir in den Schritt zu greifen oder beobachtete mich beim Umziehen. Kein Witz.
Am Anfang machte mir das noch Sorgen, später stellte ich fest, dass wenn ein Schwuler, der kochen kann, auf dich steht, das nicht das Schlechteste auf der Welt sein muss. Oft gabs extra Portionen oder Sondergerichte für mich. Seinen “Angriffen” konnte ich mich dann auch schnell erwehren und er ließ von mir ab – und wandte sich dem Schritt meiner Kollegen zu.
Mit der Küche hatten wir Kellner wenig zu tun, interessanterweise gabs da eine strikte Trennung. Was mir zu Anfang, als der Typ noch scharf auf mich war, auch ganz recht war. Mit dem Koch, der wohl mal in Deutschland war und immer in Sandalen kochte, unterhielt ich mich dann doch mal, weil er immer so einsam in der Küche rumstand. Der freute sich wohl sehr darüber, sodass er seitdem öfter mal zu unser Sitzung nach Feierabend vorbei schaute.
Wer sich da im Hintergrund wegduckt, hatte schon am Anfang des Beitrags etwas gegen sein Foto
Unter meinen Kollegen waren auch vier Mädels, bzw. drei Mädchen und eine Frau.
Die etwas ältere Dame (verglichen mit dem Rest der Belegschaft), war Anfang 40 und Schauspielerin am Kaiserlichen Theater. Als Schauspieler, sowie allgemein mit Kunst, lässt sich in Japan kaum was verdienen. Und auch wenn sie in Les Miserables mitgespielt hat, zwischen Stücken arbeitet sie als Kellnerin bei uns und in einem Ramen-Restaurant. Teilweise beides täglich.
Sie war echt eine starke Person, zu Anfang wirkte sie deswegen auch recht strikt und ernst, aber sie sorgte sich um ihre Mitarbeiter. Ich meinte an meinem dritten Abend mal zu ihr, dass meine Füße schmerzen. Ich hatte solche schwarzen Edel-Treter, zum Kellnern ungeeignet doch ich hatte keine anderen. Am nächsten Tag schenkte sie mir neue Schuhe, zwar alt und etwas zu groß, aber sehr bequem.
Sie hatte auch immer ein Auge auf mich, falls ich mit etwas Probleme haben sollte. Sie sprach ganz gutes Englisch, wollte aber dass ich Japanisch lerne und sprach deswegen selten Englisch mit mir (nur wenns absolut unumgänglich war). Sie sprach allerdings sehr schnell, sodass ich oft nen Moment zum Verstehen brauchte.
Ein Mädchen, halb Thai, halb Japanisch, war auch dabei. Vielleicht lag es an ihrem nicht nur japanischen Hintergrund, aber mit ihr konnte ich gut rumalbern. Dazu muss man wissen, und das hab ich auch erst sehr spät erfahren, dass Mädels im japanischen Service sehr zurückhaltend agieren sollen. Halt vornehm, höflich und immer das Gesicht wahren. Geisha, ick hör dir trapsen.
Bei ihr war nur mein Problem, dass sie sehr “unhöfliches” Japanisch sprach, also wie man normal unter Freunden spricht. Damit hatte ich zu Anfang meine Probleme, da ich nur das Lehrbuch-Japanisch kannte. Sie studierte… irgendwas. ich weiss es nicht mehr und sie interessierte das wohl auch nicht so wirklich. Sie schwänzte oft den Unterricht.
Dann war da noch die Künstlerin, die eine Ausstellung auf der Ginza hatte. Sie war recht schüchtern und wirklich sehr zurückhaltend. Umso lustiger war es, wenn ich es mal schaffte mit Geschichten oder Tricks sie aus dieser Rolle rauszukriegen um eine ehrliche Reaktion zu provozieren. Sie war sehr hilfsbereit und auch beim zehnten Mal nicht angenervt, wenn ich sie wieder bat mir etwas aus dem Menü vorzulesen.
Sie malte Gemälde, konnte davon aber, wie auch die Schauspielerin, nicht leben. Sie hatte im Mai eine Ausstellung in einer Galerie auf der Ginza, Tokyo’s teuerster Straße. Für 6 Tage Ausstellung zahlte sie der Galerie 120.000yen, also mehr als 1000€. Ich fragte sie, wie lange sie dafür gearbeitet hatte und sie meinte, ein halbes Jahr. Am Ende verkaufte sie leider nur ein Bild, doch die nächste Ausstellung stand schon an, diesmal im Ausland.
Und dann war da noch das 18 Jährige High-School Mädchen. Sie fing zwar nach mir an, doch arbeitete mehr Tage in der Woche, sodass sie nach kurzer Zeit bereits mein Senpai war. Somit war ich der Kohai von Allen, also ganz unten in der Kette.
Sie spielte irgendwie mit mir, fragte mich ständig ob ich eine Freundin hätte. Wenn ich aber den Versuch unternahm ihr etwas näher zu kommen, wimmelte sie ab. Ich fragte mal, welche Musik sie gerne hört. Sie lächelte, legte den Finger auf die Lippen und meinte: “Das ist ein Geheimnis…”
An meinem letzten Arbeitstag hatte sie zwar keinen Dienst, kam aber zufälligerweise als Gast vorbei – zusammen mit zwei ebenfalls hübschen, 18 jährigen High-School-Mädchen, die ständig zu mir rüberschauten und kicherten. Als sie gingen stand eine von ihnen eine Weile im Gang und suchte meinen Blick. Als sie den dann hatte, lächelte sie und winkte vergnügt. Nicht, dass ich mir mehr vorgestellt hatte, aber ein unschuldiger Spaß wars schon 😉
An dem Abend, wo sie als Gast da war, trank sie auch zum ersten Mal Alkohol. Wie einige vielleicht wissen ist Alkoholkonsum in Japan erst ab 21 gestattet. Mit 18 ist man das in Japan noch nicht gewöhnt. Sie bestellte trotzdem ein Glas deutschen Wein und war kurz danach bereits weggetreten.
Von den Kellnern waren wie gesagt nur zwei fest angestellt, das war einmal der Oberkellner Sakai-san, der mich einstellte und allgemein fürs Personal zuständig war, und sein Vize.
Sein Vize sprach etwas Englisch, welches er aber nur zum Spaß oder für eine Pointe gebrauchte. Sein Humor war sehr trocken, sodass ich oft nicht wusste, macht er nun Spaß oder Ernst. Der Typ war von der Seite gesehen nur 7cm breit! Ein schmaler Hering, der selten im Weg stand, er musste sich nur zur Seite drehen und schon war er weg.
Er arbeitete schon ein paar Jahre hier, immer 5 Tage die Woche. Ich fragte ihn mal, was sein Hobby ist, und er meinte, er hat keins. Der Job sei sein Hobby. “Unglaublich, nicht wahr?” sagte er, und ich wusste nicht, ob er einen Scherz macht oder nicht. Der Oberkellner meinte mal zu mir, dass sein Vize Pachinko liebt und viel Geld verzockt, auch wenn er nicht wie ein krankhafter Spieler auf mich wirkte, sondern jemand der sehr zufrieden und mit sich selbst im Reinen ist. Der Vize selbst meint er hört gern Enka, eine Art japanischer Schlager, den ich schrecklich finde. Manchmal fing er dann an Enka zu singen…
An meinem letzten Arbeitstag sang er allerdings kein Enka sondern summte mit mir alte Lieder aus Videospielen. Das war ein guter Abschluss.
Und dann natürlich… Der Oberkellner Sakai-san
Sakai-san war für mich die wichtigste Person im Restaurant. Schließlich vertraute er mir und gab mir den Job. Zu Anfang, als das Japanisch noch holperte, war auch als Dolmetscher wichtig für die Verständigung. Er sprach noch das beste Englisch im Restaurant, gebrochen aber umfangreich im Wortschatz. Dementsprechend hatten wir die längsten und intensivsten Gespräche.
Der Typ ist ein absoluter Spaßvogel und er war froh, in mir jemanden gefunden zu haben, der seine Späße mitmacht. Die Anderen trauen sich das nämlich nicht so, schließlich ist er ihr Boss. Auf eine sehr charmante Weise erklärte er mir ohne Druck, was ich und was ich nicht zu tun habe, ohne wirklich ständig Druck zu machen. Eher noch machte einen Witz drüber und ich verstand dann schon.
Gegenüber den Gästen war er natürlich immer respekt- und würdevoll. Fast schon väterlich war sein Einsatz für seine Angestellten, er hatte immer ein Auge auf uns, falls ein Gast wieder etwas wirre Fragen stellte oder uns überforderte, war er schnell zur Stelle und half respektvoll aus, ohne uns zu übergehen oder an die Seite zu drängen. Er war auch der der schnellste, in wenigen Sekunden bewegte er sich von einer Ecke des Restaurants zur anderen, wenn ein Gast wieder die Hände oben hatte.
Ich meinte zu ihm, er soll ma so gucken wie der Chef vom Restaurant (er kann den alten Alkoholiker nicht ausstehen…)
An meinem letzten Tag lobte er mich noch mal. Er meinte, dass er selbst wenig Glauben an mich hatte, mit meinem Japanisch und allem. Doch ich hab mich durchgebissen, mich angestrengt und vorallem mein Umgang mit den Gästen hat ihm imponiert. Das war auch das, was mir am meisten Spaß machte. Natürlich gab es auch dämliche Gäste, aber die überwiegende Mehrheit hat mir eine schöne Zeit beschert.
Sakai-san steht auf Deutschland, er lernt auch Deutsch, wenn im Restaurant grad mal nichts anliegt. Er probierte es ein wenig mit mir aus, auch wenn sein Lehrbuch nur ein sehr altes Deutsch beibringt, was manchmal unfreiwillig komisch wirkte. Zu seiner Hochzeitsreise im letzten Jahr ist er durch Deutschland getourt. Zwei Tage lang war er in Berlin. Er zeigte mir mal die Bilder und er hatte tatsächlich auf einem Foto mein Wohnhaus in Berlin im Hintergrund – auch wenn ich zu dem Zeitpunkt schon in Tokyo war.
Einmal kam er auch als Gast ins Restaurant, zusammen mit seiner Frau, die mich unbedingt mal treffen wollte, den Deutschen der sich hier durchschlägt. Sie hatte meinen Brief gelesen, den ich zu Anfang geschrieben hatte, und war tief beeindruckt, dass ein Ausländer soviel Japanisch hinbekommt. Ihr Lob musste ich mir allerdings teilweise von ihrem Mann übersetzen lassen 😉
Während wir um 17-17.30 Uhr aßen, hält der Oberkellner alleine das Geschäft am Laufen. Er isst dann am Abend, alleine. Wir bekommen dann manchmal Reste, die zu viel waren vom Tag, oder Gerichte, die falsch bestellt wurden. Manchmal, erstaunlicherweise jedoch seltener als die anderen, war ich auch dafür verantwortlich, wenn mal was falsches bestellt wurde, nur weil ich mich verlesen hatte. Ein Schelm wer behauptet, ich hätte das nur gemacht, um am Abend dann was zu Essen zu haben…
Einmal stand nach Feierabend ein großes Schnitzel auf dem Tisch. Ich holte schon die Gabel raus, da schrie der Oberkellner: “Finger weg, das ist mein Schnitzel”. Ich sagte “Sakai’s Schnitzel… Sakatzel?”. Er musste lachen und meinte “richtig! Das hier ist Sakatzel und kein Fritzel” (Fritz’ Schnitzel). Wobei der Witz natürlich im Japanischen besser funktioniert. Aber von da an hatte das Essen immer auch den Namen von demjenigen, der es aß. Dämlich, aber auch eine Art Japanisch zu lernen 😉
Winkekatze, die sich in vielen Geschäften Japans und Asien findet. Es gibt welche mit der linken Pfote oben oder nur mit der anderen Pfote. Je nach dem soll es anders wirken. Diese dicke Glückskatze hat beide Pfoten oben, um beide Wirkungen zu erzielen.
Doch bei allem Respekt und Sympathie, die ich für Sakai-san habe, der Typ war echt versaut. Schlimm wars an den Tagen, wo kein Mädel unter den Kollegen war. Ich nannte die Tage dann immer “Soseji Matsuri” (Würstchen-Fest). Der Begriff fand schnell Anklang, sodass ich an solchen Tagen auch mit den Worten begrüßt wurde. Wenn nur Kerle da waren, ging es nur um Frauen, Sex und alles dazwischen. Das wurde dann allerdings immer so auf dem Niveau von 6-jährigen geführt, als ob es in Japan keine Sexualkunde gibt. Da wird bei “Penis” schonmal gekichert oder unsachlich über Frauen diskutiert.
Eine Freundin von mir ist Stewardess bei der Lufthansa und kam mich ab und an mal in Tokyo besuchen, so auch im Restaurant. Sakai-san bot mir dann an, früher schluss zu machen, um mit ihr noch den Rest des Abends zu verbringen, denn “für Mädchen kann man schon mal mit der Arbeit aufhören”. Nach ein paar Widerworten nahm ich dankend an und ging zu meinen Kollegen. Schließlich würde ich sie jetzt im Stich lassen, wenn ich jetzt gehe und eine Arbeitskraft fehlt. Ich fing an zu erklären, da kam Sakai-san schon an und erzählte, dass ich jetzt mit nem Mädchen weggehe. Meine Kollegen dann so “Alles klar! Go Fritz go!!” – es war also kein Problem.
Am nächsten Tag musst ich mir dann natürlich viele Fragen gefallen lassen, was ich wie mit dem Mädchen gemacht habe, wie weit ich ging und was auch immer. Dass sie nur eine Freundin war, verstanden sie nicht. Auch nicht die Küche, die fragte ob ich “jeden Tag Sex habe”, da ich ja in einem Haus mit 7 Mädchen wohne. Tz tz tz…
Das meine Kollegen, zumindest die unter 30, allesamt Jungfrauen waren, versteht sich von selbst. Der Oberkellner natürlich nicht, denn der ist ja verheiratet. Ich fragte ihn mal, ob er Kinder will. Er sagte ja, er probiert es. Jede Nacht probiert er es…
Sakai schreibt sich mit den Zeichen für Alkohol und Brunnen, also eine Quelle des Suffs sozusagen. Ein passender Name für jemanden in einem deutschen Restaurant, wo größtenteils Bier und Wein ausgeschenkt wird.
Sakai-san ist seit über 10 Jahren dabei, und auch wenn der Job ihm gefällt, er ist zunehmend gelangweilt. Fünf Tage die Woche mit nur zwei Wochen Urlaub im Jahr, jeden Tag dasselbe, dieselben Gerichte und manchmal dämliche Gäste. Wenn es keine Abwechslung gibt, schlägts aufs Gemüt. Doch er ist verheiratet, will Kinder und brauch halt das Geld. Verdienen tut er im Laden nicht schlecht, und es ist kein Job, der einen umbringt. Doch etwas wehmütig kommentierte er meinen Abschied. “Du bist Fotograf, Fritz, du könntest überall hingehen und dort arbeiten. Mich wirst du immer hier in Tokyo finden” – sagte er, und seufzte.