…und am Ende bleibt nur das Echo

Eine junge japanische Band, die ich im Oktober letzten Jahres traf, zu meiner Lieblingsband ernannt habe, und mit der ich Silvester verbrachte, gab im April ihr letztes Konzert. Ich war als Fotograf den ganzen Tag dabei, von der Probe bis der Vorhang fiel.

Sayuri

Die Geschichte der Band FLAVA, der Gründerin und Sängerin Sayuri und mir lässt sich in einigen Blogeinträgen nachlesen, vom ersten Treffen bis zum 7 Stunden Konzert am Silvesterabend. Nach 6 Jahren Bandgeschichte bestand die Band aber eigentlich nur noch aus der Sängerin und Songschreiberin Sayuri selbst, ihre begleitenden Musiker wechselten sich dabei ab und entstammen alle aus einem kleinen, fast schon familären Kreis junger Musiker in Tokyo. Beim letzten Konzert waren auch viele mir bekannte Gesichter dabei.

Alle jungen Musiker beherschten ihr Instrument, spielen seit teilweise schon 10 Jahren. Auch wenn das in Berlin schon reichen würde, als Musiker über die Runden zu kommen, so schaut das in Tokyo weitaus anders aus. So sind alle Musiker nebenbei noch Kellner, Angestellte oder Conbini-Handlanger. Schade um die Zeit, in der sie nicht für andere Menschen Musik machen können.

Das letzte Konzert der Band FLAVA sollte in Adachi stattfinden, der alten Heimat von Sayuri, im Norden von Tokyo. Treffpunkt war in aller Früh auf einem Bahnhof, wo ich sie erstmal nicht fand. Für Sie hieß es nur ‘Such den Gaijin!’, ich musste die Gesichter von viele Japanern abchecken um sie zu finden. Nebenbei leerte ich noch eine Cola, da ich in der Nacht zuvor weniger als eine Stunde geschlafen hatte, da ich noch an irgendeinem Projekt saß.

Ich wurde dann von Sayuri begrüßt. Ihr Englisch hatte sensationelle Fortschritte gemacht, aber auch mein Japanisch, sodass wir nahezu ohne Probleme kommunizieren konnte. Mit ihr zusammen am Bahnhof stand auch ein hagerer, schüchterner Japaner, komplett ohne Englischkenntnisse. Er wurde als der offizielle Fotograf von FLAVA vorgestellt, eine Position die ich heute ebenfalls inne hatte. Für so eine kleine Band wie FLAVA gleich zwei Fotografen, das ist schon was.

In den 6 Jahren Bandgeschichte gab es nämlich schon einen Fotografen, bevor ich dann nach Japan kam. Beim letzten Konzert konnte der dann natürlich nicht fehlen, auch wenn Sayuri meine Bilder ebenfalls schätzt.

Er selbst war kein Profi, er hatte allerdings Fotoretusche und Bildbearbeitung studiert. Trotzdem gab es, nunja, Spannungen auf meiner Seite zwischen uns. Der Grund war, dass wir beide dasselbe machten und in direkter Konkurrenz standen, und seine Kamera.

Er hatte nämlich, im Gegensatz zu mir, eine Kamera die wirklich als professionell bezeichnet werden konnte, dazu auch Objektive im Wert von mehreren tausend Euro, für die er natürlich eine ganze Weile gespart hatte, die aber natürlich eine ganz andere Qualität liefern konnte, als meine Kamera. Wenn wir nun also dasselbe Motiv ablichten, ist sein Bild zwangsläufig besser. Ich versuchte, wie sonst auch, genau das zu vermeiden, doch wenn man nur ein paar Meter zum Bewegen hat, und sich das Motiv (Band auf der Bühne) nicht sonderlich verändert, sind die kreativen Grenzen dann doch gesetzt.

Vor dem Konzert in einer Halle in Adachi ging es noch in ein Studio, dass die Band für eine Stunde gemeinsames Einspielen gemietet hatte. Die Leute in der Band waren allesamt cool drauf und hatten viel Verständnis für die zwei Fotografen, die sich hier im engen Raum mit ihnen aufhielten und ständig rumknipsten.

Der andere Fotograf beobachtete alles still aus der Ecke, sein Objektiv ließ das auch zu. Ich musste mich viel bewegen und nah rangehen für einen guten Schuss. Zudem waren an der gesamten Wandfläche Spiegel angebracht, sodass es schwierig war, nicht selbst im Bild zu sein, oder nicht noch den anderen Fotografen drin zu haben.


Keyboarder


Bassist, mit nach wie vor cooler Frisur


Der Mann am Rhythmus-Gerät

Er hier war auch schon Mitte 30 und ich meinte, mein Bruder ist auch so in dem Alter. Von da an nannte ich ihn ‘Aniki’, was soviel wie ‘Brüderchen’ heisst. Fand er lustig.


Gitarrist

Sayuri gefiel es zu Anfang garnicht, dass wir Fotos machen, so ganz ohne Make-Up und Bühnendress. Also musste kurz nochmal was aufgelegt werden, und los gings.

Gesamt ging es doch recht professionell zu, die Leute beherschten ihr Instrument und nach wenigen Takten hatten sie alle Abläufe für das einstündige Konzert drin. Aufgeregt war keiner – und traurig auch nicht. Ich war tatsächlich der Einzige, der es bedauerte, dass dies schon das letzte Konzert von FLAVA sein sollte. Sayuri lächelte jedesmal nur, wenn ich sie drauf ansprach. Sie will weiterhin Musik machen, und einen Neuanfang beginnen. Nicht, dass die Zeit mit Flava schlecht war, doch die Band war wie gesagt nur noch sie selbst. Für die Zukunft wäre solo vielleicht besser, meint sie.

An dieser Stelle machte sich nun die Cola bemerkbar, die ich auf leeren Magen getrunken hatte. Es rumorte und schmerzte und ich verdrückte mich aufs Klo. Als ich noch auf dem Klo war, war die Stunde rum, die Band machte sich auf den Weg zum Konzert und fragte sich, wo ich denn bin. Mein Magen hatte zwar noch etwas zu sagen, doch die Sitzung auf dem Klo musste ich schnell beenden.
Ich ging zur Band, wartete bis alles draussen waren und ging unter dem Vorwand, ich hätte noch was vergessen, wieder zurück und erklärte dem Betreiber, dass das Klo momentan nicht mehr ganz so frühlingsfrisch aussieht, mit zehn Entschuldigungen obendrein. Der langhaarige Rocker verstand dann endlich und ich machte mich aus dem Staub, bevor er den Status vom Klo überprüfen konnte. Aber ganz ehrlich, warum viele japanische Klos auf Klobürsten verzichten ist mir schleiherhaft.

Wie dem auch sei, an der frischen Luft auf dem Weg zur Konzerthalle krampfte mein Magen nur noch halb so sehr und ich schaffte es Sayuri die 100 schweren CDs abzunehmen, die sie schon durch halb Tokyo schleppte und nach dem Konzert verkaufen wollte.

In der Konzerthalle hatten wir dann etwas Zeit bis zur Generalprobe, die andere mit Essen verbrachten. Der Gedanke an Essen brachte mich wieder aufs Klo, wo ich nur zehn Minuten lang auf dem Boden lag. Irgendwann gings dann wieder, doch 15min später suchte ich wieder das Klo auf, diesmal das einzige westliche Klo im gesamten Gebäude, wo ich eine längere Sitzung begann in der alles rausgeschmissen wurde, was keine Miete zahlte. Danach gings wieder, auch wenn mir noch den ganzen Abend flau war.

Zur Generalprobe hatte Sayuri wieder das Kleid gewechselt.

Die Band machte sich auf einer schrecklich beleuchteten Bühne vor einer gräßlich, langweiligen weissen Wand bereit.

Die Bühne und die Aufstellung, vorgegeben vom Veranstalter, war zu groß und uninspiriert komponiert, meines Erachtens. Zudem gab es strenge Vorgaben, wo wir uns als Fotografen bewegen können und wo nicht.

Seit meinem ersten Konzert-Shooting habe ich einen großen Gefallen daran gefunden. Ich mag die Lichter, die Emotionen, die Atmosphäre, die sich so gut mit Bildern transportieren lässt. Zudem ist es jedesmal ein neue Herausforderung an Kompositions-Technik und Equipment. Allerdings war das Konzertshooting hier, abgesehen von der fabelhaften Musik, nicht sonderlich spaßig, aus verschiedenen Gründen.

Ich suche ja sonst selten nach einfachen Ausflüchten, aber…

Die Top 5 der Gründe warum ich beim letzten Konzert von FLAVA keine guten Bilder machen konnte

1. Mein Magen rebellierte

Mir war entweder nach Kotzen oder Kollabieren.

2. Die Vorgaben vom Veranstalter

Was konkret bedeutete, dass ich nur Fotos von Schräg-Unten-von-der-Seite machen konnte, oder nur komplett im Profil, vom Bühnenrand. Mein Kollege hatte mit seinem 1600€ Tele-Objektiv einen größeren Zoom, konnte also auch hinter dem Publikum Bilder machen und hatte so ein Foto frontal, ich war da technisch etwas eingeschränkter.

3. Die Gewissheit, dass hier noch ein anderer Fotograf rumlungert, der dasselbe macht wie ich, und evtl sogar besser

Sowas drückt irgendwie auf die Motivation.

4. Die gute Musik

Ich wollte lieber komplett zuhören, statt mich auf gute Bilder zu konzentrieren.

5. Schlechte Lichtverhältnisse

Und nicht schlecht im Sinne von “herausfordernd”, schlecht im Sinne von langweilig, statisch, uninspiriert und ohne Atmosphäre.

Platz für 300 Leute gabs, ganz voll wurde es leider nicht. Allerdings war es selbst für Japaner unnötig kompliziert an Tickets zu kommen. Mich hatte Sayuri eingeladen, das galt dann auch als meine Bezahlung.

Viel Üben musste sie jedoch nicht, es wurde nur die Akustik getestet.

Dann ging es wieder in den Aufenthaltsraum, der mit seinen Tatami-Matten aussah wie ein Zimmer in einem Ryokan. Das Konzert an diesem Abend gestalteten zwei Bands: FLAVA mit Sayuri und Sariyajin. Das waren die Flyer:

Links ist Sayuri als Manga-Figur. Sehr gut getroffen, wie ich finde. Die Homepage der Künstlerin findet sich hier.

Die andere Band war auch im Raum, alle Mitglieder waren älteren Semesters. Die Sängerin von Sariyajin und Sayuri machten sich derweil mit Make-Up und Dress bühnenfertig, und waren fortan nicht mehr ansprechbar. Ich spielte derzeit mit der Kamera meines Kollegen rum…

…der wiederum mit meiner rumspielte, wodurch obiges Foto entstand.

Der Gitarrist baute derweil eine Art Rekoder fürs Konzert auf.

Er sieht zwar sehr wild aus, spielt aber in einer Jazz Band und ist ein sehr gelassener Geselle. Ich meinte, so wie er aussieht, spielt er doch bestimmt in einer Rockband. Er sagte nur, ja, das denkt jeder.

Dann ging es endlich auf die Bühne.

Das letzte Foto bevor der Vorhang sich öffnete. Ich war wohl aufgeregter, als alle in der Band zusammen (weswegen das Foto auch verwackelt ist)…

Die Musik fing an zu spielen und der Vorhang hob sich.

Nun will ich garnicht mehr so viel schreiben, sondern einfach nur Impressionen zeigen.

Mit viel Gefühl in der Stimme bewegte sie das Publikum.

Und sie spielte die Klanghölzer.

Keine Ahnung wer Sie war, sie tauchte irgendwann auf und wurde dem Rest der Band auch nicht vorgestellt…

Und heute für Euch an der Kamera: Fritz!

Sayuri genoss es, wieder für Menschen singen zu können. Und auch wenn das ihr letzter Konzert war, nie zeigte sie auch nur eine Spur von Trauer. Ich glaube, dafür ist sie auch ein viel zu positiver Mensch, der sich mehr auf die neuen Herausforderungen nach FLAVA freut.

Auch wenn FLAVA natürlich immer nur sie war, ohne Band.

Das letzte Lied…

…und dann gab es FLAVA nicht mehr.

Mit einem Lächeln verließ sie die Bühne und ging in den Vorraum zum Saal, CDs verkaufen, Freunde begrüßen und Autogramme geben.


Verkaufsstand

Ich wurde dann natürlich auch oft als der Fotograf aus Deutschland vorgestellt, woraufhin dann immer alle ‘ooooohhh’ machten – und mir ihre kleine Digitalkamera in die Hand drückten, zum Gruppenfoto.

Nach all den Autogrammen, verkauften CDs und Gesprächen mit Fans, bat ich Sayuri noch um ein Portrait…

…vor einem absolut gräßlichen Hintergrund. Doch sie wollte nicht mehr große Anstrengungen unternehmen für ein Foto. Dafür gabs heut schon genug Gepose, Gestelle und in die Kamera Gelächle. Sie war müde, auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen wollte.

Die Band machte sich dann auf ins Izakaya, ich blieb noch mit Sayuri zurück und half beim Verkaufen und Einpacken. Ich hörte auch noch Sariyajin, der Folgeband zu. Sariyajin ist ein Begriff aus dem Anime und Manga Dragonball, dementsprechend bestand deren Reportoire an Songs auch aus vielen Anime-Klassikern.

Sariyajin setzte dabei auf viele klassische Instrumente. So gab es einen Flügel auf der Bühne, eine Violinistin, ein riesigen Contrabass und auch verschieden große Trommeln. Zusammen spielten sie dann ein Lied, dass ich seit über 10 Jahren schon kenne und gerne höre: “Yakusoku wa iranai”, geschrieben von Yoko Kanno, gesungen von Maaya Sakamoto.

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Ich kannte es bisher nur als mp3, hiernun hörte ich es in einer fantastischen Version live. Ich hatte Gänsehaut und seitdem hört sich die mp3 so leer an…

In Sariyajin spielen wie gesagt Leute älteren Semesters, mit umso mehr Erfahrung. Die Violinistin spielt nun schon seit 20 Jahren(!), der Piano-Spieler (der bei der allgemeinen Vorstellungen der Bandmitglieder das 7-11 Conbini Intro spielte) nun schon seit 15 Jahren. Trotzdem können Sie nicht davon leben. Ich hab der Sängerin dann gesagt, dass ich Yoko Kanno ebenfalls schätze und ihr sehr dankbar bin, für diese Liveversion und ihr kamen fast die Tränen.

Mit Sayuri bin ich dann zum Izakaya. Auf dem Weg hab ich mein Deutsch-Japanisch Wörterbuch vergessen und sie ihr Songbuch. Beides kam dann zwei Tage per Post vom Veranstalter zu uns nachhause.

Im Izakaya saß die ganze Band, erschöpft und zufrieden. Ich trank dann mal einen Tee, das erste mal wieder was im Magen seit 8 Stunden. Sayuri verteilte etwas Geld, was vom Abend durch CD Verkäufe und vom Veranstalter rumkam. Sie hatte allerdings den Konzertsaal gemietet, nicht der Veranstalter die Band. So läuft das in Tokyo.

Ich fragte die Bandmitglieder wieviel es gab, sie wussten es nicht und es war ihnen auch egal. Sie machen das nicht fürs Geld. Ich betone das nochmal: Sie spielen jahrelang Musik auf der Bühne nicht für Geld, sondern weil sie Freude dran haben. Umso sympathischer ist dann ihre Musik.


Das letzte Gruppenfoto

Der Spaßmacher vom Yoyogi Park


Ich war letzten Sonntag in Harajuku unterwegs, im Rahmen vom Tokyo Guide sammelte ich ein paar Bilder. Ich kann Harajuku nicht besonders leiden, besonders nicht am Wochenende wenn es hoffnungslos überfüllt ist. Nachdem ich mich zwei Stunden lang durch die elendige Takeshita Dori gekämpft hatte, an der Omote Sando den Bauernfänger und Fashion Victims ausgewichen bin und im Meiji Schrein eine 27sekündige Unterhaltung mit einer Amerikanerin hatte, die abrupt mit “Oh, deutsch? Meine Familie wurde nach Ausschwitz deportiert” endete, hatte ich einfach keine Lust mehr.

Ich bin dann in den Yoyogi Park und traf ihn, der mir dann meine Laune und meinen Tag gerettet hat.

Er ist Schauspieler und hat verschiedene Szenen und Situationen ohne Worte auf wunderbar amüsante Weise dargestellt. Oben das Foto ist eine Fashion Show, ohne Kleidung.

Dazu hatte er immer auf einem Plakat den Namen der Szene oder der Situation. So wie zum Beispiel bei Baseball:

Im Falle vom Baseball hat dieselbe Szene dreimal vorgespielt: normal, Zeitlupe und…

…frame by frame (auch wenn da “flame by flame” steht). Das sah dann so aus:

oder auch: A woman who walks like a bird

Köstlich. Ebenso auch seine Vorstellung von einem kleinen Kind, das heranwächst und am Ende seine gebrechlichen Eltern herumführt, wie sie es früher mit ihm gemacht haben.

Ich hab nicht alles fotografiert, weil ich auch einfach nur zuschauen und mich begeistern lassen wollte.
Seine letzte Nummer war “How people laugh around the world”, darunter Amerikaner, Russen, Chinesen und zum Schluss: Deutsche.

Am Ende bat er um eine kleine Spende, und auch wenn bei mir das Geld immer knapp ist, so gab ich ihm sehr gerne was für die wunderbare Unterhaltung und gute Laune. Er fragte mich dann woher ich komme, Deutschland, sage ich, und er musste laut lachen. Er entschuldigte sich dann, aber ich meinte, es hat mir viel Spaß gemacht.

Vor 15 Jahren trat auch einmal im Varieté Theater in Berlin auf. Ich vermute, er war schon überall auf der Welt und hat dort Menschen zum Lachen gebracht und sie dabei beobachtet.

Das deutsche Lachen, laut ihm, geht übrigens so: Kurz sehr kräftig – danach dann aber sofort wieder eine ernste Miene.

Ich bat ihn dann nochmal für die Kamera das deutsche Lachen zu machen…

…aber den ernsten Eindruck hatte er nach unserer Unterhaltung nicht mehr hinbekommen. Aber so ist es ein sehr zufriedenes Lächeln geworden, vom Spaßmacher an einem sonnigen Sonntag Nachmittag im Yoyogi-Park.

PS: Und mein “deutsches Lachen” war kräftig und vergnügt, seine ganze Perfomance lang.