Ho-Ho-Hokkaido Kapitel 2: Lange Unterhosen FTW

Von Sendai Richtung Norden ging es weiter auf dem, gemessen an Stunden verbracht im Zug, längsten Abschnitt der Reise. Weiter durch die Tôhoku-Region wurde es immer kälter je mehr es nach Norden ging. Immer weniger Siedlungen kreuzten die Zugstrecke und so langsam wurde das grüne Land vom Schnee und Eis geschluckt.

Kapitel 2: Lange Unterhosen FTW
(FTW ist Internetslang für ‚For the Win‘ und bezeichnet etwas gutes, dass sich durchsetzt/beliebt macht. Mein Gefühl für lange Unterhosen zu der Zeit)

Da noch in Sendai bereits die Kälte in die Zimmer gekrochen kam, und ich an diesem Tag noch weiter nördlich fahren sollte, war es Zeit die langen Unterhosen anzuziehen, die ich mir eine Woche zuvor bei Uniqlo besorgt hatte – mit HeatTech!

Ich hatte sonst schon extrem an Winterklamotten gespart, bin ich doch in meinen normalen Jeans, Turnschuhen und dünner Herbst-Jacke in den eisigen Norden aufgebrochen. Doch lange Unterhosen mussten sein. Und ich war so dankbar, die noch eingepackt zu haben. Ich weiss nicht, wie es funktioniert, aber dieses HeatTech ist klasse.

Rückblickend habe ich auf diesen Abschnitt der Strecke, der insgesamt 13 Stunden dauerte (davon 10 im Zug, restliche Zeit war Warten auf den Zug), erstaunlich wenig Bilder gemacht. Doch was gab es schon zu sehen. Weites Land, leere Züge und ab und an ein Berg.
In Sendai nahm ich zwar nicht den ersten Zug, doch den zweiten der fuhr. Von hier an orientierte ich mich nicht mehr an dem Zug-Plan, den mir die Touri-Tante in Tokyo ausgedruckt hatte, sondern an der Tôhoku-Karte im Lonely Planet. So hangelte ich mich von Stadt zu Stadt, mit Zug-Linien statt Lianen. Das war allerdings ein Fehler, wie ich später feststellen musste.

Ich hatte vorher einem älteren japanischen Pärchen aus Chiba (die Freunde von einem Freund, von einem Kollegen meines Vaters waren und insgesamt 20 Jahre in Deutschland lebten und hier als mein „Notfall-Kontakt“ fungieren sollten), gesagt, dass ich nach Hokkaido fahre und ob sie nicht vielleicht den einen oder anderen Tipp für mich haben.
Der Sohn des Pärchens hat sein halbes Leben lang in Hokkaido gearbeitet und kannte dort Hintz und Kuntz. Er telefonierte für mich etwas umher um eine Übernachtung für mich zu organisieren. So um Morioka rum erreichte er mich dann und bat mich einen bestimmten Typen in Chitose anzurufen, er hätte wohl eine Unterkunft für mich.

Der Typ war früher mal Eisschnelläufer für Japan und hat an zwei Olympiaden teilgenommen (und wohl auch mal Gold gewonnen). Nun hat er ein Gasthaus, ca. 2 Stunden vor Sapporo. Mein Ziel für den Tag war klar: Chitose auf Hokkaido.

Doch vorher hatte ich ein Problem.
Nochmal zu Erinnerung: Mit meinem Ticket kann ich nur die Local-Trains nutzen, kein Shinkansen oder andere Nicht-JR Linien. Ich war nun in Morioka und von dort fuhren keine Local-Trains mehr weiter. Nunja, sie fuhren schon, doch nicht von JR sondern einer privaten Linie. Der nächste Ort, wo wieder Local-Trains fuhren, war Hachinohe, an der Nordküste von Honshu, 112 Kilometer von Morioka entfernt.

Ich hatte nun die Wahl zwischen Shinkansen und einer privaten Local-Linie, beide so um die 3000yen. Ich nahm den Shinkansen.

Ich hatte ja im letzten Teil erwähnt, dass auf dem weiten Land nur dieser eine Zug entlangfährt. Streckenweise gab es aber auch betongraue Shinkansen Trassen, die man auf der Local-Linie immer bedrohlich im Nacken hatte.
Die Fahrt mit dem Shinkansen hatte den Vorteil, dass ich in kurzer Zeit viel Strecke machen konnte. Auch wenn ich an allem nur vorbei gerast bin, ohne wirklich was zu sehen.

Die Landschafte hatte jetzt langsam weisse Flecken bekommen und je nördlicher es wurde, desto weisser wurde es auch. Der Shinkansen fuhr auf der Gebirgstrecke durch viele Tunnel. Als wir einen passierten waren wir plötzlich im Schneegestöber. Völlig überraschend – als hätte jemand einen Schalter umgelegt, war der Winter da.

Auf der Reise durch die Tôhoku-Region und das weisse, weite Land hörte ich bestimmte Musik ganz gerne, die zu dieser einsamen Ruhe und melancholischen Weite ganz gut passten. Würde man einen Film auf dieser Strecke drehen, die Lieder würden einen prima Soundtrack ergeben.

Zum einen Hiromi Uehara mit ‚Time flies‘:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=zQobNiC3V2E&hl=de_DE&fs=1&]

Und meine neue Lieblingsband FLAVA mit ウラハラ („urahara“):

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=XKIfjLG1mY8&hl=de_DE&fs=1&]

(ab 0:40)

Ich hatte Sayuri von FLAVA dann an Silvester erzählt, dass ich ihre Musik auf dieser Reise gehört habe, was sie sehr begeistert hat.

Leider löst sich FLAVA nun auf, nach 7 Jahren Bandgeschichte, bzw. die Band besteht ja eigentlich nur noch aus Sayuri. Sie selbst möchte allerdings weiter Musik machen und freut sich auf einen Neustart. Am 17. April ist ihr Abschiedskonzert, ich werd auf jeden Fall dabei sein.

In Hachinohe ging es dann wieder in die Local-Trains, an der Küste entlang nach Aomori, der letzten großen Stadt vor Hokkaido. Im Lonelyplanet stand etwas von gratis Internet, in einem bestimmten Gebäude, im 5. Stock. Das erschien mir zwar sehr vage, doch er hatte absolut recht. Der Lonely Planet ist einfach nur echt zu empfehlen.
Das war das erste Internet in zwei Tage, was ich nutzte um kurz eine Nachricht zu versenden:

northern honshu is so white right now… cant believe this winter wonder land, i ve never seen anything comparable in germany. but its fucking cold… almost in sapporo now, quick stop in aomori

Ich hatte tatsächlich so etwas zuvor noch nicht gesehen. Eingeschneite, weisse Wälder,

Züge die den Schnee hinter sich aufwirbeln,

eben ein weisses Winterwunderland, wie es Berlin niemals sein konnte. Auch wenn zu dem Zeitpunkt einer der härtesten Winter in Berlin begann, mit einer Schneedecke die 6 Wochen lang blieb.

Ich lud mein Handy-Guthaben auf und rief den Olympioniken mit Gasthaus an. Er fragte mich, was ich bei meiner Ankunft essen möchte und alles war gut. Nur noch eine Linie und ich bin in Hokkaido.

Doch bis der Zug fuhr, sollte noch eine Weile vergehen. Ich lief also auf dem eingeschneiten Bahnhof umher und machte ein paar Bilder.

Mir fiel dabei ein anderer Fotograf auf, der exakt dasselbe machte. Im warmen Wartehaus unterhielten wir uns dann kurz. Es stellte sich heraus, dass er Fotograf aus Südkorea ist, der von Fukuoka bis nach Sapporo nur mit dem Seishun-18-kippu und Local-Trains fahren wollte – und wieder zurück!

Wenn sich Fotografen so mitten in der Pampa treffen kommen sie natürlich ins Gespräch, zumal wir ja auch dasselbe Ziel und Reiseweg hatten. Gemeinsam bestiegen wir dann den Zug nach Hokkaido. Dieser war zwar nicht JR und nicht Local, aber es gab eine Ausname für Seishun-18-kippu Leute.
Draußen war es stockfinster und man konnte nicht erkennen was nun der Unterwasser-Tunnel zwischen Honshu und Hokkaido war, und was einfach nur draußen.

Der Zug hielt an und der Fotograf aus Korea meinte, das wir nun auf Hokkaido waren. Uns empfing auch gleich ein Schneegestöber.


Der koreanische Fotograf

Ich war überrascht.
Das war es nun? Hokkaido? Bislang 15 Stunden im Zug für das? Vielleicht erwartete ich zu viel, eine komplett andere Welt oder was auch immer. Aber es sah aus und war kalt wie Nord-Honshu. Dafür nun die ganze Reise?

Allerdings war ich auch noch nicht am Ziel. Ein Zug muss noch, um in die nächstgrößere Stadt zu kommen.

So erreichten wir gegen 20 Uhr Hakodate. Ich wollte natürlich sofort weiter nach Chitose, zum Olympioniken – doch es fuhr kein Zug mehr. Es fuhr ernsthaft kein Zug mehr an dem Tag!

Da war ich nun, gestrandet in Hakodate.
Der Lonely Planet empfohl zwar ein paar Hostels, doch die sind manchmal zickig wenn man nach 17 Uhr eincheckt. Ich wollte vorher anrufen, doch da mein und das Japanisch vom koreanischen Fotografen zu schlecht waren, bat ich einen Bahnfutzi für mich anzurufen. Er meinte, das ist nicht sein Job und er hatte auch sooooooooo dermaßen keine Lust drauf mir zu helfen, doch die japanische Höflichkeit zwang ihn dazu. Und wie erwartet nahm das Hostel heute keine Leute mehr auf.

Wir fragten dann etwas rum und gerieten an zwei Chinesen mit guten Englisch-Kenntnissen, die uns das Hotel gegenüber vom Bahnhof empfahlen. Zusammen mit dem Fotografen teilte ich mir dann ein Hotelzimmer, was die Preise drückte.

Wir redeten dann noch etwas über Kameras und Fotografie (was Fotografen eben machen, ne?), doch die Kommunikation war anstrengend. Sein Englisch war nicht das Beste und er war der festen Überzeugung, dass ich fließend Japanisch kann. So glich er also die englischen Worte, die er nicht konnte, mit Japanisch aus, was einfach nur anstrengend zu dechiffrieren ist.

Der Blick aus dem Hotelfenster war auch nicht gerade angenehm.

Ich fühlte mich ganz weit von dem entfernt, wo ich eigentlich sein sollte. Ein Anruf bei dem Typen in Chitose brachte nicht viel, da es von dort bis nach Hakodate ca. 6 Stunden mit dem Auto sind – und 6 Stunden zurück.

Ganz ehrlich, zu diesem Zeitpunkt hatte ich absolut keine Lust mehr auf Reisen. Es kostete immer mehr und mehr, als ich eigentlich geplant hatte. Und schlimmer noch: Das Seishun-18-kippu geht 5 Tage. Da ich nach 2 Tagen nicht in Sapporo angekommen bin, brauche ich insgesamt 3 Tage dorthin. Was bedeutet, dass ich mit dem Ticket nicht mehr zurück nach Tokyo komme, da nur noch 2 Tage übrig waren. Es würden noch mehr Kosten auf mich zukommen – und ich war noch nichtmal am Ende meiner Reise.

Frustriert schlief ich ein.

Der nächste Morgen brachte nochmal Neuschnee.

Nach der ersten warmen Dusche in drei Tagen ging es zum oppulenten Frühstück. Ich hatte jetzt einen Reisegefährten gewonnen, doch bis Sapporo sollte es noch etwas dauern…


Gesamte Strecke: Sendai – Hakodate, ca. 500km

Ho-Ho-Hokkaido:
Kapitel 1: Das weite Land
Kapitel 2: Lange Unterhosen FTW
Kapitel 3: Winterwunderland
Kapitel 4: Eiszapfen und das beste Klo der Welt
Kapitel 5: Der Wind bläst südwärts
Kapitel 6: Eingefrorene Samurai

7 Gedanken zu „Ho-Ho-Hokkaido Kapitel 2: Lange Unterhosen FTW“

  1. Das klingt nach einer sehr eintönigen, langen Reise. Wie bringt man im Zug die Zeit um, wenn die Landschaft keine Abwechslung bietet?
    Hast du dem Eisläufer noch abgesagt, als du nicht mehr weiter fahren konntest, oder hat er umsonst auf dich gewartet?

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