„Tsunami? Interessiert doch keinen mehr!“

Eine ehemalige Mitbewohnerin aus Tokyo ist Dolmetscherin, die für die Medien im Tsunami-Gebiet arbeitet. Was sie mir erzählte, fand ich sehr interessant und führte daher ein Interview mit ihr. Von all den Redaktionen, die ich dann angeschrieben habe, wollt keiner den Text haben. Warum das so ist, erklärte mir dann ein Kollege: Das Thema Tsunami ist ausgelutscht, danach kräht kein Hahn mehr.
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Kollege Tokyobling

Am 11. März 2011 war das Erdbeben in Japan. Dem folgte der Tsunami. Kurze Zeit später folgte Fukushima und die Medien sind dabei geblieben. Von Meldungen wie „Horror-AKW!“ oder „Strahlung millionenfach erhöht“ versuchten vor allem die deutschen Medien sich in der Dramatik zu übertrumpfen – und vergaßen dabei ganz, dass die eigentliche Dramatik und Verwüstung im Tsunami-Gebiet liegt. Alle schrien nur noch Fukushima und andere Katastrophen wurden vergessen.

Ich könnte mich lange darüber aufregen, was die deutschen Medien in den letzten Wochen in puncto Japan alles verbockt haben. Und wer mich in letzter Zeit getroffen hat, kann das bestätigen.
Unqualifizierten Korrespondenten, die ohne Japanisch-Kenntnisse nur das kommentieren, was im japanischen Fernsehen läuft. Eine unprofessionelle Flucht vom ARD-Team nach Osaka, die aufgrund von Angst vor der Strahlung begangen wurde, die jedoch zu keinem Zeitpunkt in Tokyo höher war als zum Vergleich in Rom. Bis hin zu vielen peinlichen Unsauberkeiten von einigen Journalisten. Ich spare mir das hier, da tabibito, der Blog farorientalism und der Fernsehkritiker (ab Minute 3:57) das sehr viel besser und ausführlicher zusammengetragen haben.


Zug in Shinchi, Präfektur Fukushima, von der Wucht der Tsunami wie eine Ziehharmonika zusammengefaltet

Meine Freunde, Kollegen und Bekannten in Tokyo haben die Tsunami jedoch nicht vergessen. Täglich sah ich Meldungen, Bilder und Berichte aus dem Gebiet, auch als die internationalen Medien schon längst weg waren. Das Thema hatte also bei mir nicht an Dringlichkeit verloren. Ein Kollege meinte daraufhin zu mir, dass das nur eine verzerrte Perspektive sei, das Thema Tsunami längst durch ist und keinen mehr interessiert. Trotzdem fand ich, dass meine Perspektive der Monotonie der Medien etwas hinzufügen könnte, ja, sogar hinzufügen sollte. Doch da alle nur hysterisch Atom!Atom! schrien, konnte ich dagegen nicht wirklich ankommen.

Nun ist der Text sicherlich nicht frei von Fehlern. Und es gibt neben der derzeitigen Ausrichtung der Redaktionen auch strukturelle Unsauberkeiten am Text, die eine Veröffentlichung erschwerten. Doch die Geschichte meiner Mitbewohnerin, ihrer Arbeit vor Ort und ein Blick hinter die Kulissen der Medien, die dort arbeiten, möchte ich trotzdem teilen.


Englisch-Lernbuch in einer Grundschule in Kadowaki

„Entschuldigung, wo sind hier die meisten Menschen gestorben?“


Nikki Tsukamoto Kininmonth hat neuseeländische und japanische Eltern, sie lebt in Tokyo und arbeitet als Übersetzerin, u.a. für Amnesty International. Seit der Erdbebenkatastrophe war sie mehrmals in Sendai & Umgebung, und arbeitete dort als Dolmetscherin zum ersten Mal für die internationalen Medien.

Protokoll: Fritz Schumann

Als es passierte saß ich geschockt vor dem Fernseher. Zwei Tage lang konnte ich mich nicht von den Medien wegbewegen, ich verfolgte im Internet und auf Twitter jede neue Information zur Katastrophe. Doch dann kamen auch Meldungen über das solidarische Verhalten von Menschen in dieser Situation. Völlig Fremde teilten das letzte Bisschen was sie hatten miteinander. Die Last, die von einigen getragen werden musste, sollte auf Alle verteilt werden. Für mich war es unerträglich, in dieser Situation nur vor dem Fernseher zu sitzen und nichts zu tun. Ich wollte helfen. Über Facebook suchte ich dann nach Möglichkeiten und noch am selben Abend war ich im Gespräch mit einem holländischen Fernsehteam. Ich packte sofort meine Sachen und fuhr mit ihnen nach Sendai, in das Herz der Katastrophe.
Inzwischen arbeite ich auch für britische Zeitungen. Ich habe keine Ahnung bis wann ich noch für die Medien tätig bin. Ich kann es auch nicht verantworten, jetzt mit dieser Arbeit aufzuhören.


Bahnübergang von der Sakamoto Station in Miyagi, wo nicht einmal mehr die Gleise übrig sind. Durch diesen Bahnhof bin ich 2009 auch gefahren.

Es ist unbeschreiblich. Selbst dann nicht, wenn man die ganze Zerstörung mit eigenen Augen sieht. All die materiellen Güter und der Besitz, den wir haben um uns etwas besser zu fühlen, sind bedeutungslos. Der ganze Mist schwimmt jetzt nämlich weit draußen im Pazifik – zusammen mit dem nuklearen Abfall von Fukushima Daiichi.

Das holländische Fernsehteam war das erste Mal in Japan, die Briten waren vorher nur als Touristen hier. Alle wurden schnell eingeflogen und waren das erste Mal in einem Katastrophengebiet. Sie waren respektvoll den Leuten gegenüber und fragten mich oft, wie sie sich korrekt verhalten sollten. Manchmal hat ihre Suche nach großen Geschichten mich in unangenehme Situationen gebracht. Fragen wie „Wo sind hier die meisten Leute umgekommen?“ – während nach wie vor tausende vermisst sind oder Totenscheine von trauernden Angehörigen ausgefüllt werden. Trotzdem waren die Bewohner immer freundlich und hilfsbereit.

Es gab Momente wo ich klar „Nein“ sagen musste, aber die Journalisten gaben sich Mühe, die Kultur der Japaner zu respektieren. Wenn sie sich nicht sicher waren, schickten sie mich vor um die Frage zu stellen. Fragen wie: „Entschuldigen Sie, wie viele Menschen sind hier gestorben?“. Das waren heftige Momente, aber mir ist es lieber, dass ich diese Fragen stelle, weil ich die Sprache und Kultur besser verstehe. Es gibt auch leichte Momente, z.B. wenn die ausländischen Journalisten technische Spielereien entdecken, die typisch sind für Japan. Ich genieße diese flüchtigen Momente, die zwischen der Tragik und der Zerstörung liegen, die wir täglich sehen.

Wir sprachen mit vielen Opfern des Tsunamis in Koriyama, einem etwas höher gelegenen Ort, in dem Flüchtlinge vom umliegenden Rikuzentakata und Shichigahama untergebracht waren. Dort haben wir zwei 12 jährige Jungs gefragt, uns etwas herumzuführen. Die Journalisten bestanden darauf, dass wir vorher das Einverständnis der Eltern bekommen – nicht wissend, dass die Jungs sie seit dem Tsunami nicht mehr lebend gesehen haben.

Ich verspüre nur Respekt und Bewunderung für diese Menschen, die alles verloren haben. Selbst ganz unten, auf dem Boden eines Supermarkts, wo sie auf Pappkartons schlafen müssen, scheinen sie so stark und voller Hoffnung zu sein. Ich verstehe nun die Bedeutung des Worts „shouganei“ besser, was soviel bedeutet wie „da kann man nichts machen, es ist halt so“. Es ist hier zu einer Lebenseinstellung geworden.
Die ausländischen Journalisten sind auch beeindruckt vom Durchhaltevermögen der Japaner. Sogar die beiden 12 jährigen Jungen, die ihre Mütter verloren haben, waren so willensstark und optimistisch. Ich hoffe inständig, dass die beiden immer Freunde bleiben und auch, dass sie die psychologische Beratung bekommen, die sie benötigen werden.

Zum Abschied winkten uns diese Kinder zusammen mit ihren Geschwistern und kleinen Cousins zu und meine Tränen konnte ich da nicht mehr verbergen. Eines Tages würde ich gerne wieder nach Rizukentaka zurückkehren um diese Jungs wieder zu finden.

Die meisten Journalisten suchen nach persönlichen Schicksalen, glückliche wie auch traurige. Sie nehmen eine scheinbar beliebige Idee, wie z.B. ein Schulsportteam und sie versuchen herauszufinden, ob alle aus dem Team gestorben sind oder nicht. Ich höre dann die Geschichten der Opfer, sehe die Gesichter derer, die alles verloren haben. Wir finden Fotos und Alben im Schlamm des Tsunami und ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit für mich, sie den Besitzern wieder zu geben.
Wie sehr ich es auch bereue das zu sagen, aber ich genieße dieser Arbeit sehr. Ich werde weiterhin den Medien bei der Berichterstattung helfen. Aber ich würde auch gern etwas Zeit für Hilfsprogramme und NGOs opfern.

Manchmal frage ich mich, wie viel Berichterstattung bewirken kann. Oft erscheint es nur als eigennützige und selbstsüchtige Suche nach der großen Story. Aber ich möchte gerne glauben, dass wenn mehr und mehr Menschen auf der anderen Seite des Globus von der Situation erfahren, sie auch mehr helfen wollen. Ich merke auch die Verantwortung für meine Arbeit, die zu einer direkten und vor allem wahrheitsgetreuen Berichterstattung in den Medien führen kann.


Von der Tsunami getroffene und danach ausgebrannte Grundschule in Kadowaki

Momentan habe ich keine Pläne Japan zu verlassen. Ich habe wohl eine Art Sinn für Pflicht und loyale Zugehörigkeit zu Japan entwickelt. Ich sollte gehen, sagen mir Freunde und Familie, doch das kann ich nicht mehr. Ich habe mich niemals als Nationalist gesehen, aber jetzt das Land zu verlassen würde heißen, es im Stich zu lassen.

Wenn die britischen Journalisten unter sich sind, äußern sie ihre Zweifel, dass diese Orte jemals wieder aufgebaut werden. Ich hingegen bin mir sicher. Einige werden die Gegend verlassen, doch viele werden bleiben. Japaner waren immer schon Siedler, mit einer starken Verbundenheit zu ihrer Heimat. Selbst wenn sie die Städte in jungen Jahren verlassen. Wenn sie alt werden kehren sie zurück. Es wird Jahre dauern, aber es wird passieren.

Nach meiner ersten Rückkehr nach Tokyo war mir klar, dass ich unbedingt wieder zurück muss, um etwas zu tun. Dieses Ereignis hat Japan verändert. Die Kinder von heute werden mit diesen Einschnitten aufwachsen. Sie werden Japan wieder aufbauen.

Ich bin voller Hoffnung für sie.

13 Gedanken zu „„Tsunami? Interessiert doch keinen mehr!““

  1. Jaja, die Sache mit dem Respekt. Ich finde es faszinierend, wie sehr man sich dann doch beeinflussen lässt (mir würde es wahrscheinlich nicht anders gehen).
    Wir haben durch Filme und die Medien gelernt, dass man als Westler in Japan in viele Fettnäppchen treten kann, weil die Sitten und Bräuche etwas anders sind. Also wird man übervorsichtig und versucht, niemanden vor den Kopf zu stoßen. Soweit ist da ja auch nichts gegen einzuwenden.

    Wenn dann aber die gleichen Reporter wieder an der „Heimatfront“ sind und hier über irgendeine Tragödie berichten, dann lassen sie alle Manieren verschwinden, weil man ja „daheim“ ist. Da benimmt man sich dann wie ein Elefant im Porzellanladen, wenn man Angehörige befragt und einen Aufmacher braucht.

  2. Ich weiß nicht, wer die Überschrift gemacht hat. Aber sie vermittelt einen völlig falschen Eindruck, worum es in diesem Artikel gehen könnte.Wahrscheinlich ist genau wegen dieser Überschrift dieser Artikel auch auf Bildblog verlinkt.
    Ich hatte erwartet, dass hier kritisiert wird, dass Journalisten Fragen nach Toten stellen. Das aber gehört, schön oder nicht, nun einmal zum Job eines Journalisten in einem Krisengebiet.
    Die Frage ist nur, WIE sie diese Frage stellen.
    Und die Autorin schreibt ja ausdrücklich, dass die Journalisten, mit denen sie unterwegs war, dies in respektvoller Weise tun. Und auch, dass sie versteht, warum sie dies tun (müssen). Unbenommen davon ist es natürlich für sie (wie wohl auch für die meisten der Journalisten, hoffe ich) keine schöne Sache.

    War diese ausgewogene Schilderung nicht aufregend genug?

    Musste darum ein Zitat als Überschrift gewählt werden, das für sich allein so aussieht, als hätte die Autorin nur respektlose Leichenfledderer getroffen?

    Es scheint so.

    1. Vielen Dank für den Kommentar und den sehr berechtigten Einwand. Tatsächlich habe ich ihn so gewählt, um trotz mangelnder Dramatik des Textes noch Leser mit dem Titel zu ziehen. Das ist dann zwar genau so unsachlich wie die Berichterstattung über Japan, die ich so lange im Text kritisierte, aber meiner Ansicht nach war es auch etwas nötig, um Aufmerksamkeit für diese Geschichte und die scheinbar vergessene Tsunami-Katastrophe zu bekommen. Ein Mittel zum Zweck, welches durchaus funtkioniert hat. Dafür habe ich bewusst darauf verzichtet, den Text und ihre Arbeit unnötig zu dramatisieren, was vielleicht noch mehr Aufmerksamkeit erreicht hätte.

  3. Tut mir leid, aber richtig ist, daß die Verstrahlung (auch in Tokio) und die Folgen der Reaktor“unfälle“ weltweit nun mal die grausameren Folgen für Millionen von Menschen sein werden.Aufräumen lohnt sich doch gr nicht mehr! Grundstücke sind wertlos!
    Was wollen Sie demnächst schreiben, wenn die gesamte Ostküstenfischerei Japans zum Erliegen kommt, weil niemand mehr radiaktiven Fisch auf dem Teller möchte?
    Wenn niemand mehr Schiff mit Japanischer Fracht in den Hafen läßt bzw. nur nach umfänglichen Strahelnkontrollen? Etc.

  4. Fritz, good job and well done including the text by Nikki Tsukamoto Kininmonth. I agree with her. I feel much more strongly attached to Japan after this disaster than before. I only hope the govt. does a good job in building the cities, not just rebuilding them.

  5. Wunderbarer Text. Gut, dass es diesen Bericht gibt. Bestätigt das Bild, das ich mir in den letzten Wochen von den Japanern gemacht habe. Meine Hochachtung und mein Mitgefühl. Sie schaffen das. Mit Würde. Shouganei.

  6. Das in Japan ist schon sehr heftig. Naja, viel zu ergänzen gäbe es da nicht. Tabibito und die anderen lieben Blogger aus Japan haben schon ausführlich zu allem berichtet. Japan wird auch diese Zeiten meistern.

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