Zwiebeln für Fukushima III – Tsunami im Sonnenuntergang

Im Sommer war ich mit einer Gruppe von freiwilligen Helfern in Minami-Soma, einem Ort in der Präfektur Fukushima – 40km vom Reaktor entfernt. Ein Teil des Ortes liegt im 20km Bannkreis rund um das havarierte Kraftwerk, die Mehrheit der Bevölkerung hat die Stadt bereits verlassen. Kontaminierter Reis und radioaktiv belastetes Gemüse sind hier ihr größtes Problem.Fortsetzung von Teil 1 und Teil 2

Es roch nach Meer. Unsere Wagen fuhren auf der Landstraße Richtung Küste. Die Fenster hielten wir trotzdem geschlossen, denn entfernt am Horizont konnte man schon das Kraftwerk erkennen. Neben uns gab es kaum ein Auto auf dieser Straße. Links und rechts nur leere Felder. Je näher wir allerdings der Küste kamen, desto klarer wurde uns, dass diese Felder nicht immer leer waren. Der Tsunami hat hier, ein paar Kilometer landeinwärts, alles umgepflügt. Die letzten Spuren sammelten sich am Straßenrand.

Von den Häusern stand meist nur noch das Dach. Das Erdgeschoss hatte die Welle mitgenommen.

Die weißen, eckigen Klötze sind Wellenbrecher, die sich an vielen Stränden von Japan finden lassen. Mit ihrem tonnenschweren Gewicht sollen sie eine Tsunami bremsen. Doch die Welle hat sie einfach mitgenommen.

Selbst die Abgrenzung einer Brücke wurde einfach gefaltet. Der Stahlbeton wurde angebrochen und die Welle rollte weiter.

Die Boote, die von der Welle getragen wurden, lagen ein halbes Jahr nach der Katastrophe immer noch auf dem Trockenen, während unsere Karavane von zwei Trucks und einem LKW weiterzog.

Wir wendeten und bogen wieder auf den Expressway ab. Selbst bis dahin hatte es die Welle geschafft.

Im Auto war es still. Keiner wollte reden, keiner konnte reden. Nach über 30 Stunden auf den Beinen und all den Eindrücken waren wir einfach nur noch müde.

Die Sonne ging unter und Fukushima wirkte seltsam idyllisch. Selbst die Wracks und Ruinen wirkten im Abendlicht friedlich. Ein halbes Jahr später waren viele der freien Flächen, die von der Tsunami entwurzelt wurden, wieder begrünt.

Im nächsten Bergdorf hielten wir für eine Zigarette an. Die Ruhe und die Schönheit im warmen Licht liessen kurz die Dramatik der Situation vergessen. Doch schon beim nächsten Straßenschild wird wieder klar, wo man hier eigentlich ist.

Unser Fahrer, seit mehreren Stunden am Steuer, hatte nichts gegen einen Wechsel. Doch ich habe nicht mal einen Führerschein in Deutschland. Mein kanadischer Kollege probierte es dann noch, verwechselte aber zu oft die Bremse mit dem Gas. Den Weg nach Tokyo schaffe er noch, sagte der Fahrer, und dirigierte den Kanadier vom Lenkrad weg. Er lachte erschöpft. Wirklich sicher fühlte ich mich nicht, aber ich war zu müde um Beschwerde einzulegen.

In den folgenden drei Stunden auf dem Expressway Richtung Tokyo nickte ich oft ein. Mal nur für Sekunden, mal für eine halbe Stunde. Jedes Mal wenn ich die Augen wieder aufmachte war die Szenerie eine andere.

Irgendwann machte ich sie wieder auf und war in Tokyo. Wir waren die ersten am Treffpunkt. Die anderen hatten wir im Feierabendverkehr verloren. Wir tauschten noch Kontaktinformation aus, klopften uns für unsere Arbeit auf den Rücken und gingen unserer Wege. Mit dem Duft von der Arbeit in Fukushima am Shirt, hatte ich kein Problem einen Platz in der U-Bahn zu finden.
Zu der Zeit übernachtete ich noch bei einem befreundeten Deutschen, der selbst schon als Freiwilliger in Nordjapan aushielf. Er schlief schon, als ich mit dem letzten Zug der Nacht in die Haustür polterte.
Ich nahm den Akku aus der Kamera, verstaute die vollen Speicherkarten und fiel in den Futon. Sieben Stunden später sollte der nächste Fotoauftrag beginnen.
Gute Nacht, Fukushima.

Epilog
Es ist jetzt über ein Jahr her, dass Fukushima mit einem Schlag den selben Bekanntheitsgrad wie Hiroshima und Chernobyl erreichte. Als ich dort war, vor sechs Monaten, war noch nicht abzusehen, wie lange Fukushima noch in den Köpfen bleibt. Heute würde ich sagen, dass es für die nächsten Dekaden so sein wird.
Doch bei den innerparteilichen Debatten und dem ständigen Blick auf den deutschen Bauchnabel werden oft die Menschen aus Fukushima vergessen. Jeder in Deutschland kennt Fukushima, kaum einer kennt die Bewohner von Minami-Soma und ihre Probleme.

Was mich angeht: Ich habe keine Lust mehr auf Fukushima. Die Welle und das Kraftwerk haben bei mir nicht viel verändert – wohl aber bei denen, für die ich arbeite und mit denen ich zu tun habe. Japan wird beschränkt auf eine Katastrophe und ich als Journalist werde gedrängt, darüber zu schreiben. Ich habe viel dazu recherchiert und viel dazu geschrieben. Ich habe keine Lust mehr.
Ich habe keine Lust mehr ständig auf ein Ereignis von vor einem Jahr zu blicken. Ich hab keine Lust mehr, die ewig gleichen Bilder und Texte dazu zu sehen.

Fukushima ist vorbei. Wie geht es weiter?
Das ist die spannende Frage. Darauf habe ich Lust.

1 Gedanke zu „Zwiebeln für Fukushima III – Tsunami im Sonnenuntergang“

  1. Ich habe alle 3 Artikel von dir mit Spannung verfolgt und kann als Japanologiestudentin mit ruhigem Gewissen sagen, dass es das Ehrlichste und Beste ist, was ich alles zu dem Thema seit letztem Jahr bis jetzt gelesen habe. Ich freue mich, wenn dich irgendwann die Lust packt und du berichtest „Wie es weitergehen wird.“ : )

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