Making of: Houshi, 2. Teil

Drei Monate später ging es erneut ins Houshi. Etwas sagte mir, dass ich an einer großen Geschichte arbeitete. Es brauchte nur noch etwas mehr…
Also noch einmal, mit Gefühl.

 



Hinweis: Wie schon in Teil 1 habe ich viele animierte Endlosschleifen eingebunden, die bei WordPress leider nicht automatisch abspielen. Also einfach anklicken und den Mauszeiger vom Bild nehmen.

Diesmal war alles ganz entspannt.
Von Hiroshima nahm ich den Tages-Bus nach Kyoto – den kann ich mittlerweile echt empfehlen. Es sind selten mehr als zehn Leute an Bord, man fährt entspannt durch den Sonnenschein und ist pünktlich zum Abendessen da. Ich hatte wie immer kein Zimmer gebucht, sondern übernachtete wie sonst auch im Internetcafé in der Nähe des Bahnhofs. Ich glaube, das musste dort jetzt schon das zehnte Mal gewesen sein. Vorher zog ich eine Weile durch die Stadt. Das Gepäck schloss ich im Bahnhof ein, am Körper hatte ich nur Zahnbürste, ein extra Shirt, die Kamera und einen Umschlag.

Mit Umschlag und Kamera lief ich zu einem Café am Fluss, das mir eine Freundin empfohlen hatte. Mit dabei waren die ausgedruckten und übersetzten Interviews der Familie Houshi. Fast drei Monate lagen nun schon zwischen dem ersten Dreh im April und heute. Die lange Zeit war super, um die Geschichte noch einmal zu reflektieren und neue Bildideen zu entwickeln. Beim ersten Besuch wusste ich noch nicht, wohin die Geschichte am Ende geht. Ich konnte in diesem Café in Kyoto gezielt planen, welche Motive ich noch brauche, um das Innenleben vom Haus und das der Bewohner visuell zu erzählen.

Als es dunkel wurde, begann ich den langen Marsch zum Internetcafé. Je später man kommt, desto billiger ist nämlich das Zimmer. Kommt man dann aber zu spät, ist kein Zimmer mehr da und es gibt nur noch Kapseln. Ein Tanz mit dem Feuer Komfort.

Ich kam kurz nach 22 Uhr an, also blieb nur noch die Kapsel: ein Loch aus Holzbrettern, knapp einen Meter breit, einen Meter hoch und 180 Centimeter tief. Am Boden keine Matratze sondern nur eine dünne Decke. Eine zweite diente als Bettzeug. An ein Kissen kann ich mich nicht erinnern, aber dafür war meine Tasche ja da. In die Koje schmiss ich den Umschlag – den ich wie ein Depp die ganze Zeit in der Hand tragen musste, weil er nicht in meine Tasche passte.
Am nächsten Morgen, den Umschlag wieder in der Hand, hatte ich noch etwas in Kyoto zu erledigen bevor es zum Houshi gehen konnte. Es sollte mein letzter Besuch in Kyoto sein. Ich traf noch eine Freundin, besuchte das Manga-Museum und lieferte endlich diesen dämlichen Umschlag ab.

Ich habe einen Monat zuvor hier nämlich meinen dritten Film in Japan gedreht, an dem ich zur Zeit in Hannover noch schneide.
Als Dankeschön für die Erlaubnis dort zu drehen, brachte ich dem Betrieb ein großes Foto der Mitarbeiter mit, welches ich in der Universität in Hiroshima selbst druckte. Das aktuellste Foto der Firma stammte aus den 90er Jahren, man freute sich also sehr, dass ich vorbei kam.

Bei der Verabschiedung:
„Ich fahre jetzt nach Ishikawa um dort meinen nächsten Film zu drehen“
-„Oh, da nimmst du bestimmt den Donnervogel-Schnellzug?“
„Ha….. nein…“

Mit der Bimmelbahn Regional-Bahn ging es langsam aber billig zurück zum Houshi. Der Wagen des Hotels wartete diesmal schon auf mich am Bahnhof.

Wieder war ich der einzige Gast um diese Uhrzeit. Aber etwas war anders. Statt einem Dutzend Angestellten in Kimono begrüßten mich nur Shou, der chinesische Angestellte, dazu die Rezeption und eine Dame in Uniform. Man gab mir den gleichen Raum wie drei Monate zuvor und auch Shou war wieder für mich zuständig. Ihm hatte ich auch einen kleinen Kuchen aus Hiroshima mitgebracht.

Tochter Hisae hatte inzwischen die Führung vom Hotel übernommen und es gab einige Änderungen. Das Essen wird jetzt nur noch gegen Aufpreis im Zimmer angerichtet, für die meisten Gäste gibt es den Speisesaal. Das spart Geld und die leeren Partyräume des Houshi werden endlich wieder einmal genutzt.
Jedes Zimmer hat nun nicht mehr nur einen Angestellten, sondern ein Bediensteter muss mehrere Räume abdecken. Die Mitarbeiter alternieren jetzt auch. Shou wäre eigentlich nur einen Tag für mich da gewesen, aber auf unser beider Wunsch hin machte man eine Ausnahme. Ich entdeckte in der Zeit noch viele kleine und größere Änderungen, die seit meinem letzten Besuch entstanden sind.

Vater Houshi begrüßte mich von der Familie als erstes. Er fragte mich, ob ich vorher schon mal in einem japanischen Gasthaus war. Tochter Hisae kam hinzu und ermahnte den Vater scherzend, dass ich doch schon einmal hier war und ein Interview mit ihnen machte. Wie Hisae anschließend mir unverblümt sagte, hatte ich etwas zugenommen und auch die Frisur war anders, aber daran lag es wohl nicht, dass Zengoro mich nicht erkannte.
Im Laufe der nächsten Tage sprach er mich auf viele Sachen von meinem ersten Besuch an, ganz vergessen hatte er mich also nicht. Er hat in seinem Leben sicher Hunderttausende Gäste begrüßt und verabschiedet. Da kann man im hohen Alter sicher auch mal durcheinander kommen.

Wenig später kam auch Naomi hinzu, die Übersetzerin. Diesmal mit dem kleinen Kind, welches bei meinem letzten Besuch nur krank war. Der Kleine war noch nicht mal 12 Monate alt, sah aber so kräftig aus wie ein Dreijähriger. Der Papa ist Europäer, daher ist dem Jungen manchmal ein „Dada“ rausgerutscht, als er mich sah. So viele Europäer gibt es in dem Ort nämlich nicht.
Ohne Scheu krabbelte und kletterte er durch das ganze Hotel und Naomi, dreifache Mutter, ließ ihn ohne Angst alleine. Für sie ist das Houshi auch eine Art Zuhause. Sie meinte, das gehöre zur Erziehung, die Kinder einfach mal den Freiraum zu lassen um selber auf die Nase zu fallen. Japanische Mütter sind da sonst viel beschützender, kritisiert sie.

Vater Houshi kam auch zu mir und Naomi hinzu. Er überreichte Naomi einen Umschlag mit Geld. Sie lehnte, wie es sich gehört, erst höflich ab, steckte es dann aber ein. „Für den Kleinen“ sagte Vater Houshi, dem man in diesem Moment auch den Opa abgenommen hätte.

Um Naomis Schulter hing eine Tasche von Louis-Vitton. Original. Darin bewahrt Naomi die frischen und vollen Windeln vom kleinen Kind auf. Die teure Marke ist ihr dabei, im wahrsten Sinne des Wortes, scheissegal. Sie brauchte einfach eine Tasche und ihre Tante schenkte ihr eine von einer Designermarke.
Ich denke, die Louis-Vitton-Windeltasche beschreibt Naomi als Mensch sehr gut.

Sie freute sich, mich zu sehen, und während Hisae vergnügt mit ihrem Kleinen spielte, unterhielten wir uns. Ich fragte auch sie, ob sie wie Hisae das Gefühl hat, dass ich zugenommen habe. Sie wüsste das nicht, aber sie hatte auch nicht so sehr auf mein Äußeres geachtet wie Hisae, sagt sie.

Ich kann bis heute nicht sagen, ob Hisae nun mit mir geflirtet hat, oder nicht. Ich bin meist recht blind für sowas, und Japanerinnen flirten eh anders. Aber bei jedem Besuch hat sie immer meine Nähe gesucht und bis zum heutigen Tage schickt sie mir regelmäßig Nachrichten und Fotos, wenn sie zum Beispiel einen teuren Kimono trägt oder Kuchen gebacken gekauft hat.
Ich denke sie sucht einfach eine Vertrauensperson.

Hisae ist kinderlos. Doch jedes Mal, wenn ich sie mit den Kindern von Naomi spielen sehe, blüht sie richtig auf. Ich denke sie wünscht sich auch Kinder, aber wie soll dafür Zeit bleiben, wenn man alleine das Erbe von 46. Generation retten muss.

Ich hatte eine lange Liste von Motiven, die ich noch mitnehmen wollte. Dazu gehörte auch die Küche, die mir Shou im Keller zeigte. Ich drehte jeden Topf, jede Flamme und das Sushi in der Zubereitung aus verschiedenen Perspektiven – und musste doch am Ende alles wegschmeissen. Als Profi muss ich natürlich sagen: es passte nicht mehr in den Film. Die Wahrheit ist aber, dass ich enorme technische Probleme mit dem Material hatte. Aber der Film vermisst die Küche auch nicht.

Die drei Monate, die ich physisch nicht im Houshi war, aber gedanklich schon, waren sehr wertvoll für mich. Auch der zweite Besuch jetzt, wo ich die Familie einige Zeit nach der folgenreichen Entscheidung traf, haben meinen Blick für die Geschichte geschärft.

Nach dem Interview dachte ich so, wie viele Zuschauer vom Film es manchmal in die Kommentare schreiben: Der Vater ist ein konservativer Macho, der seine Frau und Tochter quält. Die arme Tochter hat sich das nie ausgesucht!

Der räumliche Abstand gab mir aber eine Möglichkeit, einen Schritt zurück zu gehen. Wie bewerte und sehe ich denn diese Familie? Mit einem europäischen Blick. Diese Familie ist anders aufgewachsen, es ist selbst für Japan eine ganz andere Kultur. Wer bin ich denn mir zu erdreisten denen vorzuschreiben, was richtig und was falsch ist? Ihre Werte und Realität sind anders als meine. In der Welt der Houshi zählt die Familie alles. Als Außenstehnder das zu bewerten – das wäre einfach nur frech.

Ich hatte ein neues Verständnis für diese Menschen gewonnen, was ich so auch im Film erzählen konnte.


Eine 200-300 Jahre alte Schriftrolle von einem seiner Vorfahren, angefertigt für die Nachfahren: eine Art Handbuch zum Hotel und wie man ein Familiengeschäft führt. Zengoro war sich selber nicht mehr sicher, wie alt das Stück Papier jetzt genau ist.

Hisae war jetzt schon ein paar Monate in der Leitung des Ryokan – und sie machte ihren Job erstaunlich gut. Sie ist selbstsicher geworden, die Mitarbeiter respektieren sie und auch ihr Vater kann ihre Entscheidungen wortlos akzeptieren. Sie begann langsam eine Vision für die Zukunft zu entwickeln. Es sollen gezielt Touristen aus dem Ausland geworben werden und wir hatten lange Gespräche darüber, wie man das am besten macht.

Am zweiten Tag fragte mich Hisae, wie mir das Essen schmeckte. Köstlich wie immer, sagte ich, und sie war überrascht. „Wirklich?“
Hinter vorgehaltener Hand erzählte sie mir nämlich, dass sie seit April nicht mehr die superbesten Lebensmittel bestellen, um etwas Geld zu sparen. Ich schmeckte den Unterschied nicht, es war nach wie vor köstlich. Es gab zum Beispiel eine Rindersuppe aus Kansai, die mich am ersten Abend so sehr begeistert hat, dass sie extra für mich dann jeden Abend gereicht wurde.

Das Houshi stammt aus einer anderen Zeit.

So ein Satz ist eigentlich klar, aber man muss ihn trotzdem mal aufschreiben. Denn die Zeit, aus der das Hotel gefallen ist, ist nicht 718, als es gebaut wurde. Nicht die Meiji-Zeit (19.Jhd) als die jetzigen Gebäude entstanden sind. Nein, es steckt, wie viele Orte in Japan, gedanklich noch in der Bubble-Economy der 1980er Jahre, als alle irgendwie Geld hatten. Das Houshi ist zu luxuriös, als das es heute überleben kann. Die Kunden von damals existieren einfach nicht mehr.
Die allerfeinsten Zutaten nicht mehr zu bestellen ist da ein logischer, konsequenter Schritt, der fast zu spät kam.

Bei meinem ersten Besuch verwirrte mich am meisten die Bar und der gesamte hintere Teil des Hotels. Vorne wird man begrüßt mit alten Kunstwerken, einem 200 Jahre alten Gong oder der alten Deckenverzierung. Hinten jagt eine stilistische Verfehlung die nächste.

Da ist die Bar, die der verstorbene Sohn aufgemacht hat. Laut Hisae war es sein Lieblingsort im Hotel. Vielleicht weil es der einzige Raum war, den er in seiner Generation gestaltet hat. Alles andere war schon da.

Die Bar kann sich nicht entscheiden zwischen Art Deco und Art Nouveau, und beisst sich komplett mit dem Rest des Hotels.

Über der heissen Quelle, die Treppe hinauf, befindet sich neben einem potthässlichen Barock-Gemälde der große Partyraum, der durch seine Leere wie kein zweiter Raum im Houshi an die vergangene Zeit erinnert.

Mit einer Angestellten kletterte ich dann oben in den Technikraum, um einmal kurz für die Kamera die Lichter anzustellen. Wir mussten tatsächlich klettern, da es keine Treppe gab, nur eine angelehnte Leiter. Mit Kamera und Stativ war das nicht einfach. Oben lag eine dicke Staubschicht auf den Ton- und Lichtschaltern, in der Ecke ein alter Fernseher und Schallplatten mit Enka (japanischen Schlager). Die Angestellte konnte sich nicht erinnern, wann der Raum das letzte Mal für eine Party genutzt wurde.

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Zwischen Partyraum und Bar ist ein Wegweiser mit Fotos. Die vergilbten Bilder erinnern an die alte Zeit.


Tänzer aus den Philippinen, die eigentlich in der Küche arbeiteten. Hisae erinnerte sich im Interview wie sie früher als Kind die fremden Stimmen und exotischen Kleider gesehen hat.


Noch ein Stockwerk drüber ist der einzige Partyraum, der noch regelmäßig genutzt wird. Die Szene taucht auch im finalen Film auf. Die Gesellschaft hatte extra einen alten Schlagerstar engagiert. Bis Mitternacht konnte ich das quakige Enka den Gesang leise bis in mein Zimmer hören.

Die Gäste waren wenige in dieser Woche, da sich ein Taifun angekündigt hatte. Mehr als hundert Leute haben ihre Übernachtung storniert, aus Angst vor dem Taifun, der am Ende an Ishikawa komplett vorbei zog.
Mehr als hundert Ausfälle. Das tut am Ende des Monats sehr weh. Hisae resignierte nur „da kann man nichts machen“ und sie ließ sich keine negative Emotion anmerken.

So blieb die Karaoke-Bar offen, aber ohne Besucher. Die Songtexte liefen stumm auf der Maschine im leeren Raum.

Warum ist dieser Teil vom Hotel nicht im Film?

Ich habe lange mit mir gerungen. Zum einen zeigt es ein Hotel, dessen Blütezeit schon lange vorbei ist und seitdem nur noch als leere Hülle existiert. Gleichzeitig ist es ein integraler Bestandteil der Geschichte. Auch das Scheitern gehört zu dieser Familie.

Schlussendlich habe ich es rausgelassen, weil es den Zuschauer sicher so sehr verwirrt hätte, wie mich damals, als ich es gesehen habe. Ist das noch das alte Hotel Houshi? Wo sind wir hier? Was soll diese nackte Frau aus Stein?
Es hätte zu sehr von der eigentlichen Geschichte abgelenkt.

Der Dreh war diesmal entspannter. Ich sammelte weniger Bilder, dafür aber gezielt. Ich plante mehr Pausen ein und besuchte ab und an Naomi in ihrer Bäckerei. Früh aufstehen musste ich aber trotzdem jeden Tag. Insbesondere am Dienstag. Denn da spielte Deutschland gegen Brasilien in der Weltmeisterschaft. Wir erinnern uns alle gerne an das unfassbare 7:1.
Ich glaube, ich habe an diesem Morgen das halbe Ryokan aufgeweckt. Um es etwas zu dämpfen, schrie ich schon in das Kissen von meinem Futon, aber später am Vormittag entschuldigte ich mich trotzdem bei der Rezeption. Die meinten nur: Ach, Deutschland hat so gut gespielt, du hättest ruhig lauter brüllen können!
Im Laufe des Tages sprach mich auch das halbe Hotel drauf an. Gut gespielt! Verdienter Sieg! Glückwünsch! Dabei stand ich nur auf dem Futon und nicht auf dem Rasen.

Stellvertretend nahm ich die Glückwunsche aber an.

Vater Houshi erzählte mir im Interview und auch jetzt wieder vom Schrein Natadera, der eng verbunden ist mit dem Hotel und der Familie. Ich habe lange überlegt, ob mir die Bilder von dort was bringen würden, entschied mich dann aber dagegen. Naomi sagte mir dann aber direkt, dass es Zengoro Houshi sehr begrüßen würde, wenn ich ihn zum Natadera begleite. Ich hatte verstanden.

Mutter, Vater, Tochter, Naomi und ich sind zunächst zum Grab der Familie gefahren. Die Japaner gingen nach der Zeremonie bereits zum Auto, ich brauchte noch ein paar Bilder. Fünf Minuten später verließ ich den Friedhof – doch beide Autos waren weg. Es fing leicht an zu tröpfeln und mein Handy lag im Hotelzimmer. Man hatte mich vergessen.

Eine Viertelstunde später stand Naomi vor mir. Sie hatte gedacht, ich sei mit den Houshis mitgefahren. Die Houshis dachten, ich sitze bei Naomi im Auto. Als alle dann im Natadera angekommen waren, fragten sie sich „Wo ist Fritz?“

Naomi entschuldigte sich die ganze Fahrt bis zum Schrein. Vor dem Eingang wartete die Familie schon auf mich. Hisae bekam einen Anruf vom Hotel und musste schnell wieder zurück. Sie war ja nun Chef. Vater Houshi rezitierte derweil ein Haiku über Natadera.

Der Tempel ist schon beeindruckend, aber die Kamera machte ich kaum an. Vater Houshi meinte zwar, dass die Anlagen viel schöner als das Hotel seien, aber ich wollte ja nicht die Geschichte vom Natadera erzählen.

Mit Naomi hetzte ich kurz nach oben, in eine heilige Felsspalte, die einen von Sünden befreien kann, während Herr und Frau Houshi unten den japanischen Garten betrachteten.

Je länger ich im Houshi blieb, desto weniger Bilder brauchte ich. Es wiederholte sich viel, das meiste hatte ich schon. Nur eine Übersicht von einem Haus in der Umgebung fehlte mir noch.
Ausgerechnet an dem bislang heissesten Tag des Jahres kletterte ich also auf ein Hotel in der Nachbarschaft.

Im Ort gibt es viele Hotels, Ryokan oder Onsen. Und viele Ruinen. Das Ende der Bubble-Economy haben nicht alle verkraftet. Keine fünf Meter vom Houshi befinden sich drei leere Gasthäuser. Es ist dem Houshi hoch anzurechnen, dass es sich mehr als tausend Jahre gegen Taifune, Kriege und wirtschaftliche Talfahrten behaupten konnte.

Frühstück und Abendessen wurden stets im neuen Speisesaal serviert. Dabei wird man aber immer noch vom Personal angestarrt. Beim ersten Abend lag an meinem Platz eine Gabel und ein Messer, statt Essstäbchen. Man wollte höflich sein, da man vom doofen Ausländer fremden Europäer ja nicht erwarten kann, dass er mit Stäbchen hantieren kann, wie normale, kultivierte Menschen Japaner. Problem ist nur, dass japanisches Essen nicht dafür gedacht ist, mit Besteck aus Metall gegessen zu werden.

Die alten, löchrigen Vorhänge im Saal erinnerten noch daran, dass dieser Raum selten genutzt wird. Die Angestellten standen am anderen Ende des Zimmers, beim Reiskocher und dem Grünen Tee. In formvollendeten Japanisch bat ich eine von ihnen mir doch Essstäbchen zu bringen. Sie schaute nur besorgt. „Bist du sicher?“
Ich kannte ihren Namen nicht, nannte sie aber in Gedanken immer Kuh-san. An dem Gesteck in ihrem Haaren, sowie an ihrem Kimono befand sich neben anderen Kinkerlitzchen eine kleine Figur einer schwarz-weißen Kuh.

Frau Kuh brachte mir zögerlich die Stäbchen und fragte, ob ich nun den Reis möchte. Dabei machte sie mit der Hand eine Bewegung Richtung Mund, die essen darstellen sollten. Verstehst du, Fremder? Essen?

Am letzten Tag packte ich zufrieden wieder ein. Die Kamera und ein extra Shirt wieder in der kleinen Tasche, den Rest im Rucksack. Als letzte Aktion im Houshi machte ich von jedem Mitglied der Familie noch ein Portrait. Hisae war am schwierigsten.

Nach jedem dritten Foto überprüfte sie Make-Up und Haare. Ihre Haltung war angespannt und sie traute sich kaum zu lächeln. Sobald die Kamera weg war, scherzte sie und lachte frei. Doch für die Linse traute sie sich nicht. Vielleicht weil sie das Gefühl hatte, als 47. Generation und erste weibliche Besitzerin; als Chefin des 1.300 Jahre alten Ryokan eine gewisse Würde vermitteln zu müssen.
Eine Stunde später bat sie mich, die Fotos noch einmal zu wiederholen, da sie sehr unsicher mit dem Ergebnis war. Es brauchte erst die Bestätigung von Naomi, einer Angestellten und von mir, dass das Foto wirklich gut ist. Dann gab sie Ruhe.

Wieder brachte sie mich mit Mutter und Hund zum Bahnhof und ging erst, als ich im Zug saß.

Ich hatte noch kurz überlegt, nach Gifu zu fahren, um Miki zu besuchen. Aber finanziell war es einfach nicht mehr drin. In knapp einen Monat fahre ich wieder zurück nach Deutschland und ich musste vorher noch einen weiteren Film abdrehen. Mit dem Regionalzug ging es zurück nach Kyoto und von dort dann aber direkt nach Hiroshima mit dem Shinkansen. Das war zwar teuer, aber alle anderen Optionen hätte mich mindestens auch noch eine Übernachtung gekostet. Und nochmal Holzloch wollte ich nicht, nach drei Tagen Luxus.

Im nächsten Teil dann der Hintergrund zum Schnitt vom fertigen Film.

3 Gedanken zu „Making of: Houshi, 2. Teil“

    1. SO ist selten eine Ehre, so wenig wie die für Freie zahlen 😉
      Tochter Hisae hatte mir erzählt, dass ein Autor vom Spiegel da war, danach hatte ich ihn angeschrieben. Er meinte aber vorher noch nie was von meiner Geschichte gehört zu haben.

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