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Tabetai!


Ich bin immer noch dabei mein Material aus Japan zu editieren. Da ich das meiste eh für meine Projekte fotografiert habe, sind solche Zwischenbilder wie dieser eher rar.

Im Dezember 2013 war ich für einige Tage in Kansai, auf dem Weg von Hiroshima nach Tokyo. Ich war tatsächlich vorher nie länger als 24 Stunden in Kyoto oder Osaka. Immer nur durchgefahren und dran vorbei.
Osaka hatte mich damals etwas enttäuscht, obwohl ich keine wirkliche Erwartung an die Stadt hatte. Mein Zimmer war zwar hier, aber die meiste Zeit fuhr ich nach Kyoto. Und auch Kyoto enttäuschte mich damals etwas. Erst beim dritten Besuch, im Mai 2014, konnte Kyoto mich wirklich gewinnen. Denn erst da fing ich an die Touristenzentren zu meiden und mir von Freunden charmante Ecken zeigen zu lassen.

Mein Zimmer in Osaka lag übrigens in der Gegend, die als der einzige Slum von Japan gilt: Kamagasaki. Früher war das eine Boomtown für Tagelöhner. Hotels für die Arbeiter deckten schnell den Bedarf der Pendler ab. Aber die Arbeit blieb irgendwann mal aus und der Bezirk ging den Bach runter. Wenn ich japanischen Freunden erzählte, wo mein Hostel ist, meinten die nur „Oh…“. Der Bezirk ist unter anderem durch gewaltsame Ausschreitungen der Obdachlosen bekannt.
Ich schickte meinem Professor, den ich als Austauschstudent immer mal informieren sollte, wo ich denn nun bin, eine Email. Der meinte nur: „Oh, guck dir dann mal Tobita Shinchi an, das ist gleich um die Ecke. Aber mach keine Fotos. Das Gebiet wird von den Yakuza kontrolliert und Yakuza mögen keine Fotos.“

Tobita Shinchi ist ein riesiges Bordell. Vergleichbar ist es mit Amsterdam: Die Damen sitzen, japanisch hübsch gemacht im Kimono, im Schaufenster. Eine ältere Dame, meist eine ehemalige Prostituierte, ruft dann die Kundschaft heran. Offiziell ist Prostitution in Japan zwar verboten, aber das juckt hier keinen. Die Geschäfte gelten auch als „Restaurants“. Sie haben sogar eine eigene Gewerkschaft, dessen ehemaliger Vorstand später zum Bürgermeister von Osaka wurde. Kleine Lektion über die Verknüpfung Yakuza, illegale Geschäfte und Politik in Japan.

Im Umkreis meines Hostels gab es geschätzt noch einhundert andere. Es sind alles die ehemaligen Hotels der Tagelöhner. Abgeranzt aber billig. Und daher überall Ausländer, wie mich.
Keine 500 Meter entfernt lag auch schon das Bordell. Ich bin eines Abends mal ohne Kamera hin. Die Straßen in dem Viertel waren tatsächlich sehr viel anders, zu dem Japan, was ich kenne. Dunkel, nirgends Geschäfte oder Neon. Und nur Herren im mittleren Alter in abgerockter Kleidung. Keine Geschäftsmänner, Studenten oder Schulmädchen. Die einzigen Läden waren Wäschereien und öffentliche Badehäuser. Nicht mal einen Conbini konnte ich sehen.

Die alten Damen im Bordell versuchten natürlich mich zu locken. Sie riefen immer „Oniiiiiiichan“ (Brüderchen) und winkten. Die jungen Mädchen neben ihnen waren tatsächlich sehr hübsch.

Auf Youtube gibt es ein Video, das aus dem fahrenden Auto heraus gemacht wurde. So bekommt ihr vielleicht einen Einblick.

Doch genug von Bordsteinschwalben. Eigentlich wollte ich ja über etwas andere Vögel berichten.

Es lag ein heftiger Regen über Osaka, also konnte man eh nicht viel machen. Und eines der größten Aquarien der Welt kann man sich mal angucken.

Das Kaiyuukan in Osaka ist das größte Aquarium in Japan und weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Hinter dreißig Zentimeter Plexiglas gibt es einen Blick auf riesige Becken mit Tieren und Fischen aus Japan und dem Rest der Welt.

Das Wort, was ich von den japanischen Besuchern am meisten hörte, war „Tabetai!“. Frei übersetzt „Das will ich essen!“

Die Seehunde hatten oberhalb der Kuppel nur ein kleines Becken, daher waren sie natürlich angehalten, immer wieder mal nach unten zu tauchen. Hier, wie auch in den anderen Becken, merkte man deutlich, dass sie auf die Zuschauer reagierten. Gerade die Delfine spielten oft mit denen vor der Scheibe.

Fotografisch war das alles nicht sehr einfach. Durch das dicke Plexiglas kriegt man schon mal eh keine gestochen scharfen Fotos hin. Die Lichtsituation war auch furchtbar. Ständig blitzten auch die Handyknipsen der Besucher gegen das Glas. Aber die größte Herausforderung waren natürlich die Tiere selbst. Man muss schon eine Weile warten bis die Tiere sich genau so in den Bildausschnitt bewegen, wie es passt.

Ich hatte vor Jahren in einer Plattform für junge Fotografen ein Bild aus einem Aquarium in Okinawa entdeckt. Online finde ich es jetzt nicht mehr, aber es sieht ungefähr so aus wie die hier alle. In Osaka hatte ich das Bild auch im Hinterkopf und wollte zumindest was gleichwertiges hinkriegen. Aber wie auch in der echten Natur gilt in der Fotografie: man braucht Geduld bis alle Elemente glücklich ins Bild fallen.

Houshi


Houshi Ryokan existiert seit rund 1.300 Jahren und seit der Gründung wurde es stets von der selben Familie geleitet. Es ist das älteste Familienunternehmen auf der Welt, welches noch aktiv in Betrieb ist.

Dieses Ryokan (ein traditionelles, japanisches Hotel) wurde über einer heißen Quelle im Jahr 718 im kleinen Ort Awazu in Zentral-Japan gebaut. Bis 2011 hielt es den Rekord für das älteste Hotel der Welt.

Houshi Ryokan wurde im Laufe der Jahrhunderte von Mitgliedern der Kaiserlichen Japanischen Familie besucht und von zahlreichen einflussreichen Künstlern. Die Gebäude des Hotels wurden viele Male durch Naturkatastrophen zerstört, aber die Familie hat sie stets wieder aufgebaut. Der Garten sowie einige Teile des Hotels sind mehr als 400 Jahre alt.

Houshi (法師) bedeutet „buddhistischer Priester“. Es ist der Name von der Familie und vom Hotel.

Houshi-Homepage (japanisch)
Wikipedia über Houshi

Ohne Brüste und Budget zu einer halben Million Klicks

Im November 2013 fotografierte ich eine Geschichte. Im April 2014 stellte ich sie online. Im November 2014 hat das Video eine halbe Million Aufrufe – und im Japanischen Fernsehen war ich damit auch.

Eine Zusammenstellung einiger Webseiten, die das Video teilten. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, um die 50-100 werden es aber vielleicht schon sein.

Hintergrund: Die Geschichte, um die es geht & Making-Of & Schnitt

23. April 2014

Nach mehr als einem Monat im Schnitt geht die Geschichte „Im Tal der Puppen“ auf Asienspiel.ch online. Ich hatte sie zuvor allen großen Redaktionen angeboten, aber es gab keine Antwort. Nur der Stern hatte sich gemeldet: Schöne Geschichte, passt aber leider nicht.

Ich musste es unbedingt bis Ende April fertig haben, denn ich wollte den Beitrag bei einem Wettbewerb einreichen, dessen Deadline sieben Tage später angesetzt war.

26. April 2014

Bereits drei Tage nach dem Upload stand die englische Version vom Video bei mehr als 10.000 Klicks. Vimeo wählte es zum Video des Tages.

Mai 2014

Zwei Wochen später waren es bereits 150.000 Klicks. Die deutsche Version vom Video war weit unter 1.000. Ich bekam nun die erste Anfrage von Medien weltweit, die meisten aus dem angelsächsischen Raum. Nur die deutschen Redaktionen hielten sich zurück.
Mich schrieb auch eine ungarische Drehbuch-Autorin an, die auf Basis meiner Geschichte gerne einen Kurzfilm machen würde.

Mit Bloomberg Media gab es nun auch schon den ersten Nachahmer, der die Geschichte und teilweise ganze Einstellungen kopierte.

Juni 2014

Es gab weitere Anfragen von Medien und die erste Verkäufe der Geschichte. Auch der Stern meldete sich nun wieder. Sie haben die Geschichte irgendwo online gesehen und wollten nun eventuell eine Doppelseite bringen. Wurde aber leider nichts draus, ich hatte nicht das passende Motiv.

Nun meldete sich auch die japanische Presse bei mir und es kam zum ersten Beitrag im japanischen Fernsehen.

Redakteur war ein unruhiger Japaner Ende 30 mit rot gefärbten Haaren

Asahi-TV wurde auf mich aufmerksam durch zwei Beiträge in der Asahi-Zeitung, Tokyo und Osaka-Edition. Ohne mein Foto, da das Interview per Mail geführt wurde.


Den Beitrag übersetzten sie dann auch für die chinesische Ausgabe der Asahi

Juli 2014

Das zweite Interview fürs japanische Fernsehen. Wieder Asahi-TV, aber eine andere Redaktion. Wie schon beim ersten Gespräch machen wir das Interview in meinem Arbeitsraum an der Uni.

Der Redakteur war diesmal nicht dabei, sondern nur der Kameramann – ehemaliger Rugby-Spieler aus Tokyo.

Mittlerweile hatte sich an der Uni in Hiroshima herumgesprochen, dass ständig über diesen Ausländer berichtet wird. Eines Morgens sagte die Kassiererin im Uni-Kiosk zu mir „Ich hab dich gestern im Fernsehen gesehen!“
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und antwortete nur „Tut mir leid…“

Die ganze Aufmerksamkeit der japanischen Presse hatte vier Gründe.

1. Ayano Tsukimi, der Puppenfrau, schickte ich im Mai die DVD und ein paar Drucke der Fotos. Sie war wohl so begeistert von mir und dem Film, dass sie jeder Redaktion, die sie nach meinem Video besuchte, meine Kontaktdaten gab und meinte „trefft euch mal mit dem!“ So haben mich viele der Journalisten erst erreicht.

2. Mein Video, welches zu dem Zeitpunkt bei knapp 350.000 Aufrufen stand, ist weltweit abgegangen und sorgte für einen wahren Boom des Tourismus in der Region. Vor allem Ausländer tauchten jetzt im „Tal der Puppen“ auf. Das lokale Tourismus-Büro (vor dem ich damals parkte) stellte sich auf die Fremden und das Video ein. Ein Redakteur berichtet, dass die Taxifahrer im Tal mir besonders dankbar sind für den nun erhöhten Umsatz. Obwohl die Geschichte der Puppen nicht neu war – die Entwicklung mit den vielen ausländischen Touristen war eine Meldung wert.

3. Dann natürlich der Exotenbonus – ein blonder Austauschstudent macht eine Geschichte aus Japan. Eine Zeitung schrieb, dass die Puppen „durch einen deutschen Studenten nun in der ganzen Welt bekannt sind“, was ich für etwas übertrieben hielt.

4. Und Schlussendlich war ich auch einfach der erste, der die Geschichte brachte. Also der erste westliche Journalist. Denn die Japaner waren vor 5 Jahren bereits da, und Taiwan vor 2 Jahren. Ich hatte nur gerade Glück mit dem Timing. Die Redaktionen wollten die Geschichte bringen, und haben mich aus Respekt und Höflichkeit (und sicher auch kuriosen Interesse) in jeden Bericht über die Puppen mit eingebunden.

Es gibt in Japan drei Zeitungen, die im ganzen Land erscheinen. Das ist die Yomiuri, die Mainichi und die Asahi. Alle drei haben mich interviewt. Nur die Yomiuri hat mich dann rausgekürzt. Aber das Interview mit denen war auch das furchtbarste von allen. Es ging zwei Stunden und die unsichere Dame hatte keinen Übersetzer organisieren können. Englisch konnte sie natürlich nicht. Das Gespräch zog sich also, weil ich ab und an mal ein Wort nachschauen musste. Mittendrin schweifte sie dann immer wieder ab und erzählte mir zum Beispiel von den Volksfesten in ihrer Heimat. Ich fragte sie direkt „okay, aber was hat das jetzt mit dem Interview zu tun?“ Die Antwort: „Ach, eigentlich nichts.“
Am Ende fragte ich sie noch, ob das nun ihr erstes Interview mit einem Ausländer war. Sie sagte kleinlaut „Ja….“

August 2014

Nun kam die letzte Anfrage für ein Interview, diesmal von Fuji TV. Ich hatte eigentlich keine Lust mehr, also diktierte ich meine Bedingungen. Ich war nämlich ziemlich voll mit Terminen für die nächste Geschichte und musste viel Material drehen. Meine Bedingungen waren also: ihr kommt zu mir, und nicht ich zu euch und ihr stellt nen Übersetzer.

Ich hatte damals auf ner Insel gedreht. Sie kamen tatsächlich auch zur Küste und brachten einen Übersetzer aus Hiroshima mit.

12 Uhr mittags, 34°C, ein 45 Minuten Interview unter der prallen Sonne. Ich holte mir einen fürchterlichen Sonnenbrand in einem Gespräch, das dann nicht gesendet wurde. Das ganze sollte nämlich für eine dieser japanischen Gameshows gemacht werden, der Name „それマジ!!??“ („sore maji!!??“)
Es war einer dieser Shows, die man schnell produziert, mit den üblichen 12 Comedians besetzt und dann wieder verschwinden lässt. Konzept war: Die Comedians bekommen Aussagen über eine kuriose Geschichte vorgesetzt und müssen raten, um was es geht. Die Übersetzerin habe ich im Interview eigentlich nicht gebraucht, die Sätze waren simpel genug.

Mein Beitrag wurde dann rausgeschnitten – weil ich die Spielchen der Redakteurin nicht mitmachen wollte. Die sagten mir nämlich vor, wie ich meine Sätze zu formulieren haben und was ich sagen sollte. Das hab ich konsequent nicht gemacht. Ich sollte nämlich unter anderem sagen: „Das Dorf ist voll gruselig“ und so empfand ich einfach nicht.

September 2014

Nun kam die bisher letzte Anfrage vom japanischen Fernsehen, diesmal NHK (die japanische ARD). Die hätten sogar die Möglichkeit gehabt, ihr Büro in Berlin zu verständigen, aber zu einem Interview kam es nicht. Weil sie mir aber „so viele Umstände bereitet haben“ und ich dann doch nicht auf Sendung war, gaben sie mir etwas Geld. Nett.

Am 25. September kam dann die Email: Ich habe bei dem Wettbewerb, bei dem ich die Geschichte Ende April einreichte, den 1. Platz gemacht.

Der Tag war abwechslungsreich.

Um 10 Uhr begann das erste Seminar von diesem Semester. Am Tag zuvor war ich nach über einem Jahr wieder nach Hannover zurückgekehrt.
Um 11 Uhr kam die Email vom Wettbewerb. „Herzlichen Glückwunsch, du hast gewonnen! Aber bitte bewahre noch Stillschweigen bis zur Presseerklärung.“
Um 12 Uhr wurden meine Fotos aus Japan an Wand projiziert, u.a. auch die Puppen. Der Dozent fand die Fotos Scheisse. Er hatte noch mehr Worte für meine Geschichten aus Japan übrig, keines davon war positiv. Er hatte nur eine Lektion aus meiner Arbeit, die er den Kommilitonen sagte „Macht keine großen Geschichten!“
Um 12.30 Uhr eine automatisierte Email vom Wettbewerb: „Danke für deinen Beitrag, leider hat es nicht geklappt.“
Um 13 Uhr, ich saß immer noch im Kurs, ging die Pressemeldung online. Auf Twitter hagelte es Glückwünsche. Ich bewahrte mein Pokerface und sagte in der Uni nichts.

Um 21 Uhr von diesem ereignisreichen Donnerstag traf ich ein Mädchen zum Sushi. Sie suchte das Lokal aus. Ich begrüßte die Angestellten auf Japanisch, doch es kam keine Reaktion. Als sie sich später unterhielten und ich das Sushi schmeckte, merkte ich auch, dass hier Thailänder das Lokal führen.
Dem Mädchen erzählte ich nichts vom Preis. Ich wollte nicht angeben. Außerdem sind Mädchen ja meist eher mit ihren Sachen beschäftigt, da wollte ich nicht unterbrechen.

Medien, welche die Geschichte von mir kauften:

– Pro7 (Redaktion Galileo)
– Rheinpfalz am Sonntag
– La Repubblica (Italien)
– Art Investor
– travelbook.de
– ein französisches Magazin, deren Name ich vergessen habe (die haben bis heute eh noch nicht bezahlt)

Ich möchte noch einmal betonen:
Keiner dieser Redaktionen habe ich die Geschichte angeboten. Alle haben mich angeschrieben, weil sie die Geschichte irgendwo gesehen haben.

Pro 7 zahlte mit Abstand am meisten und pünktlichsten. Die Italiener ließen sich am meisten Zeit.

Filmfeste

Es haben mich fünf Filmfeste angeschrieben, vier davon sagte ich zu. „Im Tal der Puppen“ lief bzw. läuft noch auf Filmfesten in London, New York, Italien und den USA. Auch hier gilt: Ich habe den Film nirgendwo eingereicht, die Feste kamen auf mich zu.

Medien, welche die Geschichte zwar haben, aber nichts dafür zahlen wollten:

– BBC
– Vanity Fair
– Australisches Magazin übers Stricken
– Voice of America

Die BBC und Voice of America waren am hartnäckigsten. Erst als sie mich zum vierten Mal per Email und zusätzlich noch per Facebook und Twitter kontaktierten, sagte ich ab.

Ergänzend möchte ich auch die Daily Mail und The Sun aus Großbritannien erwähnen. Die wollten zwar zahlen, aber da wollte ich die Geschichte und meine Arbeit nicht sehen. Es gab noch diverse andere Medien, die ohne was zu zahlen meine Arbeit zeigen wollten, aber die meisten davon sind hier relativ unbekannt. Ich habe keine komplette Liste geführt, aber insgesamt waren es wohl so 30-40 Medien, die mich anfragten.

Medien, welche nichts dafür zahlen wollten, ich aber trotzdem zusagte

– Discovery Channel
– The Atlantic

Beides war im Mai, also kurz nach Upload. Weil ich zu dem Zeitpunkt nur Absagen von deutschen Redaktionen bekam, nahm ich das nächstbeste zu einer Bezahlung: Aufmerksamkeit. The Atlantic habe ich es auch gestattet, weil sie mit In Focus eine großartige fotojournalistische Arbeit machen.

Nach dem Vimeo Staff Pick, aber auch vorher schon, haben sehr, sehr viele Blogs und Webseiten die Geschichte aufgenommen. Sie teilten das Video oder zeigten Screenshots oder einzelne Fotos. Nie hatte mich einer vorher um Erlaubnis gefragt, aber ich ließ das mal laufen. Ich wollte sehen, wie weit das Video es aus eigener Kraft schafft, ohne dass ich es anschieben muss.

Ich ahnte von Beginn an, dass die Geschichte abgehen wird. Wie sehr, das war mir bis zum Schluss nicht klar.

Mein Problem zu Beginn war, dass ich als junger Journalist keinen direkten Kontakt zu den Redaktionen hatte, denen ich es anbot. Ich hatte keine Vertriebsnetzwerk.
Durch die Verbreitung im Netz erhielt ich aber Angebote von Adressen, an die ich niemals dachte. Das Internet wurde mein Vertriebsnetzwerk.

Aber es hat natürlich auch Schattenseiten. Googelt man jetzt „Nagoro“ so sind 90% der Bilder von mir. Wie gesagt, meist veröffentlicht ohne meine Erlaubnis. Wenn das irgendein Blog oder kleine Webseite macht – was solls. Es ist der Preis, den ich für die Verbreitung zahle.

Allerdings hat sich auch die Vanity Fair Italien bedient. Sie haben eine 16-teilige Foto-Klickstrecke mit meinen Fotos gebastelt – ohne meine Erlaubnis.
Ich suche regelmäßig online nach der Geschichte, um zu sehen, wo sie überall auftaucht. So habe ich zum Beispiel auch herausgefunden, dass ein amerikanischer Autor angefangen hat, eine Horror-Geschichte zu schreiben, inspiriert vom Video. Meinen Charakter, den Filmemacher, hat er gegen eine lesbische Filmstudentin und ihre Latino-Partnerin ausgetauscht. Hab ich persönlich absolut null Probleme mit.

Bei der Suche schaue ich aber nur nach deutschen oder englischen Begriffen. Deswegen habe ich drei Monate lang nicht gesehen, dass die italienische Vanity Fair meine Bilder klaute.
Wie gesagt, wenn irgendein privater Blog das macht, ist mir das egal. Wenn aber die Vanity Fair, die zu Condé Nast gehört – einem der größten Verlage der Welt – dann stört mich das schon sehr. Ich habe mir deswegen auch inzwischen schon einen Anwalt gesucht und schiebe jetzt ein Verfahren an.

Ein Redakteur von Asahi TV erzählte mir kurz vor dem Interview, dass er am Tag zuvor im Tal bei den Puppen war. Dort habe er ein deutsches Fernsehteam gesehen. Die Information machte mich stutzig. Im fertigen Beitrag sah ich dann auch das Team und fragte auf Twitter die Redaktion vom Weltspiegel und zum Schluss den (inzwischen ehemaligen) Tokyo-Korrespondenten der ARD. Die bestätigten mir, dass sie in der Tat dort drehten. Das ganze passierte knapp zwei Monate nachdem ich die Geschichte hochgeladen hatte. Ich fragte also „Na, wie seid ihr denn drauf gekommen?“ und hatte schon eine gewisse Ahnung…
Aber nein, hieß es, es sei nur Zufall, dass ich die Geschichte kurz vorher machte… Nunja, sei es drum. Ich fands trotzdem schade. Ich hätte mich über einen Kontakt unter Kollegen gefreut, vielleicht hätte ich ja weiterhelfen können.

Der fertige Beitrag beim NDR.


Foto: Fredrik von Erichsen/dpa

Die Preisverleihung

Am 6.11. war dann in Frankfurt am Main die Preisverleihung vom dpa-Newstalent 2014, wo ich mit der Geschichte den ersten Platz belegte. Dem vorher gingen bereits mehrere Pressemeldungen und auch ein Beitrag in der hannoverschen Lokalpresse.

Beim Einchecken im Hotel sah ich schon die anderen Preisträger in der Lobby. Die eine erkannte mich schon. „Du bist Fritz Schumann, richtig? Ich kenn dich von Twitter!“ Im Verlauf des Tages sollten noch mehr Menschen auf mich zukommen, die meinen Namen kannten, auch wenn ich die Personen noch nie zuvor sah. Ein merkwürdiges Gefühl.

Als ich beim Einchecken dem Hotel meinen Namen nannte, schaute mich ein Herr im Anzug von gegenüber an. „Sie sind Fritz Schumann, richtig? Ich bin Chefredakteur der dpa, ich halte nachher die Laudatio auf sie. Ich habe mir extra Ihren Beitrag ausgesucht, weil er mich so beeindruckt hat.“
Ich konnte nur Danke sage und wusste sonst nicht, was ein so erfahrener und erfolgreicher Journalist mit mir will. Ich ging aufs Klo.

Die Preisverleihung fand im Rahmen der Jugendmedientage 2014 statt, eine Veranstaltung der Jugendpresse Deutschland. Ich war dort früher auch aktiv, bis ich das erste Mal nach Japan flog. Keiner, den ich noch kannte, war mehr dabei. Nur neue Gesichter.

Unser Platz in der zweiten Reihe war reserviert, wir sollten zum Schluss auf die Bühne kommen. Es gab viele Reden und viel Langeweile. Lustig war nur der Aufritt der ehemaligen Redaktionsleiterin der taz, die einen kleinen Kommentar gegen die Presse von Springer so im Nebensatz äußerte. Ich sah in dem Moment in die Reihe hinter mir. Dort saßen Vertreter der Axel-Springer-Akademie, welche die Veranstaltung mitorganisierten. Der halbe Saal feixte, ihre Mienen blieben ernst. Ich lachte.
Tatsächlich wurde ich immer nervöser. Neben mir saß der 2. Platz, die mit Sekt gegen die Aufregung kämpfte und unruhig ihrem Auftritt entgegen sah. Als sie fertig war, grinste sie mich nur breit an. Denn ich war der nächste.


Laudatio… waaahh…

Im Zeitplan, der uns am Abend zuvor per Mail erreichte, stand der genaue Ablauf drin. Nur zwei Minuten hatten wir nach der Laudatio auf der Bühne Zeit für Fragen. Dabei hätte ich viel zu sagen gehabt.

Im Publikum saßen 500 angehende Journalisten, die mich schon während meines Auftritts auf Twitter zitierten. Neben mir der Chef der größten Nachrichtenagentur Deutschlands. Und hinter mir mein eigener Kopf, überlebensgroß projiziert.


Foto: Zeno F. Pensky

Ich vermeide ja jede große Ansammlung von Journalisten wo es nur geht. Viele leere Gespräche über diese „Zukunft des Journalismus“ und die Branche. Dabei findet der Journalismus draußen statt. Nicht drinnen, bei einer Nabelbeschau. Die Frage nach der Zukunft des Journalismus stellt sich mir schon lange nicht mehr. Wir vergeuden so viel Zeit damit, darüber zu reden und Theorien anzustellen, anstatt rauszugehen und zu recherchieren.

(Die Gespräche mit der dpa und den anderen Preisträgern bis 1 Uhr nachts waren dann aber doch ganz spannend.)

Journalismus ist schon komisch manchmal. Ein Jahr zuvor bin ich ins Tal gefahren, um eine Geschichte zu finden. Ein Jahr später stehe ich wegen exakt dieser Geschichte auf einer Bühne und rede zu einem großen Saal der mir am Ende auch noch applaudiert.


Eine Freundin von mir aus Japan nennt das immer das „fritz-face“

Und nach einem halben Jahr online, zwei Tage nach der Preisverleihung war es endlich geschafft:

Die deutsche Version vom Video schaffte es über die 1.000 Aufrufe!

Making of: Puppenschnitt Geheimnisse

Die Geschichte ist zwar nur 6:30 Minuten lang, aber trotzdem habe ich länger als einen Monat am Schnitt gefeilt. Hier nun ein paar Details, die beim Betrachten vielleicht nicht auffallen, die aber trotzdem enthalten sind.
Der Director’s Commentary sozusagen.


So sieht es aus, wenn man alle Clips und Töne über-, neben- und durcheinander schiebt. Sollte eigentlich sauberer sein, aber dem fertigen Film sieht man das Chaos ja nicht an…

Es ist immer so ein kleiner, magischer Prozess, finde ich, wenn aus Gedanken, Clips, Fotos und Tönen dann ein fertiger kleiner Film wird. Denn lange Zeit ist es erstmal nichts, nur ein paar Dateien.

Man kommt mit vielen Daten von der Reise zurück und muss alles soweit kondensieren, dass ein anderer die Geschichte versteht, ohne dass ich daneben stehe und alles erkläre. Auf dem Weg dahin kann viel schief gehen.

Ein Foto machen, das ist einfach. Kamera an und los. Beim Film kommt noch so viel mehr dazu. Mikros brauchen frische Batterien, das Aufnahmegerät noch zusätzlich Kabel und eine frische Speicherkarte. All den Kram schleppt man dann nach hause und hofft, dass auch ja alles drauf ist, denn man kann es nicht reproduzieren. Dann schnell zwei Backups machen, und am besten noch ein drittes, denn man weiss ja nie.

Langer Prozess

Weil ich so enttäuscht vom Dreh und dem Interview war, habe ich die Puppen lange Zeit unberührt gelassen. Erst Anfang Januar in Tokyo begann ich mit der Bearbeitung der Fotos und der Übersetzung des Interviews. Nach der Ausstellung im Februar stürzte ich mich dann vollends in den Schnitt. Jeden Tag 6-10 Stunden saß ich dann am Rechner, bewegte Clips und schrieb Untertitel. Montag bis Freitag saß ich in der Bibliothek der Uni, am Wochenende dann bei San Marco – einer Starbucks-Kopie mit anständigen Kaffee in der Hondori-Geschäftstraße in Downtown Hiroshima.

Beim Film kann so viel mehr schiefgehen als bei einem Foto, und nun merkte ich auch alle Fehler.

Der Ton war suboptimal. Ich hatte Mikros und Aufnahmegerät kurz vor meinem Abflug gekauft und vorher nicht so wirklich im Einsatz getestet. Manchmal wackelte das Kabel und somit der Ton. Manchmal quatschte ich in meinem Eifer auch der Dame ins Wort, sodass ich einige Passagen nicht nutzen konnte. Aber dem fertigen Film sieht man das alles ja zum Glück nicht an.

Ich hatte mehrere Varianten entwickelt, die ich immer wieder ausgebaut und verworfen habe. Von ursprünglich 8-9 Minuten konnte ich es gut runterkürzen auf 6:30 Minuten. Immer wieder schaute ich mir das Video von Anfang bis Ende an, änderte jedes kleine Element bis es mich nicht mehr störte.

Die erste Version war Mitte/Ende Februar fertig. Ich habe mir dann Feedback eingeholt und die Geschichte etwas ruhen lassen.
Im April setzte ich mich an die letzte Korrektur und die Geschichte war fertig.

Grundlegend habe ich bei dieser Geschichte versucht viel mit subtilen Elementen zu arbeiten. Einfach auch, weil ich keine andere Wahl hatte. Sie spricht viele Sachen nicht direkt aus, also kann ich sie nur andeuten und hoffen, dass der Zuschauer irgendwie versteht, was ich versuche ohne Worte zu transportieren.

Als ich angefangen habe, kurze Filme aus Interviews, Fotos und Videos zu schneiden, dachte ich der Schnitt dient nur dazu, das Material zu zeigen und Zeit zu füllen. Aber man kann so viel mehr damit erzählen.

Bevor wir chronologisch durchgehen, zunächst etwas allgemeines:

Warum?
Das ist die konkrete Fragestellung hinter dem Film, den ich versuche zu beantworten. Das „Wie“ habe ich im vorigen Eintrag beantwortet.

Zunächst, warum ich die Geschichte gemacht habe:
Meine Oma ist mir sehr lieb. Sie ist 88 Jahre alt und gesund, aber da viele ihrer Freunde schon gestorben sind, spricht sie häufig vom Tod. Sie sagt beim Besuch immer sowas wie „Na, wer weiß ob wir uns wiedersehen…“
Noch nie ist jemand, der mir nahe stand, gestorben. Ich habe also noch keine direkte Erfahrung mit dem Thema Tod. Deswegen bin ich nach Nagoro gefahren, um vielleicht von der Dame etwas zu lernen, was ich nutzen kann, wenn es soweit ist.
Die stärksten Geschichten kann man erzählen, wenn man persönlich einen Zugang findet. Gleichzeitig hoffte ich auch etwas zu finden, womit andere vielleicht etwas anfangen und davon lernen können.

Der Film handelt nicht von der Dame oder von den Puppen. Es geht um große Themen wie Einsamkeit, Tod, oder Vergessen/Erinnern. Damit kann jeder etwas anfangen. Es sind universelle Themen. Das erklärt mitunter sicher den großen Zuspruch, welcher der Film hatte. Die englische Version steht derzeit bei fast einer halben Million Klicks. Für einen kurzen Dokumentarfilm ist das viel.

Die Frage ist auch: Warum macht sie seit zehn Jahren die Puppen? Ihre Antwort: „Es gab nichts zu tun“. Das stimmt natürlich nur bedingt. Denn der wahre Grund liegt tiefer. Ich habe versucht, durch den Schnitt eine Antwort zu geben, den sie mir im Interview nicht geben wollte.

Gleichzeitig wollte ich eine gewisse Ambivalenz erreichen. Alle Berichte über sie zuvor waren sehr eindeutig. Sie ist verrückt, sie ist einsam, die Puppen sind gruselig, und so weiter. Aber eine Geschichte hat niemals nur eine Seite.
Im fertigen Film wollte ich keine eindeutige Antwort geben, jeder konnte sich selbst seine Antwort suchen.

Gestaltung
Die Musik stammt von einem Senioren-Verein aus Hiroshima, bei der ein Opa einer Kommilitonin spielte. Ich wollte unbedingt Shakuhachi für den Film, das wusste ich schon von Beginn. Der Wald und der Wind im Film werden durch dieses japanische Instrument gut verkörpert. Ich habe also das ganze Konzert aufgezeichnet (vier Stunden) und dann das passende Stück genommen.

Die Geschichte musste unbedingt im Herbst stattfinden, da ich mit der Umgebung die Dame und das Thema charakterisieren wollte. Frühling wäre „Aufbruch“ gewesen, Sommer „Leben“ und Winter „Stillstand“ – alles passte nicht. Herbst war von Anfang an geplant. So setzt allein schon der Hintergrund die richtige Stimmung.

Auch als Journalist kann man viel von Hollywood und seinen Techniken lernen. Den Ansatz mit „Charakterisierung durch Umgebung“ stammt von Tim Burtons „Batman“ von 1990, wo das düstere Gotham im Stile des Deutschen Expressionismus als Kulisse für die Seele von Bruce Wayne dient.

Aber nun von Anfang an:


Der Beginn muss gleich funktionieren, sonst schalten die Zuschauer online ab oder auf die nächste Website um. Erstes Bild ist ein leeres Puppenauge, das dir direkt in die Seele starrt. Der Wechsel von Schwarz auf Foto ist abrupt, ohne sanften Übergang. Dazu ein Ton der Spannung aufbaut. Die Idee dazu stammt wieder aus Batman, diesmal aus „Dark Knight“. Das erste große Bild im Film ist der Joker von hinten, Fokus auf der Maske. Die ganze Szene beginnt schon früher, mit einem langen Anflug. Aber dazu spielt eben auch ein Ton, der sich erst mit dem Joker auflöst. Man ist sofort drin im Film. Das gleiche habe ich hier versucht.

Hier sieht man zum ersten und einzigen Mal das Tal. Man sieht kaum Häuser und hört das Wasser. Man kriegt gleich ein Gefühl für die Isoliertheit des Ortes, ohne das etwas gesagt werden muss.

Übergang zur Person. Wir haben bisher nur Puppen und nen Fluss gesehen. Wir wissen noch nicht, wer hier überhaupt spricht. Um den Übergang vom Fluss zur Person einfacher zu machen und um gleichzeitig vorzustellen, wie sie lebt (z. Bsp. Feuer statt Elektroheizung) ein Detail.
Das waren die ersten Bilder, die ich filmte. Sie machte das Feuer und den Tee für uns. Das zweite Bild ist vor dem ersten entstanden, das eigentliche Feuer ist nämlich in der großen Öffnung, die beim zweiten Bild zu sehen ist.

Weil ich nur anderthalb Tage fotografierte, hatte ich echt wenig Material. Knapp 85% von dem was ich gedreht habe, ist im Film. Zum Vergleich: Im Projekt, an dem gerade schneide, sind es 15-20%

Es hat ewig gedauert, bis ich das Archiv-Material der Stromfirma bekommen hatte. Auf meine erste Anfrage reagierten sie gar nicht erst. Bei meiner zweiten Mail hieß es dann „Können wir nicht machen“. Eine Freundin, die bei der Stadt Hiroshima arbeitet und mit der ich drüber sprach, fühlte sich herausgefordert. Ein Anruf von ihr später hieß es „wir schicken das Material“.
Stellte sich heraus, dass sie seit Fukushima sehr viel vorsichtiger sind, was ausländische Journalisten und Bildmaterial angeht. Selbst auf Shikoku.
Digital hatten sie allerdings nichts mehr, ich musste alles scannen.

Jetzt sehen wir die Puppen zum ersten Mal in der Szenerie. Auch die Anzahl erstaunt. Die Musik setzt gleich zum ersten Mal aus, denn es ist das Ende vom ersten Akt, der Exposition. Danach wissen wir, wo wir uns befinden und mit wem wir es zu tun haben. Jetzt kann es tiefer gehen.

Denn es taucht zum ersten Mal etwas von der Einsamkeit in Nagoro auf. Das Bild ist auch das einzige von ihr, wo sie durchs Dorf geht. Da hatte sie grad die Schule abgeschlossen und wollte mich abholen, in der Hand ist noch der Schlüssel. Ich wusste, ich brauch das Bild, also musste ich schnell sein und hatte keine Zeit das Bild gerade einzustellen.

Das ist tatsächlich von meinem Hotelzimmer am nächsten Morgen mit dem Teleobjektiv gefilmt. Ich wusste, so ein paar Pflanzen kann man immer gut dazwischen schneiden. Merkt ja keiner wo es ist…

Die Musik löst sich im Windspiel auf. Dazu habe ich einen sehr interessanten Kommentar von einer Japanerin bekommen. Das Windspiel assoziiert man in Japan immer mit dem Sommer. Dass es hier im Herbst noch erklingt ist ein Symbol dafür, dass es schon „jenseits seiner Zeit ist“. Finde ich eine schöne zweite Ebene, welche die Botschaft des Films stützt, und die ich am Anfang gar nicht so gesehen habe.

In das Bild hatte ich mich etwas verliebt und einfach mal zwei Minuten lang drauf gehalten, ich weiss aber nicht, ob auch andere das darin gesehen habe, was ich sah. Das Bild ist eine Metapher für das Leben im Nagoro, daher auch geschnitten zu dieser Aussage. Es dreht sich im Kreis, aber nichts geht voran oder ändert sich. Jahreszeiten wechseln, aber das Leben hier ist doch irgendwo stillgestanden. Die Idee war, dass man ein Gefühl dafür kriegt, wie langweilig es hier oben doch ist.

Hier ein gutes Beispiel, was Untertiteln noch verändern können. Ich musste es verknappen, aber sie zählt hier noch auf, was sie alles angepflanzt hat. Ich konnte es aus dem Interview nicht ausschneiden, aus den Untertiteln aber schon.

Die Tasche und der Kram hinten ist meins, ich hab verpeilt es wegzuräumen. Na, ist hoffentlich keinem aufgefallen…

Hier auch, das ist mein Samsung Galaxy auf dem Tisch…

Das ist die Hand einer Besucherin, man erkennt es vielleicht am dicken Ring. Aber von der Puppenfrau gab es kein Bild, wo sie eine Puppe macht, obwohl es für die Geschichte wichtig ist. Sie ist direkt danach im Bild, also wird angedeutet, dass sie es ist…

Während des Interviews habe ich nicht viel verstanden, aber das schon: „Lippen“ und „Augen“. Also war mir am nächsten Tag klar: Heute fotografierst du Gesichter! Ich hatte am Ende mehrere Dutzend, von denen ich dann die besten vier auswählte.

Im Hintergrund das Geräusch bin ich, wie ich „Fritz“ an die Tafel schreibe.

Der wohl wichtigste Schnitt im gesamten Film und ein schönes Beispiel dafür, dass das Zusammenspiel aller Elemente viel mehr aussagen kann, als nur die Summe aller Teile. Hier beantworte ich die Frage nach dem „Warum“:
Ihre Mutter starb früh und sie ließ ein Kind einsam zurück. Die Einsamkeit und Traurigkeit von damals spiegelt die Einsamkeit von Nagoro und lässt vielleicht erahnen, warum sie seit 10 Jahren Puppen bastelt.

Kleiner Gag, den ich ganz gerne beim Wechsel von Foto auf Video mache. Im ersten Moment denkt man noch, es ist ein Foto, bis sich was bewegt.

Tatsächlich reagieren die Leute hier auch auf mich. Ich hab den Cut jetzt vorher gesetzt, aber sie winken mir im Video noch zu und signalisieren, dass ich das Peace-Zeichen machen soll.

Eine meiner Lieblingseinstellungen im gesamten Film. Man sieht, wie sie die Aufmerksamkeit sucht, aber durch ihr Schlucken sieht man auch, wie sie manchmal damit zu kämpfen hat immer das gleiche zu erzählen und ständig mit Fremden agieren zu müssen. Ich hab die Kamera einfach drauf gehalten, in der Hoffnung es passiert etwas. Es ist halt doch Glück manchmal.

Die Besucherin geht rechts aus dem Bild und im Rest des Film tauchen ab jetzt auch keine weiteren Personen mehr auf. Die Puppenfrau ist wieder alleine.

Bei den Filmen, die ich vorher gemacht habe, konnte ich oft beobachten, wie Leute nach Ende des Videos noch in den Bildschirm starren, weil sie das Gesehene noch verarbeiten. Das ist ein schöner Effekt und den wollte ich hier auch nutzen. Die Spannung, die aufgebaut wird, löst sich im Film nicht auf, es gibt kein konkretes Ende. Selbst in den Credits spricht sie noch weiter.

Die Credits sind irgendwie auch nur leere Namen und eigentlich nur für die von Bedeutung, die sie tragen. An dieser Stelle auch mal eine Auflistung:

Akari Matsumoto – Masterstudentin in Hiroshima. Sie gab mir die Tickets zum Shakuhachi Konzert, wo ein Verwandter spielte
Shikoku Electrical Power Inc. – Die Firma hinter dem Damm und Energie-Monopolist auf Shikoku
Ayano Tsukimi – die Puppenfrau
Yuki und Miki – siehe erster Eintrag.
Darunter sind die Namen von Yukis Eltern
Haruno und Moeko sind (ehemalige) Studenten aus Hiroshima mit sehr guten Englischkenntnissen. Sie haben die erste und zweite Version nochmal durchgehört, damit die japanischen Sätze auch Sinn machen. Machen sie zwar nicht komplett, aber die meisten verstehen es…
Und zum Schluss Michael Hauri von 2470media, von dem ich diese Art des Geschichtenerzählens gelernt habe und der nochmal vor der Veröffentlichung drüber geschaut hat.

Wie gesagt: Es geht nicht darum, dass der Zuschauer exakt so formulieren kann, was ich mir beim Schnitt gedacht habe. Es geht darum ein gewisses Gefühl auszulösen, einen Gedanken zu vermitteln ohne ihn auszusprechen.


Im letzten Teil geht es um der Veröffentlichungsgeschichte, wo es lief und wer es alles geklaut hat.