Die russischen Kunstfälscher von Berlin-Neukölln

Die drei Brüder Eugen, Michael und Semjon Posin sind seit über 40 Jahren Kunstfälscher – auch wenn sie sich selbst lieber als Kunst-Kopisten bezeichnen. „Man kann Kunst nur verstehen, wenn man sie nachmalt und sich in die Perspektive des Künstlers versetzt“, sagen sie. Im Showroom haben sie die Mona Lisa, im Keller Genosse Stalin. Für die Brüder sind ihre Werke keine reinen Kopien – es sind Reinkarnationen des Originals.

Die FH Hannover verlangte für die Bewerbung im Studiengang Fotojournalismus eine Hausarbeit zum Thema „Plagiat“. Ich wollte gerne etwas mit Kunstfälschern machen, da das auch schön grafisch ist und man einen Herstellungsprozess erzählerisch begleiten kann. Eine schnelle Google-Suche fand gleich ein paar Kunstfälscher in Berlin, die in einem Wohnhaus in Neukölln seit 20 Jahren legal Kunst fälschen.

Nun weiss ich genau drei Sachen über Russland:
1. Da kommt der Wodka her
2. Dort wird er sehr gern getrunken
3. Mein Bruder machte dort 18 Monate lang seinen Zivildienst

Die Russen (ohne Wodka) lernte ich oft als schroff, unfreundlich und kühl kennen. Die drei Kunstfälscher bildeten keine Ausnahme.

Der Email-Kontakt vorher war zwar professionell, aber immer sehr knapp. Einem Fototermin sagte man nach mehrmaliger Anfrage zu und ich kam zu einem ersten Gespräch vorbei. Mit der Zigarette in der Hand und hinter drei leeren Weinflaschen erklärte mir einer der Brüder in gebrochenen Deutsch, was sie hier machten. Ein Lächeln konnte ich ihm nicht entlocken und viele Fragen zu ihrer Arbeit winkte er ab. Bei diesem ersten Gespräch hatte ich bewusst die Kamera nicht mitgenommen. Ich wollte mir vorher ein eigenes Bild des Ortes und der Personen machen, und zuhause dann mögliche Motive einplanen.
Spannend wurde es, als der Russe die Tür zugeschlossen hatte und mit starken Akzent meinte „komm mal in den Keller, ich zeig dir was.“ Aber bis auf einen Kuh-Schädel und einer nachgebaute Gefängniszelle gab es dort nichts gefährliches.

Er schloss die Tür wieder auf und versprach mir seine Brüder für die nächste Woche zu versammeln. Er wird dann auch mal an einem Bild malen, wenn ich am nächsten Dienstag vorbeikomme.

Ein Woche später war zunächst nur einer der Brüder da. Die anderen sind gleich da, sagte er, der eine muss nur noch „Besorgungen“ machen und der andere kommt auch gleich. Gut, sag ich, kann ich ja schon mal mit dem Licht schauen.

Die Lampen waren alle auf die Van Goghs, Kirchners oder die Mona Lisa gerichtet, die Rahmen an Rahmen, dicht gedrängt und ohne Konzept an der Wand hingen.

Geduldig, aber auch etwas genervt posierten sie für mein Foto. Es war nun nicht das erste Mal, dass die Posins für die Presse posierten, über 200 Artikel, Fernsehbeiträge und Interviews wurden schon mit ihnen gemacht. Mit der Erwähnung meines (manchmal) Arbeitgebers „Berliner Zeitung“ bekam ich bei ihnen auch den Fuß in die Tür.

Nachdem das Foto durch war, wollten sie es unbedingt sehen. Gutes Bild, sagten sie. An dem Tag sagten sie es noch häufiger, da fast nach jeden Klick auf eine Qualitätskontrolle bestanden wurde.

Ihre Kunst-Kopien sind legal weil a) die Originale älter als 70 Jahre sind und b) weil hinten auf der Leinwand ihr Name steht. Die originale Unterschrift vom Künstler vorne fälschen bzw. kopieren sie natürlich mit.

An der Wand hingen schlecht beleuchtet viele der Pressebeiträge über sie. Auch ein Foto von damals, als sie den Papst getroffen hatten.

Sie hatten nämlich ein altes Kirchenkunstwerk, welches im Krieg verbrannte, „rekonstruiert“. Der Papst fand das Werk aus dem Mittelalter so herlich, dass er es segnete und den Russen die Hand schüttelte. Sonderlich gläubig sind sie aber nicht.

So nah kommt man der Mona Lisa selten. Und wenn man nicht gerade das Original daneben hat, fallen die Unterschiede kaum auf. Die Mona Lisa der Russen ist nur im Gesicht etwas kantiger.

„So, was jetzt?“ fragten sie mich nach dem Gruppenfoto. Sie erwarteten fortlaufend Anweisungen von mir, wie ich sie zu positionieren habe. Das wäre in dem Fall eine Inszenierung und nicht sonderlich authentisch. Aber anders ging es nicht zu lösen. Das war zwar nicht das, was ich wollte, doch die Russen verlangten Kommandos. Ich bat sie ins Atelier um am Bild zu zeichnen.

Extra für mich hatten sie an dem Tag die Leinwand rausgeholt. „Das ist ein modernes Bild, das muss man schnell malen“, sagten sie. Wenn sie malen, haben sie zwar immer die Vorlage dabei, doch es ihnen wichtiger, sich in die Perspektive des Künstlers hinein zu versetzen. Einer der Brüder verglich es mit Shakespeare: „Wenn ein Schauspieler Hamlet spielen soll, dann sieht er sich nicht ein Stück oder einen Film mit Hamlet an. Er liest Bücher über die Epoche und das Leben des Autors. Dann spielt er das Stück. So machen wir es mit unserer Kunst“.

Für genau drei Striche kam auch mal der andere Bruder vorbei.

Er legte den Pinsel beiseite und meinte „gut, reicht jetzt, oder?“. „Ähm, ich bräuchte noch ein paar Bilder“, sagte ich, und er verzog sich grummelnd in die Galerie zurück. Der erste Bruder nahm sich wieder den Pinsel und legte los.

„So, reicht jetzt“ sagte er, „ihre Leser müssen ja nicht das fertige Bild sehen“. Damit meinte er weniger, dass ich kein fertiges Kunstwerk ablichten soll, sondern dass es meine Aufgabe als Fotograf sei, nur den Prozess und nicht das Resultat zu sehen.

„Was jetzt?“

Ich bat sie in den Keller. Dort hingen auch reichlich Bilder von vergangenen Ausstellungen oder Produktionen.

Das Bild war Teil einer Ausstellung zu „Kunst und Diktatur“ für die sie Propaganda nachmalten. Das Loch gehörte auch zum Original. Der Russe stocherte mit dem Finger in Adolfs Backe rum, leider zu schnell für meine Kamera und die Dunkelheit des Kellers. Neben dem Propaganda-Bild von Adolf auf seinem Roß stand auch eins von Stalin in eiserner Rüstung. Er wurde von den Posins immer nur als „Genosse“ Stalin tituliert, was mich zunächst irritierte. Sie meinten aber, dass „Genosse“ keine wertende Bezeichnung sei. So wurde er halt genannt.

In der hinteren Ecke war eine Gefängniszelle nachgebaut, die als Ausstellungsraum diente. „Kunst von Kriegsgefangenen“ hieß es und vor dem Gitter sitzt der General – wenn auch nur ein gemalter.

In der Sowjetunion saßen sie auch im Knast, mehrere Male wurden sie inhaftiert. Ich fragte warum, doch sie winkten nur ab.

Das Bild war passend über der Heizung platziert, denn es zeigt ein Dorf in Sibirien. Seit 40 Jahren war der grauhaarige Bruder nicht mehr da, der andere seit 22 Jahren. Aus dem Gedächtnis hatte er das Dorf gezeichnet. In der Hoffnung, ein paar mehr Sätze über ihre Vergangenheit und ihre Migration nach Deutschland zu erfahren, fragte ich nach Sibirien. Hierbei konnte ich zum ersten Mal ein Lächeln bekommen. Auf meine Frage, ob er denkt, dass die Leute, die dort ihre Heimat haben, dort auch gerne leben, lachte er nur und meinte, die Frage ist so dumm, die würdigt er mit keiner Antwort.

„Wars das jetzt?“ fragten sie mich und ohne das ich antworten konnte knipsten sie hinter mir das Licht im Keller aus. Dunkelheit legte sich wieder über Adolf, Sibirien und den Kuh-Schädel.

„Noch was?“ hörte ich, als ich wieder nach oben in die Galerie kam. Ich konsultierte mein Notizbuch, wo ich fortlaufend Motive gestrichen hatte. Die Liste war erledigt, von daher war es das. Nach knapp einer Stunde war mein Besuch mit der Kamera vorbei. Die drei Brüder gaben mir die Hand und schlossen die Tür zu, als ich ging.

[Update: Interview mit den drei Brüder im Magazin „der Freitag“ mit meinem Bildmaterial -> Weblink]

Dr. Nakamats, die Berliner Zeitung und ich

Als erster deutscher Journalist habe ich Dr. Nakamats interviewt – ein exzentrischer Erfinder, der in ganz Japan als Erfinder von Springschuhen, Gehirn-Tees und als lustige Fernsehfigur bekannt ist, und der im Rest der Welt als Erfinder der Computerdiskette gilt. Das Interview schickte ich an die Berliner Zeitung, die es zunächst vehement ablehnten und es ein halbes Jahr später trotzdem abdruckten – ohne mir Bescheid zu sagen.

Dr. Nakamats

Ich war naiv.
Ich bin ein bisschen mit der Erwartung nach Japan gegangen, ein paar nette Bilder im Monat zu machen und die dann nach Deutschland zu verkaufen. Die Kontakte zum Auslandsressort der Berliner Zeitung hatte ich schon vorher aufgebaut, die sich damals schon stark an Beiträgen aus Japan interessiert zeigten.
Schnell stellte sich Ernüchterung ein, denn meine Bilder wollten sie zuerst nicht (nur von Agenturen!) und zahlen schon mal gar nicht. Ich begriff recht schnell, dass Bilder ohne Geschichten sich nicht verkaufen lassen, ich musste diese dann schon dazu liefern. Was für interessante Geschichten in Japan passierten, das konnte ja nur ich wissen, denn meine Redaktion kennt Japan ja nicht und würde mir in der Hinsicht keinen Auftrag erteilen. Mit der Zeit bekam ich ein Gespür dafür, was für deutsche Medien interessant sein könnte. Allen voran müssten meine Themen exklusiv sein, denn wenn sie vorher schonmal von einem Journalisten mit mehr Ahnung, Sprachkenntnissen oder Hintergrundwissen gemacht wurden, konnte ich keine Argumente mehr für mich liefern.
In einem deutschen Blog stieß ich dann auf dieses Video:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=n_w9XMTJnpM&fs=1&hl=de_DE]

Es war der Trailer zu einer Dokumentation über Dr. Nakamats, der schon eindrucksvoll zeigte, was für ein interessanter Typ der ist. Ich recherchierte etwas weiter und fand dabei auch einen sehr guten Beitrag im PingMagazine über Dr. Nakamats. Doch deutsche Beiträge gab es über ihn noch nicht, da kein deutscher Journalist bisher über ihn berichtet hat. Ich witterte meine große Chance.

Ich schrieb den Regisseur der Doku an, dessen Premiere zu dem Zeitpunkt kurz bevor stand. Er kam aus Dänemark und hatte einen deutschen Vater. Wir schrieben uns auch kurz auf Deutsch. Mit dem Hinweis, den Artikel auch groß über die Doku aufzuziehen, was ich als aktuellen Anlass auch brauchte, bekam ich Kontakte zur Sekretärin von Dr. Nakamats.

Es verging etwas Zeit, in der ich meinen deutschen Mitbewohner bat, mir beim Interview mit der Übersetzung zu helfen. Da er schon zwei Jahre in Tokyo lebte, kannte er auch Dr. Nakamats – aus dem Fernsehen und von der Straße. Der selbsternannte Doktor tritt nämlich regelmäßig zu den Wahlen in Tokyo an, gekleidet mit einem weißen Anzug, Zylinder und langen weißen Cape.

Die Sekretärin antwortete dann, und ich meinte schon, dass ich einen Übersetzer für das Interview habe. Doch Dr. Nakamats besteht darauf das Interview in Englisch zu machen, sagte sie, denn das Englisch von Dr. Nakamats ist sehr gut. Das war wohl so ein Prestige-Ding, mit Ausländern auch ohne Übersetzer kommunizieren zu können. Sie gab mir eine Adresse ohne Wegbeschreibung, irgendwo im Westen von Tokyo. Ich machte mich mit dem Fahrrad auf den Weg.

Adressen in Tokyo sind etwas kompliziert. Die Straßen haben keine Namen, nur die Viertel und Nachbarschaften. Man bekommt also nun drei Angaben, erst vom großen Bezirk, dann vom kleineren Viertel im Bezirk und dann die Nummer vom Häuserblock. Innerhalb von diesem Häuserblock hat das Haus dann auch noch eine eigene Nummer, die allerdings nur die Reihenfolge angibt, in der das Haus, verglichen mit den anderen Häusern im Block, gebaut wurde. So gibt es oft Haus Nr. 1 neben Haus Nr. 12 und Nr. 5. Um es kurz zu machen: Ich musste mehrmals nach dem Weg fragen.

Ich musste in der Nachbarschaft nur „Dr. Nakamats“ sagen, damit die Leute lachten und in die richtige Richtung zeigten. Der Doktor war bekannt in der Nachbarschaft, für seine Experimente und Erfindungen, die er gerne auf den Straßen hier im westlichen Tokyo ausprobierte.

Als ich dann vorm Haus stand, gab es keinen Zweifel mehr, dass es das richtige war:


Die schwarze Hausfassade soll kosmische Energie einfangen, sagt der Erfinder

Das Dr. Nakamats House, an der Dr. Nakamats Street Ecke Dr. Nakamats Avenue, auf dem dem Dr. Nakamats Platz. Wer es bis hierhin noch nicht mitbekommen hat, der Kerl ist sehr egozentrisch. Das er die Schilder nur einfach so aufgestellt hat, und Tokyo nicht die Straßen nach ihm benannt hat, versteht sich von selbst, und beschreibt ganz gut den selbsternannten fünffachen Doktor.

In den folgenden Absätzen werde ich nicht den Doktor ausführlich beschreiben, dafür verweise ich mal auf die zwei Artikel, die ich über ihn geschrieben habe. Ich habe die Geschichte über ihn tatsächlich zweimal verkauft, dazu komme ich später nochmal. Bis dahin gilt der Artikel in der Berliner Zeitung vom 4. Oktober 2010 und in der UNICUM Dezember Ausgabe


Ein Windrad im Eingang, um aus Strömungen innerhalb des Hauses Energie zu gewinnen

Den richtigen Eingang zu finden war nicht leicht. Zuerst bin ich durch die offene Tür ins Gebäude, wo offensichtlich eine Art Besucherraum war. Der Name von Dr. Nakamats und sein Gesicht prangten überall.

Dort war irgendwo auch eine Klingel, die ich zwar drückte, aber auf die keine Reaktion kam. Ich ging dann nochmal raus und fand zwei weitere Eingänge. Einer sollte sich später als Eingang zu einem Appartment-Komplex rausstellen, der ebenfalls Dr.Nakamats gehört, und in dem Schüler seiner „Genius Academy“ wohnen. Die „Genius Academy“ bietet Interessierten die Möglichkeit, nah mit dem Meister zu wohnen und ihn ab und an mal bei der Arbeit zuzuschauen. Zu jeder Zeit wohnen ca. 15-20 Leute dort, die die 700€ im Monat zahlen können. Aufnahmekritieren gibt es, bis auf das Geld, kaum welche, auch wenn der Doktor sowieso behauptet, man müsste mit Genie-DNA geboren werden, sont könne nicht zu einem Genie werden. Er hat natürlich diese Genie-DNA. Ob er seinen zahlungskräftigen Schülern einen DNA Test unterzieht, bezweifle ich.

Der andere Eingang war groß mit „Dr. Nakamats House“ überschrieben. Ich klingelte und konnte verständlich machen, dass ich der 14 Uhr Termin bin, der jetzt um 14.15 Uhr hier klingelt. Nüchtern wurde ich drauf hingewiesen, wieder in den Eingangsbereich zu gehen und dort zu warten, bis man mich abholt.


Eine Theke im Eingangsbereich war das „Dr. Nakamats Cafe“

Also wieder zurück. Man ließ mich lange warten, bis die Sekretärin durch zwei schwere Türen kam und mich einsammelte. Beide Türen waren jeweils mit einem Passwort gesichert und mit Dr. Nakamats‘ Gesicht verziert.
Das Haus hat der Doktor selbst designt, schließlich ist er ja ein Genie. Es soll mit verschiedenen gestalteten Arbeitsräumen seine Produktivität steigern. Die Räume bestehen unter anderem aus einer komplett goldene Toilette, einem Indoor-Swimmingpool und einem „Calm Room“ mit Zen-Garten. Alle diese Räume durfte ich nicht betreten, die waren nur dem Doktor vorbehalten.


Überdachter Innenhof des Hauses

Überall im Haus waren einige seiner über 3300 Erfindungen verbaut. So auch auf der Treppe zu seinem Büro im Keller. An der Seite waren die Treppenstufen schräg, um die Belastung auf die Knie beim Aufstieg zu minimieren. Dr. Nakamats hat bei seinen Erfindungen meistens die Gesundheit im Sinn.

Vorbei an vollen Schreibtischen, Regalen und einem allgemeinen Chaos an Dokumenten, ging es zum Büro vom Doktor. Zwei weit ausladende Schreibtische standen in einem fast komplett roten Raum, dekoriert mit Schreibtafeln, Figuren der menschlichen Anatomie, Kameras und Papier, Papier, Papier. Ich sollte vor einem der Schreibtische Platz nehmen, während der Doktor noch an dem anderen zugange war. Er nahm keinerlei Notiz von mir als ich den Raum betrat. Es vergingen ein paar Minuten in denen ich überlegte, ob ich was sagen sollte, doch irgendwann stand er dann auf und ging die drei Schritte zum zweiten Schreibtisch. Er setzte sich hin und guckte mich an.

Ohne Worte gab er mir seine goldumrandete(!) Visitenkarte, die nochmal zeigen sollte, wie großartig er doch ist. Die Anzahl seiner Erfindungen war darauf gelistet, gleich mit dem Hinweis, dass er mehr Erfindungen als Thomas Edison hat.
Etwas überrumpelt nahm ich die Karte an, bedankte mich dafür und für seine Zeit, und gab ihm meine. Wieder wortlos gab er mir ein Buch, eine Art großbebilderte, zweisprachige Autobiografie über ihn.


Cover seiner Autobiografie

Zusammen mit dem Buch gab er mir auch seinen Lebenslauf, kleinzeilig auf einem ganzen A4 Blatt. Dort stand unter anderem, dass er den Nobelpreis gewonnen hat. Das stimmt nicht, denn was er gewonnen hatte war der ig-Nobelpreis, eine Art Anti-Nobelpreis für sinnfreie Forschungen – auch wenn er bis heute der Meinung ist, er hätte den tatsächlichen Nobelpreis gewonnen. Der Doktor bekam die Auszeichnung für die Leistung, seit mehr als 30 Jahren(!) täglich seine Mahlzeiten in Wort und Bild zu dokumentieren. Einer der Aktenordner, die ganze Schränke bei ihm füllen, sah ich auch. Sehr ausführlich. Der Doktor will halt 144 Jahre alt werden, die richtige Nahrung ist dabei sehr wichtig. So trinkt er auch seit Jahrzehnten nichts anderes als „Brain-Tea“, ein Kräutertee, der die Gehirnleistung steigern soll. Diesen „Brain-Tea“ gibt es neben anderen seiner mehr oder weniger nützlichen Erfindungen auch im Dr. Nakamats-Shop zu kaufen.

Das Interview lief sehr schleppend. Auch wenn ich der erste deutsche Journalist war, mit dem er sprach, so war es für ihn nur ein Interview von vielen. Viele Fragen, die ich einfach stellen musste, wurden ihm schon mehrmals gestellt und er war dementsprechend müde, sie zu beantworten. Er verwies stets nur auf sein Buch oder ignorierte meine Fragen komplett. Nach einer halben Stunde war ich mit meinen Fragen durch, ohne viele Antworten bekommen zu haben. Ich wollte mir nun ein paar seiner Erfindungen von ihm zeigen lassen, um so auch viele Fotos für eine große Reportage zu bekommen. Doch der Doktor wollte nicht, und schickte seine Sekretärin.

Wir gingen also wieder zurück in den Eingangsbereich, dem auch die „Dr. Nakamats Library“ angeschlossen war. Ein Museum seiner Erfindungen.

Ziemlich ungeordnet lagen hier nun Erfindungen, Gegenstände und Dokumente aus mehreren Jahrzehnten Dr. Nakamats rum. Die Sekretärin konnte mir mit beschränkten Englisch nicht bei jedem Gerät alles erklären.


Nakamascope – Filmkamera, erfunden für eine deutsche Filmfirma


Einen Computer hat er natürlich auch erfunden


Auswahl aus seinem Verkaufssortiment


Manga über Dr. Nakamats


Dr. Namats ließ sich mal zur Wahl aufstellen, mit dem Versprechen fünf Erfindungen zu haben, die die Welt retten können. Das hier ist eine davon, eine Maschine um aus Wasser Energie zu machen. Dass das Prinzip als Brennstoffzelle schon länger existiert, hat er beim Erfinden, wie so oft, ignoriert.

Ob ich denn auch mal ein paar der Erfindungen selbst ausprobieren möchte, fragte mich die Sekretärin. „Klar!“, sagte ich, und sie verschwand, denn das müsste vorbereitet werden. In der Zwischenzeit könnte ich den Cerebrex ausprobieren, einen Sessel, der, wie sollte es auch anders sein, die Gehirnleistung steigern soll.

Die Idee ist es, Platz zu nehmen und durch den Vorhang vorm Kopf Licht und Geräusche von der Außenwelt abzublocken. Tja und was soll ich sagen, so ein Tuch vorm Kopf funktioniert, man sieht nichts mehr. Der Sessel ist bequem und das wars dann auch. Er hat keine weitere Funktion, trotzdem wird er an den Strom angeschlossen. Doch er vibriert nicht, wird nicht warm, es ist einfach nur ein Sessel mit Tuch.
Der Doktor selbst benutzt den Apparat mehrmals am Tag.

Die meines Erachtens beste und lustigste Erfindung von Dr. Nakamats sind allerdings seine Springschuhe, die er selbst auch oft benutzt.


Scan aus seinem Buch

Die Idee dahinter ist nicht weit zu springen, sondern normal zu joggen und dabei die Gelenke zu schonen. Es funktioniert tatsächlich sehr gut und macht Spaß.

Die Essenz von Dr. Nakamats, das Faszinierende und Absurde, das findet sich in diesen Schuhen. Denn auf den ersten Blick wirken sie absurd und lächerlich. Der Doktor hat sie aber erfunden, weil joggen zu sehr auf die Gelenke geht. Die Springschuhe federn die Belastung auf die Gelenke ab und funktionieren sehr gut. Zu Anfang sind sie ungewohnt. Wenn man versucht normal zu gehen, oder nur zu springen, findet man kein Gleichgewicht. Doch sobald man anfängt leicht zu joggen, fühlt es sich absolut natürlich an. Der Kerl, der mir die Schuhe brachte und beim Ausprobieren half, drückte ich dann die Kamera in die Hand.


Nach dem Springen lernte ich gleich ein neues Wort: „omoshiroi“, japanisch für ‚lustig‘ oder ‚interressant‘, weil der Kerl mich ständig fragte, wie ich den Ausflug fand

Der Doktor meinte es durchaus ernst mit dieser Erfindung. Das er sie so durchgezogen hat, ohne auf irgendwelche Stimmen zu hören, die sowas vielleicht für zu absurd halten, spricht für den Doktor und seine Arbeitsweise. Wenn er sagt, dass er die Gesundheit der Menschen mit seinen Erfindungen im Sinn hat, dann meint er das auch so.

Ich ging dann wieder zurück zum Doktor um mich zu verabschieden. Nachdem ich noch ein Foto von ihm machte, wollte er noch eins zusammen mit mir machen. Er stellte sich neben mich hin, gab seiner Assistentin eine Kamera und fragte mich: „Was sagt man in Deutschland, wenn man für ein Foto posiert?“. „…äh ‚Cheese'“, sagte ich. „Von nun sagt ihr: Dr. Nakama-tsuuuu“, sagte er und betonte die letzte Silbe noch mal mit einer ausholenden Bewegung der rechten Hand, die zum Ende hin das altbekannte Victory-Zeichen formte, dass die Japaner immer auf Bildern machen.
„Dr. Nakama-tsuuu“, sagten wir zusammen, und es klickte. Das Foto wollte mir der Doktor dann allerdings nicht zuschicken, auch nachdem ich ihn mehrmals fragte.

Mit wenig Antworten, verwertbaren Zitaten, Bildern und einem dicken Buch in der Tasche radelte ich wieder nach Hause. Nun begann die Recherche.

Bekannt und unkommentiert

In den folgenden Wochen versuchte ich ein paar Meinungen über Dr. Nakamats einzuholen, was sich als durchaus schwierig erweisen sollte. Wenn zwar jeder(!) Japaner, den ich auf den Doktor ansprach, ihn kannte, so war doch in 99% die Reaktion nur amüsiertes Schmunzeln über ihn und seinen Quatsch, den viele aus dem Fernsehen kannten, wo er regelmäßig in Shows auftritt.


Eine seiner ersten Erfindungen: eine Öl-Pumpe, die er für seine Mutter machte, und dessen Gebrauchsprinzip sich bis heute in Handpumpen in Japan findet

Ich habe die Universitäten angeschrieben, an denen er angibt studiert zu haben, doch die wollten weder bestätigen noch dementieren, dass er an dieser Schule war. Auch vermeintliche Kollegen aus der Wissenschaft wollten nicht zusammen mit ihm genannt werden und sagten nichts zu ihm. Er wird halt einfach nicht ernst genommen, auch wenn er es ernst meint.

Im japanischen Patentamt fand ich dann ein paar seiner Erfindungen, komplett mit Beschreibung und Zeichnungen. Darunter diverse Erfindungen fürs Badezimmer und eine Selbstverteidigungs-Perücke. Ja, eine Selbstverteidigungs-Perücke, aus der man innerhalb von Sekunden eine lange Drahtschnur ziehen kann, die man dann als Waffe benutzt.

Dr. Nakamats in die Zeitung

Ursprünglich hatte ich eine große Reportage über ihn geplant, mit großen Bildern und vielen Worten. Das konnte ich nicht mehr machen, da mir der Inhalt fehlte. Als reines Interview ging es eh nicht, also ging es nur als Portrait. Ich bot es also der Berliner Zeitung an, denen ich dann einen viel zu langen Beitrag schickte. Nachdem zwei Wochen lang keinerlei Reaktion auf meinen Text kam, und ich das Geld dringend für die Miete brauchte, fragte ich noch mehrmals nach und bekam eine Absage. Der Text würde als Portrait nicht funktionieren, die These haut nicht hin und ist so nicht druckbar.

Ich war von dieser Absage niedergeschlagen. Nicht nur, dass ich die Miete nicht zahlen konnte, ich zweifelte auch an meinen Fähigkeiten als Schreiberling. Ich schob den Artikel erstmal beiseite und wollte mich später drum kümmern. Insgesamt habe ich dann knappe zehn Monate lang an diesem Artikel gesessen. Er hat mich quasi blockiert, ich traute mich an keinen großen neuen Auftrag rein, eh nicht dieser abgelehnte Beitrag in einer Form ist, die es in die Zeitung schafft. Vorher würde mir auch überhaupt das Selbstbewusstsein fehlen, wieder Angebote zu schreiben.

In der Zwischenzeit passierten zwei Sachen. Der Regisseur des Films, mit dem ich bisher guten Kontakt hatte, auch über Hintergründe zum Erfinder, fragte mich nun, ob ich das Foto für das Filmplakat der Dokumentation machen kann. Cool, sag ich, aber ich müsste etwas verlangen. Schließlich ist das mein Job und ich lebe davon. Ich hätte nicht viel verlangt, vielleicht nur 50€, wohlwissend dass er das Bild und Plakat dann im weltweiten Vertrieb für den Film nutzen würde. Seine Reaktion war Unverständnis, er hätte das nicht von mir erwartet, schließlich würde er auch ab und an kostenlos für coole Projekte arbeiten. Ich sparte mir eine Bezahlung zu rechtfertigen oder drauf hinzuweisen, dass ich über seinen Film berichte und damit ordentlich bewerbe, denn das war sinnlos. Ich beließ es dabei und erwartete, dass er professionell damit umgeht.

Ein paar Wochen später hatte ich noch zwei, drei Fragen zu ihm und den Film. Seine Antwort war erpresserisch. Er meinte, es gibt Journalisten, für die er sich viel Zeit nimmt, und einige, bei denen er das nicht tut. Er machte klar, dass ich die Antworten kriege, wenn ich ihm das Foto gebe, ohne es so konkret auszusprechen. Auf solche Spielchen hatte ich keine Lust, und so schrumpfte der Anteil in der Berichterstattung über seinen Film auf ein geringes Maß.


Scan aus dem Buch

Die zweite Sache, die in der Zwischenzeit passierte, war ein Kontakt zum Studentenmagazin UNICUM. Ein Freund, den ich in Tokyo kennenlernte, hatte jahrelang für das Magazin gearbeitet und sich für mich in der Redaktion eingesetzt. Es war ein langer Kampf, war doch die Redaktion komplett ausgetauscht worden seit seiner Zeit, doch nach vielen Anrufen und Mails hatte er eine Kontaktadresse für mich organisiert. Ich sollte ein paar Themenvorschläge hinschicken und hatte grad nix anderes als Dr. Nakamats. Das Thema kam gut an, und da die Berliner Zeitung ihn eh ablehnte, war das Thema ja frei.

UNICUM gab mir nun eine Deadline, die ich zunächst unabsichtlich ignorierte, da andere Aufträge dringender reinkamen. Ich hatte nach der heftigen Absage der Berliner Zeitung mich auch nicht wieder an den Text getraut. Doch UNICUM war sehr interessiert an dem Thema und verlängerte die Deadline. Wieder in Deutschland war das der Beitrag, auf den ich mich voll konzentrierte. Ich besorgte mir einen befreundeten Redakteur und arbeitete mit ihm an dem Beitrag. Ich hatte grad eine kürzere Version, die zu 95% fertig war, da bekam ich eine Email:

„Hey Fritz, Glückwunsch zum Abdruck in der Berliner Zeitung gestern, mit dem Artikel über Dr. Nakamats!“

Ich fiel aus allen Wolken. Mir hatte keiner Bescheid gesagt, weder jemand aus der Zeitung, noch die zuständige Redakteurin, der ich damals den Text schickte. Ich hatte ja inzwischen wieder bei der Berliner Zeitung angefangen und war bei der Redaktionssitzung am Montag dabei, wo wir auch jedes Mal eine neue Ausgabe der Zeitung bekommen. Ich blätterte die Zeitung allerdings bei der Sitzung nicht durch, sondern packte sie nur in die Tasche.
Nachdem ich nun die Email bekommen hatte, griff ich nach der Zeitung und blättere sie schnell durch. Tatsache, dort war Dr. Nakamats und drüber stand mein Name.

Mein Puls ging hoch und ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Denn hätte ich nicht diese Email meiner Bekanntin bekommen, wäre das komplett an mir vorbeigegangen. Ich vermutete schon ein Kalkül der Zeitung, so an der notwendigen Bezahlung vorbei zu kommen und kontaktierte schon meinen Vater und somit auch den Anwalt.
Er meinte nur, ich soll ruhig bleiben, schließlich sind sie verpflichtet zur Vergütung, wenn sie mein Material mit meinem Namen abdrucken. Ich soll einfach mal anrufen.

Ich rief also an und erklärte meine Situation. Ich wurde von Stelle zu Stelle gereicht, jeder einzelnen war die Situation hörbar peinlich, sowas kommt wohl nicht häufig vor. Am Ende erreichte ich dann den zuständigen Redakteur. Es stellte sich heraus, dass er nur die Urlaubsvertretung war. Die zuständige Redakteurin, der ich vor einigen Monaten meinen Text schickte, war nicht da, und mein Text war wohl nicht gelöscht, sondern in einem Ordner für noch brauchbare Themen gelandet. Die Urlaubsvertretung hatte meinen Text nun aufbereitet und abgedruckt. Es war nun leider keine Kontaktadresse dabei, sagte er mir, sonst hätte er mich noch kontaktiert. Na gut, dass ihn dieser Mangel nicht vom Abdruck abgehalten hat, wa?

Ich wurde dann ins Sekretariat durchgereicht und gab meine Finanz-Informationen durch. Mehr als einen ganzen Monat später kam dann die Vergütung, allerdings nur teilweise. Auf den Rest warte ich heute noch.

Der Artikel war nun gedruckt, aber auch schon UNICUM versprochen. Ich schickte UNICUM die Info, dass der Artikel schon abgedruckt ist, ich dafür aber nix kann. Nach einer Woche Bedenkzeit meldete sich UNICUM wieder und sie wollten weiterhin Dr. Nakamats abdrucken. Sie wissen zwar noch nicht wann, doch ich soll schon mal schicken was ich habe.
Ich schickte ihnen die Version, die ich hatte und ohne Einwände wurde sie genommen. Da der Abdruck noch in den Sternen stand, fragte ich mal vorsichtig nach der Vergütung. Als Antwort kam ein Satz, der mein geknicktes Selbstbewusstsein nach der Ablehnung der Berliner Zeitung und einen glücklichen Gemütszustand als freier Journalist wieder herstellte:

Der Beitrag wird vergütet, wenn ein Redakteur ihn abgenommen und für gut befunden hat, und dieser Moment ist jetzt.

Für die Dezember-Ausgabe von UNICUM war dann noch eine Seite frei und mein Beitrag rutschte rein.
Das ist also das gute Ende von meinem Jahr mit Dr. Nakamats: Nach einem schwierigen Interview, einer langen, glücklosen Recherche und einer heftigen Absage, wurde der Beitrag zweimal abgedruckt. Danach war gewissermaßen der Knoten geplatzt, ich konnte mich wieder frei und produktiv an andere große Themen setzen. Ich bin nun auch um viele Erfahrungen in der Arbeit mit Redaktionen und mit der Recherche reicher.
Vorallem mit der Lektion, dass ein Thema manchmal viel Zeit bis zum Abdruck braucht.

-> Artikel über Dr. Nakamats der Berliner Zeitung vom 4. Oktober 2010
-> Artikel über Dr. Nakamats in der UNICUM Dezember Ausgabe

Kommt eine Japanerin nach Berlin…

Ich habe Besuch aus Tokyo bekommen und dabei die hässlichen und schönen Seiten dieser Stadt erleben müssen.

Engelsbecken in Berlin, in der Nähe ist ihre Unterkunft

Eine gute Freundin aus Tokyo, Architektin, hat ihre Urlaubstage zusammengekratzt um nach Berlin zu kommen. Sie war vor ein paar Jahren schonmal hier und hat sich in die Stadt verliebt, kein Wunder bei der spannenden Architektur-Geschichte der Stadt. Das ich hier auch wohne, war dann noch ein nettes Plus.

Letzte Nacht holte ich sie vom Flughafen ab. Sie hatte dieselbe Airline wie ich bei meinem Rückflug, mit exakt derselben Route und mit fast exakt zwei Monaten Abstand. Das hieß auch, dass ihr Flieger exakt wie meiner auch zu spät kam. Es folgte eine lange Warterunde vor dem Gate.

Diese Warterunden sind immer so emotional, Familie, Freunde und Verliebte warten auf ihre Liebsten, nach langer oder kurzer Abwesenheit. Es wird geweint, geknutscht, umarmt. Ein schwules Pärchen hatte dabei den leidenschaftlichsten Kuss-Moment, und stellte dabei die alten Verheirateten ordentlich in den Schatten, direkt romantisch.

Nachts in Berlin fahren im Gegensatz zu Tokyo ordentlich viele öffentliche Verkehrsmittel – damit fahren in der Nacht dann aber auch ordentlich viele kaputte Typen.
Die Japanerin hatte sich eine Wohnung zur Untermiete in Kreuzberg gesucht und da mussten wir irgendwie hin. Ich hatte mir im Vorfeld schon eine Route ausgesucht, leider durch unschöne Ecken von Berlin, wie Schöneweide – ein Bezirk den man vorallem nachts meiden sollte.

Über Berlin kann man sagen, je weiter man vom Zentrum weg ist, desto assozialer wird die Gegend. In der Nacht potenziert sich dieser Umstand leider noch.
Im Zug nach Schöneweide ging es schon los. Ich unterhielt mich auf Englisch mit ihr, während sich drei junge Assis uns gegenüber setzten, mit HipHop auf dem Handy-Lautsprecher aufgedreht. Anscheinend dachten sie, dass wir kein Deutsch sprachen, sonst hätten sie nicht angefangen über uns und vorallem über die Japanerin herzuziehen und uns zu beleidigen. Sie hatte das Glück das alles nicht zu verstehen – ich hingegen schon.

Ich zog es vor, das Ganze zu ignorieren und vorallem ihren Besuch in Berlin nicht mit einer Schlägerei in der S-Bahn zu beginnen, im Nachhinein ärgerte es mich schon. Es beschäftigte mich sehr, wie jemand so viel Hass für einen total Fremden haben kann, um es dann noch aggressiv zu äußern. Natürlich war der Typ auch nur ein feiges Würstchen, der sich ohne seine zwei Freunde und unter der Annahme, wir würden sein Gesabbel nicht verstehen, nicht trauen würde rumzublubbern. Wenn man soviel unbegründeten Hass für Andere empfindet, ist das meistens auch ein Hass gegen sich selbst. Wer zufrieden mit sich selbst ist, hat keinen Grund, andere zu nerven.
Dieser Hass von einem Berliner Bewohner, den ich so zwar kannte aber lange nicht mehr so erlebt habe, beschäftigte mich an diesem Abend noch sehr lange. Einerseits bereute ich, meinem Ärger keine Luft gemacht zu haben. Allerdings hätte ich mit Gewalt als Mittel, nur noch mit mehr Hass auf seinen Hass reagiert. Das hätte nichts gebracht.

Mit Ärger in meinem Bauch erreichten wir dann Kreuzberg. Schon die ersten zwei Menschen die wir trafen und nach dem Weg fragten, gaben mir wieder Hoffnung für Berlin. Nett, freundlich und ehrlich nahmen sie sich Zeit für uns, und erklärten uns die Richtung zum Altbau, mit der leeren Wohnung.

Wie eine Japanerin in Tokyo an eine 3-Zimmer Erdgeschoss-Wohnung in einem Berliner Altbau gekommen ist, kam so: In ihrem Haus in Tokyo lebte auch ein deutsches Mädel. Freunde von ihren Freunden hatten nun die Wohnung in Tokyo und sind derzeit im Urlaub. Die Japanerin und die Besitzer haben sich noch nie in ihrem Leben getroffen, trotzdem stimmten sie zu, ihre komplette Wohnung ihr für 10 Tage zu überlassen – komplett mit Einrichtung, Technik und Computer.

Den Schlüssel hinterließen sie drei Häuser weiter bei einem Freund. Bei dem klingelten wir dann, mitten in der Nacht, doch es machte keiner auf. Als wir so vor der Haustür standen, kam eine Frau vorbei, die die Tür öffnete und fragt, ob sie uns helfen kann. Wir erklärten unsere Situation und sie lud uns in ihre Wohnung ein. Es war mitten in der Nacht und wir weckten ihre Tochter auf, die das Treiben mit großen Augen betrachtete. Sie bot uns was zu trinken und ihr Telefon an, und wir konnten den Schlüsselhalter noch erreichen. Der wusste nur, dass eine Japanerin kommt um nen Schlüssel abzuholen – das reichte schon als Vertrauensbasis. Der Typ, ein türkischstämmiger Kreuzberger aus dem Erdgeschoss, brachte den Schlüssel dann zur Wohnung in der wir waren und meinte, wenn wir noch was brauchen, sollen wir einfach klingeln.

Wir gingen dann drei Häuser weiter, zur eigentlichen Wohnung, und ab ins Treppenhaus. Okay, sage ich, welche Wohnung sollen wir aufschließen? Wie heisst die Person? Die Japanerin machte fragende Augen und schaute auf ihr iPhone. Sie wollte noch einmal auf die Email schauen, die sie von dem Besitzer der Wohnung hatte. Doch sie erhielt kein Signal und ihr Softbank Immerüberall-Internet Deal funktioniert eben nicht in Deutschland. Sie hatte allen Ernstes sich nicht den Namen der Wohnungsinhaber auf ein Stück Papier geschrieben, sondern vertraute auf die Technik, die jetzt grad versagte. Womit auch wieder mal das Klischee vom technikbesessenen Japaner, der auf n Stift und Papier verzichtet, bestätigt wäre 😉

Ich bin also nochmal zum türkischen Nachbar, drei Häuser zurück. Ich klingelte und es öffnete eine stämmige Dame, ebenfalls mit türkischen Akzent. Ich fragte ob ihr Mann zuhause ist und sie verneinte. Ich meinte, ich hör doch einen Mann dahinten. Sagt sie, hier gibts schon einen Mann, ist nur eben ihr Mitbewohner und nicht ihr Mann. Sichtlich amüsiert kam dann Kerl von hinten vor. Ich meinte, dass wir nicht wissen in welche Wohnung wir sollen. „Kein Problem, komm ich mit“ sagte er um 2 Uhr nachts in Berlin Kreuzberg und begleitete mich wieder drei Häuser weiter. Als seine Mitbewohnerin außer Hörweite war, meinte er auch zu mir, dass das schon ca. 30 mal vorgekommen ist, dass sie nach ihrem Ehemann gefragt worden ist, wenn er gemeint war.

Wieder zurück im Treppenhaus fanden wir dann die richtige Wohnung, die größer war als das gesamte Haus der Japanerin in Tokyo. Die kam aus dem Staunen nicht mehr raus und wollte am liebsten für immer hier im Kiez wohnen. Ich war nach all dem Gerenne einfach nur müde und schlief auf der Couch ein.

Heute morgen gab es dann im Sonnenschein ein ordentliches Frühstück in einem Café in Kreuzberg, zwischen Alleen und Parkanlagen. Was mich an Kreuzberg immer wieder fasziniert, ist, dass Integration hier funktionierte. Wenn du nach Kreuzberg ziehst, bist du Kreuzberger. Egal ob du aus Lybien, der Türkei oder Schwaben kommst. Du bist wie alle hier Kreuzberger. Vielleicht haben wir auch deshalb so viel Vertrauen genießen dürfen, weil wir mit der Übergabe des Schlüssels auch zu Kreuzberger wurden – auch wenn es nur für 10 Tage ist.
Beim Frühstück ist der Japanerin auch aufgegangen, dass wir in Deutschland ein anderes Steckdosensystem als in Japan haben, und sie keinen Konverter mitbrachte. Da nützt auch japanischer High-Tech nix, wenn deutscher Kartoffelstrom nicht ans Gerät passt.

Auf dem Weg nachhause in der Ubahn wurde ich einmal angebettelt und zweimal angeschrien, allerdings von irgendwelchen Verrückten, die eben auch in dieser Stadt rumlaufen und auch zu ihrem Charakter gehören. Das find ich dann noch amüsant, aber wenn man nur aus Hass und nichts als Hass andere anschreit, hört es auf.

Es gibt in Berlin vieles, was man vermeiden sollte. In der letzten Nacht sind Sachen passiert, wo es nicht nur beim Schreien blieb: In Charlottenburg wurde ein 26-Jähriger von zwei Männern ohne Vorwarnung und erkennbaren Grund ins Gesicht geschlagen und danach auf die Gleise geworfen, am Alex geriet eine 22-jährige Frau in Streit mit 8 Personen, von der einer sie zusammengeschlagen hat und als sie bewusstlos am Boden lag noch mehrmals gegen den Kopf getreten hat und ein betrunkener Idiot hat drei Polizisten verletzt, u.a. in dem der den Finger eines Beamten so lange nach hinten gebogen hat, bis er brach.

Das Alles passierte, neben anderen Sachen, allein in der letzten Nacht in dieser Stadt.
In der letzten Nacht nahmen aber auch Kreuzberger Nachbarn zwei Fremde bei sich auf.

Bei der Dame, die uns letzte Nacht geholfen hatte, bedankte ich mich und schilderte mein Erlebnis aus der S-Bahn. Ich dankte ihr vorallem, dass sie meinen Glauben an die Berliner wieder hergestellt hat.

„Danke“, sagte sie „aber ich bin garnicht aus Berlin, ich bin vor Jahren nach Kreuzberg gezogen“

Geschichten aus einem deutschen Restaurant in Tokyo: Meine Kollegen

In Tokyo habe ich mehrere Monate als einziger deutscher Kellner in einem deutschen Restaurant gearbeitet. Ich habe die Zeit sehr genossen. Hier nun ein paar Geschichten aus dieser Zeit.

Sie hatte immer was gegens Fotografieren, auch wenn ich ihr versicherte, dass ich Profi bin und keinen Schabernack treibe

Jeden Feierabend, immer ca. 23.30 Uhr, nachdem die letzten Gäste gingen, setzten wir uns alle zusammen hin und tranken noch was. Meine Kollegen meist ein frisches Bier, ich einen Ananassaft oder eine Cola. Ich mochte diese Runden am Abend. Es war alles ungezwungen, keine Analyse vom Tag oder ein Fazit, was man besser machen müsste, wie es bei deutschen Betrieben der Fall ist, wenn alle am Ende des Tages zusammen kommen. Man konnte reden, oder nur schweigen, oder sich komplett verabschieden. Es gab keinen Druck oder sozialen Zwang. Mir persönlich war es immer recht, mich über eventuell dämliche Gäste vom Tage zu beschweren oder Witze drüber zu machen, wenn sie besonders nervig waren. Dann haben wir drüber gelacht und der Stress vom Tag war vergessen.

Das Restaurant hatte nur zwei feste Angestellte, der Rest bestand aus Teilzeitkräften. Erstaunlich fand ich, was meine Kollegen, fast alle jung und in meinem Alter, nebenbei machten.

Einer war Student an der Elite-Uni Waseda, kam aber ursprünglich aus Hakodate auf Hokkaido, dem kalten Norden, wo seine Familie in einem Tempel wohnt (und auch betreibt). Wenn er mit dem Studium fertig ist, wird er wieder zurück gehen und den „Familienbetrieb“ weiterführen, unabhängig vom Abschluss. Und so wie ich ihn verstanden habe, ist die Zeit in Tokyo für ihn hier, wo er alleine lebt, auch eine kleine Auszeit von diesen Pflichten. Auch wenn diese Teilzeit ihn Studiengebühren von über eine Million Yen (10.000 Euro) kosten (die wohl seinen Eltern zahlen werden). Er studiert Deutsch und Jura (hängt in Japan beides zusammen, da einige Sachen im japanischen Rechtsystem auf dem deutschen basieren), Englisch hatte er auch belegt, doch sprechen konnte er beide Sprachen nicht. Er war von Allen dort der cleverste und wusste das auch. Er wusste auch, dass ich sein Japanisch oft nicht verstand – er sprach Dialekt und sehr schnell – was er manchmal ausnutzte. Dafür zog ich ihn dann mit seinem schlechten Englisch auf 😉

Er kam oft direkt von der Uni ins Restaurant und hatte so seine Bücher dabei. Ich bat ihn einmal, mir sein Englisch-Buch zu zeigen. Wie erwähnt ist Waseda eine Elite-Uni auf einem hohen Niveau. Sein Englisch-Buch erinnerte mich allerdings an die Bücher, die ich in der Grundschule in Englisch hatte. Ich las dann mal eine Übung aus dem Buch vor, eine Frage auf Englisch: „Was würdest du mit einer Million Dollar machen?“. Der Student überlegte lange und nahm mir dann das Buch weg, um die Antwort nachzuschlagen. Mit Japanern und Englisch ist das ja immer so ne Sache 😉

Trotzdem war der Kerl wirklich klug. Er konnte mir alle deutschen Bundeskanzler und sogar einige Bundespräsidenten aufzählen – viele deutsche Studenten scheitern ja schon daran. Er spielt auch wie ich das japanische Brett-Spiel Go.


Tischmeister

Ein Anderer, ich nannte ihn immer Teberu-Sensei (Tisch-Lehrer), weil er immer die Tische kontrollierte, die ich gedeckt hatte und notfalls korrigierte.

Bei ihm merkte ich stark, dieses Senpai-Kohai System, was in den Japanern drin steckt. Grob kann man sagen, dass der Senpai jemand ist, der älter ist und mehr Erfahrung hat, und seinen jüngeren Schützling, dem Kohai, alles erklären muss. Das kann allerdings auch in einer Befehlskette ausarten, oftmals sollte ich nen Tisch abräumen, weil er als mein Senpai keine Lust dazu hatte. Mit ihm verstand ich mich mit am Besten, durfte ihn auch beim Vornamen nennen. Allerdings stritt ich mich auch mit ihm am Meisten. Oftmals, weil ich etwas falsch verstanden hatte.

Wenn mal nix zu Tun war, lernte ich Japanisch. Meine Kollegen halfen mir dabei manchmal, in dem sie Sachen erklärten und aufschrieben. Es machte jedoch mal ein Zettel die Runde, der mir garnicht gefiel. Übersetzt hieß es: Fritz‘ erste Worte waren Schnitzel und Bretzel.
Ich empfand das als beleidigend, nahm den Zettel, zerknüllte ihn und warf ihm dem Schreiber, dem Tisch-Lehrer, ins Gesicht. Der war sehr erbost, doch vor den Gästen prügelt es sich schlecht. Wir sprachen den Rest des Abend kein Wort mehr miteinander.

Eine Woche später erzählte ich dem Oberkellner die Geschichte, der musste nur Lachen und erklärte mir, wie das gemeint war. Es war eine Art Sprechübung, vor Beginn der Arbeit. Dass da mein Name mit Bretzel und Schnitzel stand, lag einfach an einer ähnlichen Aussprache der Worte im Japanischen, an dem ‚tsu‘-Laut in der Mitte. Ich hatte dann eine Woche lang schlechtes Gewissen und als ich ihn das erste mal wieder sah, verbeugte ich mich tief und entschuldigte mich, weil das ja in Japan so üblich ist. Er wusste erst nicht warum ich mich entschuldige, ich erkärte es ihm und er meinte nur „Ach das? Is doch egal“ und lächelte. Toleranz für interkulturelle Missverständnisse haben Japaner wohl mehr als wir.

Ein anderes Mal stand er mir im Weg und ich trat ihn sachte gegens Bein, dass er sich doch bewegt. Fand er gar nicht cool und in der Küche trat er dann zurück. Dann waren wir aber auch quitt.


Eine echte deutsche Ritterstatue! Der Chef prahlte gerne vor Gästen, dass die direkt aus Deutschland kommt und 300.000 Yen (ca. 2800€) gekostet haben soll. Der Oberkellner meinte immer nur dazu, dass der Ritter je nach Geschichte mal 300.000 Yen, mal 200.000 oder mal 150.000 Yen gekostet haben soll. Wir mutmassten beide, dass er den wohl für 100€ aufm Flohmarkt gekauft hatte und nun was vom (metallenen) Pferd erzählt

Ein Brauch, den meine Kollegen überhaupt gar nicht kannten, und ich ihnen beibrachte, war das kollegiale High Five. Immer wenn ich mich freute, grad eine coole Aktion oder Leistung passierte, oder einfach zur Begrüßung, hob ich die Hand um mit meinem Gegenüber die Freude zu teilen. Zu Anfang hatte ich oft die Hand oben und wurde nur verdutzt angeschaut. Mit der Zeit lernten sie aber, wie ich das meinte und erwiederten es freundlich.
Der Oberkellner erklärte mir mal, dass Japaner ein Volk von Samurai sind und „Samurai machen nicht High Five“. Samurai verbeugen sich vor einander. Sag ich gut, die Deutschen sind ein Volk von Fußballspieler, und da klatscht man nun mal ab. In Japan kennt man ein High Five auch nur als „High Touch“ aus dem Sport. Im Alltag eher unüblich.

Mit den Gästen klatschte ich auch ab und an ab, wo es dann heftige Kritik vom Senpai gab, dass man doch sowas nicht macht. Die Gäste fanden diesen „Regelbruch“ aber eigentlich sehr witzig und machten auch immer mit. Als ich dann beim Oberkellner nachfragte meinte der nur „Fritz ist Ausländer, der darf das“. Fand ich in dem Augenblick cool, aber für die Gruppenharmonie war das nicht gut.

Das heisst nicht, dass ich von da an gehasst wurde. Aber es war klar, dass ich eine Sonderrolle unter meinen Kollegen hatte. Natürlich, als einziger blonder und Deutscher in einem deutschen Restaurant in Tokyo würde ich immer eine Sonderposition haben. Doch neben dem Zoo-Faktor hatte ich auch Sonderrechte, wie z.b. mal einen Scherz mit dem Gast zu machen, oder mich zu meinen Freunden, wenn sie mich besuchten, an den Tisch zu setzen.

Im Allgemeinen war es immer harmonisch, aber so manchmal merkte ich doch schon, einen gewissen Neid.
Manchmal nervten sie mich auch mit der Aufforderung „Lern Japanisch!“, wenn ich etwas nach dem 5. Mal nicht verstanden hatte. Das war durchaus richtig, aber irgendwo auch frech. Ich wagte mich in Japan an meine dritte Fremdsprache, wo ich bereits eine fließend spreche und eine andere zumindest verstehe. Das Einzige was meine Kollegen konnten war Japanisch und drei/vier englische Wörter. Trotzdem halfen sie mir sehr oft beim Lernen und waren absolut geduldig.

Der Kollege, der am gleichen Tag wie ich das Vorstellungsgespräch hatte und dort auch genommen wurde, war mit seinem Universitäts-Team Boxing-Champion von ganz Japan. Die Uni und Boxen hat er leider abgebrochen und fing dann einige Wochen später in meinem Restaurant an. Ich fragte ihn mal wie lang er das hier machen will und er wusste nicht. Wahrscheinlich weiss er so vieles grad nicht in seinem Leben und stürzte sich so in die Arbeit. An sechs Tagen in der Woche stand er im Restaurant, damit verdiente er nicht schlecht. Er lebt alleine in Tokyo, doch was er mit all dem Geld machen will, wusste er nicht. Erstmal sparen war ja auch nicht verkehrt.

Mit ihm verstand ich mich am Besten, vielleicht auch, weil wir zur selben Zeit angefangen haben. Er war zu Anfang sehr schüchtern und reserviert, doch ich hatte das Gefühl, dass sich da ein sehr amüsanter Geselle versteckt. Ich sollte recht behalten. Er hatte einen sehr trockenen Humor und konnte großartige Grimassen schneiden. Das traute er sich allerdings nur in meiner Gegenwart, da die Hierarchie zwischen uns flacher war, als zwischen ihm und den anderen.


Theke mit deutschen und japanischen Bier im Fass

Er war allerdings absolut nicht stress-resistent.
Einer von uns musste immer an die Theke um das Bier zu zapfen. Das kann schonmal stressig werden, wenn 20 Leute auf einmal Bier bestellen. Bier hatte die oberste Priorität bei uns, wir sollten lieber mal das warme Essen stehen lassen, um ja nicht den Schaum auf den Bier absacken zu lassen, der musste perfekt sein. Bei diesem Zeitdruck kann man schonmal ins Schwitzen kommen. Der Typ aus Hokkaido war da ein absoluter Profi drin, ließ sich von nix aus der Ruhe bringen und konnte sogar nebenbei quatschen. Der Boxer… der hatte da mehr Probleme mit. Am Nervigsten fand ichs, wenn er laut wurde und mir Befehle entgegen schrie, wenn es unnötig war. Meisten sah er das dann auch gleich ein. Es nützt ja nix, wenn alle im Stress sind.

Sein Name war Shoji, doch gegen Ende nannte ich ihn immer Shojira, nach Godzilla (japanisch: gojira), weil er eines Tages mit einer coolen Igelfrisur aufkreuzte, die an die Zacken einer Echse erinnerten. Das, und die Godzilla Statue, die 100m vorm Restaurant stand, führten zum Spitznamen, den er freudig entgegen nahm.

Wir hatten mal einen großen Armdrück-Abend, weil ich ständig meine Kollegen herausforderte, die aber immer kneiften. Allerdings war das einem Monat nach meinem Unfall, wo ich mir die Hand geprellt hatte. Das war ziemlich dämlich, da schon kurz nach dem Zudrücken ein stechender Schmerz meine Hand durchfuhr – und ihn die nächsten Tage auch nicht verließ. Ich war also draußen, aber meine Kollegen wollten es jetzt wissen. Reihum wurde nun der Stärkste gesucht, und zu Anfang konnte der Oberkellner es auch für sich entscheiden. Bis er dann auf den Boxer traf, der ihm nen heftigen Kampf bot. Mit ganzen Körpereinsatz konnte der Oberkellner es sich dann noch für sich entscheiden. Am nächsten Tag im Restaurant allerdings rieb er sich oft schmerzverzerrt den Oberarm, wenn grad keiner hinschaute. Gewinnen um jeden Preis.

Die Küche bestand aus drei ständigen Mitarbeitern, aus einem Team von insgesamt 5 Leuten, darunter drei Japaner und zwei Leuten aus Bangladesch. Ja, das deutsche Essen in Tokyo wurde von Leuten aus Bangladesch zubereitet, die noch nie in Deutschland waren 😉 Das war aber kein Problem, die konnten gut kochen und sprachen fließend Japanisch – und NUR japanisch. Kein Wort Englisch, was manchmal etwas komisch wirkte, wenn der Ausländer sich mit dem Ausländer in einer dritten Fremdsprache unterhält. Einer der Typen aus Bangladesch war wohl offensichtlich schwul, ständig versuchte er mir in den Schritt zu greifen oder beobachtete mich beim Umziehen. Kein Witz.

Am Anfang machte mir das noch Sorgen, später stellte ich fest, dass wenn ein Schwuler, der kochen kann, auf dich steht, das nicht das Schlechteste auf der Welt sein muss. Oft gabs extra Portionen oder Sondergerichte für mich. Seinen „Angriffen“ konnte ich mich dann auch schnell erwehren und er ließ von mir ab – und wandte sich dem Schritt meiner Kollegen zu.

Mit der Küche hatten wir Kellner wenig zu tun, interessanterweise gabs da eine strikte Trennung. Was mir zu Anfang, als der Typ noch scharf auf mich war, auch ganz recht war. Mit dem Koch, der wohl mal in Deutschland war und immer in Sandalen kochte, unterhielt ich mich dann doch mal, weil er immer so einsam in der Küche rumstand. Der freute sich wohl sehr darüber, sodass er seitdem öfter mal zu unser Sitzung nach Feierabend vorbei schaute.


Wer sich da im Hintergrund wegduckt, hatte schon am Anfang des Beitrags etwas gegen sein Foto

Unter meinen Kollegen waren auch vier Mädels, bzw. drei Mädchen und eine Frau.

Die etwas ältere Dame (verglichen mit dem Rest der Belegschaft), war Anfang 40 und Schauspielerin am Kaiserlichen Theater. Als Schauspieler, sowie allgemein mit Kunst, lässt sich in Japan kaum was verdienen. Und auch wenn sie in Les Miserables mitgespielt hat, zwischen Stücken arbeitet sie als Kellnerin bei uns und in einem Ramen-Restaurant. Teilweise beides täglich.

Sie war echt eine starke Person, zu Anfang wirkte sie deswegen auch recht strikt und ernst, aber sie sorgte sich um ihre Mitarbeiter. Ich meinte an meinem dritten Abend mal zu ihr, dass meine Füße schmerzen. Ich hatte solche schwarzen Edel-Treter, zum Kellnern ungeeignet doch ich hatte keine anderen. Am nächsten Tag schenkte sie mir neue Schuhe, zwar alt und etwas zu groß, aber sehr bequem.
Sie hatte auch immer ein Auge auf mich, falls ich mit etwas Probleme haben sollte. Sie sprach ganz gutes Englisch, wollte aber dass ich Japanisch lerne und sprach deswegen selten Englisch mit mir (nur wenns absolut unumgänglich war). Sie sprach allerdings sehr schnell, sodass ich oft nen Moment zum Verstehen brauchte.

Ein Mädchen, halb Thai, halb Japanisch, war auch dabei. Vielleicht lag es an ihrem nicht nur japanischen Hintergrund, aber mit ihr konnte ich gut rumalbern. Dazu muss man wissen, und das hab ich auch erst sehr spät erfahren, dass Mädels im japanischen Service sehr zurückhaltend agieren sollen. Halt vornehm, höflich und immer das Gesicht wahren. Geisha, ick hör dir trapsen.

Bei ihr war nur mein Problem, dass sie sehr „unhöfliches“ Japanisch sprach, also wie man normal unter Freunden spricht. Damit hatte ich zu Anfang meine Probleme, da ich nur das Lehrbuch-Japanisch kannte. Sie studierte… irgendwas. ich weiss es nicht mehr und sie interessierte das wohl auch nicht so wirklich. Sie schwänzte oft den Unterricht.

Dann war da noch die Künstlerin, die eine Ausstellung auf der Ginza hatte. Sie war recht schüchtern und wirklich sehr zurückhaltend. Umso lustiger war es, wenn ich es mal schaffte mit Geschichten oder Tricks sie aus dieser Rolle rauszukriegen um eine ehrliche Reaktion zu provozieren. Sie war sehr hilfsbereit und auch beim zehnten Mal nicht angenervt, wenn ich sie wieder bat mir etwas aus dem Menü vorzulesen.

Sie malte Gemälde, konnte davon aber, wie auch die Schauspielerin, nicht leben. Sie hatte im Mai eine Ausstellung in einer Galerie auf der Ginza, Tokyo’s teuerster Straße. Für 6 Tage Ausstellung zahlte sie der Galerie 120.000yen, also mehr als 1000€. Ich fragte sie, wie lange sie dafür gearbeitet hatte und sie meinte, ein halbes Jahr. Am Ende verkaufte sie leider nur ein Bild, doch die nächste Ausstellung stand schon an, diesmal im Ausland.

Und dann war da noch das 18 Jährige High-School Mädchen. Sie fing zwar nach mir an, doch arbeitete mehr Tage in der Woche, sodass sie nach kurzer Zeit bereits mein Senpai war. Somit war ich der Kohai von Allen, also ganz unten in der Kette.

Sie spielte irgendwie mit mir, fragte mich ständig ob ich eine Freundin hätte. Wenn ich aber den Versuch unternahm ihr etwas näher zu kommen, wimmelte sie ab. Ich fragte mal, welche Musik sie gerne hört. Sie lächelte, legte den Finger auf die Lippen und meinte: „Das ist ein Geheimnis…“

An meinem letzten Arbeitstag hatte sie zwar keinen Dienst, kam aber zufälligerweise als Gast vorbei – zusammen mit zwei ebenfalls hübschen, 18 jährigen High-School-Mädchen, die ständig zu mir rüberschauten und kicherten. Als sie gingen stand eine von ihnen eine Weile im Gang und suchte meinen Blick. Als sie den dann hatte, lächelte sie und winkte vergnügt. Nicht, dass ich mir mehr vorgestellt hatte, aber ein unschuldiger Spaß wars schon 😉

An dem Abend, wo sie als Gast da war, trank sie auch zum ersten Mal Alkohol. Wie einige vielleicht wissen ist Alkoholkonsum in Japan erst ab 21 gestattet. Mit 18 ist man das in Japan noch nicht gewöhnt. Sie bestellte trotzdem ein Glas deutschen Wein und war kurz danach bereits weggetreten.

Von den Kellnern waren wie gesagt nur zwei fest angestellt, das war einmal der Oberkellner Sakai-san, der mich einstellte und allgemein fürs Personal zuständig war, und sein Vize.

Sein Vize sprach etwas Englisch, welches er aber nur zum Spaß oder für eine Pointe gebrauchte. Sein Humor war sehr trocken, sodass ich oft nicht wusste, macht er nun Spaß oder Ernst. Der Typ war von der Seite gesehen nur 7cm breit! Ein schmaler Hering, der selten im Weg stand, er musste sich nur zur Seite drehen und schon war er weg.

Er arbeitete schon ein paar Jahre hier, immer 5 Tage die Woche. Ich fragte ihn mal, was sein Hobby ist, und er meinte, er hat keins. Der Job sei sein Hobby. „Unglaublich, nicht wahr?“ sagte er, und ich wusste nicht, ob er einen Scherz macht oder nicht. Der Oberkellner meinte mal zu mir, dass sein Vize Pachinko liebt und viel Geld verzockt, auch wenn er nicht wie ein krankhafter Spieler auf mich wirkte, sondern jemand der sehr zufrieden und mit sich selbst im Reinen ist. Der Vize selbst meint er hört gern Enka, eine Art japanischer Schlager, den ich schrecklich finde. Manchmal fing er dann an Enka zu singen…
An meinem letzten Arbeitstag sang er allerdings kein Enka sondern summte mit mir alte Lieder aus Videospielen. Das war ein guter Abschluss.

Und dann natürlich… Der Oberkellner Sakai-san

Sakai-san war für mich die wichtigste Person im Restaurant. Schließlich vertraute er mir und gab mir den Job. Zu Anfang, als das Japanisch noch holperte, war auch als Dolmetscher wichtig für die Verständigung. Er sprach noch das beste Englisch im Restaurant, gebrochen aber umfangreich im Wortschatz. Dementsprechend hatten wir die längsten und intensivsten Gespräche.

Der Typ ist ein absoluter Spaßvogel und er war froh, in mir jemanden gefunden zu haben, der seine Späße mitmacht. Die Anderen trauen sich das nämlich nicht so, schließlich ist er ihr Boss. Auf eine sehr charmante Weise erklärte er mir ohne Druck, was ich und was ich nicht zu tun habe, ohne wirklich ständig Druck zu machen. Eher noch machte einen Witz drüber und ich verstand dann schon.

Gegenüber den Gästen war er natürlich immer respekt- und würdevoll. Fast schon väterlich war sein Einsatz für seine Angestellten, er hatte immer ein Auge auf uns, falls ein Gast wieder etwas wirre Fragen stellte oder uns überforderte, war er schnell zur Stelle und half respektvoll aus, ohne uns zu übergehen oder an die Seite zu drängen. Er war auch der der schnellste, in wenigen Sekunden bewegte er sich von einer Ecke des Restaurants zur anderen, wenn ein Gast wieder die Hände oben hatte.


Ich meinte zu ihm, er soll ma so gucken wie der Chef vom Restaurant (er kann den alten Alkoholiker nicht ausstehen…)

An meinem letzten Tag lobte er mich noch mal. Er meinte, dass er selbst wenig Glauben an mich hatte, mit meinem Japanisch und allem. Doch ich hab mich durchgebissen, mich angestrengt und vorallem mein Umgang mit den Gästen hat ihm imponiert. Das war auch das, was mir am meisten Spaß machte. Natürlich gab es auch dämliche Gäste, aber die überwiegende Mehrheit hat mir eine schöne Zeit beschert.

Sakai-san steht auf Deutschland, er lernt auch Deutsch, wenn im Restaurant grad mal nichts anliegt. Er probierte es ein wenig mit mir aus, auch wenn sein Lehrbuch nur ein sehr altes Deutsch beibringt, was manchmal unfreiwillig komisch wirkte. Zu seiner Hochzeitsreise im letzten Jahr ist er durch Deutschland getourt. Zwei Tage lang war er in Berlin. Er zeigte mir mal die Bilder und er hatte tatsächlich auf einem Foto mein Wohnhaus in Berlin im Hintergrund – auch wenn ich zu dem Zeitpunkt schon in Tokyo war.
Einmal kam er auch als Gast ins Restaurant, zusammen mit seiner Frau, die mich unbedingt mal treffen wollte, den Deutschen der sich hier durchschlägt. Sie hatte meinen Brief gelesen, den ich zu Anfang geschrieben hatte, und war tief beeindruckt, dass ein Ausländer soviel Japanisch hinbekommt. Ihr Lob musste ich mir allerdings teilweise von ihrem Mann übersetzen lassen 😉

Während wir um 17-17.30 Uhr aßen, hält der Oberkellner alleine das Geschäft am Laufen. Er isst dann am Abend, alleine. Wir bekommen dann manchmal Reste, die zu viel waren vom Tag, oder Gerichte, die falsch bestellt wurden. Manchmal, erstaunlicherweise jedoch seltener als die anderen, war ich auch dafür verantwortlich, wenn mal was falsches bestellt wurde, nur weil ich mich verlesen hatte. Ein Schelm wer behauptet, ich hätte das nur gemacht, um am Abend dann was zu Essen zu haben…

Einmal stand nach Feierabend ein großes Schnitzel auf dem Tisch. Ich holte schon die Gabel raus, da schrie der Oberkellner: „Finger weg, das ist mein Schnitzel“. Ich sagte „Sakai’s Schnitzel… Sakatzel?“. Er musste lachen und meinte „richtig! Das hier ist Sakatzel und kein Fritzel“ (Fritz‘ Schnitzel). Wobei der Witz natürlich im Japanischen besser funktioniert. Aber von da an hatte das Essen immer auch den Namen von demjenigen, der es aß. Dämlich, aber auch eine Art Japanisch zu lernen 😉


Winkekatze, die sich in vielen Geschäften Japans und Asien findet. Es gibt welche mit der linken Pfote oben oder nur mit der anderen Pfote. Je nach dem soll es anders wirken. Diese dicke Glückskatze hat beide Pfoten oben, um beide Wirkungen zu erzielen.

Doch bei allem Respekt und Sympathie, die ich für Sakai-san habe, der Typ war echt versaut. Schlimm wars an den Tagen, wo kein Mädel unter den Kollegen war. Ich nannte die Tage dann immer „Soseji Matsuri“ (Würstchen-Fest). Der Begriff fand schnell Anklang, sodass ich an solchen Tagen auch mit den Worten begrüßt wurde. Wenn nur Kerle da waren, ging es nur um Frauen, Sex und alles dazwischen. Das wurde dann allerdings immer so auf dem Niveau von 6-jährigen geführt, als ob es in Japan keine Sexualkunde gibt. Da wird bei „Penis“ schonmal gekichert oder unsachlich über Frauen diskutiert.

Eine Freundin von mir ist Stewardess bei der Lufthansa und kam mich ab und an mal in Tokyo besuchen, so auch im Restaurant. Sakai-san bot mir dann an, früher schluss zu machen, um mit ihr noch den Rest des Abends zu verbringen, denn „für Mädchen kann man schon mal mit der Arbeit aufhören“. Nach ein paar Widerworten nahm ich dankend an und ging zu meinen Kollegen. Schließlich würde ich sie jetzt im Stich lassen, wenn ich jetzt gehe und eine Arbeitskraft fehlt. Ich fing an zu erklären, da kam Sakai-san schon an und erzählte, dass ich jetzt mit nem Mädchen weggehe. Meine Kollegen dann so „Alles klar! Go Fritz go!!“ – es war also kein Problem.

Am nächsten Tag musst ich mir dann natürlich viele Fragen gefallen lassen, was ich wie mit dem Mädchen gemacht habe, wie weit ich ging und was auch immer. Dass sie nur eine Freundin war, verstanden sie nicht. Auch nicht die Küche, die fragte ob ich „jeden Tag Sex habe“, da ich ja in einem Haus mit 7 Mädchen wohne. Tz tz tz…

Das meine Kollegen, zumindest die unter 30, allesamt Jungfrauen waren, versteht sich von selbst. Der Oberkellner natürlich nicht, denn der ist ja verheiratet. Ich fragte ihn mal, ob er Kinder will. Er sagte ja, er probiert es. Jede Nacht probiert er es…

Sakai schreibt sich mit den Zeichen für Alkohol und Brunnen, also eine Quelle des Suffs sozusagen. Ein passender Name für jemanden in einem deutschen Restaurant, wo größtenteils Bier und Wein ausgeschenkt wird.

Sakai-san ist seit über 10 Jahren dabei, und auch wenn der Job ihm gefällt, er ist zunehmend gelangweilt. Fünf Tage die Woche mit nur zwei Wochen Urlaub im Jahr, jeden Tag dasselbe, dieselben Gerichte und manchmal dämliche Gäste. Wenn es keine Abwechslung gibt, schlägts aufs Gemüt. Doch er ist verheiratet, will Kinder und brauch halt das Geld. Verdienen tut er im Laden nicht schlecht, und es ist kein Job, der einen umbringt. Doch etwas wehmütig kommentierte er meinen Abschied. „Du bist Fotograf, Fritz, du könntest überall hingehen und dort arbeiten. Mich wirst du immer hier in Tokyo finden“ – sagte er, und seufzte.