Ein Klient hatte mich zum Hanami im Inokashira Park in Koenji eingeladen, am letzten Wochenende der Kirschblütensaison 2010. Der Wind ließ die Blüten regnen.
Zu Kirschblüten und Japanern wurde schon soviel geschrieben, jedes Jahr aufs Neue das Gleiche oder Ähnliches. Ich hab nur eins dazu zu sagen: Wenn Bier und Wurst einmal im Jahr auf Bäumen blühen würde, hätten wir diese kollektive, blinde Begeisterung in Deutschland auch. Und ja, ich würde Wurstbäume begrüßen.
Ich hatte ein Shooting am Freitag und der Klient lud mich dann am folgenden Sonntag zum Hanami (Picknick unterm Kirschbaum) im Inokashira Park in Kichijoji ein. Es sollte auch mein ehemaliger Mitbewohner kommen, der mich damals an ihn vermittelt hatte.
Hanami ist, wenn man es ehrlich betrachtet, auch nur eine Gelegenheit zum kollektiven Saufen – etwas was mich eher abschreckt. Aber da ich in diesem Jahr, in dem ich in Japan bin, arbeits- und krankheitsbedingt kaum etwas von den Kirschblüten mitbekommen habe, wollte ich mir das mal geben. Ich bin zwar kein Blumen-und-Blüten-Fotograf, und ein Motiv was alle anderen schon millionenfach fotografiert haben, finde ich eher unspannend, doch was soll man machen, es ist nun mal Kirschblüten-Saison in Japan…
Bei 23°C und Sonnenschein bin ich mit dem Rad die 10km zum Inokashira Park gefahren, eine schöne Strecke durch ruhige Gegenden mit kleinen Häusern. Schon auf dem Weg zum Park konnte man lauter Kirschblütenbäume sehe, die einfach mal massig in Japan angepflanzt sind – für ihre drei Wochen Ruhm im Frühling.
Der Park hat einen mittelgroßen See, den man mit ausgeliehenen Tret- und Ruderbooten befahren kann
Ich kam drei Stunden später als eigentlich angesagt wurde. Ich hatte Anfang März schonmal ein Shooting im Inokashira Park, hatte aber keine Zeit mir den damals genauer anzuschauen. Also lief ich erstmal umher und suchte die Leute. Ein Haufen Ausländer findet sich bestimmt leicht, dacht ich. Doch denkste, unter den tausenden trinkenden, johlenden Gruppen konnte ich die betrunkenen Gaijins nicht ausmachen, zumal die einzigen Beiden, die ich kannte, nicht anwesend waren, wie ich später erfuhr. Was solls, dachte ich, geh ich halt rum und mache Bilder.
Andere dachten ebenso, obwohl sie den Pinsel statt Kamera nutzten.
Na, alles perfekt?
Lieber noch mal nen Strich nachziehen…
Andere genossen lieber still.
Andere checken die Kamera ob auch alle Kirschblüten es in Pixel geschafft haben.
Ich bin dann zu einem kleinen Schrein gekommen, wo eine Art Aufführung und Programm lief. Alte und junge Menschen in Masken und klassischen Kostümen, traditionelle Musik und Gedöns.
Der Schrein ist Benzaiten gewidmet, einer „rachesüchtigen Liebesgöttin“, die ursprünglich aus Indien stammt und im Laufe der Jahrhunderte irgendwie japanisiert wurde. Zudem prangte überall im Schrein das Wappen des Hojo-Samurai Clans (dazu hier mehr, mehr so mittig im Artikel). Wie sich das alles im Laufe der Geschichte zusammengefunden hat, und ob die es da nur aufgebaut haben, weil sie es voll cool fanden, das mag man heut nicht mit Bestimmtheit sagen. Es ist jedoch allgemeiner Aberglaube, dass Benzaiten dafür verantwortlich ist, dass Paare, die sich eben diese Boote auf dem See ausleihen und romantische umhergondeln, nach dem Ausflug flugs trennen.
Ob jetzt ein Gott dafür verantwortlich ist, oder einfach die Situation, mit seinem Partner auf einem engen Raum isoliert zu sein, sich dabei heftig zu konzentrieren, damit man die vielen anderen Boote nicht rammt und dabei Manövriertipps vom Partner hören muss – es sei dahingestellt.
Dazu ein Schlag aus meiner Jugend: Im Sommer 2003 machten wir eine Klassenfahrt in die Tschechische Republik, erst in die Bergen und dann nach Prag. Mein Lieblingslehrer, den ich bis heute schätze und mit dem ich in Kontakt bin, war damals Klassenlehrer. Er ist leidenschaftlicher Ruderer, das bedeutete also für fast jeden Wandertag und Klassenfahrt einen Ruderausflug (später hatte ich dann bei ihm auch einen Ruderkurs).
Ich war im Boot mit einem meiner besten Freunde – doch am Ende des Tages hatte ich die Schnauze voll. Ich war so angepisst, 6 Stunden harte, körperliche Anstrengung in einem Scheissboot mitten auf einem scheisstschechischen Fluss zu sein. Rudern strapaziert die Nerven, ist aber ein prima Beziehungstest. Achja, er ist weiterhin einer meiner besten Freunde.
Inzwischen hatte ich auch endlich eine Antwort auf die Nachricht, die ich an meinen Klienten geschickt hatte („Wo seid ihr??“). Er meinte, ich soll eine Kiko anrufen. Das tat ich auch, auch wenn die von nix wusste. Irgendwie schafften wir es dann, uns zu treffen und ich kam zur Gruppe meines Klienten. Er selbst war seit Stunden verschollen und mein ehemaliger Mitbewohner ist nicht gekommen. Untereinander kannten sich alle auch kaum, was, gepaart mit Alkohol, eine prima Basis für offene Gespräche lieferte, da es keine etablierten Grüppchen gab. Es war von 10 Leuten nur eine Japanerin, der Großteil amerikanisch (und betrunken). Ich fragte nur nach Tee, verteilte meine mitgebrachten deutschen Gummibärchen und machte mich beliebt.
Als der allgemeine Alkoholpegel ein unangenehmen Level erreichte, zog ich es vor Bilder zu machen.
Ist mir leider erst im Nachhinein aufgefallen aber: Achtet mal auf links unten im Bild. Die Frau rudert und der Kerl liegt bräsig im Boot ^^
Bevor wieder einer mault, im obigen Bild habe ich etwas getrickst – und zwar schlampig. Ich fand das Motiv mit der Dame recht schön, nur sitzt hinter ihr ein Typ, den wollt ich wegretuschieren. Ich lade jeden ein, es besser zu tun als ich, hier ist das Original.
Der Wind wurde immer kräftiger und pustete schon eine ganze Weile die Blüttenblätter durch die Bäume und aufs Wasser. Auf einmal kam ein recht heftiger Windstoss und alle im Park machten „Oooooooohhhhh!“. Alle. Ein wahrer Blütenregen setzte ein, verstummte jede Konversation und ließ jeden Menschen im Park nur auf diese Naturpracht schauen.
Wie Schnee im Frühling.
Diesen Moment im Park, diesen Moment der kollektiven Begeisterung, den teilten wirklich Alle. Jung und alt, Japaner oder Ausländer. In dem Moment zählen die Kirschblüten mehr als alles anderes. Vielleicht macht diese kollektive Begeisterung für etwas Reines und Schönes die Faszination von Sakura aus – mehr noch als „wir pflanzen sie an, weil sie halt schön sind“ (Zitat einer japanische Freundin)
Ich hätte gern ein Model gehabt, sie in die Mitte von dem Blütenregen platziert und Lächeln lassen. Das hätte mehr Lebensgefühl ausgedrückt als all die gezückten Kamerahandys und geöffneten Bierdosen. Apropos…
Ein deutscher Blog beschreibt die Kirschblüten bzw. die Anbetung dieser in Form von Hanami als „Hanami drückt die Einheit von Yin und Yang vielleicht am besten aus“. Wie ich dort schon als Kommentar schrieb, sehe ich es anders. Hanami ist eher die Einheit von Kamerahandy in der einen, und Bierdose in der anderen Hand.
Hier noch ein paar unsortierte Impressionen:
Als die Sonne sich langsam verabschiedete und dunkle Wolken auftauchten, verabschiedete ich mich. Mein Klient tauchte dann übrigens doch noch auf. Ich erlebe ihn sonst nur immer als sehr konzentriert und nachdenklich, es war angenehm ihn mal unbeschwert und voll guter Laune zu erleben. Er war jedoch auch schon sichtlich angeheitert. Er stellte mich dann als besten Portraitfotografen in Tokyo vor, was ich nicht unbedingt schlecht fand.
Ich bin dann eine(!) Stunde im Park umher geirrt um mein Fahrrad zu finden, und eine weitere Stunde rund um Kichijoji um den Weg nach hause zu finden. Zwischenzeitlich bin ich dann wieder im Park gelandet, ohne eine Ahnung wie.
Mein Fazit: Sind schon schön, die Sakura – aber ein Wurstbaum hat dann doch irgendwie mehr Substanz.