Ein Jahrhundert fürs Schreiben

Das 1. Semester ist vorbei. Zeit für für einen Rückblick auf die Themen, die ich für die Uni produziert habe.Folge 5

Elfriede Brüning ist mit 101 Jahren die älteste aktive Autorin Deutschlands. Wahrscheinlich sogar die Älteste der Welt. Ihr erster Roman erschien 1934, da war sie so alt wie ich jetzt. Sie ist nicht mehr so gut zu Fuß, aber noch rege im Geiste. Schon zu Zeiten der Nazis war sie Kommunistin und ist es bis heute geblieben. Seit einigen Jahren lebt sie in einer Neubausiedlung im Berliner Friedrichshain, unweit der Karl-Marx-Allee.

Eine passende Geschichte für das Thema ‘Alter’, welches die Uni vorgegeben hatte.

Zunächst war es nicht einfach, zu dem Thema überhaupt eine Geschichte zu finden. Alter ist etwas, mit dem man sich in jungen Jahren nicht unbedingt auseinandersetzt. Es war auch das erste Mal, dass ich nicht die Deadline von zwei Wochen, die von der Uni für die Präsentation der Themen angesetzt wird, einhalten konnte.

Angefangen habe ich ganz methodisch: Ich stellte mir die Frage, was denn alles alt sein kann. Grob kam ich da auf drei Ideen: Personen, Dinge und Konzepte.
Eine Geschichte im Altenheim oder über die eigene Großmutter, wie sie andere Kommilitonen anfertigten, wollte ich nicht machen. ‘Alte Konzepte’ wie Traditionen oder Geschichte sind meist zu abstrakt, als dass man sie grafisch darstellen konnte. Ich versteifte mich dann auf ‘Dinge’ – entweder auf Wein oder Käse, der reifen kann, oder alte Burgen oder Schlösser. Es gibt zwar über 4.000 intakte Burgen und Schlösser in Deutschland, aber davon stehen wenig im Raum Hannover. Und aus einem toten Gebäude kann man nicht so ohne Weiteres eine lebendige Geschichte basteln.

Die alte Dame im Neubau
Mein Vater empfahl mir dann Elfriede Brüning. Er kannte sie persönlich und nahm mich bei einem Besuch mal mit.
Eine 101-jährige abzulichten ist aber nicht einfach. Was sie als Person spannend macht, ihr gelebtes Leben, ist passiert und für die Kamera nicht leicht zu reproduzieren. An Dingen, die in ihrer Wohnung lagen und ihre Vergangenheit zeigen, wollte ich mich nicht aufhalten. Ich wollte mit ihr als Person arbeiten. Doch eine alte Dame kann man nicht von Motiv zu Motiv hetzen.

Ich fragte vorher Kollegen und Dozenten, wie ich das Thema angehen sollte. Man warnte mich schon vor. Ich sollte nicht erwarten, viele Bilder zu finden. Absurd, dachte ich, die Dame ist über ein Jahrhundert alt, hat viel erlebt und sicher viel zu erzählen. Warum sollte ich das nicht in Bildern zeigen können?
Die Antwort fand ich dann beim Fotografieren. Es liegt an der Grenze des Mediums: Ich kann nur zeigen, was passiert. Wenn sich ihre Aktivitäten auf ihr Zuhause beschränken, weil sie nicht mehr fit genug ist, um vor die Tür zu gehen, beschränken sich die Bilder eben auch nur auf diesen Raum. Und tote Gegenstände bringen einem nicht die Person näher.


Die Werke von Elfriede Brüning, rechts die 101-jährige Hand, welche die Bücher schrieb

Eines Tages meldete sich jedoch mein Vater. Ich hätte Glück, sagt er, Frau Brüning will mit einer Freundin ins Konzert. Das erste Mal in Wochen, dass sie das Haus verließ. Und so sehr, wie es sie anstrengte, wahrscheinlich auch das letzte Mal für eine Weile.
Im Konzerthaus am Gendarmenmarkt sah sie sich das Weihnachtskonzert der Don Kosaken an. Nah an der Bühne, denn mit 101 hört man nicht mehr so gut.
Das erste Mal hatte sie den Kosaken-Chor 1945 nach Ende des Krieges auf den Treppenstufen eines zerstörten Konzerthauses in Berlin gehört. Wie oft sie den Chor seitdem gesehen hatte, wusste sie nicht mehr.

Kamera-Kosake
Der Ausflug war schwierig. Sie brauchte mich stets als Gehhilfe, und so hatte ich die alte Dame immer an der Hand und keinen Arm frei für die Kamera. Desweiteren drohte mir das Konzerthaus damit, mir pro angefangener Stunde, die ich dort fotografiert hätte, 150€ in Rechnung zu stellen.
Eine Freundin von Frau Brüning war im Konzert mit dabei. Sie stellte die alte Dame an der Kasse als Hundertjährige vor, doch Frau Brüning korrigierte sie schnell. “Sogar 101!” sagte sie und lächelte dabei stolz. Sie erinnerte mich dabei an ein Kind, das betont schon 6 1/2 zu sein, damit es ja nicht jünger gemacht wird als es ist.
Ich gelangte trotz fehlender Eintrittskarte ins Konzerthaus, weil man wohl dachte, ich sei der betreuende Zivi oder der Enkel. Doch ehrlicherweise blieb ich beim Konzert draußen und konnte die Musik nur durch die Türen hören, die fast so alt waren wie Frau Brüning. Das gab mir auch die Gelegenheit, mich mit dem hübschen weiblichen Personal anzufreunden, die ganz gerührt waren davon, wie ich mich um die alte Dame kümmerte.

Bei der Besprechung der Bilder im Seminar war der Professor zunächst zurückhaltend. Er hatte einige Kleinigkeiten in den Fotos zu kritisieren und beschwerte sich darüber, dass ich ihr Alter oft als Entschuldigung vorschieben würde. Trotzdem meinte er, dass ich die wenigen Motive, die es gab, raffiniert fotografiert habe. Ein Bild, was ich ursprünglich aus der Serie rausgenommen hatte, packte er wieder rein und erklärte fünf Minuten lang den Kursteilnehmern, was das Foto gut macht. Ich hatte es danach immer noch nicht verstanden, aber das Bild mal drin gelassen. Er gab mir auch den Rat, die Serie weiter zu verfolgen. Das nächste Mal werde ich auch mein Aufnahmegerät mitnehmen.

Ich habe Frau Brüning an insgesamt zwei Tagen begleitet. Jedesmal war es auch sichtlich anstrengend für sie. Ich würde sie gern weiterhin begleiten und die Serie vielleicht noch ausbauen. Denn so oft hat man keine Hundertjährige vor der Linse.
Pardon, Hundertundeins.

1 thought on “Ein Jahrhundert fürs Schreiben”

  1. Danke für diesen kleinen Artiekl Elfriede Brüning kannte ich tatsächlich noch nicht. Hat mir gut gefallen, bewundernswert, wenn man mit 101 noch Bücher schreibt.

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