Trommel-Tage

Letze Woche war in Berlin die ITB – die internationale Tourismusbörse. Ich war für Tokyo mit dabei. Hier nun die Szenen einer Messe, die jeden Tag viele Gespräche, Abendprogramm und kostenloses Sushi bot.

Taiko-Trommler aus Japan

Bereits vor einem Jahr auf dem Japan-Festival habe ich für die Tourismusabteilung der Stadt Tokyo bei einer Veranstaltung als Assistent gearbeitet. Die ITB ist im Vergleich allerdings eine Nummer größer und richtet sich auch an Fachbesucher.

Etwas aufgeregt war ich schon. Der erste Gang über die Messe machte mir schnell klar, wie wichtig die Veranstaltung für die Branche ist. Überall blitzte ein hochprofessionelles Lächeln von Verkäufer zu Käufer, von Fremdenverkehrsamt zu Reiseveranstalter. Die Deutschen reisen eben gerne, das Land ist ein riesiger Markt. Über 10.000 Stände aus über 180 Ländern wollen da natürlich ein Stück vom Kuchen. Jede Vertretung schickte oder engagierte die hübschesten Mitarbeiter. Warum ich nun da war, erschloss sich mir daher nicht ganz, und ich hoffte, Tokyo würde für den Rückgang in Besuchern nicht mein Gesicht verantwortlich machen.

Das Messegelände liegt im Westen von Berlin. Von meiner Haustür zum Stand der Stadt Tokyo brauchte ich jeden morgen ca. 35 Minuten. Die Bahn in Berlin fuhr mit Sonderzügen Richtung Westen, die jeden Morgen ordentlich gefüllt waren. Am Bahnhof Messe Süd entlud sich dann stets ein Batallion an Fachbesuchern und Standbetreuern. Lief man hinter ihnen her, trat man in eine wilde Wolke aus Parfüm und Deodorant. Künstlicher Geruch, Kleidung und Make-Up – alles für ein besseres Auftreten und für den Verkauf.
Über 100.000 Personen drängten sich in den ersten drei Tagen durch die Messe, die in der Zeit nur den Fachbesuchern geöffnet war. Erst am Wochenende sollte das Berliner Publikum aufkreuzen.

Japan präsentierte sich zurückhaltend. Nebenan war der Stand von Korea, die ein ordentliches Show-Program boten. Denn nicht nur war der Stand von ihnen größer, sie hatten auch eine live Kung Fu Show, tanzende Roboter und eine Trommler Gruppe. Japan hatte das alles nicht. Doch dafür hat Japan etwas, was die Koreaner nicht haben: mehr Besucher.

Korea kämpfte ehrgeizig um Aufmerksamkeit, während die Japaner zurückhaltend blieben. Man wollte sich anderen nicht so aufdrängen, hieß es. Selbst als bei der Kung Fu Show ein Apfel aus Korea bis zu mir nach Tokyo flog, wurde das Obst einfach ohne Kommentar entfernt.
Die Zurückhaltung sah man auch in der Größe des Standes. Während der Stand von New York und Hong Kong jeweils den Platz eines Einfamilienhauses einnahm, war der Tisch von Tokyo so groß wie der von Hannover (Einwohner und Coolness-Unterschied: 30+ Millionen).

Erst am Besucherwochenende holte Japan die dicken Trommeln raus. Eine Gruppe aus Okinawa hatte unisono in perfekter Abstimmung einige Auftritte und zum Schluss schmetterte ein Taiko-Spieler kraftvoll die Holzschläger auf seine riesigen Trommeln. Ich stand nur ein paar Meter von den großen Apparaten entfernt. Intensiv.

Am Stand von Japan waren die Städte Tokyo, Osaka und Kyoto vertreten, sowie einige Reiseveranstalter, die japanische Bahn und eine Airline. Am ersten Tag gab es zusammen ein Treffen mit der Botschaft in einer Kneipe. Am zweiten Tag lud der Europa-Chef der Airline ANA zu einem Auftritt in die Berliner Philharmonie ein, wo deutsche, chinesische und japanische Musiker im Kammermusiksaal anlässlich des Jahrestag des Erdbeben und der Tsunami spielten. Die Musik war großartig, aber auch sehr dramatisch. Die angeschlossene Fotoausstellung ebenso.
Neben der Botschaft war auch der Deutschland-Korrespondent der Zeitung Mainichi Shimbun beim Konzert, die den Abend auch mitfinanzierten. Ich kannte ihn. Mehrere Male traf ich ihn in Tokyo auf ein Bier, bevor er nach Berlin zog und Deutschland-Korrespondent wurde. Seit meiner Rückkehr blieben meine Mails an ihn allerdings stets unbeantwortet. Er gab sich an dem Abend nun sehr viel Mühe, mich nicht zu erkennen. Ich tat es ihm gleich.

Für die Mitarbeiter am Stand gab es eine Dame im Kimono, die uns Getränke servierte. Jeden Nachmittag gab es auch wunderbares Sushi, welches für Seminare und Gespräche organisiert wurde. Ich glaube, so viel Sushi wie in diesen Tagen habe ich noch nie gegessen. Ich frage mich auch, ob so viel Sushi überhaupt gesund sein kann…


Gespräche
Meine Aufgabe war es, über die Stadt Tokyo zu informieren, Fragen von Reisenden zu beantworten oder Tipps für Interessierte zu geben. Das klappte ganz gut und machte auch Spaß. Oftmals gingen die Fragen auch über eine reine Tourismusinformation hinaus: Wie finde ich Arbeit in Tokyo? Wo bekomme ich ein Visum? Wie sind meine Chancen mit meinen Qualifikationen? Soweit es mir möglich war hab ich geantwortet. Lebensberatung am Stand von Tokyo.

In jedem der Frager sah ich auch ein bisschen von mir selbst. Genau wie sie stand ich mit 21 vor der großen Reise nach Tokyo und hatte noch von nichts eine Ahnung.
Das intensivste Gespräch in der Hinsicht war sicherlich mit einem 23 jährigen Fotografen, der auf einmal vor mir stand und etwas wirr von seiner Idee erzählte. Aufgeregt drückte er mir sein iPad in die Hand und bat mich, die Bilder durchzusehen. Ich musste ein paar mal nachfragen bis ich endlich verstand, was er von mir wollte: er hatte eine Idee zu einem Fotoprojekt, welches er Tokyo anbieten wollte.

Vor drei Jahren, ich war 21 und gerade ein paar Wochen in Tokyo, war ich in der selben Position wie er. Ich hatte ein Idee für ein Fotoprojekt und bot sie Tokyo an. Ich wurde sogar ins Rathaus geladen und hatte ein Gespräch im 32. Stock. Aus dem Projekt ist leider nichts geworden, doch ich bekam die Chance als Fotograf für Tokyo ein paar Aufträge zu machen.
Jetzt, drei Jahre später, war ich nun in der Position zu entscheiden, ob das Projekt Chancen hat und weitergeleitet werden sollte, oder nicht.
Ich musste ihm absagen, da ich Tokyos Politik zu solchen Ideen nun bereits mehr als kannte.

Mit 21 war ich noch naiv und schrieb einfach die größte Stadt der Welt mit meiner Idee an. Heute würde ich das nicht mehr machen. Die Erfahrung stoppt einen dabei und flüstert “Nein, mach das nicht du Idiot!”. Doch frei nach Steve Jobs: Stay hungry, stay foolish. Ein bisschen Naivität sollte man sich wohl erhalten, denn schließlich, auch wenn das Projekt nicht klappte, hat mir der Ansatz nicht geschadet. Im Gegenteil.
Ich würde gerne mal wieder etwas naives wagen.

Es gab aber noch weitere interessante Gespräche. Zum Beispiel mit einem Schweizer Journalisten, den ich bisher nur aus Emails kannte und der mir nun zufällig über den Weg lief, kurz bevor er wieder nach Zürich flog. Oder der Lufthansa-Mitarbeiter, der am Stand anhielt und meinte “Du bist Fritz, oder? Wir haben uns doch vor drei Jahren beim Feuerwerk in Yokohama getroffen!”

Notizen über die Welt (der Messe)

– Der Stand von Israel und der von Palästina werben exakt mit dem selben Slogan: Komm ins heilige Land. Der Werbespruch entspricht dem Staatsmotto – und erklärt, warum eine Halle Abstand zwischen den beiden war, obwohl sie in der selben Region liegen.

– China wirbt mit einer “Visit Tibet” Kampagne. Das ist ungefähr so, als würde Deutschland nach der Besetzung von Frankreich mit einer “Besucht Paris” Kampagne werben. Haben sie damals vermutlich sogar gemacht.

– Der Stand der USA war direkt neben dem von Russland. Die USA warb mit Cowboys, Russland mit hübschen Mädels. Russland hat eindeutig gewonnen in meinen Augen.

Die Besucher
Die Tage für das allgemeine Publikum waren dominiert von der Frage: “Kostet das was/ kann ich das mitnehmen?”

Bei kostenlosen Sachen wird zugegriffen, egal ob man es braucht oder nicht. Stadtpläne, Kugelschreiber oder CDs gingen schnell weg. Darunter auch ein Bildband mit Impressionen aus Tokyo. Die erste Seite darin zeigt eine Stadtkarte von 1848, auf der noch alle Häuser der Samurai eingezeichnet sind, inkl. Wappen der Familien-Clans.
Vor zwei Jahren erst hatte ich das Original dieser Karte von 1848 bei der Recherche in der Staatsbibliothek in Tokyo in der Hand.

Kollege Carsten hatte mich auch mal auf der ITB besucht, ein paar mehr Bilder von der ganzen Messe gibt es in seinem Blog.

Das F-Wort
Im letzten Jahr fand die ITB ebenfalls um den 11. März herum statt. Als nun im letzten Jahr die Erde in Ostjapan wackelte und die Welle ins Land schwappte, strömten ein paar mehr oder weniger kompetente Journalisten auf die ITB zum Stand von Japan. Weil die anschließende Berichterstattung nicht ganz korrekt ablief und die Japaner zu der Zeit auch andere Sorgen hatten, als so zu tun, als gibts in Japan nur Kirschblüten und Samurai, entschloss man sich im letzten Jahr dazu, das Lager vorzeitig abzubrechen.

Nun, ein Jahr später, zum Jahrestag der Katastrophe, wo alle Medien voll sind mit Bildern aus Fukushima, war es natürlich nicht unbedingt leichter, Japan zu bewerben.
Ich zählte jeden Tag mit, wie oft ich nach Fukushima gefragt wurde. Insgesamt waren es nur 21 Personen, die sich bei mir erkundigten. Die meisten, die zu uns kamen, hatten entweder schon ihre Reise gebucht oder waren sich sicher in ihrer Absicht zu fahren. Unter denen, die fragten, waren auch einige völlig absurde Anfragen, bei denen Fakten, Fiktion, Zeitung und Stammtisch zu ganz fantastischen Geschichten aus dem Land des Atoms gebastelt wurden.


Spielten auch beim Abschlusskonzert – Trommler aus Okinawa (Kollege Tokyobling hat neulich auch welche abgelichtet)

Aufgeregt hatte mich allerdings nur eins: Am letzten Tag der Messe gab es ein Abschlusskonzert. Der letzte Auftritt gehörte dabei den Trommlern aus Japan. Die Broschüre der Messe, die auf den Auftritt aufmerksam machte, schrieb dazu: “In Andenken an Fukushima…”

Am Arsch.
Die Japaner spielten in Andenken an die fast 20.000 Menschen, die durch Erdbeben und Tsunami ihr Leben verloren. Niemand muss Fukushima gedenken, zudem nicht klar war, was denn nun aus Fukushima gedacht werden muss: der Stadt, der Präfektur oder doch dem Reaktor? Und so häufig, wie das AKW in den deutschen Medien auftaucht – braucht es da wirklich noch Trommeln zur Erinnerung?

Ich regte mich sehr über diese Formulierung auf. Die Japaner am Stand blieben jedoch ruhig. Sie sagten, es ist egal was die da schreiben, solange wir ihnen gedenken.
Recht haben sie.

Die Messe trommelte ordentlich auf mich ein. Nach diesen anstrengenden Tagen, mit runtergekühlter Luft in der Halle, die ständig neu verteilt, statt ausgetauscht wird, langen Gesprächen und vielen Menschen war ich einfach nur noch müde. Einen Tag nach dem Ende der Messe schon sollte es zurück zur nächsten Vorlesung gehen, nach der ich einfach nur noch ins Bett gefallen bin, hinein in einen Schlaf-Wach Zustand mit schlechten Filmen und gutem Essen.

Die ITB war intensiv – und genau das was ich brauchte. Ich war frustiert mit dem Dasein in Hannover, wo alles halbwegs aufregende nur mit der Uni zu tun hatte. In den fünf Tagen der Messe gab es so viele Kontakte, spannende Gespräche und aufregende Informationen wie in einem ganzen Semester nicht. Einmal mehr zeigte es mir, wie wichtig das eine Jahr in Tokyo für mich war – und ein bisschen Naivität.

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