Endlich Finnland IV: Im Innern des Waldes

Es gibt da einen Ort tief im Wald, sagte sie, da gehen wir heute hin. Sie ging voran und ich hinterher.Stunden entfernt von der nächsten Straße entdeckten wir viel Wasser, einen vergessenen Schützengraben und einen Grillplatz am endlosen Ufer.

Der letzte Tag im Finnland begann im Haus am See. Der Weihnachtsmann war schon zur Arbeit, seine Frau saß noch im Wohnzimmer und schaute fern. Gähnend gesellte sich Tiina dazu. Es lief eine amerikanische Show mit finnischen Untertiteln. Grundsätzlich sind Filme und US-Serien nie synchronisiert, entweder gibt es Untertitel, oder in seltenen Fällen spricht eine Stimme monoton in Finnisch drüber. Die guten Englischkenntnisse der Finnen sollen eine Konsequenz von dieser Fernsehgestaltung sein – auch wenn alle Finnen, die ich sprach, das amerikanische Fernsehen für recht stupide halten.
Kurz vorm Ende der Show verabschiedete sich die Mutter in den Arbeitsalltag. Tiina trottete in die Küche und packte für den Tag.


Aussicht aus dem Küchenfenster

Wir brauchen Fleisch und Zeug, sagte sie. So genau ins Detail gehen wollte sie nicht. Der Ort, sowie das, was wir dort machen und essen, sollte ein Geheimnis bleiben. Tiina meinte nur, sie kennt da nen Ort im Wald, an dem man ein Feuer machen kann.
Wir marschierten los, sie mit Rucksack und ich mit Kameratasche. Ob ich ihr nicht was abnehmen kann, fragte ich. Sie lächelte nur und meinte, meine Kamera sei eh schon schwer genug. Recht hatte sie.

Durch den Garten gingen wir zum See. Diesmal schlugen wir allerdings den Weg links ein, statt rechts, wo der Steg lag. In Ufernähe standen vereinzelt kleine Wohnhäuser. Je länger wir liefen, desto weniger wurden es. Bis schlussendlich keins mehr zu sehen war, und nur noch Bäume den Weg säumten. Mittendrin blieb Tiina stehen. Sie hatte etwas furchtbar wichtiges vergessen. Ich solle nur mal eben hier im Wald warten.
Gerne.

Als ich diese Bilder hier mal in meinem Freundeskreis zeigte, hieß es: “Du bist ein echtes Stadtkind, ne?”. Es stimmt. Auch wenn Berlin im Vergleich mit Tokyo noch sehr grün ist, so bin ich doch zwischen Beton und Platten aufgewachsen. Der Ausflug in die Natur tat mir sehr gut, und ich konnte gar nicht aufhören, Bilder zu machen. Auch wenn es auf meinen Karten eng wurde.

Je weiter wir in den Wald gingen, desto schmaler wurde der Weg. Irgendwann war er ganz weg. Doch Tiina wusste schon, wo es lang geht. Seit sie ein Kind ist, kennt sie diese Wälder. Zwischen den Wurzeln und Trampelpfaden tanzte sie sicher umher, auch wenn ich mehr als einmal stolperte. Wie konnte sie es nur fast zwei Jahre im grauen Tokyo aushalten? Sie lächelte wieder und meinte, dass Finnland zwar sehr schön ist, aber auch tierisch langweilig. Seit sie ein Kind ist, kennt sie eben diese Wälder.

Ich blieb regelmäßig stehen, um Bilder zu machen. Tiinas Vorsprung vergrößerte sich mit jedem Foto. Aber solange rechts das Wasser und links der Forst war, ging es noch.

Irgendwann hatte sie der Wald verschluckt. Ich rief mehrmals und irgendwann entdeckte ich sie dann. Frech grinsend und zufrieden mit all der Natur.

Der Schützengraben

Wir waren bereits einige Stunden unterwegs. Plötzlich stießen wir auf einen Graben, der mit groben Steinen aufgeschüttet war. Eindeutig von Menschenhand gemacht. Von der Zeit vergessen und überwuchert mit Moos.

Tiina erklärte mir, dass dies ein alter Schützengraben ist. Ausgehoben im 2. Weltkrieg, versteckt im Wald und mit Blick nach Osten. Falls die Russen vom See her angreifen sollten. Bis heute ist die versuchte Invasion der Sowjetunion im 2. Weltkrieg nicht vergessen, der direkte Nachbar bleibt suspekt.
Bis zum Ende des Krieges galt Mäntyharju als geheime Militärbasis, auch wenn hier kein einziger Schuss abgefeuert wurde. So erklärte es auch eine verwitterte Tafel neben dem Graben. Fasziniert von diesem Stück Geschichte wanderte ich auf den groben Steinhaufen entlang. Tiina nahm eine andere Route.

Gebaut für den Krieg, erobert sich die Natur den Graben trotzdem zurück. Er hätte vielleicht die Russen gestoppt, aber niemals Moos und Pilze.

Ich hatte Tiina wieder aus den Augen verloren. Erst beim Blick Richtung Sonne entdeckte ich sie. Sie simste ihren Freund.

Oben auf dem Hügel war ein Rastplatz für Wanderer, mit Aussicht und Gästebuch.

Doch wir waren noch längst nicht da, wo wir sein wollten.


Das Bild ist übrigens bis heute mein Desktop-Hintergrund

Kurzzeitig hatten wir uns verirrt. Wir hatten zwar einen Weg gefunden, aber es war anscheinend der falsche. Tiina navigierte nach Gefühl, nicht nach Karte.
Wir gingen wieder zurück, bis sie irgendwann meinte, dass es hier runter geht. Es gab keinen Weg, nur eine Markierung am Baum. Und viel Holz um uns. Tiina marschierte voran, ich hinterher. Nebenbei blieb ich ab und an mal stehen und fotografierte. Als ich mich dann wieder umdrehte, war Tiina weg. Überall nur Bäume. Und kein Weg.

Ich rief. Keine Antwort. Nur Echo. Ich lief weiter in die Richtung, die am wenigsten Hindernisse bot. Vielleicht war es ja der richtige Weg. Ich rief in den Wald. Nix.

Irgendwann hörte ich dann jemand nach mir rufen. Ich kämpfte mich durchs Unterholz zur Quelle der Stimme und da stand Tiina und winkte vergnügt. Gleich sind wir da, sagte sie.

Ich vertraute auf ihren Instinkt und packte die Kamera erstmal weg. Die erste Speicherkarte war eh voll und ich hatte nur noch eine weitere dabei.

Den Hügel hinab, Richtung Ufer, dann fanden wir den Ort, den Tiina versprach. Es war wunderschön.

Es war ein Grillplatz mitten im Wald, mit Hütte und Aussicht. Wir waren mindestens zwei Stunden von der nächsten Straße entfernt und eine halbe Stunde vom letzten Waldweg.


Links ein Klo, rechts Holzscheite zur freien Verfügung.

Der See erstreckte sich vor uns und wurde nur von vereinzelten Waldufern unterbrochen.

Tiina holte die Verpflegung raus und begann den Grill anzuwerfen. Sie hatte an alles gedacht. Grillanzünder, Feuerzeug, Fleisch, Besteck, frischen Tee und sogar Tassen aus Holz. Echt finnisch. Als sie den gesamten Inhalt ihres Rucksacks in der Hütte vor dem Grill ausbreitete, fühlte ich mich direkt etwas schlecht. Das Gewicht meiner Kamera war nix dagegen.

Ganz beseelt nahm ich Platz. Wir waren alleine hier, mittem im Wald. Weit weg von Hannover, von Kopenhagen, von Helsinki. Die Sonne ging langsam unter, als wir am Ufer des Sees saßen. Das Feuer knisterte. Ich packte die Kamera weg. Den Moment wollte ich selbst abspeichern, er sollte nur mir gehören.

Am anderen Ufer zog der Regen der letzten Tage weiter.

Tiina konnte das nix anhaben. Wir räumten auf und gingen durch den Wald zurück.

Die Sonne war nun weg und meine Speicherkarten voll. Kein Grund mehr für Fotos. Aber eins musste ich noch machen, weil Tiina mich drum bat. Am Waldrand stand ein kleiner Fliegenpilz, den wollte sie unbedingt mitnehmen – als Bild.

Müde aber zufrieden kamen wir im Haus ihrer Eltern an. Am nächsten Morgen sollte bereits mein Flieger von Helsinki abheben. Ich setzte die Kamera ab und seufzte.

Als Dankeschön für die Gastfreundschaft der Eltern wollte ich ihnen ein Geschenk machen. Seit 30 Jahren haben sie kein Portrait von sich als Paar fotografieren lassen. Das Letzte war ihr Hochzeitsfoto. Mit den wenigen Speicherplatz in der Karte, den ich noch hatte, wollte ich ihnen eine Freude machen. Also durch den Garten, ab zum See. Die Sonne ging unter, wir hatten noch ein paar Minuten wunderschönes Licht. Ein bisschen friemeln, gucken, testen, verrenken und klack. Da war das Bild gemacht. Ich war zufrieden und zeigte es den beiden.

Nun sind Finnen bekannt als maulfaul und kühl oder distanziert. Seit 30 Jahren das erste Portrait und ihre Reaktion war: “Joa, nett.” Ich zweifelte an mir. Zusammen mit Tiina warf ich noch einen Blick über den See, bis die Sonne hinter den Baumkronen verschwand. Ihre Eltern waren bereits drinnen, der Vater telefonierte und lief dabei durchs gesamte Haus. Ich goss mir ein Glas Moosbeerensaft ein. Tiina grinste die ganze Zeit und übersetzte, was ihr Vater machte. Der war nämlich so happy über das Foto, dass er gleich seine jüngste Tochter in Helsinki anrief um davon zu erzählen. Aber vor mir zeigte er das natürlich nur ungern. Es war mein letzter Tag in Finnland, aber nach dieser Szene verstand ich die Finnen besser als je zuvor.

Sterne überm See

Schon in der ersten Nacht im Haus von Tiinas Eltern fiel mir der Sternenhimmel über dem See auf. Ich war zwar todmüde und in 7 Stunden ging bereits mein Flieger, aber ich wollte nicht ohne ihn gehen. Ich lud Tiina ein, mit mir Sterne zu gucken. Sie hatte noch eine Hausarbeit für die Uni zu erledigen, und wollte dann nachkommen. Treffpunkt war der Steg. Ich ließ mir von der Mutter eine Taschenlampe geben und ging Richtung Sterne.

Ich merkte schnell, Sterne fotografieren ist nicht so ganz einfach. So ohne Stativ und alles. Zudem beobachten mich dabei die glühenden Augen einer Katze oder eines Fuchs.


Eine Chemiefabrik in Mäntyharju

Ich wartete in der Dunkelheit auf Tiina. Irgendwann fiel mir dann auch ein, dass ich ja bestimmt die einzige Taschenlampe des Hauses hatte. Wie sollte sie nun also durch die Dunkelheit kommen? Aber sie ist ja hier aufgewachsen. Kind der Natur. So ein bisschen Nacht kann ihr da bestimmt nix.

Irgendwann sah ich es am Ufer flackern. Sie hatte sich noch eine Fahrradleuchte organisiert und um den Kopf gebunden. Dazu sprach sie am Handy mit ihrem Freund. Sie hatte sich wohl doch in der Dunkelheit gegruselt und brauchte eine Stimme, die sie ablenkt. Auf dem See und unter den Sternen war das aber alles nicht mehr wichtig.


Ich bat sie, sich so für das Bild hinzulegen. Sonst hat sie natürlich mehr auf die Sterne, als ihr Handy geschaut.

Auf dem Weg zurück war sie dann nicht mehr alleine. Kurz vor ihrem Haus legte sie sich draußen hin. Sie wollte noch nicht rein, sondern mehr Sterne gucken. Ich legte mich auch auf den kalten Boden. Augen nach oben.


Die Milchstraße

In dieser Nacht zog ein Metoriten-Schauer an der Erde vorbei. Aber das sollte ich erst später erfahren. Während ich noch mit der Kamera hantierte, um ein Bild zu kriegen, zählte Tiina Sternschnuppen. Sie sah drei Stück. Ich sah keine einzige durch meine Kamera.

Mit dem Gesicht voran fiel ich anschließend auf das Bett von Tiinas Schwester. Der Vater würde mich in ein zwei Stunden zum Bus bringen, der mich zum Flughafen bringt.
Na dann kurze Nacht.

Endlich Finnland
Teil 1 – Train Job
Teil 2 – Helsinki ist nicht hell
Teil 3 – Im Haus am See
Teil 4 – Im Innern des Waldes
Teil 5 – Schlaflos in Kopenhagen
Extra: Das Saunamobil

4 thoughts on “Endlich Finnland IV: Im Innern des Waldes”

  1. Ich muss zugeben, in der Vergangenheit war ich nicht so begeistert von deinen Fotos – dafür interessiert an Tokyo 😉 – aber in letzter Zeit sind die echt beeindruckend. Weiter so. 🙂

    1. na man wird ja besser 😉
      Wenn du meinst, dass du in Vergangenheit nicht so begeistert von meinen Bildern warst, welchen Zeitabschnitt meinst du genau? Damit ich weiß, wo ich mich noch verbessern kann.

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