Langer Pariser


Ich war ja letzten Herbst in Paris. Und in Tokyo. Und Rom. Ich hab auch überlegt, ob ich daraus eine mehrteilige Nacherzählung wie mit Finnland mache. Aber das Video, was ich damals direkt danach zusammengeschnitten habe, erzählt viel visueller und stärker, wie die Reise war und wie sie sich anfühlte. Mehr als ich mit einer Bild-Text-Kombination vermitteln könnte – und das ist eine Erkenntnis, die mich selbst sehr überrascht.

Mein preiswertes Ticket nach Tokyo (250 Euro für hin und zurück), ging nicht über Berlin, sondern über Rom und Paris. Auf meinem Rückflug konnte ich dann gleich eine Freundin und Kollegin dort besuchen. Sie ist eine deutsche Fotografin, die ich in Tokyo kennenlernte und lange Zeit in London lebte. Nun unterrichtet sie Fotografie in Paris. Unter dem Dach ihrer Maisonetten-Wohnung bot sie mir eine Matratze an. Der Kater freute sich.

Beinahe wäre ich in der Nacht meiner Ankunft irgendwo in Paris gestrandet. Mein Handy konnte meine Freundin nicht erreichen. Ein arabisches Internet-Café an der Ecke hatte aber noch knapp 10 Minuten geöffnet. Genug Zeit, um per Facebook eine Nachricht zu schicken. “Bin an der Ecke, komm mich holen”
Richtung Eiffelturm lag dann ihre Wohnung.

Mein Zugticket nach Deutschland lag schon bei ihr auf dem Schreibtisch. Ich hatte nämlich vor meiner Reise bei der Bahn angerufen. Mein Job in Kopenhagen lag nur wenige Wochen zurück. Ich meinte: “Ich flieg demnächst mal nach Paris. Ist es vielleicht möglich, dass Sie mir ein Ticket nach Hannover geben können?” – im Austausch gegen Bilder, versteht sich.
Da sie mit meinen Kopenhagen-Fotos sehr zufrieden waren, dauerte es nicht lange, bis die Zusage kam. Das Ticket habe ich dann der Freundin in Frankreich schicken lassen.

So bin ich dann im 1.Klasse Abteil von Paris nach Hannover gefahren. Für null Euro.
Bedingung war halt nur, dass ich noch Bilder aus der Stadt liefere. Also Eiffelturm überall.

Ich war nur zwei Nächte in Paris. Kaum Zeit, um im Jetlag noch viele Bilder mitzunehmen. Ich suchte mir einfach eine Route aus und ging einige Sehenswürdigkeiten ab.
Vor mehr als zehn Jahren war ich schon einmal in Paris. Damals noch zusammen mit den Eltern. Oben auf dem Eiffelturm und mit hundert anderen Touristen in Versailles. Musste diesmal nicht unbedingt sein.

Insgesamt war ich überrascht, wie viel Französisch ich noch beherrschte. Fünf Jahre auf dem Gymnasium reichten aus, um noch 80% zu verstehen. Ich konnte zwar keine Sätze mehr formulieren, aber ich verstand fast alles. Ich denke, noch mal ein paar Monate Frankreich, und ich kann es fließend. Meine Französischlehrerin Frau Gudrun Bernhagen wäre stolz auf mich.

Nikki, bei der ich zuvor 12 Nächte in Tokyo blieb, warnte mich noch. Als sie vergangenes Jahr in Europa war, ist sie auf einen Betrüger reingefallen und hat so 70 Euro verloren. Das wird mir schon nicht passieren. Dachte ich.

Nachdem ich das obige Foto machte, kam mir eine ältere Dame entgegen. In ihrer Hand hielt sie einen massiven, glänzenden Ring. Auf Englisch fragte sie mich, ob das mein Ring sei. Sie hatte ihn gerade gefunden, sagte sie. Ich verneinte und sie schaute mich eine Weile an, nahm meine Hand, und drückte den Ring hinein. Bevor ich reagieren konnte, erzählte sie bereits.
Sie stammt aus Jugoslawien, die Liebe hat ihr kein Glück gebracht. Von ihrem Mann lebt sie getrennt. Ich sollte den Ring nehmen und mehr Glück in der Liebe haben, sagte sie mir. Ich stammelte noch schnell “merci” und dann ging sie auch schon.

Nach zwei Schritten, die ich langsam in die andere Richtung ging, rief sie mir etwas zu. Ob ich etwas Geld habe, für etwas zu essen. Ich kramte in der Hosentasche. In der linken Hand hielt ich nun den Ring, in der rechten 1,60 Euro, die ich als Wechselgeld am Arc de Triomphe für ein Sandwich bekam. Mehr hab ich nicht, sagte ich ihr. Sie meinte, der Ring sei doch mehr wert als das. Meinen 20 Euro Schein in meiner Geldbörse wollte ich ihr nun aber wirklich nicht geben und meinte erneut, mehr habe ich nicht. Sie lächelte mich an, verharrte kurz, nahm den Ring und die 1,60 Euro, und verschwand.
Ich war ihr nicht mal böse.

Am folgenden Abend fuhr mein Zug vom Gare du Nord ab. Ich kaufte mir noch eine Tüte mit gemischten Nüssen – mein Geheimtipp um auf langen Reisen dem Hunger vorzubeugen – und stieg in den Zug ein.

Es dauerte eine Weile, bis ich einen Schaffner fand, der Deutsch sprach. Es war mein fünfter Fototermin in einem Nachtzug und wieder wusste keiner über mein Kommen Bescheid.

Es gab eine kleine Motivliste von der Bahn. Allerdings gab es dazu auch den Hinweis, nur leere Abteile zu fotografieren. Der Zug war aber fast ausgebucht, also gab es kaum etwas zu tun. Es blieb somit nur noch mein Zimmer übrig.

In der Dunkelheit finde ich inzwischen blind die Lichtschalter im Nachtzug. Sie sind immer an der selben Stelle. Neben dem Kopfkissen.

Vor Feierabend ging ich den kompletten Zug noch zweimal ab.
Es war der erste Nachtzug, mit dem ich fuhr, der hintendran keine Autos transportierte. So hatte man aus dem Fenster des letzten Wagen einen klaren Blick auf die Strecke.

Da wir schon um 4 Uhr früh in Hannover einfuhren, war mein Frühstück noch in der Nacht. Die Bahn-Tasse habe ich als Andenken übrigens mitgenommen und heut morgen erst draus getrunken.

Die Reise Berlin-Rom-Moskau-Tokyo-Moskau-Paris-Hannover war auch die letzte große Reise, die ich machte. Es waren 14 Tage, fünf Länder und eben so viele Flüge. Gesamt war ich knapp 40 Stunden im Transit. Mein Kopf war es länger.
Verbunden mit der Reise waren, wenn man den für die Bahn mitzählt, fünf Aufträge. Ich plante auch eine große Reportage, über den letzten lebenden Ninja, aber die fiel dann leider ins Wasser.

Effizienter und günstiger hätte ich es aber nicht planen können. Ich habe überall bei Freunden übernachten können. Und ich hatte (bis auf die Verbindung Berlin – Rom, verdammtes easyjet) immer die günstigsten Tickets.

Nächsten Monat geht es wieder nach Japan, diesmal für mindestens ein halbes Jahr. Vielleicht auch länger. Im September will ich auch von dort für ein Wochenende nach Korea.
Dort fährt leider kein Nachtzug hin.

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