Hinter den Bergen


Das ist: Die Aussicht von dem Studentenwohnheim der Hiroshima City University. Das Wohnheim ist, wie die Uni, mitten in der Bergen. Der nächste Laden ist 30 Minuten entfernt. Der Bus kommt zu Schulzeiten alle 20 Minuten, am Wochenende einmal die Stunde. Wenn überhaupt.

Das Leben ist definitiv ein anderes, als in Tokyo.

Im Wohnheim gibt es nicht: Internet. Saubere Klos. Teure Mieten. Küchenutensilien. Bettzeug. Mülleimer im Zimmer.
Um 22 Uhr wird vorne zu gemacht. Also länger mal in der Stadt unterwegs sein, ist nicht drin. Es sei denn man klettert durch sein Fenster wieder rein – so wie ich vorgestern abend. Nachdem ich 40 Minuten lang den Berg hochlief, weil der Bus nicht mehr fuhr.

Und trotzdem… bin ich tatsächlich sehr zufrieden gerade. Mit allem. Ich fühl mich auf jeden Fall freier. Der Nachteil, nicht alle 50 Meter einen Conbini zu haben, der einen zum Konsum lockt, befreit einen auch so ein bisschen davon, ständig zu konsumieren. Ich bin jetzt in den Bergen und hier gibt es rundherum nichts. Das einzige, was man machen kann, ist studieren.

Deswegen haben sie vermutlich die Universität auf den Berg gesetzt.

Was sich bei dem Visums-Prozedere schon andeutete, setzt sich nun fort. Die Uni ist noch nicht ganz auf die 20 Austauschstudenten eingestellt. Ich habe immer noch kein Studienfach, in der nächsten Woche soll es dazu dann Näheres geben. Fotografie gibt es nicht, aber das wusste ich schon vorher. Ich tendiere zu “Skulptur”. Mal was völlig anderes. Und es ist auch sehr physisch, da muss man nicht so viel Japanisch brabbeln.

Mein Japanisch ist so gut, wie es noch nie war. Ich kann mich mittlerweile ganz gut erklären und Konversationen halten. Es ist zwar nie ganz alles korrekt, und manchmal fehlt mir das richtige Wort oder Satzbau. Aber dafür, dass ich Japanisch eher auf den Straßen von Tokyo gelernt habe, statt in einem formalen Unterricht, schlage ich mich ganz wacker.

Für uns gibt es auch Japanisch-Kurse, einige habe ich bisher schon besucht. Es gibt nur Japanisch I, II und IV. In I und II üben wir, konnichiwa zu sagen, und bis zehn zu zählen. In Japanisch IV legte uns die Lehrerin einen Text mit knapp 300 verschiedenen Schriftzeichen hin und meinte “Vorlesen!”. Dass ich knapp die Hälfte der Zeichen konnte, half nicht viel.
Die koreanischen und chinesischen Austauschstudenten, im klaren Heimvorteil, konnten die Zeichen einfach vorlesen. Wir Europäer waren sprachlos.

Scheinbar gibt es nur die zwei Art Kurse. Sackschwer oder zu einfach. Es scheint keinen mittleren Kurs zu geben, für Leute wie mich.
Na schauen wir mal. Das meiste lern ich sicher durch Gespräche und den Alltag. Ich versuche jeden Abend all die Vokabeln, die ich tagsüber nicht wusste, aufzuschreiben und zu lernen. Den Tipp hab ich von einer koreanischen Kommilitonin aus Hannover. Das funktioniert auch offline ganz gut, dank Wörterbuch. Und manchmal kann ich auch das ungeschützte WLAN von dem Bewohner über mir klauen, um was nachzuschlagen.

So ganz angekommen bin ich noch nicht. Das Wohnheim erzeugt nämlich nicht wirklich ein Gefühl von Zuhause. Aber: kein Zuhause = keine Verpflichtung. Ich lass mich treiben. Mal hier in dem einen Uni-Gebäude, und schon kommt ein Gesprächspartner vorbei. Mal im anderen Gebäude, und plötzlich erscheint ein Gesicht aus Hannover. Im Haus der Studentclubs spielt manchmal ein Orchester. Überall Leben, Kreativität. Das alles bei über 20° und Blick ins Tal.

Irgendwann wird mich das sicher alles langweilen. Deswegen arbeite ich schon an der nächsten Geschichte. Ein Film soll es werden.

Ich will noch viele weitere Geschichten machen, weitere Filme. Und obwohl ich gerade entspannt bin: die Zeit wird knapp. In nur fünf Monaten bin ich wieder aus Hiroshima raus. Dann noch ein Monat Tokyo hintendran und dann geht es wieder weiter. Entweder Deutschland oder USA.

Bis dahin: Berge.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *