Tokyo Honig

Aus der Reihe: Geschichten, aus denen nichts geworden ist.
Wie in Berlin, Paris oder London gibt es seit einigen Jahren auch in Tokyo den Trend, mehr Natur in den urbanen Raum zu bringen – und auf Hochhäusern Bienen zu züchten. Zwei Dächer habe ich im Spätsommer 2013 besucht.

Es ist ja nicht so, dass jede Geschichte gelingt oder so einschlägt, wie zum Beispiel die Puppen (die es letzten Monat tatsächlich in die National Geographic geschafft haben). Manchmal ergibt eine Recherche eine Sackgasse, ich finde keinen Ansatz für die Geschichte, keinen Zugang zu den Personen oder es fehlt die Zeit. Ebene Geschichten, aus denen nichts geworden ist. Kurz: Gadngi.

Mitte September 2013 bin ich in Tokyo gelandet, erst am 1.10. musste ich in Hiroshima mein Semester beginnen. Und da ich es nicht mag, tatenlos rumzusitzen, wollte ich vorher noch eine kurze Geschichte reinquetschen. Ich hatte zuvor im Asienspiegel über Honigbienen in Tokyo gelesen und fand das Thema eigentlich ganz interessant. Zuerst besuchte ich das “B-Bee Project” in Yaesu, auf dem Dach eines bekannten Buchhandels.

Das war schon etwas ulkig. Drei Männer im Anzug, plus eine Dame, die nie was sagte sondern stets nur steif daneben stand. Ich sprach mit dem Gründer des Projekts, ein Professor namens Yamada, der auch etwas Englisch konnte.

Er selbst stammt vom Land und vermisst seit seinem Umzug nach Tokyo die Natur. Das große Erdbeben von 2011 gab dann den endgültigen Anstoß für sein Projekt, Landwirtschaft in die Metropole zu holen. Ihm geht es auch darum, dass Kinder und Jugendliche verstehen, woher ihr Obst und Gemüse kommt.
Für das Dach in Yaesu, in der Nähe von der Tokyo Station, musste er hart kämpfen. Der Besitzer war zunächst dagegen und fürchtete Beschwerden von Kunden oder Anwohner. Mittlerweile ist der Besitzer jedoch stolz darauf, bietet im hauseigenen Café selbstgemachten Honig an und hat nun eine eigene Abteilung für die Bienen und nachhaltige Entwicklung. Herr Yamada erzählte mir das alles sehr stockend, denn der Besitzer kam auch kurz zu dem Gespräch und stellte sich mir vor. Erst als er weg war, merkte ich, wie kompliziert und langwierig das alles vorher gewesen sein musste.

Professor Yamada hat große Pläne. Er möchte Reisfelder auf Dächern von Wolkenkratzern, Schweinefarmen im 40. Stockwerk und noch mehr. Bereits jetzt gibt es einen Versuch mit einer kleinen Ziegenfarm auf dem Dach eines Gebäudes, in dem unten Prada verkauft wird.


Mehr als ein paar hundert dieser kleinen Honig-Gläschen schaffen die Bienen nicht. Aber echter Tokyo Honig ist lecker und sehr mild.

Nach all den großen Plänen und zwei Tassen Kaffee gingen wir dann auch mal hoch in den 11. Stock aufs Dach. Die Aussicht war, nun ja, etwas ernüchternd. Drei Bienenstöcke, von denen nur zwei belebt waren. Aber es war durchaus lustig, die Männer im Anzug imkern zu sehen.

Beim Fotografieren trat ich aus Versehen auf eine Biene und zerdrückte sie. Das tat mir sehr leid, aber Herr Yamada meinte nur: Keine Sorge, in einem Monat, wenn es kalt wird, sind die eh alle tot.

Projekt Nummer 2 liegt an der Geschäftsmeile Ginza und ist dementsprechend mehr Glamour. Ginpachi Ginza gibt es nun schon seit mehr als neun Jahren und sie sind sehr gut aufgestellt, was Öffentlichkeitsarbeit und Vertrieb angeht. Zwei Hochhäuser weiter verkaufen sie ihren Honig in einem Luxus-Kaufhaus.
Sie sind das Vorzeigeprojekt in Tokyo. Eigentlich begann es als kleine PR-Aktion in Sachen Umweltschutz einer großen Firma, mittlerweile sind sie aber sehr bekannt.

Es begrüßte mich wieder ein Mann mit Schlips. Beim gemeinsamen Gang zum Treppenhaus entdeckte ich eine Biene, die wohl vom Dach ausgebüxt sein musste. Der Mann holte einen Käscher aus dem Büro und zielte in ihre Richtung. Es war ein tolles Bild, wie ein erwachsener Mann im Anzug versucht eine einzelne Biene zu fangen. Obwohl er stets nur Japanisch sprach, sagte er dabei wiederholt auf Englisch “No photo!”. Daran hielt ich mich auch. Ich wollts mir ja zu Beginn nicht mit ihm verscherzen.

Oben angekommen sah es auf jeden Fall viel größer und bunter aus, als noch in Yaesu. Chef-Imker Tanaka war bereits im Gespräch mit einem Video-Journalisten aus Australien. Ginpachi Ginza bietet zwei mal im Monat einen Presse-Termin, wo sie das gesamte Team einberufen. Sonst ist es auf dem Dach nie so geschäftig.

Der Mann mit Schlips vom Beginn achtete stark darauf, was und was wir nicht aufnehmen durften. Erst als er etwas abgelenkt war durch den Australier, konnte ich mich etwas freier bewegen. Imker Tanaka war nicht so steif, er ließ viel mit sich machen und beantwortete viele Fragen. Er sprach auch gutes Englisch.

Eine Sache, die ich an dieser Stelle mal erwähnen muss: Ich hasse Wespen. Wobei man da schon fast von einer Phobie sprechen kann. Sobald ich im Sommer eine Wespe in meiner Nähe sehe, werde ich unruhig. Bei allem was summt ist mein erster Gedanke oft “Wespe????”. Bei den Bienen war ich daher instinktiv etwas nervös.

(Auch etwas, dass an Japan so toll ist: Es gibt keine Wespen! Aber dann dafür die gefährlichste Hornisse überhaupt. Auch fantastisch thematisiert in einem Comic von TheOatmeal)

Die Japanische Honigbiene ist anders als seine westlichen Verwandten. Sie ist kleiner und ruhiger. Friedlicher. “Wie echte Japaner!” meinte mal ein japanischer Kommilitone in Hiroshima zu mir, als ich ihm davon erzählte.
Tatsächlich muss man die Japanische Honigbiene nicht mit Rauch ruhig stellen. Man kann sie sogar streicheln, ohne dass sie aggressiv werden. Wie echte Japaner.


Rechts das Dach, auf dem die Bienen sind

Mir wurde während des Fotografierens schwindelig. Nicht wegen der Bienen, sondern, wie sich später herausstellte, wegen der Grippe, die mir mein Bruder noch in Berlin mit auf dem Weg gegeben hatte. Damit schleppte ich mich drei Tage später auch nach Hiroshima, was so ziemlich das furchtbarste war, an dass ich mich derzeit erinnern kann. 43 Kilo Gepäck und Ausrüstung 900 Kilometer nach Westen bei Fieber und Gliederschmerzen.

Es stellte sich heraus, dass der Mann mit Schlips von Beginn der Sohn von Imker Tanaka ist. Das ergäbe eine interessante Dynamik für eine Geschichte.

Ohnehin: was mich an der ganzen Sache so faszinierte, war der Versuch, den “grauen Moloch Tokyo”, wie es meine Mutter manchmal nennt, durch die Bienen zu beleben. Tatsächlich ist Tokyo sehr grau, gerade wenn man es mit Berlin vergleicht. Viele Versuche für mehr Grün sind auch daran gescheitert, dass es keine Bienen gab. Denn das grüne Umland ist zu weit entfernt, als dass die Bienen diese Strecke fliegen könnten. Tokyos Horizont kennt nur Stadt, man muss schon viele Kilometer fahren, bis es wieder grün wird.

Die Bienen in Ginza und Yaesu bedienen sich bei Dachgärten, dem Kaiserpalast oder kleinen Topfpflanzen in der Umgebung. In Ginza bieten sie sogar einen Honig an, der nur mit Kirschblüten gemacht wurde. Die Sorte “Sakura” ist leicht golden-rosa und schmeckt so, wie die Kirschblüte riecht. Pro Jahr gibt es aber nur wenige kleine Gläschen voll mit Sakura, also haben sie den Wert von ihrem Gewicht in Gold. Naja, fast.

Der Australier machte das Video für das englischsprachige Metropolis Magazin, für die ich 2009 in Tokyo auch gearbeitet hatte. Er bot diese Geschichte vorher der Redaktion an, die lehnte das Angebot ab, und er drehte es trotzdem, in der Hoffnung, dass sie es eventuell doch abkaufen.
Es lief dann Monate später tatsächlich auf der Website der Metropolis, aber ich weiss nicht ob er dafür Geld gesehen hat.

Nun, warum wurde aus dem Thema nichts?

Das hatte mehrere Gründe. Ich wusste nicht, wie klein oder groß ich es aufziehen sollte, in welchem Format und überhaupt für wen. Ich habe Infos und Kontakte zu zahlreichen dieser Urban-Farming-Projekte in Tokyo gefunden. Man könnte das richtig groß erzählen.
Allerdings sind die meisten Projekte nur für die PR, und so richtig innovativ oder weltbewegend ist keines. Unweit von den Bienen in Yaesu gibt es das Hauptquartier der Firma Pasona, die im Gebäude Reis und Gemüse anbauen. Ich hatte mir das alles im Dezember 2013 auch mal angeschaut. Aber schlussendlich verbrauchen die mehr Energie, als das irgendwie nachhaltig wäre und jemanden etwas nützt.

Ich hatte die Geschichte zwischendrin auch schon mehreren Leuten angeboten, aber es passte nie wirklich rein.

Aber entscheidend war dann schlussendlich einfach die Zeit. Ich war in Hiroshima in anderen Geschichten eingebunden und konnte nicht zu den saisonalen Terminen in Tokyo sein.

Ich würde es nicht ausschließen, da später mal was draus zu machen. Aber jetzt ist die Geschichte erstmal nur für die Schublade. Oder eben den Blog.

Tabetai!


Ich bin immer noch dabei mein Material aus Japan zu editieren. Da ich das meiste eh für meine Projekte fotografiert habe, sind solche Zwischenbilder wie dieser eher rar.

Im Dezember 2013 war ich für einige Tage in Kansai, auf dem Weg von Hiroshima nach Tokyo. Ich war tatsächlich vorher nie länger als 24 Stunden in Kyoto oder Osaka. Immer nur durchgefahren und dran vorbei.
Osaka hatte mich damals etwas enttäuscht, obwohl ich keine wirkliche Erwartung an die Stadt hatte. Mein Zimmer war zwar hier, aber die meiste Zeit fuhr ich nach Kyoto. Und auch Kyoto enttäuschte mich damals etwas. Erst beim dritten Besuch, im Mai 2014, konnte Kyoto mich wirklich gewinnen. Denn erst da fing ich an die Touristenzentren zu meiden und mir von Freunden charmante Ecken zeigen zu lassen.

Mein Zimmer in Osaka lag übrigens in der Gegend, die als der einzige Slum von Japan gilt: Kamagasaki. Früher war das eine Boomtown für Tagelöhner. Hotels für die Arbeiter deckten schnell den Bedarf der Pendler ab. Aber die Arbeit blieb irgendwann mal aus und der Bezirk ging den Bach runter. Wenn ich japanischen Freunden erzählte, wo mein Hostel ist, meinten die nur “Oh…”. Der Bezirk ist unter anderem durch gewaltsame Ausschreitungen der Obdachlosen bekannt.
Ich schickte meinem Professor, den ich als Austauschstudent immer mal informieren sollte, wo ich denn nun bin, eine Email. Der meinte nur: “Oh, guck dir dann mal Tobita Shinchi an, das ist gleich um die Ecke. Aber mach keine Fotos. Das Gebiet wird von den Yakuza kontrolliert und Yakuza mögen keine Fotos.”

Tobita Shinchi ist ein riesiges Bordell. Vergleichbar ist es mit Amsterdam: Die Damen sitzen, japanisch hübsch gemacht im Kimono, im Schaufenster. Eine ältere Dame, meist eine ehemalige Prostituierte, ruft dann die Kundschaft heran. Offiziell ist Prostitution in Japan zwar verboten, aber das juckt hier keinen. Die Geschäfte gelten auch als “Restaurants”. Sie haben sogar eine eigene Gewerkschaft, dessen ehemaliger Vorstand später zum Bürgermeister von Osaka wurde. Kleine Lektion über die Verknüpfung Yakuza, illegale Geschäfte und Politik in Japan.

Im Umkreis meines Hostels gab es geschätzt noch einhundert andere. Es sind alles die ehemaligen Hotels der Tagelöhner. Abgeranzt aber billig. Und daher überall Ausländer, wie mich.
Keine 500 Meter entfernt lag auch schon das Bordell. Ich bin eines Abends mal ohne Kamera hin. Die Straßen in dem Viertel waren tatsächlich sehr viel anders, zu dem Japan, was ich kenne. Dunkel, nirgends Geschäfte oder Neon. Und nur Herren im mittleren Alter in abgerockter Kleidung. Keine Geschäftsmänner, Studenten oder Schulmädchen. Die einzigen Läden waren Wäschereien und öffentliche Badehäuser. Nicht mal einen Conbini konnte ich sehen.

Die alten Damen im Bordell versuchten natürlich mich zu locken. Sie riefen immer “Oniiiiiiichan” (Brüderchen) und winkten. Die jungen Mädchen neben ihnen waren tatsächlich sehr hübsch.

Auf Youtube gibt es ein Video, das aus dem fahrenden Auto heraus gemacht wurde. So bekommt ihr vielleicht einen Einblick.

Doch genug von Bordsteinschwalben. Eigentlich wollte ich ja über etwas andere Vögel berichten.

Es lag ein heftiger Regen über Osaka, also konnte man eh nicht viel machen. Und eines der größten Aquarien der Welt kann man sich mal angucken.

Das Kaiyuukan in Osaka ist das größte Aquarium in Japan und weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Hinter dreißig Zentimeter Plexiglas gibt es einen Blick auf riesige Becken mit Tieren und Fischen aus Japan und dem Rest der Welt.

Das Wort, was ich von den japanischen Besuchern am meisten hörte, war “Tabetai!”. Frei übersetzt “Das will ich essen!”

Die Seehunde hatten oberhalb der Kuppel nur ein kleines Becken, daher waren sie natürlich angehalten, immer wieder mal nach unten zu tauchen. Hier, wie auch in den anderen Becken, merkte man deutlich, dass sie auf die Zuschauer reagierten. Gerade die Delfine spielten oft mit denen vor der Scheibe.

Fotografisch war das alles nicht sehr einfach. Durch das dicke Plexiglas kriegt man schon mal eh keine gestochen scharfen Fotos hin. Die Lichtsituation war auch furchtbar. Ständig blitzten auch die Handyknipsen der Besucher gegen das Glas. Aber die größte Herausforderung waren natürlich die Tiere selbst. Man muss schon eine Weile warten bis die Tiere sich genau so in den Bildausschnitt bewegen, wie es passt.

Ich hatte vor Jahren in einer Plattform für junge Fotografen ein Bild aus einem Aquarium in Okinawa entdeckt. Online finde ich es jetzt nicht mehr, aber es sieht ungefähr so aus wie die hier alle. In Osaka hatte ich das Bild auch im Hinterkopf und wollte zumindest was gleichwertiges hinkriegen. Aber wie auch in der echten Natur gilt in der Fotografie: man braucht Geduld bis alle Elemente glücklich ins Bild fallen.

Houshi


Houshi Ryokan existiert seit rund 1.300 Jahren und seit der Gründung wurde es stets von der selben Familie geleitet. Es ist das älteste Familienunternehmen auf der Welt, welches noch aktiv in Betrieb ist.

Dieses Ryokan (ein traditionelles, japanisches Hotel) wurde über einer heißen Quelle im Jahr 718 im kleinen Ort Awazu in Zentral-Japan gebaut. Bis 2011 hielt es den Rekord für das älteste Hotel der Welt.

Houshi Ryokan wurde im Laufe der Jahrhunderte von Mitgliedern der Kaiserlichen Japanischen Familie besucht und von zahlreichen einflussreichen Künstlern. Die Gebäude des Hotels wurden viele Male durch Naturkatastrophen zerstört, aber die Familie hat sie stets wieder aufgebaut. Der Garten sowie einige Teile des Hotels sind mehr als 400 Jahre alt.

Houshi (法師) bedeutet „buddhistischer Priester“. Es ist der Name von der Familie und vom Hotel.

Houshi-Homepage (japanisch)
Wikipedia über Houshi

Ohne Brüste und Budget zu einer halben Million Klicks

Im November 2013 fotografierte ich eine Geschichte. Im April 2014 stellte ich sie online. Im November 2014 hat das Video eine halbe Million Aufrufe – und im Japanischen Fernsehen war ich damit auch.

Eine Zusammenstellung einiger Webseiten, die das Video teilten. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, um die 50-100 werden es aber vielleicht schon sein.

Hintergrund: Die Geschichte, um die es geht & Making-Of & Schnitt

23. April 2014

Nach mehr als einem Monat im Schnitt geht die Geschichte “Im Tal der Puppen” auf Asienspiel.ch online. Ich hatte sie zuvor allen großen Redaktionen angeboten, aber es gab keine Antwort. Nur der Stern hatte sich gemeldet: Schöne Geschichte, passt aber leider nicht.

Ich musste es unbedingt bis Ende April fertig haben, denn ich wollte den Beitrag bei einem Wettbewerb einreichen, dessen Deadline sieben Tage später angesetzt war.

26. April 2014

Bereits drei Tage nach dem Upload stand die englische Version vom Video bei mehr als 10.000 Klicks. Vimeo wählte es zum Video des Tages.

Mai 2014

Zwei Wochen später waren es bereits 150.000 Klicks. Die deutsche Version vom Video war weit unter 1.000. Ich bekam nun die erste Anfrage von Medien weltweit, die meisten aus dem angelsächsischen Raum. Nur die deutschen Redaktionen hielten sich zurück.
Mich schrieb auch eine ungarische Drehbuch-Autorin an, die auf Basis meiner Geschichte gerne einen Kurzfilm machen würde.

Mit Bloomberg Media gab es nun auch schon den ersten Nachahmer, der die Geschichte und teilweise ganze Einstellungen kopierte.

Juni 2014

Es gab weitere Anfragen von Medien und die erste Verkäufe der Geschichte. Auch der Stern meldete sich nun wieder. Sie haben die Geschichte irgendwo online gesehen und wollten nun eventuell eine Doppelseite bringen. Wurde aber leider nichts draus, ich hatte nicht das passende Motiv.

Nun meldete sich auch die japanische Presse bei mir und es kam zum ersten Beitrag im japanischen Fernsehen.

Redakteur war ein unruhiger Japaner Ende 30 mit rot gefärbten Haaren

Asahi-TV wurde auf mich aufmerksam durch zwei Beiträge in der Asahi-Zeitung, Tokyo und Osaka-Edition. Ohne mein Foto, da das Interview per Mail geführt wurde.


Den Beitrag übersetzten sie dann auch für die chinesische Ausgabe der Asahi

Juli 2014

Das zweite Interview fürs japanische Fernsehen. Wieder Asahi-TV, aber eine andere Redaktion. Wie schon beim ersten Gespräch machen wir das Interview in meinem Arbeitsraum an der Uni.

Der Redakteur war diesmal nicht dabei, sondern nur der Kameramann – ehemaliger Rugby-Spieler aus Tokyo.

Mittlerweile hatte sich an der Uni in Hiroshima herumgesprochen, dass ständig über diesen Ausländer berichtet wird. Eines Morgens sagte die Kassiererin im Uni-Kiosk zu mir “Ich hab dich gestern im Fernsehen gesehen!”
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und antwortete nur “Tut mir leid…”

Die ganze Aufmerksamkeit der japanischen Presse hatte vier Gründe.

1. Ayano Tsukimi, der Puppenfrau, schickte ich im Mai die DVD und ein paar Drucke der Fotos. Sie war wohl so begeistert von mir und dem Film, dass sie jeder Redaktion, die sie nach meinem Video besuchte, meine Kontaktdaten gab und meinte “trefft euch mal mit dem!” So haben mich viele der Journalisten erst erreicht.

2. Mein Video, welches zu dem Zeitpunkt bei knapp 350.000 Aufrufen stand, ist weltweit abgegangen und sorgte für einen wahren Boom des Tourismus in der Region. Vor allem Ausländer tauchten jetzt im “Tal der Puppen” auf. Das lokale Tourismus-Büro (vor dem ich damals parkte) stellte sich auf die Fremden und das Video ein. Ein Redakteur berichtet, dass die Taxifahrer im Tal mir besonders dankbar sind für den nun erhöhten Umsatz. Obwohl die Geschichte der Puppen nicht neu war – die Entwicklung mit den vielen ausländischen Touristen war eine Meldung wert.

3. Dann natürlich der Exotenbonus – ein blonder Austauschstudent macht eine Geschichte aus Japan. Eine Zeitung schrieb, dass die Puppen “durch einen deutschen Studenten nun in der ganzen Welt bekannt sind”, was ich für etwas übertrieben hielt.

4. Und Schlussendlich war ich auch einfach der erste, der die Geschichte brachte. Also der erste westliche Journalist. Denn die Japaner waren vor 5 Jahren bereits da, und Taiwan vor 2 Jahren. Ich hatte nur gerade Glück mit dem Timing. Die Redaktionen wollten die Geschichte bringen, und haben mich aus Respekt und Höflichkeit (und sicher auch kuriosen Interesse) in jeden Bericht über die Puppen mit eingebunden.

Es gibt in Japan drei Zeitungen, die im ganzen Land erscheinen. Das ist die Yomiuri, die Mainichi und die Asahi. Alle drei haben mich interviewt. Nur die Yomiuri hat mich dann rausgekürzt. Aber das Interview mit denen war auch das furchtbarste von allen. Es ging zwei Stunden und die unsichere Dame hatte keinen Übersetzer organisieren können. Englisch konnte sie natürlich nicht. Das Gespräch zog sich also, weil ich ab und an mal ein Wort nachschauen musste. Mittendrin schweifte sie dann immer wieder ab und erzählte mir zum Beispiel von den Volksfesten in ihrer Heimat. Ich fragte sie direkt “okay, aber was hat das jetzt mit dem Interview zu tun?” Die Antwort: “Ach, eigentlich nichts.”
Am Ende fragte ich sie noch, ob das nun ihr erstes Interview mit einem Ausländer war. Sie sagte kleinlaut “Ja….”

August 2014

Nun kam die letzte Anfrage für ein Interview, diesmal von Fuji TV. Ich hatte eigentlich keine Lust mehr, also diktierte ich meine Bedingungen. Ich war nämlich ziemlich voll mit Terminen für die nächste Geschichte und musste viel Material drehen. Meine Bedingungen waren also: ihr kommt zu mir, und nicht ich zu euch und ihr stellt nen Übersetzer.

Ich hatte damals auf ner Insel gedreht. Sie kamen tatsächlich auch zur Küste und brachten einen Übersetzer aus Hiroshima mit.

12 Uhr mittags, 34°C, ein 45 Minuten Interview unter der prallen Sonne. Ich holte mir einen fürchterlichen Sonnenbrand in einem Gespräch, das dann nicht gesendet wurde. Das ganze sollte nämlich für eine dieser japanischen Gameshows gemacht werden, der Name “それマジ!!??” (“sore maji!!??”)
Es war einer dieser Shows, die man schnell produziert, mit den üblichen 12 Comedians besetzt und dann wieder verschwinden lässt. Konzept war: Die Comedians bekommen Aussagen über eine kuriose Geschichte vorgesetzt und müssen raten, um was es geht. Die Übersetzerin habe ich im Interview eigentlich nicht gebraucht, die Sätze waren simpel genug.

Mein Beitrag wurde dann rausgeschnitten – weil ich die Spielchen der Redakteurin nicht mitmachen wollte. Die sagten mir nämlich vor, wie ich meine Sätze zu formulieren haben und was ich sagen sollte. Das hab ich konsequent nicht gemacht. Ich sollte nämlich unter anderem sagen: “Das Dorf ist voll gruselig” und so empfand ich einfach nicht.

September 2014

Nun kam die bisher letzte Anfrage vom japanischen Fernsehen, diesmal NHK (die japanische ARD). Die hätten sogar die Möglichkeit gehabt, ihr Büro in Berlin zu verständigen, aber zu einem Interview kam es nicht. Weil sie mir aber “so viele Umstände bereitet haben” und ich dann doch nicht auf Sendung war, gaben sie mir etwas Geld. Nett.

Am 25. September kam dann die Email: Ich habe bei dem Wettbewerb, bei dem ich die Geschichte Ende April einreichte, den 1. Platz gemacht.

Der Tag war abwechslungsreich.

Um 10 Uhr begann das erste Seminar von diesem Semester. Am Tag zuvor war ich nach über einem Jahr wieder nach Hannover zurückgekehrt.
Um 11 Uhr kam die Email vom Wettbewerb. “Herzlichen Glückwunsch, du hast gewonnen! Aber bitte bewahre noch Stillschweigen bis zur Presseerklärung.”
Um 12 Uhr wurden meine Fotos aus Japan an Wand projiziert, u.a. auch die Puppen. Der Dozent fand die Fotos Scheisse. Er hatte noch mehr Worte für meine Geschichten aus Japan übrig, keines davon war positiv. Er hatte nur eine Lektion aus meiner Arbeit, die er den Kommilitonen sagte “Macht keine großen Geschichten!”
Um 12.30 Uhr eine automatisierte Email vom Wettbewerb: “Danke für deinen Beitrag, leider hat es nicht geklappt.”
Um 13 Uhr, ich saß immer noch im Kurs, ging die Pressemeldung online. Auf Twitter hagelte es Glückwünsche. Ich bewahrte mein Pokerface und sagte in der Uni nichts.

Um 21 Uhr von diesem ereignisreichen Donnerstag traf ich ein Mädchen zum Sushi. Sie suchte das Lokal aus. Ich begrüßte die Angestellten auf Japanisch, doch es kam keine Reaktion. Als sie sich später unterhielten und ich das Sushi schmeckte, merkte ich auch, dass hier Thailänder das Lokal führen.
Dem Mädchen erzählte ich nichts vom Preis. Ich wollte nicht angeben. Außerdem sind Mädchen ja meist eher mit ihren Sachen beschäftigt, da wollte ich nicht unterbrechen.

Medien, welche die Geschichte von mir kauften:

– Pro7 (Redaktion Galileo)
– Rheinpfalz am Sonntag
– La Repubblica (Italien)
– Art Investor
– travelbook.de
– ein französisches Magazin, deren Name ich vergessen habe (die haben bis heute eh noch nicht bezahlt)

Ich möchte noch einmal betonen:
Keiner dieser Redaktionen habe ich die Geschichte angeboten. Alle haben mich angeschrieben, weil sie die Geschichte irgendwo gesehen haben.

Pro 7 zahlte mit Abstand am meisten und pünktlichsten. Die Italiener ließen sich am meisten Zeit.

Filmfeste

Es haben mich fünf Filmfeste angeschrieben, vier davon sagte ich zu. “Im Tal der Puppen” lief bzw. läuft noch auf Filmfesten in London, New York, Italien und den USA. Auch hier gilt: Ich habe den Film nirgendwo eingereicht, die Feste kamen auf mich zu.

Medien, welche die Geschichte zwar haben, aber nichts dafür zahlen wollten:

– BBC
– Vanity Fair
– Australisches Magazin übers Stricken
– Voice of America

Die BBC und Voice of America waren am hartnäckigsten. Erst als sie mich zum vierten Mal per Email und zusätzlich noch per Facebook und Twitter kontaktierten, sagte ich ab.

Ergänzend möchte ich auch die Daily Mail und The Sun aus Großbritannien erwähnen. Die wollten zwar zahlen, aber da wollte ich die Geschichte und meine Arbeit nicht sehen. Es gab noch diverse andere Medien, die ohne was zu zahlen meine Arbeit zeigen wollten, aber die meisten davon sind hier relativ unbekannt. Ich habe keine komplette Liste geführt, aber insgesamt waren es wohl so 30-40 Medien, die mich anfragten.

Medien, welche nichts dafür zahlen wollten, ich aber trotzdem zusagte

– Discovery Channel
– The Atlantic

Beides war im Mai, also kurz nach Upload. Weil ich zu dem Zeitpunkt nur Absagen von deutschen Redaktionen bekam, nahm ich das nächstbeste zu einer Bezahlung: Aufmerksamkeit. The Atlantic habe ich es auch gestattet, weil sie mit In Focus eine großartige fotojournalistische Arbeit machen.

Nach dem Vimeo Staff Pick, aber auch vorher schon, haben sehr, sehr viele Blogs und Webseiten die Geschichte aufgenommen. Sie teilten das Video oder zeigten Screenshots oder einzelne Fotos. Nie hatte mich einer vorher um Erlaubnis gefragt, aber ich ließ das mal laufen. Ich wollte sehen, wie weit das Video es aus eigener Kraft schafft, ohne dass ich es anschieben muss.

Ich ahnte von Beginn an, dass die Geschichte abgehen wird. Wie sehr, das war mir bis zum Schluss nicht klar.

Mein Problem zu Beginn war, dass ich als junger Journalist keinen direkten Kontakt zu den Redaktionen hatte, denen ich es anbot. Ich hatte keine Vertriebsnetzwerk.
Durch die Verbreitung im Netz erhielt ich aber Angebote von Adressen, an die ich niemals dachte. Das Internet wurde mein Vertriebsnetzwerk.

Aber es hat natürlich auch Schattenseiten. Googelt man jetzt “Nagoro” so sind 90% der Bilder von mir. Wie gesagt, meist veröffentlicht ohne meine Erlaubnis. Wenn das irgendein Blog oder kleine Webseite macht – was solls. Es ist der Preis, den ich für die Verbreitung zahle.

Allerdings hat sich auch die Vanity Fair Italien bedient. Sie haben eine 16-teilige Foto-Klickstrecke mit meinen Fotos gebastelt – ohne meine Erlaubnis.
Ich suche regelmäßig online nach der Geschichte, um zu sehen, wo sie überall auftaucht. So habe ich zum Beispiel auch herausgefunden, dass ein amerikanischer Autor angefangen hat, eine Horror-Geschichte zu schreiben, inspiriert vom Video. Meinen Charakter, den Filmemacher, hat er gegen eine lesbische Filmstudentin und ihre Latino-Partnerin ausgetauscht. Hab ich persönlich absolut null Probleme mit.

Bei der Suche schaue ich aber nur nach deutschen oder englischen Begriffen. Deswegen habe ich drei Monate lang nicht gesehen, dass die italienische Vanity Fair meine Bilder klaute.
Wie gesagt, wenn irgendein privater Blog das macht, ist mir das egal. Wenn aber die Vanity Fair, die zu Condé Nast gehört – einem der größten Verlage der Welt – dann stört mich das schon sehr. Ich habe mir deswegen auch inzwischen schon einen Anwalt gesucht und schiebe jetzt ein Verfahren an.

Ein Redakteur von Asahi TV erzählte mir kurz vor dem Interview, dass er am Tag zuvor im Tal bei den Puppen war. Dort habe er ein deutsches Fernsehteam gesehen. Die Information machte mich stutzig. Im fertigen Beitrag sah ich dann auch das Team und fragte auf Twitter die Redaktion vom Weltspiegel und zum Schluss den (inzwischen ehemaligen) Tokyo-Korrespondenten der ARD. Die bestätigten mir, dass sie in der Tat dort drehten. Das ganze passierte knapp zwei Monate nachdem ich die Geschichte hochgeladen hatte. Ich fragte also “Na, wie seid ihr denn drauf gekommen?” und hatte schon eine gewisse Ahnung…
Aber nein, hieß es, es sei nur Zufall, dass ich die Geschichte kurz vorher machte… Nunja, sei es drum. Ich fands trotzdem schade. Ich hätte mich über einen Kontakt unter Kollegen gefreut, vielleicht hätte ich ja weiterhelfen können.

Der fertige Beitrag beim NDR.


Foto: Fredrik von Erichsen/dpa

Die Preisverleihung

Am 6.11. war dann in Frankfurt am Main die Preisverleihung vom dpa-Newstalent 2014, wo ich mit der Geschichte den ersten Platz belegte. Dem vorher gingen bereits mehrere Pressemeldungen und auch ein Beitrag in der hannoverschen Lokalpresse.

Beim Einchecken im Hotel sah ich schon die anderen Preisträger in der Lobby. Die eine erkannte mich schon. “Du bist Fritz Schumann, richtig? Ich kenn dich von Twitter!” Im Verlauf des Tages sollten noch mehr Menschen auf mich zukommen, die meinen Namen kannten, auch wenn ich die Personen noch nie zuvor sah. Ein merkwürdiges Gefühl.

Als ich beim Einchecken dem Hotel meinen Namen nannte, schaute mich ein Herr im Anzug von gegenüber an. “Sie sind Fritz Schumann, richtig? Ich bin Chefredakteur der dpa, ich halte nachher die Laudatio auf sie. Ich habe mir extra Ihren Beitrag ausgesucht, weil er mich so beeindruckt hat.”
Ich konnte nur Danke sage und wusste sonst nicht, was ein so erfahrener und erfolgreicher Journalist mit mir will. Ich ging aufs Klo.

Die Preisverleihung fand im Rahmen der Jugendmedientage 2014 statt, eine Veranstaltung der Jugendpresse Deutschland. Ich war dort früher auch aktiv, bis ich das erste Mal nach Japan flog. Keiner, den ich noch kannte, war mehr dabei. Nur neue Gesichter.

Unser Platz in der zweiten Reihe war reserviert, wir sollten zum Schluss auf die Bühne kommen. Es gab viele Reden und viel Langeweile. Lustig war nur der Aufritt der ehemaligen Redaktionsleiterin der taz, die einen kleinen Kommentar gegen die Presse von Springer so im Nebensatz äußerte. Ich sah in dem Moment in die Reihe hinter mir. Dort saßen Vertreter der Axel-Springer-Akademie, welche die Veranstaltung mitorganisierten. Der halbe Saal feixte, ihre Mienen blieben ernst. Ich lachte.
Tatsächlich wurde ich immer nervöser. Neben mir saß der 2. Platz, die mit Sekt gegen die Aufregung kämpfte und unruhig ihrem Auftritt entgegen sah. Als sie fertig war, grinste sie mich nur breit an. Denn ich war der nächste.


Laudatio… waaahh…

Im Zeitplan, der uns am Abend zuvor per Mail erreichte, stand der genaue Ablauf drin. Nur zwei Minuten hatten wir nach der Laudatio auf der Bühne Zeit für Fragen. Dabei hätte ich viel zu sagen gehabt.

Im Publikum saßen 500 angehende Journalisten, die mich schon während meines Auftritts auf Twitter zitierten. Neben mir der Chef der größten Nachrichtenagentur Deutschlands. Und hinter mir mein eigener Kopf, überlebensgroß projiziert.


Foto: Zeno F. Pensky

Ich vermeide ja jede große Ansammlung von Journalisten wo es nur geht. Viele leere Gespräche über diese “Zukunft des Journalismus” und die Branche. Dabei findet der Journalismus draußen statt. Nicht drinnen, bei einer Nabelbeschau. Die Frage nach der Zukunft des Journalismus stellt sich mir schon lange nicht mehr. Wir vergeuden so viel Zeit damit, darüber zu reden und Theorien anzustellen, anstatt rauszugehen und zu recherchieren.

(Die Gespräche mit der dpa und den anderen Preisträgern bis 1 Uhr nachts waren dann aber doch ganz spannend.)

Journalismus ist schon komisch manchmal. Ein Jahr zuvor bin ich ins Tal gefahren, um eine Geschichte zu finden. Ein Jahr später stehe ich wegen exakt dieser Geschichte auf einer Bühne und rede zu einem großen Saal der mir am Ende auch noch applaudiert.


Eine Freundin von mir aus Japan nennt das immer das “fritz-face”

Und nach einem halben Jahr online, zwei Tage nach der Preisverleihung war es endlich geschafft:

Die deutsche Version vom Video schaffte es über die 1.000 Aufrufe!