sowas un(d)professionelles!

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oder: warum tausende Japaner einen Blick auf meine Unterwäsche werfen konnten.

Ich war bei einem japanischen Musikfestival als Fotograf für eine deutsche Band engagiert. Ich wurde angeschnautzt, ignoriert, und meine Hose ist gerissen. Trotzdem war es großartig

Aus Berlin erreichte mich eine Email. Ob ich nicht Lust hätte, bei einem Musikfestival die deutsche Band Tangerine Dream zu fotografieren. Dazu kam dann noch der Zusatz “die ‘legendäre’ Band Tangerine Dream”. Ich hatte mir nichts weiter bei gedacht, und nahm an, es handelte sich nur um irgendeine weitere Berliner Hinterhof-Band, die sich selbst als “legendär” bezeichnet, und nun 2-3 japanische Fans übers Internet gewonnen hat. Als ich mich dann aber ein bisschen mehr mit der Band beschäftigt habe, war mir schnell klar, dass dieses ‘legendär’ schon durchaus angebracht ist.

Die Band Tangerine Dream wurde 1967 gegründet – also vor ca. 42 Jahren. Seit über 40 Jahren sind die erfolgreich im Geschäft. Zugegeben, die Bandmitglieder wechselten über die Jahre. Aber der Bandgründer, Edgar Froese ist von Anfang an dabei, und derjenige, der im Hintergrund das Bandgeschehen lenkt.

Ich sollte die Band bei ihrem Auftritt auf dem Metamorphose Musikfestival auf der Izu-Halbinsel begleiten. Am selben Tag plante ich aber eine Fuji-Besteigung. Ich zögerte mit der Zusage.
Mein Mitbewohner kam dann in mein Zimmer, als ich über dieser Email grübelte und ich erzählte ihm davon. Er machte große Augen und meinte, er schmeisst mich aus der Wohnung, wenn ich mir diese Chance entgehen lassen. Ich sprach dann noch mit einigen Freunden, die meinten, sie würden nie wieder ein Wort mit mir wechseln, sollte ich Tangerine Dream nicht ablichten. Das, und der Umstand dass der Fuji das Ganze Jahr über rumsteht, und das Festival nur einmal ist, überzeugte mich dann, zuzusagen.

Ich fuhr zusammen mit den Video-Leuten, die vom Auftritt eine DVD machten, im Auto zur Izu-Halbinsel. Diesmal auch über den Tokyo-Expressway, den ich ja sonst nur von meinem Fenster aus sehe, und der mich nachts wachhält.
Mit uns fuhr dann ein deutscher Fotograf, der seit 3 Jahren in Tokyo lebt. Der fotografiert große Kampagnen u.a. für Mitsubishi, begleitete die Band Iggy Pop und war sebst ein Jahr als Bassist mit seiner eigenen Band auf Tour. Er hatte natürlich seine Canon 5D dabei, was in mir die Frage hoch kommen ließ:

“Fritze, was machst du eigentlich hier?”

Ich hatte vorher noch nie ein Konzert fotografiert. Meine mittelmäßige Ausrüstung reicht dafür eigentlich nicht aus. Und trotzdem sitze ich hier neben einem professionellen Fotograf und stelle mich selbst als Fotograf der Band vor. Da war der erste Knick, der erste Zweifel an diesem Tag. Es sollten noch ein paar folgen.

Wird jetzt etwas textlastiger, dafür kommen nachher noch Tonnen an Bildern.

Wir kamen gegen 2 Uhr an, bekamen Backstage Pass und alles, und ich bekam erstma die Autorität von einem Bühnennazi zu spüren. Er meinte mich gleich erstma zur Sau machen zu müssen, weil ich keine dunkle Kleidung anhatte, und so ja eventuell auf der Bühne gesehen werden könnte. Er nannte mich unprofessionell, mein Verhalten unentschuldbar und hätte mich am liebsten gleich wieder nach Hause geschickt. Er warf mir noch ein paar andere Sachen an den Kopf, die ich im ersten Moment des Hörens eigentlich auch gleich wieder verdrängte. Diese erste aggressive Reaktion überraschte und schockierte mich sehr, ich wusste gar nicht wie ich reagieren sollte.

Bei Presse-Aufträgen ist der Fotograf immer der Held, alle sind nett zu ihm, weil sie ein gutes Bild haben wollen, und gut in der Presse dastehen möchten. So war ich das gewöhnt.
Doch beim Konzert sind die Musiker die Stars, der Fotograf nur der Dienstleister, der von den Musikern lebt.

Ich wandte mich an den Fotografen, der mit uns kam. Er war ganz entspannt und meinte, dass solche Leute gerne mal die Autorität raushängen lassen. Der Bühnnenazi erzählte dann noch von einem Fotografen, der bei einem Konzert mal auf der Bühne VOR der Band rumturnte. Das hatte den Bühnennazi anscheinend so sehr frustriert, dass er all diesen gesammelten Hass nun an mir auslassen musste.

Innerhalb von zwei Minuten hatten wir dunkle Kleidung für mich organisiert, das war also kein Problem. Und als später noch ein paar mehr Leute kamen, die auf der Bühne rumturnten und filmten, und die auch keine dunkle Kleidung anhatten, hatte das den Bühnennazi nicht mehr interessiert.
Ich vermute wirklich es war so eine “Jetzt zeigen wir dem jungen Spund mal wer hier das Sagen hat”-Aktion.

Die Vorwürfe der Unprofessionalität trafen tief – denn es stimmte ja. Ich hab weder ne Ausbildung, noch ne professionelle Ausrüstung, noch eine jahrelange Erfahrung um mich so nennen zu dürfen. Ich hab nur Talent, und das muss reichen.

Wir kamen um 14 Uhr an, das Festival begann erst um 18 uhr, und die Band spielte erst gegen 22 Uhr. Also effektiv 8 Stunden warten.
Ich lief ein bisschen rum.

Ich war nicht der Einzige, der warten musste:

Warten.

Warten.

(sie schläft wirklich in dieser Position)

Warten (und telefonieren und über die die wunderschöne Berglandschaft berichten)

Warten.

(achtet auf die Socken)

Über eine 2 km(!) lange Schlange kamen nach und nach junge Japaner aufs Festivalgelände…

…die anscheinend auch ihre Handys daheim gelassen haben, und so probierten sie sich in nonverbaler Kommunikation.

Einige probierten es auch mit Megaphonen, auch wenn sie meines Erachtens nicht direkt ins Ohr schreien müssen:

Da sonst keiner mit mir Reden wollte, und das Reden mit dem Fotograf recht schwierig war (sein Gehör und Konzentrationsfähigkeit waren sichtlich von einem Jahr Touren geschädigt), legte ich mich irgendwo hin und pennte. Als ich dann ein paar japanische Mädchen hab Schreien hören, war das mein Signal aufzuwachen. Das Festival ging los.

Ich hatte ja freien Zugang zum Backstagebereich, wo die Zelte der Künstler standen. Ich kannte keinen von denen, aber als ich dann im Nachhinein erzählte, wer da alles war, erhielt ich viele erstaunte: Was? ECHT??
Ich schlich mich dann schonmal auf die Bühne, um auszuchecken, wie weit ich mich bewegen kann, wie das Licht ist, usw.
Es spielte grad ein Zappelphilipp, der in japanisch “sang”, und dabei jede einzelne Silbe streckte, dehnte und verdrehte. Als er dann seine Rasseln rausholte gingen er und das Publikum richtig ab:

Ich hatte mir zuvor ein paar Sachen zur Konzertfotografie angelesen. Alle sagten, dass es schwierig ist. Das Licht ist niemals gut, man brauch eine gute Ausrüstung und man sollte so nah ran wie möglich. Ich hab dafür nun das allererstemal im manuellen Modus fotografiert, was ganz gut funktionierte und schön anspruchsvoll war.

Als die Band kam, gings mit meiner Stimmung echt aufwärts. Sie waren alle supernett und freundlich. Ich hielt mich zuerst zurück, da ich nicht wusste, ob sie überhaupt mit dem Foto-Dienstleister reden wollten. Doch sie suchten direkt den Kontakt.
Da sie ihr letztes Konzert zuvor in Berlin hatten, kannten mich auch einige. “Hey, du bist doch der Fritz, der in Tokyo lebt und Geldprobleme hat?”. Schon komisch, wenn so eine international bekannte Band, von der meine Freunde sagen, sie ist legendär, meinen Namen und mein Schicksal kennen 😉

Die momentanen Bandmitglieder sind auch recht jung, so um die 30, und sehr sympathisch. Sie hatten immer Zeit für ein Schwätzchen mit mir, oder um für ein Foto zu posieren.
Doch bevor es auf die Bühne ging, ging es unter die Fans, Autogramme schreiben:

Bei der Gelegenheit kann ich gleich mal Alle vorstellen:


Der amüsante Thorsten, Keyboard und Synthesizer


Die impulsive Schlagzeugerin Iris und der enigmatische Gründer Edgar Froese


Die bezaubernde Linda am Saxophon


Der extrem talentierte Bernhard aus Wien, der sich immer nen Spaß draus machte, Grimassen für meine Kamera zu ziehen 😉

Alle spielen auch noch in anderen Bands neben Tangerine Dream.
Der Andrang bei den Autogrammen war recht hoch, sie haben einige japanische Fans.

Dann gab es auch solche, die der Band zu jedem Konzert hinterherreisen, wie der Franzose Charles (der seinen Sohn mitbrachte)…

…und von der Band schon wie ein altes Familienmitglied behandelt wurde. (Für dieses Konzert in Japan hatte er dann allerdings bei einem Preisausschreiben Tickets gewonnen)

Dann ging es wieder hinter die Bühne, bis zum Auftritt war es nicht mehr lang. So langsam wurde ich nervös, als ob ich selbst vor tausenden (!) von Japanern spielen müsste. Das war ja wie gesagt mein erstes Konzertshooting, und nachdem ich so oft am Tag hören musste, wie unprofessionell ich doch bin, hatte ich Zweifel, gute Bilder machen zu können.

Doch dann fiel mir ein, was Sanne-san mir einen Tag zuvor sagte. Sie meinte, ich solle drauf vertrauen, dass ich gute Bilder machen kann, und nicht daran zweifeln. Als ich der Band dann ein paar Fotos von der Autogrammstunde zeigte, meinten sie auch zu mir, sie sind sich sicher, dass ich heute gute Bilder machen kann.
Ich bekam auch den Tipp, ruhig dreist zu sein, um ein gutes Bild zu machen. Denn dafür bin ich schließlich hier – gute Bilder zu machen.
Das ich das, was der Bühnennazi mir vorher sagte, wie weit ich mich auf der Bühne bewegen sollte usw. , komplett ignorieren sollte, bestätigten mir fast alle, unabhängig voneinander.

Ich war dann nicht mehr nervös, und ging mit der Band hinter die Bühne, Minuten vor dem Auftritt.


(Linda, schon im Kostüm mit großen Rabenfedernhut, aus L.A.)

Es war eine interessante Stimmung dahinten. Keine Aufregung, oder Angespanntheit. Es sind halt professionelle Musiker. Es wurde sich höchstens noch warm getrommelt:

Ich schnackte und scherzte noch mit der Band, doch ich wollte die ersten Momente vom Auftritt vor der Bühne, direkt beim Publikum erleben. Ich schlich mich also raus.

Das Publikum war ordentlich begeistert:

Ich konnte mich ja frei vor, hinter und neben der Band bewegen, was ich auch intensiv nutzte. Es war auch ein ebenso intensives Gefühl, direkt neben der Band auf der Bühne zu stehen, die Musik mit dem ganzen Körper zu spüren, oder vor der Bühne direkt auf den Boxen zu stehen, und den Bass zu fühlen.

…und das ist nur ein kleiner Auszug, aus den 800 Bildern die ich diesen anderthalb Stunden machte, und für die ich insgesamt drei Tage in der Nachbearbeitung brauchte.

Ich lag falsch, als ich dachte, ich hätte sowetwas noch nie gemacht, oder ich dürfte das nicht können. Doch mit dem Licht zu spielen, auf ausdrucksstarken Momente zu warten und Menschen & ihre Umgebung zu komponieren – das ist was ich schon immer gemacht habe.
Mir hat diese Herausforderung sehr gefallen, ich lief auch meisten mit einem großen Grinsen um die Bühne herum. Auch die Musik war super, ich werd langsam ein Fan dieser Band. So registrierte ich auch nicht, dass ich mir mittendrin einen großen Riss in meine Hose gemacht habe, der den Zuschauermassen, denen ich stets den Rücken zeigte, einen Blick auf meine Unterwäsche erlaubte.

Es war anspruchsvoll und anstrengend. Aber sehr gerne wieder 🙂

Nur auf diesen harten Ton von Bühnennazis hab ich keine Lust mehr.

PS: Zum besseren Verständnis des Risses, mal wieder eine kleine Illustration:


(inzwischen wieder selbst(!) zugenäht, wie bereits an sechs anderen Stelle dieser Hose. Mutti wär stolz)

Offizielle Seite der Band, auf der demnächst auch die Fotos zu finden sind: www.tangerinedream-music.com

Nachtrag: Die Band war sehr zufrieden mit den Bildern, und es gab einen kleinen Bonus. Und vom Bühnennazi wollen sie sich in Zukunft auch trennen =)

Nachtrag 2: Die Nachricht verbreitet sich im Internet anscheinend sehr schnell, so gelangen die Bilder auch ins Tangerine Dream Fan-Forum

“verschollen in den japanischen Bergen” ODER “in den warmen Futon einer Sekte”

Aus 2-3 Stunden geplanten Waldspaziergang ist eine 10 stündige Bergwanderung geworden, und die einsetzende Dunkelheit zwang uns, die Nacht in den Bergen zu verbringen. Zwei Stunden vom nächsten Dorf entfernt gehörte das einzige Haus einem religiösen Kult oder Sekte, die uns einen Schlafplatz und Essen gab, aber Fragen nicht wirklich gern beantworten wollte…

Tokyo ist groß.
Wenn man zwei Stunden Richtung Westen fährt, wo die Berge und Wälder beginnen die Häuser zu verdrängen, so ist man zwar mitten in der Natur und japanischen Nirgendwo, aber immernoch in Tokyo. Sanne-san, eine Deutsche die ich hier kennen lernte, wollte wandern gehen, und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, mitzukommen. Ich wollte eh mal wieder aus der Stadt raus und was sehen, und ein kleiner Spaziergang durch die Natur tut ab und an mal gut.
Sie hatte einen Lonely-Planet Hiking Guide, der einen “familienfreundlichen” 2-3 Stunden Weg empfohlen hatte, rund um den 1100m hohen Berg Mitake, und den 1200m hohen Berg Otake (die wir beide erklommen haben).


(in Turnschuhen, kurzen Hosen und Hemd wohlgemerkt)

Der Weg war alles andere als “familienfreundlich”: Teilweise war er ganze Strecken lang nur 40cm breit, über lockeres Geröll, glatte Felsen und ohne Geländer oder andere Sicherung. Stets ein 500m steiler Abgrund auf der einen Seite.

Es war anstrengend. Sehr anstrengend.
Aber da oben zu sein ist schon großartig. Diese wildgewachsene Natur ist unbeschreiblich, fast schon wie in den Filmen von Hayao Myazaki. Wild, natürlich gewachsen und von keiner Menschenseele berührt.

Und da oben, mitten in der Bergen, war ein Schrein auf ca. 900m Höhe. Gab viele Pilger, die alle passender gekleidet waren als wir, mit Wanderstöcken und festen Schuhen.
Auf dem Berg Otake war ein großer Schrein, so wie ich es verstanden hab wurden da Hunde vereehrt. Deswegen hatten viele Wanderer auch ihre Hunde mit den Berg hochgeschleppt. Wobei die Hunde in Japan nie größer als 30cm werden, damit sie auch Platz haben, in kleinen japanischen Wohnungen. Von daher sind kleine Hundearten wie der Dackel beliebt, auch wenn ich vermute, dass dieser Hund den gesamten Weg getragen worden ist.

Es waren auch viele Rentner unterwegs, die die gefühlten 20.000 Stufen hoch zum Schrein mit einem dankbaren Lächeln nahmen. Das wir, als Gaijin, nach ihren Befinden fragten, freute sie ungemein

Vom Schrein sind wir dann Richtung Berg Mitake gelaufen, in blinden Vertrauen an unverlässlich platzierten Wegweisern.

Vorbei an kleinen Bergflüsschen und wunderschöner Natur. Es kamen uns immer weniger Menschen entgegen, was uns zunächst verwunderte, aber uns auch nicht vom weitergehen abhielt.
Dann auf einmal:

Stille.

komplette Stille.

Sowas kannte ich persönlich noch garnicht. Ich bin in Berlin aufgewachsen, selbst nachts gibt es da überall Geräusche. Und vor meinem Fenster in Tokyo liegt der Tokyo-Expressway. Den tausenden Autos, die den befahren, ist die Tageszeit egal, da ist es tags wie nachts laut.

Aber dort in den Bergen war es einfach nur stille, absolut keine Geräusche. So still, dass einem die Ohren bluten.

Durch diese Stille machten wir uns weiter auf den Weg, immer höher, steiler und halsbrecherischer. Irgendwann überraschte uns die Dunkelheit, da die Sonne hier schon gegen 18.30 untergeht. Und wir hatten absolut garnichts dabei.
Weder Essen, noch Wasser, noch warme Klamotten oder überhaupt ein Licht. Mit Kamera-Blitz und Handy-Leuchte kamen wir zwar ein paar Meter, sahen aber schnell ein, dass das wenig Sinn macht.
Und dann, mittem im Wald auf dem Berg, mindestens 2 Stunden Marsch durch die Dunkelheit von der nächsten Stadt entfernt, war ein Haus, und es waren Menschen drin.

Wir klopften etwas zögerlich an, denn Menschen, die einsam im Wald lebten, sind ja meist etwas wunderlich oder könnten gefährlich sein. Es waren ungefähr 7-8 ältere Leute, die grad ihr Abendessen vorbereitet haben. Sanne-san’s Japanisch ist besser als meins, also erklärten wir uns, aber der älteste aus der Gruppe sprach auch ganz gutes Englisch. Wir wollten nur nach einer Lampe fragen, um weiter zu gehen. Doch sie meinten es ist gefährlich bei dieser Dunkelheit, und meinten, wir könnten dort im Haus übernachten.
Insgeheim hatte ich genau das auch gehofft, weil mich auch das Abenteuer in den Wäldern zu übernachten ziemlich gereizt hat. Aber dass es so klappte, überraschte uns sehr, und wir waren vor Dankbarkeit ziemlich sprachlos. Wieviele Menschen nehmen schon wildfremde Leute bei sich auf? Zudem noch Ausländer?

Es stellte sich heraus, dass es noch mehr Häuser zu dem dort gab, und die Gruppe in einem anderen schläft. Wir hatten also das gesamte Haus für uns.

Die Räume für uns waren oben, während die Gruppe unten blieb und das Essen machte. Überall gab es Futons und Matratzen, zu unserer freien Verfügung. Nach der anstrengenden Wanderung legten wir uns erstmal kurz hin, und mussten erstmal realisieren, dass wir nun in den Bergen übernachten. Von unten zog der Geruch von Essen nach oben.
Wir hatten den ganzen Tag nichts gegessen, nur ein Brötchen auf dem Weg. Schließlich gingen wir von 2-3 Stunden aus. Doch an dem Punkt wo wir waren, sind wir nach mehr als drei Stunden gelangt, und es war nocht nicht einmal die Hälfte des Weges.

Wir hatten tierischen Hunger, aber trauten uns nicht nach etwas zu Essen zu fragen, da sie uns ja schon eine kostenlose Übernachtung ermöglicht haben. Von unten riefen sie dann: “Mister und Miss, you can come down now”. Unten war das Essen schon angerichtet, mit zwei gefüllten Tellern für uns. Wir wussten garnicht was wir sagen sollten, Sanne wurde ganz still und traute sich nicht, das Essen anzurühren, weil sie ohnehin schon so dankbar und verlegen war.
Und ich: Ich hatte einfach nur Hunger und fing an.

Es gab Curry-Reis mit Kartoffeln, Gemüse, Suppe, und ein Hühnerbein für jeden von uns. Wir hatten ein schlechtes Gewissen, doch da wir ihre Gäste waren, boten sie uns immer zuerst alles an, bevor sie sich selbst etwas nahmen.

Beim Essen kamen wir ins Gespräch. Mit Englisch und Japanisch kamen wir ganz Gut zurecht, und konnten ihre Fragen, ganz Gut beantworten. Unseren Fragen hingegen wichen sie aus, sie wollte nicht wirklich verraten, was sie da oben in den Bergen machen, oder wer sie sind. Als ich Fotos machte fragte er gleich, ob ich die veröffentlichen will. Ich sagte nein:

So wie wir es verstanden haben, sind sie Teil einer religiösen Gruppe, Kult oder Sekte, und ihrer Organisation gehört das Haus. Doch warum sie ausgerechnet hier mitten im Wald sind, wollten sie nicht verraten. Es fühlte sich etwas merkwürdig an, aber die Dankbarkeit überwiegte.

Das hier war Sumi, auch wenn sie meinte, sie hat noch viele andere Namen. Sie war Chinesin, die aber auch gutes Englisch sprach. Sie wurde von den Anderen als kleine Philosophin beschrieben und sie redete auch unglaublich viel.
Sie hatte früher mit Juwelen gehandelt, aber nun im- und exportiert sie Champagner-Bier. Auch nach Deutschland, wo es “Keller-Weizen” heisst. Haltet mal danach Ausschau, Sumi’s Schwester hat das Bier erfunden ^^ Wobei es auch sehr skurril war mitten in den japanischen Bergen über deutsches Bier zu sprechen. Oder über Berlin-Zoo, den der ältere Herr vor ein paar Jahren besucht hatte, und nun ganz stolz erzählte.

Wir wollten unsere Dankbarkeit zeigen, indem wir beim Aufräumen und Abwaschen helfen, aber da wir Gäste waren, wurde das als eher unhöflich und respektlos dem Gastgeber empfunden. Gaijin-Fauxpas #312

Mit vollen Magen legten wir uns in unseren Futon. Es wurde still ums Haus. Wirklich richtig still. Ich glaube die Nacht lässt sich am besten so beschreiben:

Wirklich komplette, allumfassende Dunkelheit. In der Stadt hat man ja immernoch ein bisschen Licht ins Fenster scheinen, durch Neon-Röhren oder den Mond. Aber der Wald um uns rum hat das ganze Licht und den Wind gefressen. Was bleibt, ist Dunkelheit.

In Buddhistischen Tempeln gibt es oft einen Meditationsraum, ein kleines Zimmer, oft in Stein gehauen, und mit einem Fels verschlossen, so dringt weder Licht noch Geräusche hinein, und der Mönch ist alleine auf seine spirituellen Suche. So ähnlich war es da oben, auf ca. 800m Höhe.
(Zum Vergleich, der Berliner Fernsehturm ist 368m hoch. Und der ist schon verflucht hoch)

Jedes Geräusch, auch noch so klein, war umso intensiver. Nach dem ersten kurzen Schlaf aufgrund der Erschöpfung, war es eine angespannte Nacht. Denn die Möglichkeit, dass die Sekte aus Axtmördern besteht, stand ja noch im Raum. Und wir wurden auch vor Tanuki (japanischer Marderhund) gewarnt, die ganz fix ins Gebäude gelangen können. Es huschte auch mal was an meinem Kopf vorbei, ich zog es aber vor, nicht mit der Taschenlampe nachzuschauen…

Als dann der Regen einsetzte, gab es eine gewohnte Geräuschkulisse und ich konnte entspannt einschlafen….

Der nächste morgen war erholsam.

Der Nebel wanderte über die Berge und in den Spinnennetzen fing sich der Morgentau

Schon schön da oben.

Wir konnten dann auch zum ersten Mal richtig sehen, wo wir eigentlich übernachtet und nette Menschen getroffen haben:

Mit leeren Magen ging es dann weiter, auf den Berg und durch den Nebel, immer am Abgrund entlang.

Schon mystisch.

Sanne meinte nach jedem Weg bergauf “Jetzt geht es nur noch bergab!”. Nach dem 12. Mal begann ich an ihr zu zweifeln.
Der Weg den wir dann gingen, war schon bei Tageslicht sehr schwer und halsbrecherisch. Bei Dunkelheit dürfte es glaube lebensgefährlich gewesen sein, auch wenn ich zu keinem Zeitpunkt da oben auch nur irgendwie Angst hatte. Mehr Freude, über dieses Abenteuer, diesen Weg ins Ungewisse, Unerwartete.

Oben gab es dann nochmal einen kleinen Schrein mit Schutzgöttern daneben

Wir haben bei keinem Schrein gebetet oder den Naturgöttern etwas dargeboten. Vielleicht haben uns diese Säcke deswegen durch diese Schikanen geschickt.

Und irgendwann, nach vielen Blicken auf Bäume und noch mehr Bäume, hoch oben, weit entfernt von allem

konnten wir die Stadt mit der Bahnstation entdecken

Zwischen dem Foto und der Ankunft lag dann aber nochmal zwei Stunden.

Verschwitzt und verdreckt kamen wir dann in einem Restaurant an. Das erste Essen an diesem Tage, als wir gegen 15 Uhr ankamen.

einfach nur großartig.

Im Zug dann nen Sitzplatz zu finden war mit unserem Zustand nicht schwierig, man räumte freiweillig den Platz um nicht neben uns sitzen zu müssen.

Zwei Stunden aus Tokyo raus, und in einer völlig anderen Welt. Schreine, Naturgötter und nette, gastfreundliche Menschen. Aus ein paar Stunden wurde so ein ganzes Wochenende, frei in den Bergen.
Das ist das Japan was ich suchte.

—-

(Zum besseren Verständnis der Höhenunterschiede hab ich noch mal ein nicht ganz maßstabsgetreues schematisches Modell angefertigt)

professionell pleite


Im Zuge der Aufarbeitung vergangener Erlebnisse, hier nun etwas vom 20. August:

Tokyo ist teuer.
So teuer, dass ich nach fast zwei Monaten schon pleite bin, und dringend einen Job brauche. Ich scherze nicht, ich hab nur noch für diese Woche Geld für Essen. Danach wirds kritisch.

Einen Job in Tokyo finden ist nicht leicht. Auch wenn sich die Regierung die größte Mühe gibt, jedem Arbeit zu geben, der danach schreit. So werden zum Beispiel 5 Leute gebraucht, um Leute anzuhalten, wenn ein Auto aus einer Ausfahrt, über den Gehweg, auf die Straße fahren möchte. Danach folgt das “Danke sehr. Bitte gehen sie hier lang”, oft auch im Canon von allen 5 Leuten zusammen.
Mein Mitbewohner, der schon seit 5 Jahren hier lebt, hatte mir es mal erklärt: Es gibt hier keinen Mental-Healthcare-Plan, d.h. für Leute die nicht ganz richtig im Kopf sind, oder aufgrund vom gehobenen Alter schon ein paar Murmeln abhanden gekommen sind, werden eben in solche “dummen” Jobs gesteckt. Auch für Arbeitslose werden diese Tätigkeiten regelrecht “geschaffen”. Trotzdem erfüllen die dann, wie jeder andere Japaner, ihren Job pflichtbewusst, weil sie somit ein wichtiges Mitglied der Gesellschaft sind.

Von daher geb ich mir Mühe diese Jobs zu respektieren. Was dann auch dazu führt, dass ich eben dort lang gehe, wo mich der Herr in Uniform bittet hinzugehen. Auch wenn das garnicht der Weg ist, wohin ich will. Man ist halt höflich hier.

Wie dem auch sei, Arbeit finden ist nicht leicht. Gibt zwei Sachen die mir da im Wege stehen:

1. Meine schlechten bis nichtvorhandenen Japanisch-Fähigkeiten
2. Die schlimmste Rezession in Japan seit 20 Jahren

Trotzdem fand ich nun im Goethe-Institut einen Aushang mit nem Job-Angebot in nem Café. Stand zwar drüber, den Aushang hängen zu lassen, aber ich dachte, wenn ich ihn mitnehme, könnte ich meine Chancen der einzige Bewerber zu sein, enorm steigern.

Neun Monate Küchen-Arbeit als Zivi in nem Kindergarten, mit pro Tag 200 Kindern härten ab, also suche ich vermehrt solche Küchenjobs, weil ich dort die Erfahrung habe. Zumal gibts dabei meist auch gratis Essen, was auch nochmal Kosten spart.

Das Café befand sich in Jiyugaoka, etwas außerhalb und ruhig gelegen. Viele ausländische, vorallem italienische/französische/britische Cafés und Restaurants, dazu viel pseudo-europäische Architektur. Oder zumindest das, was die Japaner unter europäisch vorstellen.

Das Cafe mit dem Job war in der italienischen Ecke. Zwischen ein paar Backsteinhäusern gab es einen kleinen Kanal mit venezianischer Gondel. Das Café selbst war französisch/deutsch, und es gab unter anderem “Original Berliner Currywurst” auf der Karte. Für umgerechnet 4€ gabs ein Stückchen Heimat. Zumindest die Curry-Soße schmeckte wie Berlin, doch das bisschen Wurst war auf keinen Fall deutsch. Dazu gabs Sauerkraut.

Die Inhaberin war japanisch, lebte zehn Jahre in Amerika und arbeitete für nen Fernsehsender. So wie sie aussah, bestimmt vor der Kamera. Sie hatte Verständnis für mich als armen Journalisten und gab mir Tipps.

Ihr Mann war deutsch und er liest hoffentlich nie diesen Blog. Denn ihr Mann war ein ziemlicher Arsch.

Setzte sich bräsig vor mich hin, mit einer “Was willst du denn hier?” Einstellung. Er stellte mir Fragen, ignorierte aber die Antworten. Er stand ab und an mal auf, ohne ein Wort zu sagen, und kam dann irgendwann mal wieder. Ungefragt nahm er sich meine Kamera, die ich mal zeigen wollte, und ging rum und fotografierte. Als er dann irgendwann wiederkam, fehlte an der Kamera ein Teil, was sich dann aber nach einer Weile Suchen wieder fand. Er lebt seit 13 Jahren hier, spricht aber kaum Japanisch.

(Diese Gruppe von Deutschen, die hier seit Jahren leben, aber kein Japanisch können, trifft man hier häufiger. Ich finds peinlich und respektlos)

Wie dem auch sei, wie es der Zufall wollte, war genau zu dem Zeitpunkt, wo ich da war, ein Fotoshooting draußen, die Models waren die Kellnerinnen des Cafés, und gleichzeitig die Tochter der Inhaberin, und deren Freundin. Beide flüssig in Englisch, wenn auch in diesem oberflächlichen Amerikanischen (jedes zweite Wort war “like”, “you know like, like totally, duh?!”)

Die Fotografin war eine Hobbyfotografin, mit ner digitalen Leica. Die Leica kam aus Deutschland, was sie mir dann auch ganz stolz zeigte, als ich ihr sagte, ich bin aus Deutschland. Deutsche sind hier beliebt.
Es ging um eine Tennisklamotten-Kollektion. Der Betreiber vom Sport-Geschäft und der Designer der Kollektion waren zusammen mit der Hobby-Fotografin vor Ort. Warum auch immer sie ein pseudo-europäisches Setting gewählt haben, um Sportkleidung zu präsentieren.
Das weder der Geschäftsinhaber noch der Designer Ahnung von Fotografie hatten, war schnell klar. Die Models wurden immer gekonnt in den Schatten gesetzt, stets in einer Pose, die er sich irgendwie im neuesten Quelle-Katalog abgeschaut hat, und nun schlecht imitierte.

Ich schnackte mit der Hobbyfotografin, und gab ihr ein paar Tipps. Und obwohl sie es besser wusste, hat sie stets die Bilder so gemacht, wie der völlig unfähige Designer mit Ziegenbart es verlangte. So läuft eben die Hierarchie hier in Japan.

Ich konnt mir das nicht lange ansehen, schnappte mir das Modell und inszenierte selbst etwas.

Die Ergebnisse waren dann gelungen, und erstaunten die Unfähigen. Doch statt mir Folge-Aufträge zu geben, waren sie dann doch eher angepisst, dass ich sie so bloßgestellt hatte.

trotzdem hübsche töchter und putzige hunde

Nach dem Shooting kam die Chefin vom Café auf mich zu, wegen dem Job. Sie meinte, sie überlegt nochma, aber sie glaubt, dass ich als Fotograf besser bin, als als Kellner.

Recht mag sie haben.
Vielleicht professionell, aber trotzdem immernoch pleite in Tokyo.

rennende japanische Mädchen

(wenn man die kamera rausholt gibts immer eine gruppe japanischer mädchen die posieren. keine ahnung wer die sind, aber sie hatten spaß fotografiert zu werden)

war heut bei nem Matsuri, das sind Sommerfestivals, die überall stattfinden, mal hier, mal da. Vergleichbar mit ner deutschen Kirmes, aber dann doch mehr mit Tradition und vorallem besseren japanischen Essen. Meist findets um nen Tempel herum statt, mit Tanz und Kultur.

Heute war das Matsuri in Roppongi, dem Partyviertel von Tokyo. Das schreiben zumindest alle Reiseführer, weswegen alle Gaijin (=Nichtjapaner, Ausländer) nach Roppongi gehen, um Party zu machen. Das führt dazu, dass in Roppongi fast nur Gaijin sind, und leichte japanische Mädchen, die auf Gaijin stehen.
Meistens sind die Gaijin oberflächliche Amerikaner, und die Japanerinnen etwas dümmlich. Bestes Beispiel beim Matsuri heute:
Ein Amerikaner zerdrückte mit lauten Rülpsen an seiner Stirn eine Bierdose, was die Japanerinnen anscheinend sehr amüsant fanden, und der Amerikaner zum Anlass nahm, mit ihnen high-five zu machen.

Auf einmal Hektik – hunderte von japanischen Mädchen rannten in eine Richtung. Ich dachte zuerst, Godzilla ist vorbeigekommen, und hat den Amerikaner wie eine Bierdose zerdrückt. Als Fotojournalist in-spe bin ich natürlich mitgerannt.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite liefen drei Jungs – und hinter ihnen eine Traube von hunderten japanischen Mädchen, die alle ihr Handy zückten um die Jungs abzulichten. Trotzdem hielten sie stets zwei Meter Abstand zu den Jungs, die sich dabei die größte Mühe gaben, so zu tun, als merkten sie nicht, dass hunderte japanische Mädchen respektvoll aber stetig hinter ihnen her wackelten.
Einen Japaner fragte ich dann, wer das nun war, und es stellte sich heraus, dass es “Schauspieler” einer Soap waren.

Meine deutsche Begleitung meinte, sie würde nicht gern in Japan berühmt sein wollen.

Ich persönlich hät jedoch nichts dagegen, wenn mir hunderte japanische Mädchen, gekleidet im Yukata, folgen würden.

Ganz ehrlich.