Ich hatte eine Ausstellung in Hiroshima.
Eine Ausstellung über fünf Jahre Japan und sechs Monate Hiroshima.
Zeit für Zäsur.
Was braucht man für eine Ausstellung?
– wenig Schlaf
– zahlreiche Helfer
– ein gesprengtes Budget
– viel Tütensuppe, KitKat und Fanta-Weintraube (von mehr hab ich mich vergangene Woche nicht ernährt)
Aber fangen wir von vorne an. Seit meinem letzten Eintrag ist viel Zeit vergangen.
Am Anfang vom Semester an der Hiroshima City University habe ich mir vier Projekte vorgenommen. Eines ist so gut wie fertig, es fehlt nur noch der Schnitt.
Eines ist wahrscheinlich gecancelt, weil japanische Behörden es nicht gerne sehen, wenn ausländische Journalisten über Suizid in diesem Land berichten es etwas kompliziert ist.
Eines ist verschoben auf später, weil es gerade arschkalt ist, weil bereits ein Fotograf aus Deutschland 2013 dort war, weil ich beschäftigt war.
Und ein Projekt wird immer größer, je mehr ich dazu recherchiere.
Dann war ich von Mitte Dezember bis Mitte Januar auf Reisen. Osaka und Kyoto, wo ich bisher nie war. Bei der Gelegenheit habe ich gleich zwei neue Projekte mitgenommen. Dann wieder Tokyo, wo ich Weihnachten und Geburtstag in Kreis von Freunden verbrachte.
Es waren viele alte Freunde in der Stadt, teilweise hatten wir uns seit drei Jahren nicht mehr gesehen. Sicherlich meine größte Geburtstagsfeier seit der 2. Klasse. Sonst feier ich immer klein, weil meine engsten Freunde über den Globus verstreut sind.
In den zwei Wochen in Tokyo habe ich eigentlich fast nur geschlafen. Ich war irgendwie nur kaputt. Mein Körper wird schon wissen, warum er Ruhe braucht. Und ich bin wahrscheinlich der einzige in der Welt, der nach Tokyo fährt, um Ruhe zu finden. Aber es ist schließlich ein Zuhause.
Viel ist passiert. Ich hab auch einen Bart gewachsen und dann wieder abrasiert weil andere Leute mich dazu drängten weil er immer im Reissverschluss meiner Jacke steckenblieb weil man in Japan nicht auf Bärte steht.
Kaum war ich wieder rasiert in Hiroshima, hieß es auch schon Ausstellung. Mein Dozent sagte mir bei einem Treffen ständig hayaku – beeil dich. Das war allerdings nicht sein eigenes Motto, denn zu unserem Treffen kam er drei Stunden zu spät.
Fotojournalismus-Studenten aus Hannover haben in Hiroshima im Rahmen unseres Stipendiums relativ freie Hand. Wir müssen keine Kurse besuchen, sondern können frei an unseren Projekten irgendwo in Japan arbeiten. Am Ende des Semesters haben wir dann eine Ausstellung, wo wir unser Projekt zeigen sollen. Eigentlich.
Ich hatte aber nun wieder vergessen, wie zäh und langwierig manche Prozesse in Japan sein können. Teilweise musste ich Wochen warten, bis die Zu- oder Absage für ein Projekt kam. Oft wurde ich auch hingehalten. Dann tauchte aber auch wieder ein neuer Dreh zur Geschichte auf, der sich am Anfang gar nicht ergab.
Kurzum, keines meiner Projekte war fertig, als die Ausstellung geplant werden sollte. Was nun.
Die Idee einer Ausstellung mit meinen Japan-Bildern hatte ich schon, seitdem ich das erste Mal das Land verlassen hatte. Es gab dann hier und da ein paar Ansätze in Deutschland, aber alles verlief irgendwie im Sande.
Das jetzt hier war meine erste eigene Ausstellung. Ich wollte die Gelegenheit also nutzen, endlich die Bilder zeigen zu können, die ich schon länger mal zeigen wollte.
Von der Uni gab es dafür 30.000 Yen und einen Raum in der Alten Bank von Japan, deren Japanischer Name auszusprechen mir wohl nie gelingen wird.
Am 6. August 1945 hat die Druckwelle der Atombombe das Dach der Bank aufgesprengt und die Tür vom Tresor verbogen. Am 8. August nahm die Bank wieder ihren Betrieb auf. Ohne Dach. An Regentagen standen die Angestellten mit Regenschirm am Schalter.
Heute ist die Bank eine öffentliche Galerie und Raum für Künstler. Der Eintritt ist stets frei, das Programm wechselt teilweise jede Woche. Manchmal sind echt sehr gute Ausstellungen dabei, wie von Chim↑Pom im Dezember oder von einem Mann, der den Saal mit hunderten bunter Regenschirm füllte.
Vergangene Woche lief gleichzeitig mit meiner eine Ausstellung vom Fotoladen Saeda. Der ist keine 500 Meter entfernt, auf der anderen Straßenseite.
Saeda hatte einen Foto-Wettbewerb unter seinen Kunden ausgerufen, die zahllosen Bilder waren alle recht trivial. Katzen, Kinder, Sonnenuntergänge. Das Übliche eben. Aber es zog sicherlich viele foto-affine Leute an, die dann sich teilweise auch auf den Weg zu mir in den 3. Stock machten.
Ich hatte lange überlegt, welche Bilder ich denn nun zeige. Was kann die Leute in Hiroshima interessieren? Was möchte ich zeigen?
Schließlich brachte mich dann eine japanische Studentin auf die Idee: Mach es doch wie in deinem Blog. Kleine Geschichten mit Text und vielen Bildern.
So hatte ich dann in der Ausstellung Fukushima neben Bands aus Tokyo, Nagasaki an der Wand und meine größte Geschichte direkt neben dem Cover eines Magazins.
An den Wänden hatte ich Einzelaufnahmen aus Tokyo, Hiroshima und dem Rest von Japan, die ohne Kontext funktionierten.
Zusätzlich hatte ich noch zehn danboru. Das sind selbststehende Pappwände, auf denen ich die einzelnen Geschichten erzählen und viele Bilder anbringen konnte.
Der Grund, warum ich so viele kleine Bilder hatte, ist simpel: Mein gesamtes Foto-Archiv ist in Berlin. In Japan hatte ich nur kleine Dateien dabei, oder nur die Fotos in geringer Auflösung online im Blog. Große Sprünge Drucke konnte ich damit nicht machen. Daher war mein Motto auch ganz klar: Quantität vor Qualität.
Während wir in der Bank noch klebten, kamen schon ungeduldige Besucher. Alle alt, alle männlich, alle mürrisch. Wir sollten uns doch mal beeilen, sagten sie.
Einer fragte mich auch, ob ich die Kirschblüten in Fukushima gesehen hätte. Die seien wunderschön, sagte er. Sicherlich sind sie das. Sie leuchten bestimmt auch im Dunkeln.
Wir haben insgesamt drei Tage in der Bank gebraucht, um alles anzubringen. Davor halt eine Woche in der Uni. Drucken, Schneiden, Kleben. Zum Glück hatten wir viele willige Japanerinnen freundliche Helfer, die uns unterstützten.
Es ist ordentlich viel schief gegangen. Blasen auf dem Papier beim Anbringen auf den Klebeplatten. Verschnitt und Kratzer. Dann fiel der Drucker aus, Tinte war alle oder die große Rolle Glanzpapier war aufgebraucht. Die Uni war dann auch eine ganze Woche geschlossen, wegen der Examenszeit, also konnte ich nicht drucken.
Shouganai war oft das Wort des Tages. Shouganai – da kann man nix machen, ist halt so. Ich hatte zeitweise überlegt, die Ausstellung umzubenennen. Shouganai Japan.
Der Titel stammt von meinem Kommilitonen, der seine Fotoausstellung eine Woche vor mir hatte. Ursprünglich war angedacht, dass wir eine zusammen machen. Aber da ich etwas beschäftigt war und er reisen wollte, haben wir es verschoben. Das hatte natürlich auch zur Folge, dass wir unser Budget von der Uni gesplittet haben. Aber dafür hatte ich dann den großen Raum für mich alleine. Auch nicht verkehrt, da sich unsere Fotografie stark unterscheidet.
Er wählte “Nihon Nikki”, was “Japan Tagebuch” auf Japanisch heißt. Ich fand das ganz passend, für meine Bilder ohne Zusammenhang. Auch wenn es Schlussendlich einfach eine Ausstellung meiner Arbeit in Japan wurde.
Ich wählte das deutsche “Tagebuch Japan”, weil Japaner deutsche Worte zu lieben scheinen. Auf vielen Produkten, insbesondere aus dem Schul- und Büro-Bereich, findet man sie aufgedruckt.
Das Poster wurde mehrmals überarbeitet. Mal gefiel es mir nicht, mal nicht dem Sensei. Und dann kam Yuki, deren Poster-Designs regelmäßig Preise gewinnen und die, so viel habe ich bisher hier gelernt, mit Abstand beste Designerin an der Uni ist.
Das finale Design fand ich zwar etwas merkwürdig. Aber sie meinte, Japanern gefällts.
Die Bank liegt auf der Hondori, eine der belebtesten Straßen in Hiroshima. Hier ist der Sitz von NHK und zwei Einkaufsstraßen kreuzen. Es ist ein Verkehrsknotenpunkt, der Busbahnhof liegt hier und am anderen Ende ist der Atombomben-Dom. Prima Lage.
Am Tag der Eröffnung stellte ich das Schild mit dem Poster ganz weit vor die Tür auf die Straße. Das soll man zwar eigentlich nicht, aber es zieht Leute an.
Ich blieb kurz einen Moment stehen und beobachtete die Straße. Eine Dame hastete in schnellen Schritten an der Bank vorbei, Richtung Straßenbahn. Im Augenwinkel sah sie mein Poster und wurde langsamer. Zögerlich ging sie auf das Schild zu. Sie blieb davor stehen, betrachte es genauer für eine halbe Minute – und ging dann an mir vorbei die Treppe hoch.
Yuki hatte Recht. Japaner mögen das Design.
In der Bank wurden Dezember 2012 schon einmal vier Fotos von mir ausgestellt, als Teil einer Ausstellung von Yuki, die ich damals im Sommer in Hannover traf.
Ich mag den Ort. Man sieht die Geschichte in jeder Ecke. Ursprünglich wollte ich auch die Ausstellung im ehemaligen Tresorraum machen. Der hat nämlich nur einen Ausgang – eine Zweitonnen-Stahltür, verbogen durch eine Atombombe. Interessant beklemmendes Gefühl in dem Raum.
Zur Vernissage hatte ich einen kleinen Filmabend organisiert, bei dem ich meine Multimedia-Arbeiten aus Deutschland und Japan zeigte. Ursprünglich sollte es die Premiere vom fertigen Film eines meiner Projekte sein. Es war aber einfach nicht mehr drin, den noch rechtzeitig zufriedenstellend fertig zu bekommen. Ich hatte es auch nicht mehr geschafft, Japanische Untertitel für meine anderen Filme zu machen.
Deswegen haben die Filme auch nicht so funktioniert, wie ich mir das erhofft hatte. Aber die Bilder haben gefallen.
Gesamt kann ich zufrieden sein. Ich war nicht jeden Tag in der Ausstellung, aber ab und an, um nach den Bildern zu sehen. Die sind nämlich nicht bombenfest an die Wand angebracht fallen nämlich gerne mal runter, weil sich das billige Tape löst. Aber jedes Mal war der Raum gefüllt.
Auf Twitter ging die Ausstellung nach einer Meldung in diversen Medien auch ordentlich ab.
Durch die Ausstellungen, die zuvor in diesem Raum waren, bin ich immer schnell durchgesaust. Die Bilder ließen sich all zu oft zu leicht erfassen oder waren einfach langweilig. Mir war es daher wichtig, eine längere Verweildauer bei den Leuten zu erreichen. Daher variierte ich die Größe der Bilder, sodass man seine Position beim Betrachten ständig wechseln muss. Auch die Texte und kleinen Fotos sorgen dafür, dass man etwas länger bleibt.
Ich habe keine genauen Zahlen, wie viele sich jetzt die Ausstellung angesehen haben. Aber 1.000, 2.000 Leute? Bestimmt.
Ich hatte bei meinen bisherigen Reisen nach Hiroshima schon gut Kontakte sammeln können, von denen ich jetzt natürlich sehr profitierte. Zwei Kontakte sind da besonders zu erwähnen.
Bei der Filmkommission Hiroshima arbeitet jemand, der alle ausländischen Medienvertreter in Hiroshima betreut. Wenn die BBC, das ZDF oder der Spiegel etwas über Hiroshima bringen, haben sie mit ihr gesprochen.
Die Dame kenn ich seit 2009, sie ist inzwischen eine gute Freundin und eine wichtige Vertrauensperson in Hiroshima geworden. Durch sie lernte ich auch eine weitere Dame kennen, eine erfolgreiche Netzwerkerin. Ich traf sie bei einem Filmfestival, wo sie mich gleich unaufgefordert vielen Leuten vorstellte: Der Hiroshima Chef von Mazda, Regisseure, Künstler. In unserem ersten Gespräch erwähnte ich im Nebensatz, dass ich deutsches Brot vermisse. Eine Stunde später überreichte mir jemand ein Paket von der (teuren) dänischen Bäckerei ein paar Straßen weiter. Ein Geschenk von ihr.
Sie war bei der Vernissage dabei und berichtete darüber auf Facebook. Und zack, 97 Likes.
Ich war im International Conference Center Hiroshima (direkt neben dem Atombomben-Museum) um mein Poster aufzuhängen. Nach dem bürokratischen Geplänkel (Wer? Was? Wie lange?) überreichte ich ihr endlich mein Poster. Die Reaktion: “Oh, das Foto kenn ich. Ich hab es auf Facebook gesehen!”
Einer meiner beiden Kontakte muss es geteilt haben.
Ich habe das Gefühl, allein durch diese beiden Damen, hat man Zugang zur ganzen Stadt.
Insgesamt zeigte ich Fotografien von 2009 bis 2014. Fünf Jahre Japan. Ich war selbst etwas erstaunt darüber. Es scheint fast so, als hätte ich den fünf Jahren nix anderes gemacht.
Und es scheint fast so, als habe ich den letzten fünf Jahren nix anderes gemacht, als die gleichen Bilder zu recyclen.
Die Bilder sind bekannt. Sie sind auf meiner Homepage, sie sind in meinen Büchern. Sie sind nicht neu.
Ich kenne genug Fotografen, die von ihrem Archiv leben. Die in Ausstellungen die immer gleichen Bilder zeigen. Die ähnlich wie Musiker in stets neuen “Best Of”-Alben ihr altes Material neu verpacken. Und eigentlich nervt mich das.
Am spannendsten für mich in der Fotografie, ist das Machen. Alles, was danach kommt, empfind ich eher als lästig. Von daher bin ich auch gerade viel am Reisen, Fotografieren, Recherchieren. Machen.
Das Zusammentragen, Editieren, Aussortieren – davor drück ich mich eher. Es gibt doch noch so viel, was man Fotografieren kann. Warum muss ich dann drinnen vorm Rechner hocken und Pixel schieben?
Jedoch will ich das jetzt mal angehen, diesen Monat. Nicht Reisen, sondern hier bleiben. Spart Geld. Und ich verliere nicht den Überblick darüber, was ich schon alles fotografiert habe. Ich kann überlegt neue Bilder angehen.
Ein Semester ist vorbei. Das Stipendium ist aus. Trotzdem habe ich mich entschlossen, bis zum Sommer zu bleiben. Nicht nur wegen meiner anderen Projekte. Sondern wegen einem Projekt.
Wegen dem Projekt kam ich auch mit der Ausstellung in die Zeitung.
Es geht um Gas, 2. Weltkrieg und ein dunkles Kapitel von Hiroshima. Seit Oktober recherchiere ich daran und es wird größer und tiefer, je mehr Leute ich dazu interviewe.
Das Ziel ist ein 10-15 Minuten langer Dokumentarfilm. Eventuell wird die Geschichte auch mein nächstes Buch. Es ist auf jeden Fall groß, spannend und hat alles, was man sich als junger Journalist von einer Geschichte wünschen kann.
Im November war ich bereits sechs Sekunden lang auf NHK zu sehen, aber in einem anderen Zusammenhang. Mit der Dame von NHK, die mir die Fragen stellte, war ich eine Woche später Kaffee trinken. Intelligente Frau, auch wenn sie vor der Kamera nur lieb lächeln soll und nie ihre Talente zeigen darf.
Nach der Chugoku Shimbun sind jetzt auch anderen Medien aufmerksam geworden. Die Zeitung Mainichi und zwei Leute vom Sender NHK wollen mich zu meinem Projekt befragen – selbst wenn es noch nicht mal annäherend fertig ist.
Das Projekt ist mir wichtig. Wegen dem Projekt will ich weiter in Hiroshima bleiben. Das Geld wird zwar ab jetzt etwas knapper sein. Aber das ist nicht wichtig.
Wichtig ist nur, was ich jetzt erreichen kann. Und das verspricht viel zu sein.