Komponieren statt studieren

In diesem Sommer war ich wieder bei einem Konzert von jungen Bands in Tokyo. Die Kamera war mit dabei und diesmal auch ein Aufnahmegerät. Ich traf auf viele junge Talente und auch auf ein bekanntes Gesicht.

Als ich noch in Tokyo lebte, habe ich eine junge Sängerin kennengelernt, habe sie und ihre Band über das Jahr begleitet, bis es schlussendlich zum Abschlusskonzert und dem Ende der Band kam. Bei meinem Besuch jetzt im Sommer lud sie mich zum Konzert ihrer neuen Band ein.

In einem Live-House-Club, in einem Keller irgendwo im Osten vom Stadtteil Nakano, begann am frühen Abend eines Samstag im August das Konzert. Tokyo’s Sommerhitze spürte man hier unten auch noch deutlich.
Als ich meine reservierte Eintrittskarte bezahlen wollte, wusste man schon meinen Namen, bevor ich ihn sagen konnte. Blonde Ausländer verirren sich nicht häufig hier runter. Kurze Zeit später schallte mein Name auch durch den ganzen Club, als Sayuri mich entdeckte.

Sie ist immer noch so fröhlich und voller Energie wie früher. Hektisch stellte sie mich den irritierten Gästen als Fotograf aus Berlin vor. Ich überreichte ihr Mitbringsel aus Deutschland: Schokolade und die Kopie eines Magazins, in dem ich über sie und andere junge Bands in Tokyo geschrieben hatte. Meine Erfahrungen und Fotos der Band wurden diesen Juni in Deutschland abgedruckt, Sayuri erzählte ich davon aber nichts, da es eine Überraschung bei meiner Rückkehr sein sollte. Und was für eine Überraschung es war. Sonst immer fröhlich am plappern verschlug es der Sängerin Sayuri glatt die Sprache.

Sie war noch vertieft in den Artikel als ich in den neuen Mitgliedern ihre Band vorgestellt wurde. Kurz danach verschwand sie schon im Backstage-Bereich, um sich auf den Auftritt vorzubereiten. Das Magazin blieb vor der Bühne und verschiedene Künstler und Zuschauer versuchten die deutsche Sprache zu entziffern.

Bis zum Auftritt des ersten Solo-Künstlers füllte sich der Club nur langsam. Ganz voll sollte er nicht werden. Aber das Schicksal klein und unbekannt zu bleiben, und für ihre Auftritte selbst zu bezahlen, teilen viele junge Künstler in den Kellern von Tokyo.

Der erste Song war auch der einzige am gesamten Abend, den ich verstanden hatte:

Frei übersetzt:
“Mutter sagt: geh zur Uni; Vater sagt: geh zur Uni; Ich sage: keine Ahnung”

Er beschreibt da sehr schön den Widerspruch, den sich viele junge Künstler in Tokyo ausgesetzt sehen. Karriere oder Musik. Beides lässt sich selten verbinden, wenn man drauf besteht, seine eigene Musik machen zu wollen. So ist Sayuri auch Studienabbrecherin, die jeden Tag als erste im Büro ist und als letzte geht. Wo sie da noch die Zeit für die Musik findet, ist mir ein Rätsel. Seit 7 Jahren arbeitet sie so, die wenig freie Zeit, die sie hat, steckt sie in die Musik.

Er sollte am Ende des Abends noch mal einen Auftritt mit Band haben.

Die nächste Band war Tengoku (天国), was so viel wie Himmelsreich bedeutet. Erklärt auch, wo der Sänger seine Inspirationen herbekommt.

Die Band besteht aus zwei Leuten, Piano und Gesang. Sänger wie Musik waren sehr psycho. Er wechselte von sanften Sprechgesang zu Schreien, manchmal erzählte er nur eine Geschichte zu Klavierklängen, ein anderes Mal sang er von seinem Großvater und seinem Leben. Es lag eine merkwürdige Faszination über ihm und seiner Musik, gepaart mit einem starken Piano. Mein Lieblingslied des Abends stammte auch von ihm: ‘Ten’.

Will er sich das Ohr zu halten oder mit höheren Wesen kommunizieren? Bei ihm konnte man sich da nicht sicher sein.

In seinen Bewegungen schwankten immer zwischen Priester und Märchenonkel. In seinem gepflegten schwarzen Hemd bewegte er sich kaum vom Mikro weg und ließ von dort seinen Gesang wirken.

Der Priester verließ die Bühne und es wurde wieder schwarz. Mittlerweile hatte der Club die maximale Anzahl Zuschauer erreicht. Der nächste Auftritt war Sayuri. Sie hatte die meisten Fans.

Während sie zum Schluss eigentlich nur noch das einzige feste Mitglied ihrer alten Band FLAVA war, spielt sie nun zusammen mit vier anderen in ihrer neuen Band ‘sallie’. Größte Änderung ist die Addierung von Saori, der zweiten Sängerin und… Akkordeon-Spielerin.


Saori Backstage, vor dem Auftritt

Eine Japanerin und ihr Akkordeon. Wie es dazu kam erklärte sie mir vor dem Auftritt: Ihr Großvater spielte früher das Instrument und als er starb, verstaubte das Gerät auf dem Dachboden. Sie hat es hervorgeholt und sich das Spielen beigebracht. So spielt ihr Großvater zusammen mit ihr auf der Bühne.

Der Auftritt von sallie begann mit einem lauten Knall, in dem alle Instrumente und Stimmen unisono ertönten. Das gab gleich die Richtung für die folgenden Songs vor und machte den Unterschied zu Sayuris alter Band deutlich. Während FLAVA noch etwas ruhiger, melancholischer und bedachter spielte, ist sallie etwas rockiger, schneller und vorallem lauter. Damit nähert sich Sayuri an eine weitere junge Band in Tokyo an: salparadise (Affenparadies), wo Sayuri im Background singt. Diese Band hatte inzwischen auch schon sein zehnjähriges Bühnenjubiläum. Zehn Jahre auf den kleinen Bühnen von Tokyos Kellern.

Die Entscheidung, eine zweite Stimme auf die Bühne zu holen, war keine schlechte. Auch wenn Saori etwas besser singt.

Und inmitten von allem: das Mädchen und ihre Ziehharmonika.

Wenn nicht gespielt wurde, konnte man sehen, wie sie das Akkordeon immer fest an sich drückte. Vielleicht damit es nicht herunterfällt. Aber vielleicht auch in Erinnerung an ihren Großvater.

Die Richtung, in die sallie will, ist klar. Immer höher und irgendwann vielleicht aus dem Keller raus.

Und mit dem Schlussakkord im Rampenlicht…

…endete der Auftritt von sallie.

->Weblink: sallie Homepage

Ich wusste zuerst nicht, ob man mich und mein Mikro erlauben würde. Urheberrecht und so. Und manchmal hat auch der Club-Betreiber was dagegen. Doch als ich mein Mikro Sayuri zeigte, sagte sie nur Danke und umarmte mich. Ich nahm das mal als Pressegenehmigung.

Das letzte Konzert, was ich als offizieller Fotograf fotografierte, war noch vor einem Jahr in Japan. Konzertfotografie begeistert mich schon sehr, aber es ist auch sehr schwierig. Die Lichtverhältnisse sind schlecht und ändern sich fortlaufend, die Bewegungen auf der Bühne sind schnell. Ich machte an dem Abend viele verwackelte Bilder, bis mir dann auffiel, dass mein Fuß zur Musik mittanzte. Es ist schwierig gute Bilder machen zu wollen und gleichzeitig die Musik zu genießen.

Auf der Bühne passiert immer so viel! Ein wunderbares Schauspiel von Emotionen und Kreativität. Jeden Moment möchte man da als Fotograf mitnehmen. Vorallem geht man danach, was visuell interessant ist. Das Mädchen und ihr großes Akkordeon war zum Beispiel ein visuelles Bonbon auf der dunklen Bühne. Sänger und andere Künstler machen es einem ja generell zum Glück leicht, indem sie sich extrovertiert kleiden und geben.
Bei den Auftritten der kleinen Bands bin ich auch als Fotograf relativ unmittelbar nah an den Künstlern. So nah, dass sie manchmal das Klicken meines Auslösers irritierte.

Nach einer Umbaupause, überbrückt mit Beatles und Rolling Stones aus den Lautsprechern, kam der Auftritt von der nächsten Band, haikarasan (はいからさん), die sich musikalisch und leicht optisch bei beiden orientierte, ohne jedoch in ihren Songs genau so interessant zu sein. Die Namen von japanischen Bands zu übersetzen ist immer recht schwierig. Ich kann mir noch zusammenreimen, dass haikara japanisch für Highcollar sein soll, was so viel wie modisch bedeutet, bzw. sich in den schicksten westlichen Klamotten zu kleiden.

->Weblink: haikarasan Homepage

Die folgende Band, ‘walking down by low’, gab sich mehr Mühe. Der Lead-Singer rockte das Mikrofon und sein flamboyanter Gitarist lächelte selig.

Der Lead-Singer kam nach dem Konzert nochmal auf mich zu, hackedicht, wie das eben bei Sängern Pflicht ist. Er hat drei Jahre in L.A. gelebt und probierte sein Englisch bei mir aus. Trotzdem er betrunken war, sein Englisch war noch mehr als passabel.

Sänger “Mit welchem Visum bist du hier?”
Ich “Diesmal? Mit einem Touristen-Visum, das heisst ich muss bald weg.”
Sänger “Scheiss auf dein Visum! Ich hab drei Jahre in den USA ohne Visum gelebt!”
Ich “Ja, aber kannst du jemals wieder in die USA einreisen?”
Sänger “….”

Er schwieg nur, aber es war klar, dass er das nun nicht mehr kann. Und das würde ich für Japan sehr gerne vermeiden…

-> Weblink: walking down by low myspace

Auftritt der letzten Band und ein Wiedersehen mit dem Solo-Künstler vom Beginn des Abends. Nun nannten sie sich ‘utsubo’

Er war jetzt weniger ruhig und bedacht in seinen Songs, es wurde rockiger und auch er ging mehr ab.

Und falls ihr euch fragt, wo sein Fuß ist, der ist nicht abgeschnitten sondern nur im nächsten Foto gelandet.

Eine Dame am Bass sieht man auch selten.

Er wurde von allen nur ‘Onkel’ genannt, eine Anspielung auf sein Alter. Trotzdem respektierte ihn alle, und er brachte auch als einziger vermehrt ernste Inhalte in seinen Texten unter. Es ging darin um Leute, die ihm ständig sagten, dass man mit Kunst kein Geld verdient und um persönliche Freiheit im Leben. Nur einmal wurde es eindeutig politisch. Ich konnte zwar nicht verstehen, worum es genau ging, aber ‘Genpatsu’ – Atomkraftwerk fiel einige Male.

Der Abend endete mit John Lennon’s ‘Power to the People’, in das die Band und Zuschauer einstimmten. Danach war es auch genug Politik für einen Tag in einem Keller in Tokyo.

->Weblink utsubo Homepage

Ich drückte auf den “Aufnahme beenden”-Knopf auf meinem Mikrofon. Seit Beginn des Konzerts vor vier Stunden lief der Zähler. Per Knopfdruck rechnete das kleine Gerät alles ins mp3 Format um. Zwei Stunden und eine entleerte Batterie später war es damit auch fertig.
An der Theke bestellte ich noch ein wirklich exzellentes Sandwich während ich auf eine Gelegenheit wartete, nach einem Jahr mal wieder mit Sayuri zu reden. Sie hatte vorher noch Fans, Kollegen und Bekannte zu versorgen. Wie immer gab sie sich Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen, wie erschöpft sie doch war, doch wenn sie sich unbeobachtet fühlte, konnte man es sehen.
Auch wenn mein Japanisch verglichen mit einem Jahr zuvor besser geworden ist, so hatte ich doch Probleme, sie zu verstehen. Sie plappert fröhlich und schnell vor sich hin. Nur als ich sie bat, Rücksicht auf blonde Ausländer zu nehmen, schraubte sie etwas verlegen ihr Tempo runter.
Wie schon ein Jahr zuvor lud sie mich zum Essen ein, doch dazu sollte es, wie schon ein Jahr zuvor, nicht kommen. Dafür ist sie einfach zu beschäftigt. Wie sie überhaupt alles so schafft ist mir ein Rätsel.

Wir waren beide müde als wir uns verabschiedeten, doch nur mir sah man es auch an. Ich winkte im Vorbeigehen dem Lead-Singer noch zu, doch der war gerade dabei einen weiblichen Fan zu bequatschen. Mit Erfolg, wie es schien.

Ich verließ den Keller und sagte Tschüss zur Musik. Hoffentlich nicht wieder für ein ganzes Jahr.

Die russischen Kunstfälscher von Berlin-Neukölln

Die drei Brüder Eugen, Michael und Semjon Posin sind seit über 40 Jahren Kunstfälscher – auch wenn sie sich selbst lieber als Kunst-Kopisten bezeichnen. „Man kann Kunst nur verstehen, wenn man sie nachmalt und sich in die Perspektive des Künstlers versetzt“, sagen sie. Im Showroom haben sie die Mona Lisa, im Keller Genosse Stalin. Für die Brüder sind ihre Werke keine reinen Kopien – es sind Reinkarnationen des Originals.

Die FH Hannover verlangte für die Bewerbung im Studiengang Fotojournalismus eine Hausarbeit zum Thema “Plagiat”. Ich wollte gerne etwas mit Kunstfälschern machen, da das auch schön grafisch ist und man einen Herstellungsprozess erzählerisch begleiten kann. Eine schnelle Google-Suche fand gleich ein paar Kunstfälscher in Berlin, die in einem Wohnhaus in Neukölln seit 20 Jahren legal Kunst fälschen.

Nun weiss ich genau drei Sachen über Russland:
1. Da kommt der Wodka her
2. Dort wird er sehr gern getrunken
3. Mein Bruder machte dort 18 Monate lang seinen Zivildienst

Die Russen (ohne Wodka) lernte ich oft als schroff, unfreundlich und kühl kennen. Die drei Kunstfälscher bildeten keine Ausnahme.

Der Email-Kontakt vorher war zwar professionell, aber immer sehr knapp. Einem Fototermin sagte man nach mehrmaliger Anfrage zu und ich kam zu einem ersten Gespräch vorbei. Mit der Zigarette in der Hand und hinter drei leeren Weinflaschen erklärte mir einer der Brüder in gebrochenen Deutsch, was sie hier machten. Ein Lächeln konnte ich ihm nicht entlocken und viele Fragen zu ihrer Arbeit winkte er ab. Bei diesem ersten Gespräch hatte ich bewusst die Kamera nicht mitgenommen. Ich wollte mir vorher ein eigenes Bild des Ortes und der Personen machen, und zuhause dann mögliche Motive einplanen.
Spannend wurde es, als der Russe die Tür zugeschlossen hatte und mit starken Akzent meinte “komm mal in den Keller, ich zeig dir was.” Aber bis auf einen Kuh-Schädel und einer nachgebaute Gefängniszelle gab es dort nichts gefährliches.

Er schloss die Tür wieder auf und versprach mir seine Brüder für die nächste Woche zu versammeln. Er wird dann auch mal an einem Bild malen, wenn ich am nächsten Dienstag vorbeikomme.

Ein Woche später war zunächst nur einer der Brüder da. Die anderen sind gleich da, sagte er, der eine muss nur noch “Besorgungen” machen und der andere kommt auch gleich. Gut, sag ich, kann ich ja schon mal mit dem Licht schauen.

Die Lampen waren alle auf die Van Goghs, Kirchners oder die Mona Lisa gerichtet, die Rahmen an Rahmen, dicht gedrängt und ohne Konzept an der Wand hingen.

Geduldig, aber auch etwas genervt posierten sie für mein Foto. Es war nun nicht das erste Mal, dass die Posins für die Presse posierten, über 200 Artikel, Fernsehbeiträge und Interviews wurden schon mit ihnen gemacht. Mit der Erwähnung meines (manchmal) Arbeitgebers “Berliner Zeitung” bekam ich bei ihnen auch den Fuß in die Tür.

Nachdem das Foto durch war, wollten sie es unbedingt sehen. Gutes Bild, sagten sie. An dem Tag sagten sie es noch häufiger, da fast nach jeden Klick auf eine Qualitätskontrolle bestanden wurde.

Ihre Kunst-Kopien sind legal weil a) die Originale älter als 70 Jahre sind und b) weil hinten auf der Leinwand ihr Name steht. Die originale Unterschrift vom Künstler vorne fälschen bzw. kopieren sie natürlich mit.

An der Wand hingen schlecht beleuchtet viele der Pressebeiträge über sie. Auch ein Foto von damals, als sie den Papst getroffen hatten.

Sie hatten nämlich ein altes Kirchenkunstwerk, welches im Krieg verbrannte, “rekonstruiert”. Der Papst fand das Werk aus dem Mittelalter so herlich, dass er es segnete und den Russen die Hand schüttelte. Sonderlich gläubig sind sie aber nicht.

So nah kommt man der Mona Lisa selten. Und wenn man nicht gerade das Original daneben hat, fallen die Unterschiede kaum auf. Die Mona Lisa der Russen ist nur im Gesicht etwas kantiger.

“So, was jetzt?” fragten sie mich nach dem Gruppenfoto. Sie erwarteten fortlaufend Anweisungen von mir, wie ich sie zu positionieren habe. Das wäre in dem Fall eine Inszenierung und nicht sonderlich authentisch. Aber anders ging es nicht zu lösen. Das war zwar nicht das, was ich wollte, doch die Russen verlangten Kommandos. Ich bat sie ins Atelier um am Bild zu zeichnen.

Extra für mich hatten sie an dem Tag die Leinwand rausgeholt. “Das ist ein modernes Bild, das muss man schnell malen”, sagten sie. Wenn sie malen, haben sie zwar immer die Vorlage dabei, doch es ihnen wichtiger, sich in die Perspektive des Künstlers hinein zu versetzen. Einer der Brüder verglich es mit Shakespeare: “Wenn ein Schauspieler Hamlet spielen soll, dann sieht er sich nicht ein Stück oder einen Film mit Hamlet an. Er liest Bücher über die Epoche und das Leben des Autors. Dann spielt er das Stück. So machen wir es mit unserer Kunst”.

Für genau drei Striche kam auch mal der andere Bruder vorbei.

Er legte den Pinsel beiseite und meinte “gut, reicht jetzt, oder?”. “Ähm, ich bräuchte noch ein paar Bilder”, sagte ich, und er verzog sich grummelnd in die Galerie zurück. Der erste Bruder nahm sich wieder den Pinsel und legte los.

“So, reicht jetzt” sagte er, “ihre Leser müssen ja nicht das fertige Bild sehen”. Damit meinte er weniger, dass ich kein fertiges Kunstwerk ablichten soll, sondern dass es meine Aufgabe als Fotograf sei, nur den Prozess und nicht das Resultat zu sehen.

“Was jetzt?”

Ich bat sie in den Keller. Dort hingen auch reichlich Bilder von vergangenen Ausstellungen oder Produktionen.

Das Bild war Teil einer Ausstellung zu “Kunst und Diktatur” für die sie Propaganda nachmalten. Das Loch gehörte auch zum Original. Der Russe stocherte mit dem Finger in Adolfs Backe rum, leider zu schnell für meine Kamera und die Dunkelheit des Kellers. Neben dem Propaganda-Bild von Adolf auf seinem Roß stand auch eins von Stalin in eiserner Rüstung. Er wurde von den Posins immer nur als “Genosse” Stalin tituliert, was mich zunächst irritierte. Sie meinten aber, dass “Genosse” keine wertende Bezeichnung sei. So wurde er halt genannt.

In der hinteren Ecke war eine Gefängniszelle nachgebaut, die als Ausstellungsraum diente. “Kunst von Kriegsgefangenen” hieß es und vor dem Gitter sitzt der General – wenn auch nur ein gemalter.

In der Sowjetunion saßen sie auch im Knast, mehrere Male wurden sie inhaftiert. Ich fragte warum, doch sie winkten nur ab.

Das Bild war passend über der Heizung platziert, denn es zeigt ein Dorf in Sibirien. Seit 40 Jahren war der grauhaarige Bruder nicht mehr da, der andere seit 22 Jahren. Aus dem Gedächtnis hatte er das Dorf gezeichnet. In der Hoffnung, ein paar mehr Sätze über ihre Vergangenheit und ihre Migration nach Deutschland zu erfahren, fragte ich nach Sibirien. Hierbei konnte ich zum ersten Mal ein Lächeln bekommen. Auf meine Frage, ob er denkt, dass die Leute, die dort ihre Heimat haben, dort auch gerne leben, lachte er nur und meinte, die Frage ist so dumm, die würdigt er mit keiner Antwort.

“Wars das jetzt?” fragten sie mich und ohne das ich antworten konnte knipsten sie hinter mir das Licht im Keller aus. Dunkelheit legte sich wieder über Adolf, Sibirien und den Kuh-Schädel.

“Noch was?” hörte ich, als ich wieder nach oben in die Galerie kam. Ich konsultierte mein Notizbuch, wo ich fortlaufend Motive gestrichen hatte. Die Liste war erledigt, von daher war es das. Nach knapp einer Stunde war mein Besuch mit der Kamera vorbei. Die drei Brüder gaben mir die Hand und schlossen die Tür zu, als ich ging.

[Update: Interview mit den drei Brüder im Magazin “der Freitag” mit meinem Bildmaterial -> Weblink]

Tokyo-Kunst in Berlin

Im Freien Museum in Berlin findet derzeit die “To Be” Ausstellung statt, 28 Künstler aus Tokyo und Berlin zeigen dort ihre Werke. Ich war bei der Eröffnung dabei und es war enttäuschend.

Schon in Tokyo hab ich mich viel für Kunst interessiert, dabei eher jung und temporär als irgendwelche alten Schinken. Wenn jetzt vier Wochen nach meiner Landung, die Tokyoter Kunst nach Berlin kommt, wollte ich mir das nicht entgehen lassen.
Die Ausstellung fand im Freien Museum in Berlin statt. Der Name ist dabei irreführend, da es kein Museum im klassischen Sinn ist, sondern eher eine alternative Ausstellungsfläche in einem schönen Altbau. Der etwas kaputte, unfertige und abgeranzte Charme vom Gebäude und von der gesamten Stadt, war der erste Unterschied zum klinischen Tokyo, wo selbst alles was mit Kunst zu tun hat, sehr geleckt und sauber aussieht. Als ich dann den etwas wilden Punk zwischen den Exponaten entdeckte, der mit seinen dicken Zöpfen, die von seinem Hinterkopf bis zum Gesäß hängen, während eine Halbglatze über einem selig lächelnden Gesicht glänzte, und er mit seinen kaputten Klamotten etwas bedrohlich auf die kleinen japanischen Gäste gewirkt haben mag, da wusste ich, ich bin nicht mehr in Tokyo. (Der Typ war im übrigens sehr freundlich und genoss zufrieden die Kunst)

Nach vier Wochen in Berlin war ich wieder von Menschen umgeben, die nur Japanisch sprachen. Es kamen nämlich die Künstler aus Tokyo, die noch welche mitbrachten, sowie auch versprengt Leute aus der japanischen Community in Berlin. Deutsche, die, mehr oder weniger Japanisch konnten, gab es auch. Dabei fiel mir ein junges Mädel besonders auf, die so ein fließendes und akzentfreies Japanisch sprach, als ob sie mehrere Jahre in Japan gelebt hatte. Ich meine Sie schon einmal in der japanischen Botschaft entdeckt zu haben, wo sie für Kulturelles und Events zuständig war und mich lieb anlächelte, als ich sie nach einem Manga-Wettbewerb fragte.
Sie war für die Betreuung der japanischen Gäste zuständig, die sichtlich erleichtert waren, mit jemanden problemfrei kommunizieren zu können. Das sie für die Botschaft arbeitet, macht bei ihrem Japanisch-Level auch sehr viel Sinn.

Der Eintritt war frei, doch hätte ich bezahlen müssen, hätte ich es bereut. Die ausgestellten Werke fand ich bis auf einige Ausnahmen uninteressant und teilweise auch einfach schlecht umgesetzt. Meine Vermutung zu Anfang, dass die nur ausgestellt werden, weil sie aus Tokyo kommen, und nicht weil ihre Werke begeistern, bestätigte sich in der Ausstellung. Ebenso auch die Berliner Künstler, die nebenher ausgestellt waren, und in Berlin bestimmt Schwierigkeiten hätten eine Galerie zu finden, bekommen im Paket in Tokyo bestimmt eine gute Galerie. Nur weil sie von woanders herkommen. Herkunft über Qualität hat der Ausstellung nicht geholfen.

Das ist auch das Problem der Ausstellung, es gibt keinen roten Faden, kein verbindes Element zwischen den Exponaten. Die sind einfach nur da, weil sie aus Tokyo oder Berlin stammen. Auf mich wirkte das wie ein zusammengewürfelter Haufen, den man etwas arrogant dem Zuschauer vorsetzt.

Die Kunst dort verkommt zum reinen Selbstzweck für die Künstler, als erste Gäste bei der Eröffnung waren zu 80% die Künstler selbst + ihre Freunde und Kollegen.
An den Werken fehlten erklärende Worte. Das kann man so machen, persönlich finde ich aber, dass es dem Verständnis schadet. Und wenn Kunst nicht verstanden wird, hat es seinen Zweck verloren, finde ich.
Nur durch Zufall war ich in der Nähe des Kurators, der einige Exponate einem Kollegen erklärte. Nur so konnte ich mir einen Reim auf die Werke machen. Das man mit nem simplen Papier neben dem Werk die Zuschauer nicht aufklärt, find ich mangelhaft.

Bei aller Kritik, so gab es auch interessante Werke:


(C) Kunsfaktor e.V./Foto: Keita Kojima

Tomoko Kofuneko ist ein Perfomance Artist. In der Ausstellung zeigte sie Fotos und Videos, wie sie, bunt angemalt, nach Papua Neuginea reiste und dort mit den ebenfalls angemalten Ureinwohnern zu tanzen.


(C) Kunsfaktor e.V./Foto: Yoshiko Tamari

Eine bunte Japanerin fährt in den Urwald um zu tanzen. Ich fand das herlich. Auch die Reaktionen des Stammes, mit dem sie tanzte, die sich alle so über diesen bunten Paradiesvogel freuten. Dazu gab es auch gute Bilder von ihr, wie sie im Urwald steht.


(C) Kunsfaktor e.V./ Tatsumi Orimoto

Das hier ist Tatsumi Orimoto mit seiner Mutter. Eine ganze Reihe von Bildern (in viel zu kleinen Format, unnötig auf kleiner Fläche!) hat er seiner Mutter gewidmet, die sich häufig dagegen sträubte, abgelichtet zu werden. Sie ist alt und nicht mehr sonderlich hübsch, sie wurde auch aus Perspektiven fotografiert, die absolut unvorteilhaft waren. Doch was man allen Bildern anmerkt, ist die Liebe des Künstlers zur Mutter. Rührend, auf eine Weise.


(C) Kunsfaktor e.V./ Dana Widawski

Das hier ist von der Deutschen Dana Widawski gemacht, und spielt sehr schön mit dem Verständnis von Tradition. Diese aufklappbare Wand stand auch im Ausstellungsraum, dahinter waren, allerdings nicht von ihr, Portraits im Ukiyo-e Stil, japanische Köpfe in deutscher Trachtenkleidung, statt Kimono oder Samurai-Kluft. Fand ich witzig.

Es sollte dann noch der Kultur-Attaché der japanischen Botschaft sprechen, dessen Email-Adresse ich glücklicherweise habe, doch der tauchte nicht auf. Es gab dann noch einen Ramen-Stand. Als ich allerdings sah, dass da kein Japaner am Herd steht, ist mir der Appetit vergangen. Nennt mich Rassist, aber bei japanischer Küche vertrau ich nur Japanern 😉

Wen es interessiert, und wer sich neben meinem subjektiven Eindruck selbst ein Bild machen möchte, die Ausstellung läuft bei freie Eintritt noch bis Ende August.

To Be – ein Projekt vom Kunstfaktor e.V. im Freien Museum Berlin
-> Weblink

Kunst, Kommerz und kleine Mädchen

Was ich mir bei der letzten Design Festa gegönnt habe.

(C) John Hathway

Da hier im Haus irgendwie auch ein Scanner aufgetaucht ist, sind die Werke diesmal alle eingescannt, statt abfotografiert wie im letzten Jahr, was eine enorme Qualitätssteigerung bedeutet. Je nach Möglichkeit versuche ich auch auf die Website des Künstlers zu verlinken.


(C) monchihoshi

Dieser sanfte Strich und das traditionelle Format hat mir sehr gefallen. Sie hatte auch große Poster, doch die lagen etwas außerhalb meines Budgets…

->wunderschön gestaltet Website der Künstlerin


(C) Nakai tomoyasu

Er hier hatte eine ganze Wand mit einem pseudo-europäischen Fantasy Stadt-Panorama gemalt, insgesamt 1,5m hoch und 6m breit. Das Bild hier oben ist nur ein colorierter Ausschnitt. Pro Ausschnitt brauchte er ungefähr einen Monat.

->Website des Künstlers mit der unmöglichen Adresse http://adam69eve1224.run.buttobi.net/


(C) Lee hwa

Postkarte einer koreanischen Künstlerin. Koreaner gab es dieses Jahr viele auf der Festa, ist halt eben international. Dicke Amis gabs auch, aber die hatten wenig Erfolg.

->Website der Künstlerin (koreanisch)


(C) Toshiharu Shirakaba

Er hatte einige großformatige Bilder, die große Szenen erzählten. Teilweise drifteten einige schon in den Kitsch ab, aber die Trennung zwischen Kunst und Kitsch ist da bei vielen Werken auf der Design Festa schwer auszumachen…

->Website des Künstlers


(C) ShortCake On the Strawberry

Das hier wurde von der Manga-Zeichnerin gemacht, die auch für Sayuri von Flava die Zeichnungen macht. Sie hatte einen eigenen Stand mit lauter kleinen Karten von Menschen aus Adachi. Adachi ist ein Viertel im Norden von Tokyo, aus dem Sayuri stammt und in der sie manchmal singt. Wie genau das alles zusammenhängt versteh ich zwar noch nicht, doch von diversen jungen Künstlern aus Adachi gibt es eben diese Karten.

Ich kannte ja nur Sayuri, also wollte ich ihre Karte. Welches Motiv man allerdings bekommt, ist Zufall, da man einfach in ne Kiste greifen muss. Ein andere Fan von Sayuri zeigte mir kurz zuvor stolz seine Sammlung an Karten, er hatte oft in die Kiste gegriffen um eben genau die eine Karte zu erwischen.
Ich griff nun rein und bekam den Teddy. Der war zwar absolut selten und rar, doch er war nicht was ich wollte. Ich griff also nochmal rein und bekam…. Die selbe Karte. Das waren vielleicht die einzigen beiden Teddies in der Grabbelkiste und ich erwischte beide.

Die Manga Zeichnerin sah meine Frustration ein und gab mir eine andere Karte zum Tausch.


(C) ShortCake On the Strawberry

Die Spezialkarte, komplett mit kleinen Bilderrahmen.
Ich ging dann sofort zu dem anderen Fan mit den vielen Karten und zeigte ihm meine Erungenschaft 😉

Auf der Rückseite fanden sich dann die Daten zur Person, welche Musik sie spielen und wie hoch ihr “Powerlevel” ist…


(C) ShortCake On the Strawberry

Der Teddy ist übrigens ein Selbstportrait der Zeichnerin.

->Website zur Künstlerin

Kommen wir zu dem Highlight, dass auch den Blogeintrag eröffnete:


(C) John Hathway

Diese Werke haben mich echt beeindruckt. Der ganze Stand war voller großformatiger Drucke. Diese urbane, futuristische, völlig überladene und mit stürzenden Linien gefüllte Vision eines Tokyo, und mittendrin kleine Mädchen – das ist alles so japanisch, irgendwie.


(C) John Hathway

Für die großen Drucke fehlten mir das Geld, daher kaufte ich das Artbook, aus dem ich die Bilder hier gescannt hab. Dazu kam auch eine DVD und ein Manga.


(C) John Hathway

->Website des Künstlers

Ich find diese Dinger so genial, weil sie mit Mitteln der Popkultur und Manga-Ästhetik einen anderen, künstlerischen Blick auf das moderne Tokyo werfen. So sehe ich das Bild. Vielleicht verkläre ich auch nur die Popkultur zur Kunst und halte des Künstlers Vorliebe für kleine Mädchen (…) für einen cleveren Kommentar zur Überästhetisierung, -sexualisierung und den allgemeinen moe-Boom in Manga & Anime.

Doch, nunja, wie heisst es so schön: Kunst liegt nunmal im Auge des Betrachters.