Im Bett mit Erich


Neulich habe ich im Ostel am Berliner Ostbahnhof fotografiert – ein Hotel, in dem die Zimmer so eingerichtet sind, wie in der DDR der 70er, 80er Jahre. Zumindest so klischeehaft wie manche es sich vorstellen wollen. Mit dem Portrait von Erich Honecker über dem Bett und “Die schönsten sozialistischen Reiseziele” im Bücherregal.

Da ich ja selber aus dem Osten komme, war ich am Anfang sehr skeptisch, was die Ausrichtung von dem Hotel angeht. Aber die Gründer und Mitarbeiter vom Hotel sind auch fast alles Ossis. Sie machen die Arbeit mit einer hochgezogenen Augenbraue und viel Selbstironie.
Die Gäste sind zum Großteil ausländische Touristen, manchmal auch Wessis, die eine preiswerte Übernachtung suchen. Oder Ossis, die sich in den Zimmern ein wenig an die alte Heimat erinnern möchten. So gings auch mir. Einige der Möbel stehen heute noch so 1:1 bei meiner Oma.

An der Stelle kann ich ja auch eine kleine Ankedote erzählen…

Erich Honecker hat mir mein Studium finanziert.
Wie es dazu kam? Nun, beim Fall der Mauer war ich 2 Jahre alt. Die DDR kenne ich daher nur aus Erzählungen und aus dem Fernsehen. Durch das Aufwachsen in Ostberlin habe ich aber viel ostdeutsche Prägung mitbekommen – die ich immer dann merke wenn ich irgendwo auf der Welt andere Ossis treffe.

Für das Studium habe ich dann 2011 rübergemacht in den Westen. Die Studiengebühren konnte ich am Anfang nicht aufbringen, also musste ich meine Eltern um Hilfe bitten. Mein Vater hatte kurz zuvor ein Buch über Honecker gemacht. Es verkaufte sich auch ganz gut und er hatte deswegen genug Geld, das er mir leihen konnte. Anders gesagt: Dank Erich Honecker kann ich in Hannover studieren.

So kanns gehen.

Die Fotos habe ich jetzt sehr grafisch, sauber gestaltet. So war die Vorgabe.


Nicht Erich.

Unitag

Der erste Monat Hiroshima City University. Zum Schluss gabs Konzert und Feuerwerk

Die japanischen Worte für Vorteil und Nachteil habe ich schnell gelernt. Vorteil von einer Universität in den Bergen: Die Aussicht ist fantastisch. Man kann Krach machen, ohne dass es jemanden stört. Man ist abgeschieden und kann sich konzentrieren. Und die Miete im Studentenwohnheim, welches noch mal 20 Meter höher liegt als die Uni, beträgt nur den Bruchteil einer Monatsmiete in Tokyo.

Nachteile: Die Stadt und jeder nächste Laden ist eine Busfahrt entfernt. Es gibt in der Umgebung nichts, was für Unterhaltung oder abendliche Ausflüge geeignet ist. Und in den Bergen ist es konstant ein paar Grad kälter als in der City.

Von den anderen Austauschstudenten lernte ich das Wort inaka, was sie benutzen, wenn sie die Uni und das Wohnheim beschreiben. Inaka – draußen in der Pampa, JWD, im ländlichen Gebiet. Das komplette Gegenteil von Tokyo.
Aber nach einem Monat in der Pampa muss ich sagen:

Ich mag inaka.

In Woche Zwei nach Beginn des Semesters hatten wir Austauschstudenten ein Treffen mit den Professoren. Es war vorher nämlich nicht klar, in welche Kurse wir gesteckt werden.

An einem Dienstag Nachmittag saßen uns dann vier Dozenten gegenüber. Ihnen zur Seite stand ein Typ vom Austauschbüro, der auch für unser Visum verantwortlich war. Er betont stets, dass wir uns mit jedem Anliegen an ihn wenden soll. Seine Antworten lesen sich dann allerdings immer so: “Da musst du dich selbst drum kümmern.”

Der westlich aussehende Professor ist Künstler aus Amerika und seit fast zwei Jahrzehnten in Japan. Er übernahm auch die Übersetzung für uns. Ich konnte uns zwar fließend auf Japanisch vorstellen – meine Geschwindigkeit und Sicherheit in der Sprache überraschten mich auch selbst. Aber Vorstellungen benutzt man halt am meisten und ist schnell darin geübt. Doch für komplexe Sachverhalte reichte es dann doch nicht.

“Ah, ihr seid die Fotografen aus Hannover” hieß es dann. “Normalerweise ist es so, dass ihr keine Kurse habt und stattdessen ein Projekt irgendwo in Japan fotografiert. Am Ende gibt es dann eine Ausstellung im Januar. Ach und bitte schickt uns ab und an mal eine Email, damit wir wissen wo ihr seid.”

Keine Kurse, ein Stipendium und komplette Freiheit. Wir zwei Fotostudenten schauten uns nur an und grinsten.

Ursprünglich war ja mein Plan, dass ich aus dem Wohnheim alsbald ausziehe. Da wir jetzt aber so ungebunden sind, hab ich mich anders entschieden. Ich betrachte das Zimmer im Wohnheim als günstiges Lager für meine Ausrüstung und Klamotten. Die Uni ist mein Büro, wo ich Bilder bearbeite und Videos schneide. Der Weg ins Büro ist dann nicht weit. Einfach den Berg runter. Vorteil.

Dementsprechend sieht auch mein Alltag aus. Ich bereite meine Geschichten und Reisen vor, bearbeite Bilder und schreibe Emails in der Uni. Unterricht habe ich keinen. Es gibt nur einen Japanisch-Kurs, der meinen Level entspricht. Die anderen Klassen sind entweder zu einfach oder viel zu anspruchsvoll, und setzen schon ein großes Vokabular und Verständnis vorraus. Mein einziger Kurs ist nun Dienstags morgen, 9 Uhr bis 10.30 Uhr.

Ansonsten: frei.

Das Geld, was ich bei der Miete spare, investiere ich dann lieber in Reisen. Durch die freie Zeit und finanzielle Sicherheit – die Geschichten, die ich mache, müssen nicht unbedingt gleich verkauft werden – habe ich meine Arbeitsweise geändert. Ich habe mir vier große Geschichten ausgesucht, die in sich geschlossen sind, die aber auch als Teil-Kapitel etwas über Japan im Ganzen erzählen. Es sollen drei kleine Filme werden und eine Fotoserie. Pro Geschichte plane ich mehrere Tage ein, plus eine längere Zeit Nachbearbeitung.
Es sollen intensive Geschichten werden.


Blick aus dem Bus auf dem Weg in die City

Allerdings bin ich etwas im Verzug. Vier große Geschichten bis Januar… Das ist ein ordentliches Pensum. Meine Professoren sind auch skeptisch. Ich denke aber, mit einer effizienten Planung ist das machbar. Auch wenn ich derzeit etwas frustriert bin. Es ist November und noch keine Geschichte ist fertig.

Als ich 2011 für einen Monat in Tokyo war, habe ich viele Aufträge & einen Film gemacht und konnte genug Stoff für ein Buch sammeln. Natürlich war das in Tokyo, wo grundlegend etwas mehr passiert als in Hiroshima.
Aber ich denke, der größte Unterschied ist die Erwartungshaltung.
Vor zwei Jahren hatte ich nichts geplant und ließ alles auf mich zukommen. Alles, was ich schaffte, passierte einfach mehr oder weniger. Nun plane ich und bin auch abhängig von Interviewpartnern, die nicht immer so viel Zeit haben wie ich. Das verzögert und – wegen der Erwartung und dem Zeitplan – frustriert etwas.

Im Dezember will ich auch noch ein paar kleine Geschichten und Aufträge machen. Aber meine vier Projekte jetzt sind mir wichtig. Ich weiß genau, ich habe nie wieder die Chance und die Freiheit, an genau diesen Geschichten arbeiten zu können.


Die Rückseite vom Kunst- & Design-Gebäude

Seitens von der Universität erhalte ich viel Unterstützung. Es versteht zwar keiner hier so richtig den fotojournalistischen oder multimedialen Ansatz. Und man versucht auch mich eher in die Kunstrichtung zu lenken.
Aber man versteht auch, dass ich schon Ahnung hab, von dem was ich mache, und lässt mich erstmal machen.

Die Atmosphäre an der Universität mag ich sehr. Man kann hier von Informatik, über Sprachen bis hin zu Kunst und Design alles belegen. Gerade im Kunstgebäude, wo ich mich immer aufhalte, liegt viel Kreativität in der Luft.

Abends probt auch manchmal ein Orchester im Clubhaus. Ich setz mich mit meinem Rechner gern dazu und arbeite.

Zum Kunstbereich gehören auch Werkstätten. Holz und Metall. Erstsemester müssen zu Beginn immer eine einfache Tätigkeit machen: das eigene Werkzeug herstellen, altes Werkzeug reinigen oder schleifen, oder einfach monotone Aufgaben erledigen. Erst wenn sie das zufriedenstellend ein paar Tage am Stück erledigt haben, kommen die komplexeren Sachen ran.


Erstsemester lernen, wie man eigenes Metallwerkzeug herstellt. Die Uni hat eine eigene Schmiede, komplett mit kleinem Shinto-Schrein, für die starke Winde im November, die besonders starke Flammen produzieren.

Diese Herangehensweise finde ich sehr interessant und konnte sie schon oft in Japan beobachten. Es dient ganz gut dazu, sich eine Anerkennung für simple Tätigkeiten zu erarbeiten. Erst krabbeln können, bevor man laufen lernt.

Die Papphäuser

Offiziell bin ich in Visual Design eingeteilt. Die Erstsemester dort hatten einen Monat Zeit, aus Pappe ein Haus zu bauen. Und zwar nur aus Pappe. Allenfalls war noch ein dünnes Seil erlaubt. Aber kein Kleber oder Paketband.
Bis spät nachts konnte ich in den letzten Wochen die Studenten in den Treppenhäusern oder Gängen der Uni sehen, wie sie ihren Konstruktionen falteten, stapelten, rollten oder knickten.

Am Ende gab es dann eine Präsentation auf dem Rasen. Die Studenten mussten zeigen, wie ihr Haus benutzt wird. Obwohl alle die gleichen Materialien hatten, war ich doch sehr beeindruckt von der Vielzahl an Kreationen. Und obwohl es nur Pappe war, konnte man auf einigen Konstruktionen sogar stehen.


Schuhe ausziehen ist auch bei japanischen Papphäusern Pflicht.

Der Professor schrie aber schnell in seine Richtung, er solle von der Spitze des Turmes doch wieder runterkommen. Der Regen setzte langsam ein und weichte das Papier auf.

Am besten gefiel mir die Konstruktien mit dem Dach aus Dreiecken.

Teilweise verbrachten die Studenten bis zu einer halben Stunde in ihrem Haus, während sie auf den Prof warteten, der die Konstruktion bewerten sollte. Da einige Häuser nur dafür gedacht waren, darin zu knien oder zu hocken, ging es dementsprechend in die Beine.


Woran erkennt man den Prof? Er ist der einzige, der clever genug war, nen Schirm einzupacken.

Leider hielten sich die Bauten nicht lange. Bereits am Abend brachte ein Taifun den Regen.
Japanische Papphäuser sind nicht wasserfest.

Bürokratie und anderer Quatsch mit Papier

Seit 2009, als ich mich das letzte Mal als ausländischer Resident registrierte, hat sich das System in Japan etwas geändert. Ich muss nun keinen Ausreise-Antrag, bzw. “Re-Entry-Permit” beantragen, wenn ich das Land verlasse. Aber als Student muss ich jetzt Mitglied der japanischen Krankenkasse sein und in die Rentenkasse zahlen.
Also den Berg runter, ab in die Bahn, zum City Office.


Die Einschienenbahn “Astram Line”, welche die Vororte Hiroshimas mit dem Stadtzentrum verbindet. Sobald abends kein Bus mehr fährt, ist es die einzige Möglichkeit zur Uni und zum Wohnheim zu kommen.

Während man 2009 in Tokyo-Shinjuku, welches prozentual den größten Anteil Ausländer in ganz Japan hat, schon mit englischen Papieren und ein paar Floskeln auf Westler vorbereitet war, hatte man im City Office von Obara mehr Mühe. Mit Wörterbuch und viel Geduld klappte es aber ganz gut. Irgendwann bot mir der Beamte auch an, die Unterlagen für mich auszufüllen. Wahrscheinlich konnte er einfach nicht mehr ertragen, wie schwammig ich die Kanji aufs Blatt schmierte.
Dann Rentenkasse. Der demografische Wandel in Japan ist stärker als bei uns. Logisch, dass nun auch Ausländer gebeten werden, während sie in Japan sind, doch bitte die Rentenkasse zu füllen.

Die Krankenversicherung hätte ich dort auch abschließen sollen. Doch ich erklärte ihm, dass ich bereits eine Versicherung aus Deutschland habe, die mir hier bessere Konditionen bietet, als die japanische. Der Beamte rief kurz in der Zentrale an. Aber eine Krankenversicherung aus Deutschland? Wo quasi die Medizin erfunden wurde? Das passt schon. Die Zentrale sagte okay, der Beamte sagte okay.

In Japan stammt viel medizinisches Wissen aus Deutschland. Noch heute erinnern einige Begriffe daran. Ich wusste, wenn ich ja nur häufig genug betone, dass ich da was aus Deutschland habe, was grob mit Medizin zu tun hat, wird das schon irgendwie klappen.

Dachte ich zumindest.

Am nächsten Tag rief dann einer vom Amt bei der Uni an. Die schrieb mir daraufhin eine erboste Email und drohte damit, mich von der Uni zu schmeissen, sollte ich keine japanische Krankenversicherung abschließen.
Am nächsten Tag bin ich dann gleich nochmal ins Amt, man reichte mir sofort das passende Formular. Darauf sollte ich mein Jahreseinkommen angeben. Der Beamte schlug vor, einfach überall Null Yen reinzuschreiben. Das mache jeder so und keiner prüfe es nach. So komm ich dann auf einen Monatsbeitrag von knapp 13 Euro. Kein Wunder, dass auch Ausländer gebeten werden, in die Kasse zu zahlen, wenn jeder über sein Einkommen lügt. Irgendwo muss das Geld halt herkommen.

Die japanische Krankenversicherung werde ich aber nicht nutzen. Stattdessen sehe ich diese 13 Euro monatlich als meine “Ich-darf-in-Japan-bleiben”-Gebühr.

Und dafür sind 13 Euro fair.


Blick vom Uni-Klo

Die Uni bietet für alle Austauschstudenten einen kostenlosen Medizin-Check an. Und mit “anbieten” ist hierbei “verpflichtend” gemeint. Alle Ausländer müssen zur medizinischen Kontrolle. Inklusive Urinprobe und Röntgen.

Das Gespräch mit meinem Arzt war lustig. Mit seinem langen, weißen Rauschebart sah er aus wie der Kung Fu Meister aus Kill Bill.

Arzt: “Furidorichi-san”
Ich: “Hai, hai!”
Arzt: “Oh dein Japanisch ist sehr gut. Wo kommst du her?”
Ich: “Deutschland”
Arzt: “Oh ich liebe Deutschland. Ich kann allerdings nur ein paar Worte sagen. ‘Ich liebe dich'”
Ich: “…danke”
Arzt: “Alles klar, deine Werte sind sehr gut. Trainierst du?”
Ich: “Nur Jogging.”
Arzt: “Wunderbar. Heb dein Shirt hoch und mach die Brust frei…. Oh.. Schöner Körper!”
Ich: “Öh… danke…”
– Kommentar von einem Kommilitonen von draußen: “Flirtet der mit dir oder was?” –
Arzt: “Oh du bist sehr fit. ‘Sehr Gesund’. Das war toll. Hab noch nen schönen Tag!”
Ich: “…kann ich jetzt gehen?”


Zum Check gehört auch ein Suizid-Test Fragebogen zum allgemeinen Befinden.

Damit ich im Wohnheim leben kann, muss ich auch ein Dokument ausfüllen. Das an sich wäre keine Schwierigkeit. Allerdings müssen das komplett japanische Dokument auch meine Eltern unterschreiben.
Ich hab im Anmelde-Büro versucht zu erklären, dass ich als 25 jähriger Erwachsener doch bestimmt nicht die Unterschrift von Mutti und Vati brauche, um in einem fremden Land zu leben. “Aber was ist mit deinem Geld? Bekommst du das nicht von deinen Eltern?” war dann die Frage. Nein, sage ich, ich arbeite und bekomme ein Stipendium. Die Dame holte ihren Vorgesetzten. Der fragte nur brüsk:

“Haben deine Eltern das Dokument unterschrieben?”
-“Nein, aber wie ich gerade erklärte…”
“Lass es von deinen Eltern unterschreiben. So ist es halt, Akzeptier es. Vielen Dank.”

Mein Lieblingsraum in der Universität ist die kleine Bibliothek vom Studiengang “Contemporary Art”. Mit großer Fensterfront, die einen Blick aufs Grün bietet, kompletter Küche und Schlaf-Etage, bietet es schon mal mehr Komfort, als mein Wohnheim. Der Raum liegt etwas versteckt hinter einer schweren Metalltür, im “CAT-Lab”. Das ist ein leerer, komplett weißer Raum, so groß wie fünf Zimmer im Wohnheim.
Der Raum wird für freie Arbeiten oder Ausstellung genutzt. Er hat was meditatives. Es gibt nichts, was den Blick auf sich lenkt, sodass man nur auf die eigenen Gedanken schauen kann.

Harte Arbeit und hohe Kosten

So ganz genau konnte mir bisher keiner sagen, wie viele Studenten es insgesamt an der Universität gibt. Mein Dozent geht von ca. 1.000 Personen aus, die als Bachelor- oder Masterstudenten, oder Doktoranden und Forschungsstudenten an der Uni tätig sind – in allen drei Gebäuden und in allen Studiengängen, von Wirtschaft bis zu den Bildhauern. Damit sind es ungefähr so viele, wie in einem Gebäude meiner Fakultät in Hannover. Die Klassen sind angenehm klein und ein Studiengang, wie Visual Design, ist mit weniger als 100 Studenten gut überschaubar.

Ich bin meist bis spät am Tag in der Uni, teilweise bis 21, 22 Uhr. Solange bis das Wohnheim die Türen abschließt, nutze ich die Bibliothek oder das Internet der Universität.
Ich muss dann zwar nur 20 Höhenmeter bis zu meinem Bett laufen. Die anderen Studenten wohnen aber teilweise eine Präfektur weiter oder brauchen bis zu zwei Stunden nach Hause mit Bus, Bahn und sogar der Fähre. Das hält sie aber nicht davon ab, bis spät noch in den Bergen zu bleiben und zu lernen, musizieren, zeichnen.
Das Club-Haus, wo das Orchester immer probt, ist selbst um 10 Uhr abends noch gut gefüllt. Und die kleine Bibliothek hat nicht umsonst eine Etage nur mit Futon, weil einige Studenten zur Examens-Zeit die Uni gar nicht mehr verlassen.

An meiner Uni in Deutschland kenne ich es eher so, dass jeder nur zu den Kursen kommt – wenn überhaupt – und danach so schnell wie möglich wieder geht. Leben an der Uni, wie ich es hier beobachte, findet nicht statt. Jeder macht seins.

Japanische Studenten scheinen mir mehr Disziplin und Eifer zu haben. Dreimal die Woche den Contrabass den Berg hochschleppen, um zwei Stunden bis spät abends zu proben, bis der letzte Bus fährt – das beeindruckt mich jedes Mal, wenn ich es sehe.

Doch bei dem Geld, was jeder einzelne Student (bzw. die Eltern) hier an die Uni zahlt, ist das vielleicht zu verstehen. Ein Semester kostet knapp 2.300 Euro. Das ganze dann mal 1.000 und man hat grob ein Bild davon, welche Gelder die Uni bewegt. Zusätzich, so erzählte es mir neulich ein Professor, der das ganze sehr kritisch sieht, kommen noch die ausländischen Studenten. Knapp die Hälfte aller Master-Studenten sind Chinesen, weil die das doppelte an Gebühren zahlen, als die Japaner. Es ist zwar die Hiroshima City University, doch der Name lässt die Schule öffentlicher klingen, als sie ist. Es ist eine private Universität. Wie der Großteil aller Unis in Japan.
Bildung ist Business.

Das Geld merkt man dann durchaus auch in der Ausstattung. Zwei 3D-Drucker, große Scanner und Printer, die Fotos in Ausstellungs-Qualität und -Größe drucken können. Dazu viele große Arbeitsräume zur freien Verfügung.

Da ich von einer Partner-Uni komme und ein Stipendium habe, muss ich keine Gebühren zahlen. Manchmal fühl ich mich direkt etwas schlecht, wenn ich mich mit japanischen Kommilitonen unterhalte, und die mir durchaus beschämt von ihren finanziellen Problemen erzählen. Hier und da gebe ich gerne mal einen Kaffee oder eine heisse Schokolade aus. Auch wenn das stets nur ein paar hundert Yen sein mögen, es bedeutet doch etwas.

Es erinnert mich auch an meine erste Zeit in Japan, wo ich wochenlang manchmal kein Geld für Essen hatte. Auch da hatte ich Freunde, die mir aushalfen. So versuche ich das heute weiterzugeben, was mir damals so geholfen hat.

Daigaku-Sai – Musik, Essen, Feuerwerk

Ich bin zwar gerade wieder in Tokyo und sitze auf dem Dach meiner alten WG. Komplett mit Sonnenschein und Blick auf die Wolkenkratzer. Doch ich denke gerne zurück an das Universitätsfestival vergangene Woche.

Jede Schule in Japan hat einmal pro Jahr ein großes matsuri – ein Festival, wo Studenten das Ende der erste Examen im Semester feiern und wo die Uni sich präsentiert. Das Daigaku-sai hat nämlich verschiedene Funktionen. So zeigen sich die einzelnen Clubs und laden zum Mitmachen ein. Die Kunststudenten zeigen in Ausstellungen die Arbeiten aus den vergangenen Semestern, die sonst eher in den Schubladen der Professoren verschwunden wären. In den Räumen werden auch Cafés und Restaurants aufgemacht, wo Gestaltungskonzepte und neue Ideen ausprobiert werden. Zudem lädt die Universität zum Open Campus ein – Schüler, die bald die High School abschließen, und noch eine Uni suchen, können sich hier mit ihren Investoren Eltern informieren.

So erklärte es mir auch mein Dozent leicht verkniffen, als ich ihn fragte, ob ihm das Schul-Festival gefällt. “Ich muss arbeiten…” meinte er nur im Vorbeigehen und begrüßte schon die nächste Schülerin mit ihrer Mutter. Währrenddessen fand auf der Bühne eine Karaoke-Wettbewerb statt. Ein Japaner vergewaltigte Aerosmith. Er konnte weder Singen, noch Englisch. Mein Dozent gab sich Mühe, die Schülerin und ihre Mutter schnell ins Gebäude zu holen. Dort würde man weniger hören.

Insgesamt erinnerte mich alles etwas an die Design Festa in Tokyo. Viele Künstler hatten kleine Stände aufgebaut und verkauften kleine Produkte. Schmuck, Töpferware oder Stoffe. Auch wenn es durch die geringe Anzahl und die Ähnlichkeit vieler Produkte nicht ganz die Qualität der Design Festa erreichte.

Zum Festival gehörte auch ein Flohmarkt. Studenten verkauften alte Klamotten oder Bücher, oder Händler aus der Gegend verkauften Spielzeug und andere Kinkerlitzchen. Ich habe mir eine kleine LED-Taschenlampe gekauft. Das gleiche Gerät wird in der Stadt für das doppelte angeboten und mit einer Zeichnung von diversen Katastrophen beworben. Darauf eine Familie, deren Haus durch einen Erdrutsch fortgerissen wird. Also merke: Wenn schon dein Haus durch einen Erdrutsch zerstört wird, habe wenigstens eine Taschenlampe dabei.


Es gab die üblichen Matsuri-Fressbuden: Gebratene Nudeln, Oktopus-Bällchen, Bohnen-Teigtaschen, gebratene Hühnerspieße…


Im Hintergrund leuchtet das Gebäude für Kunst und Design.

Der sonst so weiße Raum war nun ein Café der Studenten für Zeitgenössische Kunst. Die Tasse für 150 Yen. Der Kaffee ist, wie so oft in Japan, nicht sonderlich stark. Aber für mich als Gelegenheits-Trinker passt das schon.

Das 3D-Café der Produktdesign-Studenten. Es gab Kaffee, Tempura und Reis serviert im grünen Tee. Für 500 Yen bestellte ich mir auch eine Schüssel. Es schmeckte wie… Reis mit grünen Tee. Ich gebe zu, ich hatte mehr erwartet.

Das Besondere war allerdings die Gestaltung des Innenraums. Der Raum war stockfinster, nur durch drei Löcher in der Decke drang das Licht von ein paar Beamern, die einen Fluss auf den Boden projezierten.

Mein Handy sagte mir zwar knapp 20°C für Hiroshima, aber oben auf den Bergen war es viel kälter. Viele der kostümierten Studenten froren lächelnd den ganzen Tag an ihren Ständen.


Vorbereitung fürs Konzert

Gegen Sonnenuntergang wurde dann langsam eingepackt. Tatsächlich gab es außer Essen und Trinken relativ wenig zu tun auf dem Festival. Ich hatte gehofft, dass der Go-Club ein kleines Turnier macht, oder die Sportklubs zu einem Match laden. So war es dann doch etwas zäh und aus lauter Langeweile hat man ständig nur gefressen und getrunken. Auch ne Möglichkeit für Umsatz zu sorgen.

Als dann eine laufende Kamera auf mich zu kam und mich einlud, mit ihr zu kommen, folgte ich ihr gerne.

Der Film-Club zeigte zwei Mal am Tag die Ergebnisse von einem Jahr Arbeit. Im kleinen Hörsaal wurden die sieben kurzen Clips dann abgespielt, darunter Musik-Videos oder eine kleine Dokumentation. Aber ich sag mal so: Die Hälfte des Publikums nach nur 30 Minuten einzuschläfern ist auch eine Kunst.

Wenn ich nicht so dringend aufs Klo gemusst hätte, wäre ich sicher auch eingeschlafen. Aber aus Höflichkeit wollte ich nicht mittendrin aus der Tür rennen. Ich hab auch mal ein Filmfest gemacht, ich weiß wie das ist. Sobald die Lichter aber wieder angingen, sauste ich an der menschlichen Kamera vorbei. Die rief mir noch ein “Danke!” hinterher, aber das hört ich kaum über der Klospülung.

Die Tanzgruppen der Universität – insgesamt waren es so 30 bis 40 Tänzer – probten in den Wochen zuvor immer vor den Fenster des Auditoriums, da es die größte spiegelnde Fläche auf dem Campus ist. Sehr beeindruckende Darbietungen. Komplexe Choreografien, beeindruckende Körperkontrolle und viel Energie über ein Stück von 15-20 Minuten… Zuschauen machte echt Spaß.

Das Konzert im Treppenhaus

Eine Kommilitonin, die ich noch von ihrem Austauschsemester in Hannover kannte, singt in einer Band. Nachdem sie meine Fotos von den Konzerten von Sayuri und anderen Bands in Tokyo gesehen hatte, bat sie mich, auch ihren Auftritt zu fotografieren.
Gerne.

Sie spielte allerdings als vorletzte Band, also musste ich eine Weile in der Kälte stehen. Ich probte schon mal bei den anderen Auftritten die Lichteinstellungen. Die Musik sagte übrigens nicht allen Leuten zu.

Mein Nachbar im Wohnheim singt gerne. Laut und lang. Und nicht immer harmonisch. Ich wollte ihm schon ein paar Mal sagen, dass ein Wohnheim kein Karaoke ist. Aber als ich ihn jetzt auf der Bühne sah, wurde mir klar, wieso er ständig bis späts singt. Er probt. In einer Art Grunge-Band ist er der Sänger. Mit vielen weiblichen Fans.


Sadako sang auch mit Band. Barfuß. Auch die Dame am Keyboard versteckte für die Dauer des Auftritts ihr Gesicht hinter ihren Haaren.

Auftritt Yuki.

Yuki war ein Jahr in Hannover, kann aber kein Deutsch und nicht gut Englisch. Das hält sie aber nicht davon ab, von einem Praktikum nächstes Jahr in New York zu träumen. Sie will Illustratorin sein, Art Director und Kuratorin. Und in einer Band singt sie auch.

Ich sprach schon sehr früh mit ihr über meine Ideen und Geschichten. Bei jeder war sie begeistert dabei und will mir helfen. Doch Yuki ist eben Illustratorin, arbeitet an ihrer Abschlussarbeit. Letzte Woche erst hat sie eine Ausschreibung für einen großen Gestaltungsjob gewonnen. Und in einer Band singt sie auch.
Viel Zeit bleibt da nicht. Trotzdem will sie mir unbedingt helfen. Und es wär auch unhöflich, sie einfach zu übergehen. Also warten, bis Yuki Zeit hat.

Das sie so vielseitig talentiert und engagiert ist, imponiert mir sehr. Allerdings plant sie vor lauter Eifer ihre Zeit nicht so clever ein, oder sie lässt ihre Gesundheit für ihre Projekte leiden. Das kenn ich durchaus auch von mir, daher verstehen wir uns auch so gut. Nur hab ich jetzt viel Zeit und Yuki sitzt an ihrer Abschlussarbeit, Nebenjob und Praktikumsbewerbung. Und in einer Band singt sie auch.

Der Auftritt dauerte nur 15 Minuten und wieder hatte ich ein Heidenspaß beim Fotografieren. Allerdings hat Yuki eine enorme Energie auf der Bühne. Sie hat die Tage zuvor nicht geschlafen, da ein Wettbewerb, Nebenjob in einer Galerie und Abgaben für die Uni drängten. Aber auf der Bühne merkte man ihr das nicht an. Sie sang, sprang und rockte hin und her. Ich hatte große Schwierigkeiten, sie mal scharf aufs Foto zu bekommen.

Die Bühne war vor dem Treppengang des Gebäudes für International Studies aufgebaut. Über den Scheinwerfern konnte man die Sterne über den Bergen sehen. Das Licht war sehr improvisiert und nicht so einfach fotografisch zu benutzen. Es gab auch kaum Möglichkeiten für mich groß die Positionen zu wechseln, da meistens eine Säule im Weg war.

Anders als Sayuri, schreibt und singt Yuki keine eigenen Songs. Es sind nur Cover-Songs, von einem bestimmten Anime.
Sayuri geht es mehr um das erzählen, sie hat eine eigene Stimme, die etwas vermitteln möchte. Yuki geht es nur um den Spaß am Singen. Und das merkt man wirklich. Die Freude und Energie überträgt sich aufs Publikum. Auch wenn es gewissermaßen nur Karaoke mit Band ist.

Yukis Freund, den ich mit ihr in Finnland traf, spielt in der Band Gitarre. Kurz vor seinem Auftritt sprach ich noch mal mit ihm. Er stand als Zuschauer mit Gitarre vor der Bühne neben mit und lobte die Band, die gerade spielte. Das sei ein selbst komponiertes, originelles Lied, was sie gerade singen, meinte er zu mir. Ich hörte kurz konzentriert rein, verstand aber kein Wort. Yukis Freund auch nicht, wie zu mir sagte. Aber egal. Hauptsache originell.


Das gesamte Konzert in Bildern

Gegen 22 Uhr war dann Feierabend. Der DJ klappte das Pult hoch, die Stecker wurden gezogen, und ich holte mir am Stand noch mal eine heisse Schokolade für 100 Yen.

Feierabend. Unitag vorbei.

Der Letzte druckt das Licht aus

In Leipzig steht die letzte Lichtdruckerei Europas. Nur noch fünf Menschen können die schweren, hundert Jahre alten Maschinen bedienen. Ein Handwerk stirbt aus.

Udo Scholtz beugt sich über die Maschine. Mit dem Ergebnis des Drucks ist der 65 jährige Werkstattleiter noch nicht zufrieden. Es ist zu hell. Er greift nach dem Farbtopf und trägt eine neue Schicht auf. Seit 47 Jahren steht er nun schon fast jeden Tag an der Maschine und trägt Farbe auf. Er weiß, jeder Druck könnte der letzte hier sein.

Im Druckkunstmuseum in Leipzig, in der zweiten Etage, stehen die letzten drei Maschinen, die noch im Betrieb sind. Mehr als hundert Jahre sind die Drucker schon alt. Bald könnten sie zu den schweigenden Buchdruck-Apparaten und Litographen aus der Renaissance-Zeit ins Erdgeschoss gestellt werden. Als Relikte einer anderer Zeit mit anderen Anforderungen.
Noch ist es jedoch nicht soweit. Die Werkstatt ist erfüllt vom strengen Geruch von Schmieröl und Ammoniak. Die schweren Zahnräder aus Stahl drehen sich weiter. Das Geräusch von Metall auf Metall ist der Klang von Widerstand, der nicht enden will. Der Lichtdruck lebt.

Nahezu alle Zeitungen und Bücher werden heutzutage im Offset-Verfahren hergestellt. Lichtdruck war sein Vorgänger und weit verbreitet. Wenn man Udo Scholtz fragt, wie seine alten Maschinen funktionieren, erzählt er gerne. Er legt den Farbspachtel beiseite und setzt sich neben den stählernen Apparat, der halb so breit ist, wie die ganze Werkstatt. Er hat die Geschichte schon oft erzählt. Seit 1868 gibt es die Technik, bei der direkt von einer Glasplatte gedruckt wird. Das Verfahren ähnelt der Fotografie: Das Original eines Bildes oder einer Handschrift wird unter eine lichtempfindliche Gelatine-Schicht auf einer Glasplatte gelegt. Diese bildet nun ein Quellrelief aus. Dichte Stellen im Bild bewirken ein tiefes Relief. Darin sammelt sich die Farbe, die so auf das Papier übertragen wird. Die Qualität ist bis heute unerreicht. Selbst die modernsten digitalen Drucker haben nicht die Auflösung, die ein Lichtdruck bietet. Die Kopie entspricht 1:1 der Vorlage. Teilweise sind die Drucke so gut, dass einige Betrüger schon versuchten die maschinelle Kopie als Original zu verkaufen. Scholtz lacht darüber stolz.

Doch die Technik hat einen Nachteil: Sie taugt nicht für die moderne Massenproduktion, die mehrere 10.000 Kopien von einem Original verlangt. Denn von einer Glasplatte können maximal tausend Drucke am Tag produziert werden, realistisch sind aber nur wenige hundert. Alles andere geht auf Kosten des Materials. Heute soll immer schneller, immer mehr und immer billiger produziert werden. Trotz seiner Qualität, ist für den Lichtdruck da kein Platz mehr.


Vor hundert Jahren produzierten noch über 200 Lichtdruckereien in Deutschland. Heute ist es nur noch eine.

Die Werkstatt in Leipzig stand zu DDR-Zeiten immer im Schatten der großen Druckerei in Dresden. Beide wurden von der Partei kontrolliert. Achim Müller, der 1956 seine Ausbildung zum Lichtdrucker begann, war damals mit dabei. „Für den Erhalt der Diktatur war die Kontrolle der Medien und medienerzeugenden Betriebe notwendig“ sagt er. Druckereien, auch kleine wie in Leipzig, gehörten dazu. So wurde der Lichtdruck zum Parteibetrieb, doch Dresden blieb stets die größere Einrichtung. Sobald Geld verfügbar war für Modernisierungen, wurde es zunächst in die Dresdner Druckerei investiert. Leipzig blieb klein und die Maschinen alt. Rückblickend war das Glück. Denn beim Umrüsten in Dresden wurden die alten Lichtdruck-Maschinen gegen neue Offsetdrucker getauscht. Die waren schneller, lieferten aber schlechtere Qualität. Museen und Galerien vertrauten weiterhin Leipzig. Selbst Staatsoberhaupt Honecker schätzte die Eigenschaften der Abzüge, die wie echt wirkten. Bei Staatsbesuchen verschenkte er oft Lichtdrucke. „Früher galt: Der Lichtdruck an der Wand, das Original im Tresor“ erinnert sich Müller, ein Lichtdrucker im Ruhestand. Er ist jetzt 72 Jahre alt und seit 13 Jahren offiziell nicht mehr Teil der Werkstatt. Er hat sein Leben lang Goethe faksimiliert. Nach der Wende fand er Drucke in Museen im Westen, die durch seine Hand gingen. Nur wenige können den Unterschied zum Original feststellen.

Nach dem Fall der Mauer zerrten die Kräfte des freien Marktes an der kleinen Werkstatt in Leipzig. Das Lichtdruck-Sterben, welches weltweit in den 60er Jahren einsetzte, erreichte auch den Osten. Die Technologie war zu teuer, zu langsam um bestehen zu können, hieß es. Achim Müller machte das nicht lange mit. Im Jahr 1999 wurde ihm angeboten, in den Offsetdruck oder in den Ruhestand zu wechseln. Er wählte die Rente, kommt aber nach wie vor alle paar Wochen in die Werkstatt um mit anzupacken, nach den Maschinen zu sehen oder mit den Mitarbeitern über alte Zeiten zu plaudern.

Die vierköpfige Belegschaft ist sich, was ihren Beruf angeht, einig: Lichtdrucker ist nicht nur ein Job, Lichtdrucker sei man aus Leidenschaft. Das familiäre Umfeld in der Werkstatt entstand vor allem durch die Krisen, durch die sie in der Druckerei gemeinsam gehen mussten.

Als etablierte Lichtdruckereien in Paris, Wien oder Großbritannien geschlossen wurden, reisten die Leipziger um die Welt, um Kontakte zu den noch verbliebenen Werkstätten aufzubauen. Oft sorgten wirtschaftliche Fehlentscheidungen für das Ende der Druckereien. Sie versuchten zu viel in zu kurzer Zeit zu drucken, um konkurrieren zu können. Die hektische Belastung zerstörte die alten Maschinen, die den Arbeitsrhythmus des vorigen Jahrhunderts gewöhnt waren.
Solche Entwicklungen wurden von Leipzig aus skeptisch verfolgt. Im Falle einer Schließung übernahm die ostdeutsche Werkstatt oft die Farbbestände der geschlossenen Betriebe. Mit jedem preiswerten Farbtopf konnte es in Leipzig noch ein paar Druckgänge weitergehen.

Nach dem gescheiterten Versuch als privates Unternehmen zu existieren und konkurrenzfähig zu sein, ist der Lichtdruck in Leipzig heute ein eingetragener Verein. Die Mitarbeiter, die seit mehreren Jahrzehnten die einzigen waren, die an diesen Maschinen ausgebildet wurden, sind heute offiziell nur ABM-Kräfte. Die letzten Vertreter eines Handwerks überleben mit einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.

Der Lichtdruck stirbt mit denen, die ihn noch beherrschen.

Lange waren es nur noch drei Werkstätten auf der Welt. Doch seit im letzten Jahr die Gebrüder Alinari in Florenz geschlossen haben, ist der Lichtdruck in Leipzig die letzte Einrichtung in Europa. Außerhalb arbeitet nur noch in Kyoto eine Werkstatt, die direkt für den japanischen Kaiser produziert. Auch die Farben in Leipzig kommen aus Japan. Dort sind sie die einzigen weltweit, die sie noch herstellen. Nur starke Maschinen können die Druckfarben verarbeiten, welche als die kräftigsten überhaupt gelten. Das macht sie auch besonders langlebig. Zum Beweis kratzt Udo Scholtz die Kruste von einem 40 Jahre alten blauen Farbtopf ab und verreibt die Paste auf den Druckrollen. Das Wissen um die Produktion ist so gut wie verloren, und ohne Farbe gibt es keinen Druck.
Achim Müller blickt skeptisch in die Zukunft: „Den Lichtdruck wird es in 50 Jahren nicht mehr geben – außer im Museum“

Udo Scholtz bleibt hingegen pragmatisch. Als Werkstattleiter denkt er lieber an den nächsten Druck, als an die nächsten 50 Jahre. Zwei Maschinen waren heute im Betrieb. Die eine faksimilierte über 200 Jahre alte Briefe von Schiller an Goethe für das Museum in Weimar. Die andere druckte Werke für eine Künstlerin, welche die große Maschine als neues Medium ausprobierte. Beide Geräte müssen nun ruhen. Scholtz wischt noch die Farbe von den Rollen. Ende Juli wird er in Rente gehen. Seine Hoffnung ist dann die 27 jährige Janine Kittler, die vor fünf Jahren die Ausbildung zur Lichtdruckerin begann. Alle hatten ihr von diesem perspektivlosen Beruf abgeraten. Doch für Janine ist Lichtdruck Herzsache.
So auch für Herrn Scholtz. Auch im Ruhestand wird er noch drucken.

Solange es geht.

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Anmerkung: Die Geschichte entstand Anfang des zweiten Semesters, also vor über einem Jahr. Es war die letzte Geschichte mit meiner alten Kamera. Für einen Reportage-Wettbewerb habe ich zusätzlich diesen ergänzenden Text gemacht. Der wurde dann zwar nicht akzeptiert, aber die Multimedia-Produktion bekam eine lobende Erwähnung. Ich würde es heute nicht mehr so schreiben oder fotografieren. Trotzdem ist es eine nette kleine Geschichte und es wäre schade, sie nicht zu zeigen, da sie bisher nie veröffentlicht wurde.

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt

Oder: Wie ich drei Mädchen zum Weinen brachte.

Knapp 1.800 Fotos im Schnelldurchlauf. Und das waren nicht mal alle, die wir machten.

Ich bin mittlerweile im 4. Semester Fotojournalismus in Hannover. Allzu viele Fotos mache ich aber zur Zeit nicht. Vor dieser Aktion im Studio habe ich die Kamera seit Februar nicht mehr angefasst.

Im Keller der Uni haben wir ein eigenes Fotostudio, das sich über zwei Etagen erstreckt und mit vielen teuren Sachen ausgestattet ist. Die Benutzung und Reservierung ist daher immer so eine Sache.
Für ein Seminar sollten wir nun als Gruppe sechs Portraits fotografieren und zwei Stillleben inszenieren. Darunter: ein Wasserglas.

Mich nervt Studio. Für das Wasserglas haben wir insgesamt vier Stunden gebraucht, bis das Licht perfekt saß. Jede Reflektion, jeder Schimmer, jeder Kontrast muss sitzen. Viel Geschiebe und Fummelei. Und einmal kurz daneben greifen, schon kann man wieder von vorne anfangen.

Bei vier Fotografen in einem Studio weiß es jeder immer besser. Mich eingeschlossen.
Das alles nicht ganz reibungslos ablief, ist klar. Aber wir hatten nun mal nur zwei Tage in diesem Semester zugeteilt, in denen wir alles erledigen mussten. Es ging nicht anders.

Die Portraits waren da ein ganz großer Aufreger. Zwei Tage vorm Shooting hatten wir noch niemanden gefunden. Zum Termin kamen dann sogar neun Leute, drei mehr als wir eigentlich brauchten. Wir fotografierten alle schnell im Akkord durch und zählten gar nicht mit. Das es am Ende ganze neun waren, merkten wir erst zum Schluss. Und wir spürten es auch. Neun Leute in fünf Stunden ohne Pause durchfotografieren ist anstrengend.

Die Idee war, am Ende ein Mosaik der Emotionen und Gesichtsausdrücke zu haben. Wir hatten uns acht Gefühle bzw. Zustände notiert, und sind die mit jedem mal durchgegangen. Dazu hatten wir uns extra Schauspielstudenten von der Uni gegenüber bestellt. Schauspieler brauchen eh immer Fotos, also fanden sich schnell viele.

Bevor ich ja mit der Fotografie anfing, drehte ich Filme. Die Arbeit mit Schauspielern und die Regie lag mir also nicht fern. Es hat auch echt Spaß gemacht, weil unsere Modelle talentiert waren und viel Energie in unsere Fotos investierten. Es wurde gebrüllt, geschrien, gelacht. Und drei von ihnen konnten sogar auf Kommando weinen. Einigen brauchte ich nur das Gefühl zu nennen, und sie konnten es spielen. Andere brauchten eine konkrete Situation oder mit dem richtigen Gespür einen kleinen Schubser in die richtige Richtung.
Einem Mädchen sagte ich, dass sie Krebs hat – und die Tränen rollten.
(Das tat mir dann anschließend aber auch selbst weh, dass ich ihr das so ins Gesicht sagte.)

Als Kind habe ich viel geschauspielert. Die Fähigkeiten, die ich dabei erlernt hatte, nutze ich heute noch. Eine aus meiner Gruppe meinte am Ende des Tages auch, dass ich heute ohne Probleme auch vor die Kamera gekonnt hätte.

Jetzt ist wieder Fotopause bis Juni. Und das langweilt mich. In diesem Semester, wie im letzten schon, liegt der Fokus auf der Theorie, nicht auf der Praxis. Das ist zwar auch sinnvoll, ödet mich aber eher an. Ich bin lieber unterwegs und mach eine Geschichte, statt in einem Raum zu sitzen und mir was von der Welt erzählen zu lassen. Auch wenn natürlich Wissen zur rechtlichen Situation, foto-wirtschaftlichen Mechanismen und Details aus der Verlagswelt nützlich sind.

Ich bin nicht der einzige, der zur Zeit nix zu fotografieren hat und mit Neid in das 2. Semester schielt. Dort muss alle zwei Wochen eine neue Reportage entstanden sein. Angenehmer Druck, oh wie er mir fehlt. Er verfeinert auch Geschichten. Er gibt ne Richtung vor.
So geht jetzt die Energie in jede Richtung und kommt nirgends an.

Hier gab ich Anweisungen bei den Schauspielern und fotografierte nur das Wasserglas – wobei man da, wenn alles gestellt ist, nur gelangweilt den Knopf drücken braucht. Es ist alles so klinisch, mechanisch.

Es gibt nur noch zwei Kurse, für die ich in diesem Semester Fotos machen muss. Für beide bin ich da erst im Sommer unterwegs. Das heißt, bis Juni bleibt die Kamera unangetastet – sofern mir nix einfällt.

Ich glaub Rachels Gesicht bei 02:47 beschreibt da mein momentanes Gefühl ganz gut.