a kraut in a crowd

Beim Bon Odori in Koenji, dem zweitgrößten in Japan: Viele Menschen, viel Gedränge, viele Fotos – und viel gute Laune. Die japanische Kultur findet nicht in Museen statt, sondern lädt auf der Straße zum mitmachen ein.

Der Sommer in Japan, und besonders in Tokyo, wird begleitet von vielen Sommerfestivals. Auf einem davon, einem Matsuri, war ich ja bereits. Während es bei einem Matsuri nur ums Essen, Trinken und Spielen geht, steht bei einem Obon bzw. dem dazugehörigen Tanz “Bon Odori” der Tanz und Musik im Vordergrund. “Obon” wird von einigen Reiseführern gerne mit “Totenfest” übersetzt, ich finde aber, das trifft es nicht ganz. Dafür sind alle viel zu gut gelaunt. Es geht mehr um die Ehre und Würdigung der Ahnen.

Der “Bon Odori” (“Odori” heisst soviel wie “Tanz”) in Koenji hatte ein eigenes Thema, welches ich allerdings nicht so recht verstanden habe. Der Editor vom Metropolis, der mich hierzu einlud, erzählte mir, dass die Tradtion dort wohl von irgendeinem alten Shogun kommt, und ein Dieb verehrt wird. Was auch die Masken erklärt, denn diese Haube, zusammengebunden unterhalb der Nase, ist ein altes japanisches Kostüm für einen Dieb.

Das Odori ist eine alte buddhistische Tradition, welches die Japaner selbst mit einer alten japanischen Tradition zelebrieren: In großen Gruppen auftauchen und die Straßen überfüllen.
Ich hatte schon extra das Fahrrad genommen, um den vollgestopften öffentlichen Verkehrsmitteln zu entgehen, aber trotzdem war der Andrang echt extrem.

Teilweise bekam ich wirklich keine Luft, weil sich asiatische Körper gegen meinen Brustkorb stemmten. Ich konnte nur die Kamera hoch halten, um sie zu sichern und frei Hand ein paar Bilder zu machen, vom Odori, das ich, obwohl ich nur 2 Meter davon entfernt war, aufgrund der vielen Menschen absolut nicht sehen konnte.

Ich weiss nicht wieviel es waren, aber eine Million war bestimmt da:

Für eine Strecke von 50 Metern habe ich ungefähr eine halbe Stunde gebraucht, und dann noch einmal 20 Minuten um in der Menschenmenge den Editor vom Metropolis zu finden.
Zeitweise war ich echt genervt von all den vielen Leuten, das aller erste Mal seitdem ich in Japan bin, aber das gab sich schnell nachdem ich das Festival sehen konnte.

Die gute Laune der Tänzer steckt an und überträgt sich auf die Menschenmasse drum herum. Ihr Tanz war zwar simpel, aber faszinierend. Und simpel genug, um einfach mitzumachen.
Von jung bis Alt waren alle dabei.

Es gab verschiedene Straßenabschnitte wo getanzt wurde, und es traten verschiedene Gruppen auf. Vergleichbares in Berlin wäre wohl nur der Karneval der Kulturen, und mit einer ähnlichen guten Laune und Ernsthaftigkeit wie in Berlin gingen auch hier die Tänzer voran, um die Ahnen zu ehren und das Publikum zu unterhalten.

Mit zunehmender Stunde (das Ganze ging insgesamt drei Stunden), wurden die Tänzer auch leichtfüssiger und gutgelaunter:

Auch wenn Einige es wieder zu ernst nahmen:

Die Reaktionen vom Publikum waren unterschiedlich, jedoch als Motive wunderbar. Es gab die stillen Geniesser:

Die Jugend, die es vorgezogen haben, das Fest nur durch ihre Kompaktknipse zu betrachten, statt selbst mal hinzuschauen:

Und den obligatorischen “Du musst lauter reden, da ist grad ein Festival hinter mir!”-Typ:

Ein paar waren auch nur skeptisch, warum denn alle so komisch gekleidet sind:

Der Umzug bestand aus mehreren Gruppen, die auf verschiedenen, abgetrennten Bereiche der Straße auftraten. Angeführt wurden sie von einer Art Standartenführer, der vorweg tanzte

Dann gab es den, ich nenn ihn mal so, “Kapellmeister, der mit einem kleinen Gong, fester Stimme und starker, richtungsweisender Hand die Gruppe in Reih und Glied hielt:

Die Trommler gaben dann, wenn auch etwas genervt von der Schwere der zu tragenden Trommel, den Takt vor:


Auch die Kleinen wollten es probieren. Doch zuerst wird geschaut wie es geht:

und dann selbst marschiert:

Zwischendrin waren dann die Flötenspieler

Ihnen folgten dann die Tänzer, die Männer dann so:

oder etwas spezieller, so:

und die Frauen in Kleid und extravaganten Hüten, folgten so:

Und nur Japanerinnen schaffen es, in simplen Holzschuhen, die nur auf zwei Holzkanten stehen, elegant zu tanzen:

Pünktlich um neun Uhr endete der Umzug, und die Polizei bat uns freundlich, aber bestimmt, nun endlich zu verschwinden:

Und schon nach 20 Minuten war alles aufgeräumt und abgebaut. Das ich mir eigentlich noch was zu Essen kaufen wollte, nach getaner Foto-Arbeit, schien die Buden nicht zu interessieren.

Aber es war auch ein anstrengender Tag, für alle Beteiligten.

Fototechnisch war ich vom Tanz und Publikum sehr angetan. Nach anderthalb Stunden hatte ich bereits meine komplette Speicherkarte und zwei Rollfilme voll. Auch wenn die Bedingungen nicht die besten waren, in der Nacht und Dunkelheit, und kaum genug Platz um nah ranzugehen. Ständig lief irgendeiner durchs Bild. Die besten Chancen hatte ich frei Hand, was ganz gut funktionierte. Bin ganz froh nun eine neue Kamera zu haben, die konnte mit diesem wenigen Licht sehr viel anfangen.

Für alle, die den Straßenumzug gern mal in Bewegung sehen würde, mit passender Geräuschkulisse:

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Und nun: Selber machen!

“verschollen in den japanischen Bergen” ODER “in den warmen Futon einer Sekte”

Aus 2-3 Stunden geplanten Waldspaziergang ist eine 10 stündige Bergwanderung geworden, und die einsetzende Dunkelheit zwang uns, die Nacht in den Bergen zu verbringen. Zwei Stunden vom nächsten Dorf entfernt gehörte das einzige Haus einem religiösen Kult oder Sekte, die uns einen Schlafplatz und Essen gab, aber Fragen nicht wirklich gern beantworten wollte…

Tokyo ist groß.
Wenn man zwei Stunden Richtung Westen fährt, wo die Berge und Wälder beginnen die Häuser zu verdrängen, so ist man zwar mitten in der Natur und japanischen Nirgendwo, aber immernoch in Tokyo. Sanne-san, eine Deutsche die ich hier kennen lernte, wollte wandern gehen, und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, mitzukommen. Ich wollte eh mal wieder aus der Stadt raus und was sehen, und ein kleiner Spaziergang durch die Natur tut ab und an mal gut.
Sie hatte einen Lonely-Planet Hiking Guide, der einen “familienfreundlichen” 2-3 Stunden Weg empfohlen hatte, rund um den 1100m hohen Berg Mitake, und den 1200m hohen Berg Otake (die wir beide erklommen haben).


(in Turnschuhen, kurzen Hosen und Hemd wohlgemerkt)

Der Weg war alles andere als “familienfreundlich”: Teilweise war er ganze Strecken lang nur 40cm breit, über lockeres Geröll, glatte Felsen und ohne Geländer oder andere Sicherung. Stets ein 500m steiler Abgrund auf der einen Seite.

Es war anstrengend. Sehr anstrengend.
Aber da oben zu sein ist schon großartig. Diese wildgewachsene Natur ist unbeschreiblich, fast schon wie in den Filmen von Hayao Myazaki. Wild, natürlich gewachsen und von keiner Menschenseele berührt.

Und da oben, mitten in der Bergen, war ein Schrein auf ca. 900m Höhe. Gab viele Pilger, die alle passender gekleidet waren als wir, mit Wanderstöcken und festen Schuhen.
Auf dem Berg Otake war ein großer Schrein, so wie ich es verstanden hab wurden da Hunde vereehrt. Deswegen hatten viele Wanderer auch ihre Hunde mit den Berg hochgeschleppt. Wobei die Hunde in Japan nie größer als 30cm werden, damit sie auch Platz haben, in kleinen japanischen Wohnungen. Von daher sind kleine Hundearten wie der Dackel beliebt, auch wenn ich vermute, dass dieser Hund den gesamten Weg getragen worden ist.

Es waren auch viele Rentner unterwegs, die die gefühlten 20.000 Stufen hoch zum Schrein mit einem dankbaren Lächeln nahmen. Das wir, als Gaijin, nach ihren Befinden fragten, freute sie ungemein

Vom Schrein sind wir dann Richtung Berg Mitake gelaufen, in blinden Vertrauen an unverlässlich platzierten Wegweisern.

Vorbei an kleinen Bergflüsschen und wunderschöner Natur. Es kamen uns immer weniger Menschen entgegen, was uns zunächst verwunderte, aber uns auch nicht vom weitergehen abhielt.
Dann auf einmal:

Stille.

komplette Stille.

Sowas kannte ich persönlich noch garnicht. Ich bin in Berlin aufgewachsen, selbst nachts gibt es da überall Geräusche. Und vor meinem Fenster in Tokyo liegt der Tokyo-Expressway. Den tausenden Autos, die den befahren, ist die Tageszeit egal, da ist es tags wie nachts laut.

Aber dort in den Bergen war es einfach nur stille, absolut keine Geräusche. So still, dass einem die Ohren bluten.

Durch diese Stille machten wir uns weiter auf den Weg, immer höher, steiler und halsbrecherischer. Irgendwann überraschte uns die Dunkelheit, da die Sonne hier schon gegen 18.30 untergeht. Und wir hatten absolut garnichts dabei.
Weder Essen, noch Wasser, noch warme Klamotten oder überhaupt ein Licht. Mit Kamera-Blitz und Handy-Leuchte kamen wir zwar ein paar Meter, sahen aber schnell ein, dass das wenig Sinn macht.
Und dann, mittem im Wald auf dem Berg, mindestens 2 Stunden Marsch durch die Dunkelheit von der nächsten Stadt entfernt, war ein Haus, und es waren Menschen drin.

Wir klopften etwas zögerlich an, denn Menschen, die einsam im Wald lebten, sind ja meist etwas wunderlich oder könnten gefährlich sein. Es waren ungefähr 7-8 ältere Leute, die grad ihr Abendessen vorbereitet haben. Sanne-san’s Japanisch ist besser als meins, also erklärten wir uns, aber der älteste aus der Gruppe sprach auch ganz gutes Englisch. Wir wollten nur nach einer Lampe fragen, um weiter zu gehen. Doch sie meinten es ist gefährlich bei dieser Dunkelheit, und meinten, wir könnten dort im Haus übernachten.
Insgeheim hatte ich genau das auch gehofft, weil mich auch das Abenteuer in den Wäldern zu übernachten ziemlich gereizt hat. Aber dass es so klappte, überraschte uns sehr, und wir waren vor Dankbarkeit ziemlich sprachlos. Wieviele Menschen nehmen schon wildfremde Leute bei sich auf? Zudem noch Ausländer?

Es stellte sich heraus, dass es noch mehr Häuser zu dem dort gab, und die Gruppe in einem anderen schläft. Wir hatten also das gesamte Haus für uns.

Die Räume für uns waren oben, während die Gruppe unten blieb und das Essen machte. Überall gab es Futons und Matratzen, zu unserer freien Verfügung. Nach der anstrengenden Wanderung legten wir uns erstmal kurz hin, und mussten erstmal realisieren, dass wir nun in den Bergen übernachten. Von unten zog der Geruch von Essen nach oben.
Wir hatten den ganzen Tag nichts gegessen, nur ein Brötchen auf dem Weg. Schließlich gingen wir von 2-3 Stunden aus. Doch an dem Punkt wo wir waren, sind wir nach mehr als drei Stunden gelangt, und es war nocht nicht einmal die Hälfte des Weges.

Wir hatten tierischen Hunger, aber trauten uns nicht nach etwas zu Essen zu fragen, da sie uns ja schon eine kostenlose Übernachtung ermöglicht haben. Von unten riefen sie dann: “Mister und Miss, you can come down now”. Unten war das Essen schon angerichtet, mit zwei gefüllten Tellern für uns. Wir wussten garnicht was wir sagen sollten, Sanne wurde ganz still und traute sich nicht, das Essen anzurühren, weil sie ohnehin schon so dankbar und verlegen war.
Und ich: Ich hatte einfach nur Hunger und fing an.

Es gab Curry-Reis mit Kartoffeln, Gemüse, Suppe, und ein Hühnerbein für jeden von uns. Wir hatten ein schlechtes Gewissen, doch da wir ihre Gäste waren, boten sie uns immer zuerst alles an, bevor sie sich selbst etwas nahmen.

Beim Essen kamen wir ins Gespräch. Mit Englisch und Japanisch kamen wir ganz Gut zurecht, und konnten ihre Fragen, ganz Gut beantworten. Unseren Fragen hingegen wichen sie aus, sie wollte nicht wirklich verraten, was sie da oben in den Bergen machen, oder wer sie sind. Als ich Fotos machte fragte er gleich, ob ich die veröffentlichen will. Ich sagte nein:

So wie wir es verstanden haben, sind sie Teil einer religiösen Gruppe, Kult oder Sekte, und ihrer Organisation gehört das Haus. Doch warum sie ausgerechnet hier mitten im Wald sind, wollten sie nicht verraten. Es fühlte sich etwas merkwürdig an, aber die Dankbarkeit überwiegte.

Das hier war Sumi, auch wenn sie meinte, sie hat noch viele andere Namen. Sie war Chinesin, die aber auch gutes Englisch sprach. Sie wurde von den Anderen als kleine Philosophin beschrieben und sie redete auch unglaublich viel.
Sie hatte früher mit Juwelen gehandelt, aber nun im- und exportiert sie Champagner-Bier. Auch nach Deutschland, wo es “Keller-Weizen” heisst. Haltet mal danach Ausschau, Sumi’s Schwester hat das Bier erfunden ^^ Wobei es auch sehr skurril war mitten in den japanischen Bergen über deutsches Bier zu sprechen. Oder über Berlin-Zoo, den der ältere Herr vor ein paar Jahren besucht hatte, und nun ganz stolz erzählte.

Wir wollten unsere Dankbarkeit zeigen, indem wir beim Aufräumen und Abwaschen helfen, aber da wir Gäste waren, wurde das als eher unhöflich und respektlos dem Gastgeber empfunden. Gaijin-Fauxpas #312

Mit vollen Magen legten wir uns in unseren Futon. Es wurde still ums Haus. Wirklich richtig still. Ich glaube die Nacht lässt sich am besten so beschreiben:

Wirklich komplette, allumfassende Dunkelheit. In der Stadt hat man ja immernoch ein bisschen Licht ins Fenster scheinen, durch Neon-Röhren oder den Mond. Aber der Wald um uns rum hat das ganze Licht und den Wind gefressen. Was bleibt, ist Dunkelheit.

In Buddhistischen Tempeln gibt es oft einen Meditationsraum, ein kleines Zimmer, oft in Stein gehauen, und mit einem Fels verschlossen, so dringt weder Licht noch Geräusche hinein, und der Mönch ist alleine auf seine spirituellen Suche. So ähnlich war es da oben, auf ca. 800m Höhe.
(Zum Vergleich, der Berliner Fernsehturm ist 368m hoch. Und der ist schon verflucht hoch)

Jedes Geräusch, auch noch so klein, war umso intensiver. Nach dem ersten kurzen Schlaf aufgrund der Erschöpfung, war es eine angespannte Nacht. Denn die Möglichkeit, dass die Sekte aus Axtmördern besteht, stand ja noch im Raum. Und wir wurden auch vor Tanuki (japanischer Marderhund) gewarnt, die ganz fix ins Gebäude gelangen können. Es huschte auch mal was an meinem Kopf vorbei, ich zog es aber vor, nicht mit der Taschenlampe nachzuschauen…

Als dann der Regen einsetzte, gab es eine gewohnte Geräuschkulisse und ich konnte entspannt einschlafen….

Der nächste morgen war erholsam.

Der Nebel wanderte über die Berge und in den Spinnennetzen fing sich der Morgentau

Schon schön da oben.

Wir konnten dann auch zum ersten Mal richtig sehen, wo wir eigentlich übernachtet und nette Menschen getroffen haben:

Mit leeren Magen ging es dann weiter, auf den Berg und durch den Nebel, immer am Abgrund entlang.

Schon mystisch.

Sanne meinte nach jedem Weg bergauf “Jetzt geht es nur noch bergab!”. Nach dem 12. Mal begann ich an ihr zu zweifeln.
Der Weg den wir dann gingen, war schon bei Tageslicht sehr schwer und halsbrecherisch. Bei Dunkelheit dürfte es glaube lebensgefährlich gewesen sein, auch wenn ich zu keinem Zeitpunkt da oben auch nur irgendwie Angst hatte. Mehr Freude, über dieses Abenteuer, diesen Weg ins Ungewisse, Unerwartete.

Oben gab es dann nochmal einen kleinen Schrein mit Schutzgöttern daneben

Wir haben bei keinem Schrein gebetet oder den Naturgöttern etwas dargeboten. Vielleicht haben uns diese Säcke deswegen durch diese Schikanen geschickt.

Und irgendwann, nach vielen Blicken auf Bäume und noch mehr Bäume, hoch oben, weit entfernt von allem

konnten wir die Stadt mit der Bahnstation entdecken

Zwischen dem Foto und der Ankunft lag dann aber nochmal zwei Stunden.

Verschwitzt und verdreckt kamen wir dann in einem Restaurant an. Das erste Essen an diesem Tage, als wir gegen 15 Uhr ankamen.

einfach nur großartig.

Im Zug dann nen Sitzplatz zu finden war mit unserem Zustand nicht schwierig, man räumte freiweillig den Platz um nicht neben uns sitzen zu müssen.

Zwei Stunden aus Tokyo raus, und in einer völlig anderen Welt. Schreine, Naturgötter und nette, gastfreundliche Menschen. Aus ein paar Stunden wurde so ein ganzes Wochenende, frei in den Bergen.
Das ist das Japan was ich suchte.

—-

(Zum besseren Verständnis der Höhenunterschiede hab ich noch mal ein nicht ganz maßstabsgetreues schematisches Modell angefertigt)

professionell pleite


Im Zuge der Aufarbeitung vergangener Erlebnisse, hier nun etwas vom 20. August:

Tokyo ist teuer.
So teuer, dass ich nach fast zwei Monaten schon pleite bin, und dringend einen Job brauche. Ich scherze nicht, ich hab nur noch für diese Woche Geld für Essen. Danach wirds kritisch.

Einen Job in Tokyo finden ist nicht leicht. Auch wenn sich die Regierung die größte Mühe gibt, jedem Arbeit zu geben, der danach schreit. So werden zum Beispiel 5 Leute gebraucht, um Leute anzuhalten, wenn ein Auto aus einer Ausfahrt, über den Gehweg, auf die Straße fahren möchte. Danach folgt das “Danke sehr. Bitte gehen sie hier lang”, oft auch im Canon von allen 5 Leuten zusammen.
Mein Mitbewohner, der schon seit 5 Jahren hier lebt, hatte mir es mal erklärt: Es gibt hier keinen Mental-Healthcare-Plan, d.h. für Leute die nicht ganz richtig im Kopf sind, oder aufgrund vom gehobenen Alter schon ein paar Murmeln abhanden gekommen sind, werden eben in solche “dummen” Jobs gesteckt. Auch für Arbeitslose werden diese Tätigkeiten regelrecht “geschaffen”. Trotzdem erfüllen die dann, wie jeder andere Japaner, ihren Job pflichtbewusst, weil sie somit ein wichtiges Mitglied der Gesellschaft sind.

Von daher geb ich mir Mühe diese Jobs zu respektieren. Was dann auch dazu führt, dass ich eben dort lang gehe, wo mich der Herr in Uniform bittet hinzugehen. Auch wenn das garnicht der Weg ist, wohin ich will. Man ist halt höflich hier.

Wie dem auch sei, Arbeit finden ist nicht leicht. Gibt zwei Sachen die mir da im Wege stehen:

1. Meine schlechten bis nichtvorhandenen Japanisch-Fähigkeiten
2. Die schlimmste Rezession in Japan seit 20 Jahren

Trotzdem fand ich nun im Goethe-Institut einen Aushang mit nem Job-Angebot in nem Café. Stand zwar drüber, den Aushang hängen zu lassen, aber ich dachte, wenn ich ihn mitnehme, könnte ich meine Chancen der einzige Bewerber zu sein, enorm steigern.

Neun Monate Küchen-Arbeit als Zivi in nem Kindergarten, mit pro Tag 200 Kindern härten ab, also suche ich vermehrt solche Küchenjobs, weil ich dort die Erfahrung habe. Zumal gibts dabei meist auch gratis Essen, was auch nochmal Kosten spart.

Das Café befand sich in Jiyugaoka, etwas außerhalb und ruhig gelegen. Viele ausländische, vorallem italienische/französische/britische Cafés und Restaurants, dazu viel pseudo-europäische Architektur. Oder zumindest das, was die Japaner unter europäisch vorstellen.

Das Cafe mit dem Job war in der italienischen Ecke. Zwischen ein paar Backsteinhäusern gab es einen kleinen Kanal mit venezianischer Gondel. Das Café selbst war französisch/deutsch, und es gab unter anderem “Original Berliner Currywurst” auf der Karte. Für umgerechnet 4€ gabs ein Stückchen Heimat. Zumindest die Curry-Soße schmeckte wie Berlin, doch das bisschen Wurst war auf keinen Fall deutsch. Dazu gabs Sauerkraut.

Die Inhaberin war japanisch, lebte zehn Jahre in Amerika und arbeitete für nen Fernsehsender. So wie sie aussah, bestimmt vor der Kamera. Sie hatte Verständnis für mich als armen Journalisten und gab mir Tipps.

Ihr Mann war deutsch und er liest hoffentlich nie diesen Blog. Denn ihr Mann war ein ziemlicher Arsch.

Setzte sich bräsig vor mich hin, mit einer “Was willst du denn hier?” Einstellung. Er stellte mir Fragen, ignorierte aber die Antworten. Er stand ab und an mal auf, ohne ein Wort zu sagen, und kam dann irgendwann mal wieder. Ungefragt nahm er sich meine Kamera, die ich mal zeigen wollte, und ging rum und fotografierte. Als er dann irgendwann wiederkam, fehlte an der Kamera ein Teil, was sich dann aber nach einer Weile Suchen wieder fand. Er lebt seit 13 Jahren hier, spricht aber kaum Japanisch.

(Diese Gruppe von Deutschen, die hier seit Jahren leben, aber kein Japanisch können, trifft man hier häufiger. Ich finds peinlich und respektlos)

Wie dem auch sei, wie es der Zufall wollte, war genau zu dem Zeitpunkt, wo ich da war, ein Fotoshooting draußen, die Models waren die Kellnerinnen des Cafés, und gleichzeitig die Tochter der Inhaberin, und deren Freundin. Beide flüssig in Englisch, wenn auch in diesem oberflächlichen Amerikanischen (jedes zweite Wort war “like”, “you know like, like totally, duh?!”)

Die Fotografin war eine Hobbyfotografin, mit ner digitalen Leica. Die Leica kam aus Deutschland, was sie mir dann auch ganz stolz zeigte, als ich ihr sagte, ich bin aus Deutschland. Deutsche sind hier beliebt.
Es ging um eine Tennisklamotten-Kollektion. Der Betreiber vom Sport-Geschäft und der Designer der Kollektion waren zusammen mit der Hobby-Fotografin vor Ort. Warum auch immer sie ein pseudo-europäisches Setting gewählt haben, um Sportkleidung zu präsentieren.
Das weder der Geschäftsinhaber noch der Designer Ahnung von Fotografie hatten, war schnell klar. Die Models wurden immer gekonnt in den Schatten gesetzt, stets in einer Pose, die er sich irgendwie im neuesten Quelle-Katalog abgeschaut hat, und nun schlecht imitierte.

Ich schnackte mit der Hobbyfotografin, und gab ihr ein paar Tipps. Und obwohl sie es besser wusste, hat sie stets die Bilder so gemacht, wie der völlig unfähige Designer mit Ziegenbart es verlangte. So läuft eben die Hierarchie hier in Japan.

Ich konnt mir das nicht lange ansehen, schnappte mir das Modell und inszenierte selbst etwas.

Die Ergebnisse waren dann gelungen, und erstaunten die Unfähigen. Doch statt mir Folge-Aufträge zu geben, waren sie dann doch eher angepisst, dass ich sie so bloßgestellt hatte.

trotzdem hübsche töchter und putzige hunde

Nach dem Shooting kam die Chefin vom Café auf mich zu, wegen dem Job. Sie meinte, sie überlegt nochma, aber sie glaubt, dass ich als Fotograf besser bin, als als Kellner.

Recht mag sie haben.
Vielleicht professionell, aber trotzdem immernoch pleite in Tokyo.