…und am Ende bleibt nur das Echo

Eine junge japanische Band, die ich im Oktober letzten Jahres traf, zu meiner Lieblingsband ernannt habe, und mit der ich Silvester verbrachte, gab im April ihr letztes Konzert. Ich war als Fotograf den ganzen Tag dabei, von der Probe bis der Vorhang fiel.

Sayuri

Die Geschichte der Band FLAVA, der Gründerin und Sängerin Sayuri und mir lässt sich in einigen Blogeinträgen nachlesen, vom ersten Treffen bis zum 7 Stunden Konzert am Silvesterabend. Nach 6 Jahren Bandgeschichte bestand die Band aber eigentlich nur noch aus der Sängerin und Songschreiberin Sayuri selbst, ihre begleitenden Musiker wechselten sich dabei ab und entstammen alle aus einem kleinen, fast schon familären Kreis junger Musiker in Tokyo. Beim letzten Konzert waren auch viele mir bekannte Gesichter dabei.

Alle jungen Musiker beherschten ihr Instrument, spielen seit teilweise schon 10 Jahren. Auch wenn das in Berlin schon reichen würde, als Musiker über die Runden zu kommen, so schaut das in Tokyo weitaus anders aus. So sind alle Musiker nebenbei noch Kellner, Angestellte oder Conbini-Handlanger. Schade um die Zeit, in der sie nicht für andere Menschen Musik machen können.

Das letzte Konzert der Band FLAVA sollte in Adachi stattfinden, der alten Heimat von Sayuri, im Norden von Tokyo. Treffpunkt war in aller Früh auf einem Bahnhof, wo ich sie erstmal nicht fand. Für Sie hieß es nur ‘Such den Gaijin!’, ich musste die Gesichter von viele Japanern abchecken um sie zu finden. Nebenbei leerte ich noch eine Cola, da ich in der Nacht zuvor weniger als eine Stunde geschlafen hatte, da ich noch an irgendeinem Projekt saß.

Ich wurde dann von Sayuri begrüßt. Ihr Englisch hatte sensationelle Fortschritte gemacht, aber auch mein Japanisch, sodass wir nahezu ohne Probleme kommunizieren konnte. Mit ihr zusammen am Bahnhof stand auch ein hagerer, schüchterner Japaner, komplett ohne Englischkenntnisse. Er wurde als der offizielle Fotograf von FLAVA vorgestellt, eine Position die ich heute ebenfalls inne hatte. Für so eine kleine Band wie FLAVA gleich zwei Fotografen, das ist schon was.

In den 6 Jahren Bandgeschichte gab es nämlich schon einen Fotografen, bevor ich dann nach Japan kam. Beim letzten Konzert konnte der dann natürlich nicht fehlen, auch wenn Sayuri meine Bilder ebenfalls schätzt.

Er selbst war kein Profi, er hatte allerdings Fotoretusche und Bildbearbeitung studiert. Trotzdem gab es, nunja, Spannungen auf meiner Seite zwischen uns. Der Grund war, dass wir beide dasselbe machten und in direkter Konkurrenz standen, und seine Kamera.

Er hatte nämlich, im Gegensatz zu mir, eine Kamera die wirklich als professionell bezeichnet werden konnte, dazu auch Objektive im Wert von mehreren tausend Euro, für die er natürlich eine ganze Weile gespart hatte, die aber natürlich eine ganz andere Qualität liefern konnte, als meine Kamera. Wenn wir nun also dasselbe Motiv ablichten, ist sein Bild zwangsläufig besser. Ich versuchte, wie sonst auch, genau das zu vermeiden, doch wenn man nur ein paar Meter zum Bewegen hat, und sich das Motiv (Band auf der Bühne) nicht sonderlich verändert, sind die kreativen Grenzen dann doch gesetzt.

Vor dem Konzert in einer Halle in Adachi ging es noch in ein Studio, dass die Band für eine Stunde gemeinsames Einspielen gemietet hatte. Die Leute in der Band waren allesamt cool drauf und hatten viel Verständnis für die zwei Fotografen, die sich hier im engen Raum mit ihnen aufhielten und ständig rumknipsten.

Der andere Fotograf beobachtete alles still aus der Ecke, sein Objektiv ließ das auch zu. Ich musste mich viel bewegen und nah rangehen für einen guten Schuss. Zudem waren an der gesamten Wandfläche Spiegel angebracht, sodass es schwierig war, nicht selbst im Bild zu sein, oder nicht noch den anderen Fotografen drin zu haben.


Keyboarder


Bassist, mit nach wie vor cooler Frisur


Der Mann am Rhythmus-Gerät

Er hier war auch schon Mitte 30 und ich meinte, mein Bruder ist auch so in dem Alter. Von da an nannte ich ihn ‘Aniki’, was soviel wie ‘Brüderchen’ heisst. Fand er lustig.


Gitarrist

Sayuri gefiel es zu Anfang garnicht, dass wir Fotos machen, so ganz ohne Make-Up und Bühnendress. Also musste kurz nochmal was aufgelegt werden, und los gings.

Gesamt ging es doch recht professionell zu, die Leute beherschten ihr Instrument und nach wenigen Takten hatten sie alle Abläufe für das einstündige Konzert drin. Aufgeregt war keiner – und traurig auch nicht. Ich war tatsächlich der Einzige, der es bedauerte, dass dies schon das letzte Konzert von FLAVA sein sollte. Sayuri lächelte jedesmal nur, wenn ich sie drauf ansprach. Sie will weiterhin Musik machen, und einen Neuanfang beginnen. Nicht, dass die Zeit mit Flava schlecht war, doch die Band war wie gesagt nur noch sie selbst. Für die Zukunft wäre solo vielleicht besser, meint sie.

An dieser Stelle machte sich nun die Cola bemerkbar, die ich auf leeren Magen getrunken hatte. Es rumorte und schmerzte und ich verdrückte mich aufs Klo. Als ich noch auf dem Klo war, war die Stunde rum, die Band machte sich auf den Weg zum Konzert und fragte sich, wo ich denn bin. Mein Magen hatte zwar noch etwas zu sagen, doch die Sitzung auf dem Klo musste ich schnell beenden.
Ich ging zur Band, wartete bis alles draussen waren und ging unter dem Vorwand, ich hätte noch was vergessen, wieder zurück und erklärte dem Betreiber, dass das Klo momentan nicht mehr ganz so frühlingsfrisch aussieht, mit zehn Entschuldigungen obendrein. Der langhaarige Rocker verstand dann endlich und ich machte mich aus dem Staub, bevor er den Status vom Klo überprüfen konnte. Aber ganz ehrlich, warum viele japanische Klos auf Klobürsten verzichten ist mir schleiherhaft.

Wie dem auch sei, an der frischen Luft auf dem Weg zur Konzerthalle krampfte mein Magen nur noch halb so sehr und ich schaffte es Sayuri die 100 schweren CDs abzunehmen, die sie schon durch halb Tokyo schleppte und nach dem Konzert verkaufen wollte.

In der Konzerthalle hatten wir dann etwas Zeit bis zur Generalprobe, die andere mit Essen verbrachten. Der Gedanke an Essen brachte mich wieder aufs Klo, wo ich nur zehn Minuten lang auf dem Boden lag. Irgendwann gings dann wieder, doch 15min später suchte ich wieder das Klo auf, diesmal das einzige westliche Klo im gesamten Gebäude, wo ich eine längere Sitzung begann in der alles rausgeschmissen wurde, was keine Miete zahlte. Danach gings wieder, auch wenn mir noch den ganzen Abend flau war.

Zur Generalprobe hatte Sayuri wieder das Kleid gewechselt.

Die Band machte sich auf einer schrecklich beleuchteten Bühne vor einer gräßlich, langweiligen weissen Wand bereit.

Die Bühne und die Aufstellung, vorgegeben vom Veranstalter, war zu groß und uninspiriert komponiert, meines Erachtens. Zudem gab es strenge Vorgaben, wo wir uns als Fotografen bewegen können und wo nicht.

Seit meinem ersten Konzert-Shooting habe ich einen großen Gefallen daran gefunden. Ich mag die Lichter, die Emotionen, die Atmosphäre, die sich so gut mit Bildern transportieren lässt. Zudem ist es jedesmal ein neue Herausforderung an Kompositions-Technik und Equipment. Allerdings war das Konzertshooting hier, abgesehen von der fabelhaften Musik, nicht sonderlich spaßig, aus verschiedenen Gründen.

Ich suche ja sonst selten nach einfachen Ausflüchten, aber…

Die Top 5 der Gründe warum ich beim letzten Konzert von FLAVA keine guten Bilder machen konnte

1. Mein Magen rebellierte

Mir war entweder nach Kotzen oder Kollabieren.

2. Die Vorgaben vom Veranstalter

Was konkret bedeutete, dass ich nur Fotos von Schräg-Unten-von-der-Seite machen konnte, oder nur komplett im Profil, vom Bühnenrand. Mein Kollege hatte mit seinem 1600€ Tele-Objektiv einen größeren Zoom, konnte also auch hinter dem Publikum Bilder machen und hatte so ein Foto frontal, ich war da technisch etwas eingeschränkter.

3. Die Gewissheit, dass hier noch ein anderer Fotograf rumlungert, der dasselbe macht wie ich, und evtl sogar besser

Sowas drückt irgendwie auf die Motivation.

4. Die gute Musik

Ich wollte lieber komplett zuhören, statt mich auf gute Bilder zu konzentrieren.

5. Schlechte Lichtverhältnisse

Und nicht schlecht im Sinne von “herausfordernd”, schlecht im Sinne von langweilig, statisch, uninspiriert und ohne Atmosphäre.

Platz für 300 Leute gabs, ganz voll wurde es leider nicht. Allerdings war es selbst für Japaner unnötig kompliziert an Tickets zu kommen. Mich hatte Sayuri eingeladen, das galt dann auch als meine Bezahlung.

Viel Üben musste sie jedoch nicht, es wurde nur die Akustik getestet.

Dann ging es wieder in den Aufenthaltsraum, der mit seinen Tatami-Matten aussah wie ein Zimmer in einem Ryokan. Das Konzert an diesem Abend gestalteten zwei Bands: FLAVA mit Sayuri und Sariyajin. Das waren die Flyer:

Links ist Sayuri als Manga-Figur. Sehr gut getroffen, wie ich finde. Die Homepage der Künstlerin findet sich hier.

Die andere Band war auch im Raum, alle Mitglieder waren älteren Semesters. Die Sängerin von Sariyajin und Sayuri machten sich derweil mit Make-Up und Dress bühnenfertig, und waren fortan nicht mehr ansprechbar. Ich spielte derzeit mit der Kamera meines Kollegen rum…

…der wiederum mit meiner rumspielte, wodurch obiges Foto entstand.

Der Gitarrist baute derweil eine Art Rekoder fürs Konzert auf.

Er sieht zwar sehr wild aus, spielt aber in einer Jazz Band und ist ein sehr gelassener Geselle. Ich meinte, so wie er aussieht, spielt er doch bestimmt in einer Rockband. Er sagte nur, ja, das denkt jeder.

Dann ging es endlich auf die Bühne.

Das letzte Foto bevor der Vorhang sich öffnete. Ich war wohl aufgeregter, als alle in der Band zusammen (weswegen das Foto auch verwackelt ist)…

Die Musik fing an zu spielen und der Vorhang hob sich.

Nun will ich garnicht mehr so viel schreiben, sondern einfach nur Impressionen zeigen.

Mit viel Gefühl in der Stimme bewegte sie das Publikum.

Und sie spielte die Klanghölzer.

Keine Ahnung wer Sie war, sie tauchte irgendwann auf und wurde dem Rest der Band auch nicht vorgestellt…

Und heute für Euch an der Kamera: Fritz!

Sayuri genoss es, wieder für Menschen singen zu können. Und auch wenn das ihr letzter Konzert war, nie zeigte sie auch nur eine Spur von Trauer. Ich glaube, dafür ist sie auch ein viel zu positiver Mensch, der sich mehr auf die neuen Herausforderungen nach FLAVA freut.

Auch wenn FLAVA natürlich immer nur sie war, ohne Band.

Das letzte Lied…

…und dann gab es FLAVA nicht mehr.

Mit einem Lächeln verließ sie die Bühne und ging in den Vorraum zum Saal, CDs verkaufen, Freunde begrüßen und Autogramme geben.


Verkaufsstand

Ich wurde dann natürlich auch oft als der Fotograf aus Deutschland vorgestellt, woraufhin dann immer alle ‘ooooohhh’ machten – und mir ihre kleine Digitalkamera in die Hand drückten, zum Gruppenfoto.

Nach all den Autogrammen, verkauften CDs und Gesprächen mit Fans, bat ich Sayuri noch um ein Portrait…

…vor einem absolut gräßlichen Hintergrund. Doch sie wollte nicht mehr große Anstrengungen unternehmen für ein Foto. Dafür gabs heut schon genug Gepose, Gestelle und in die Kamera Gelächle. Sie war müde, auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen wollte.

Die Band machte sich dann auf ins Izakaya, ich blieb noch mit Sayuri zurück und half beim Verkaufen und Einpacken. Ich hörte auch noch Sariyajin, der Folgeband zu. Sariyajin ist ein Begriff aus dem Anime und Manga Dragonball, dementsprechend bestand deren Reportoire an Songs auch aus vielen Anime-Klassikern.

Sariyajin setzte dabei auf viele klassische Instrumente. So gab es einen Flügel auf der Bühne, eine Violinistin, ein riesigen Contrabass und auch verschieden große Trommeln. Zusammen spielten sie dann ein Lied, dass ich seit über 10 Jahren schon kenne und gerne höre: “Yakusoku wa iranai”, geschrieben von Yoko Kanno, gesungen von Maaya Sakamoto.

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=2Ytbozmcuxk&hl=de_DE&fs=1&]

Ich kannte es bisher nur als mp3, hiernun hörte ich es in einer fantastischen Version live. Ich hatte Gänsehaut und seitdem hört sich die mp3 so leer an…

In Sariyajin spielen wie gesagt Leute älteren Semesters, mit umso mehr Erfahrung. Die Violinistin spielt nun schon seit 20 Jahren(!), der Piano-Spieler (der bei der allgemeinen Vorstellungen der Bandmitglieder das 7-11 Conbini Intro spielte) nun schon seit 15 Jahren. Trotzdem können Sie nicht davon leben. Ich hab der Sängerin dann gesagt, dass ich Yoko Kanno ebenfalls schätze und ihr sehr dankbar bin, für diese Liveversion und ihr kamen fast die Tränen.

Mit Sayuri bin ich dann zum Izakaya. Auf dem Weg hab ich mein Deutsch-Japanisch Wörterbuch vergessen und sie ihr Songbuch. Beides kam dann zwei Tage per Post vom Veranstalter zu uns nachhause.

Im Izakaya saß die ganze Band, erschöpft und zufrieden. Ich trank dann mal einen Tee, das erste mal wieder was im Magen seit 8 Stunden. Sayuri verteilte etwas Geld, was vom Abend durch CD Verkäufe und vom Veranstalter rumkam. Sie hatte allerdings den Konzertsaal gemietet, nicht der Veranstalter die Band. So läuft das in Tokyo.

Ich fragte die Bandmitglieder wieviel es gab, sie wussten es nicht und es war ihnen auch egal. Sie machen das nicht fürs Geld. Ich betone das nochmal: Sie spielen jahrelang Musik auf der Bühne nicht für Geld, sondern weil sie Freude dran haben. Umso sympathischer ist dann ihre Musik.


Das letzte Gruppenfoto

Sommertreff im Bahnhof Alexanderplatz

Der Bahnhof Alexanderplatz ist ein Bahnhof in Berlin, meiner Heimat, direkt beim Fernsehturm und der Redaktion der Berliner Zeitung, für die ich dort gearbeitet habe. Was hat nun Tokyo und Japan mit einem Sommertreff in Berlin zu tun?
Nun, dies hier:

Das hier ist ein Ausschnitt aus dem Anime-Film “Cowboy Bebop – Knockin’ on Heaven’s Door”, der Kinofilm zum gleichnamigen und hochgradig genialen Anime Cowboy Bebop, einer Serie über Kopfgeldjäger in Raumschiffen, der in der Zukunft auf dem Mars und den Monden unseres Sonnensystems spielt.
In dem Ausschnitt läuft der Bösewicht des Films gerade auf den Bahnhof zu, an dessen Fassade die Deutsche Bahn auf einen Sommertreff im Bahnhof Alexanderplatz hinweist.

Für die, die das an dieser Stelle nicht genauso absurd finden, wie ich, fasse ich es nochmal zusammen: In der japanischen Originalversion, eines Anime-Spielfilms aus dem Jahre 2001, der auf dem Mars der Zukunft spielt, gibt es eine Szene, in der die deutsche Bahn auf ein Sommerfest am 28. und 29.08. in einem Bahnhof in Berlin hinweist.

Stellt sich die berechtigte Frage: Wie kommt das?

Es ist üblich, für Manga, wie für Anime-Zeichner, mal einen kleinen Trip zur “Inspiration” zu machen, und zur Recherche in andere Länder zu fahren. Zumindest war das früher in den 80er und 90ern üblich, heutzutage fehlt das Geld, zudem finden sich zahlreiche Impressionen fremder Länder im Internet. Doch früher sind die Autoren, Regisseure und Zeichner eben nach Amerika oder Europa gefahren, zusammen mit ihrem Redakteur. In wenigen Tagen sammelte man dann Impressionen und Fotos für das eigene Werk, um es noch etwas exotischer und für den japanischen Leser interessanter zu machen.

Cowboy Bebop gehört zu meinen Lieblings-Anime, aufgrund der dichten Atmosphäre und spannenden Charaktere. Eine kurze Synopsis wäre, dass die Menschheit in der Zukunft die Erde verlässt und sich größtenteils auf dem Mars und den Monden unseres Sonnensystems niedergelassen hat, die allesamt klimatisch der Erde angepasst wurden. Reisen zwischen den Planeten und Monden findet im eigenen Raumschiff und mithilfe sogenannter “Gates” statt. Das erste Gate war übrigens ein Fehlschlag, explodierte und machte die Erde so gut wie unbewohnbar, da ständig Brocken vom mit dem Gate explodierten Mond runterregnen.

Es geht aber nicht um Science-Fiction oder, wie es heutzutage gern üblich ist, darum, dass sich die Serie an der eigenen Geschichte aufgeilt und im Storytelling verheddert. Es geht um eine Gruppe von Kopfgeldjägern, die Kriminelle im Sonnensystem jagen, und dabei auch nur versuchen über die Runden zu kommen. Es muss nicht das ganze Universum gerettet, oder die korrupte Gate-Gesellschaft niedergebracht werden. Es geht nur um Menschen und ihre Probleme.

Die Menschen in der Welt von Cowboy Bebop sind sehr unterschiedlich, da alle verschiedenen Kulturen der Erde sich auf kleinen Vierteln in den Städten vom Mars ansiedeln, ihre Kultur bewahren und mit anderen mischen. Die Anime-Serie ist dabei sehr geprägt vom asiatischen Raum, der Film sehr stark von New York und dem nahen Osten.

Dieser Mix, der sehr authentisch dargestellt wird, schafft nicht zuletzt auch durch die absolut geniale Musik von Yoko Kanno diese dichte Atmosphäre. Meine gesamte Musiksammlung besteht zu 50% aus Musik von Yoko Kanno, die mit dem Soundtrack zu Cowboy Bebop ein absolutes Meisterwerk geschaffen hat.
Die Musik ist sehr wichtig in Cowboy Bebop, kommt doch allein der Titel von der Jazz Richtung ‘Bebop‘ und jede einzelne Folge ist verbunden mit verschiedenen Musikstilen z.b. Titel einer Episode ist “Heavy Metal Woman”, mit einer Frau die eben Heavy Metal hört.
Die spannendsten Momente sind allerdings die, wo keine Musik spielt, weil man da die Stille und das Nichtvorhandensein von Geräuschen sehr gut wahrnimmt und sich komplett auf die Handlung konzentriert. Anime heutzutage traut sich solche Aktionen nicht mehr, da wird alles durchorchestriert oder mit künstlichen Pop unterlegt.

Nebenbei war Cowboy Bebop maßgeblich dafür verantwortlich, Anime in den USA populär zu machen. Die deutsche Version, die auf MTV lief, hatte auch eine ausgezeichnete Synchronisation.

Jedenfalls: Ich erwähnte eingangs, dass Autoren zur Recherche gern mal verreisen. Um nun all die verschiedenen Kulturen und Aspekte der Welt von Cowboy Bebop darzustellen, sind die Autoren vermutlich auch durch Europa und Amerika gereist. Sehr wahrscheinlich auch durch Berlin, wo sie ein Foto von dem obigen Schild gemacht haben. Denn tatsächlich gab es mal ein Sommerfest im Bahnhof Alexanderplatz, am 28. und 29. August, und zwar im Jahre 1998, wie dieser Artikel beweist:

Der Bahnhof als Spielplatz für die ganze Familie
Sommertreff am Alex
Peter Neumann

Bahnhofsfest, Draisinentreff und Baustellenbesichtigung: Für all jene, die ein Faible für die Bahn haben, stehen die Signale vom kommenden Wochenende an wieder auf grün. Am Sonnabend und Sonntag bietet der Bahnhof Alexanderplatz außer Fahrkartenschaltern und Geschäften auch eine Hüpfburg für Kinder, Clown-Theater und Rockmusik. Von jeweils 10 bis 20 Uhr laden die Deutsche Bahn und die Ladeninhaber im Bahnhof zum “Sommertreff” ein. Eine Tombola lockt mit vielen attraktiven Preisen.

Auszug aus der Berliner Zeitung vom 27. August 1998

Ein Sommertreff im Bahnhof Alexanderplatz ist keineswegs eine jährliche Veranstaltung, es ist also sehr wahrscheinlich, dass es exakt diese war.

Der Anime lief 1998, also wurde er 1997 produziert. Der Kinofilm, aus dem der obige Ausschnitt stammt, wurde 2001 gezeigt, also 2000/2001 produziert. Meine Vermutung ist nun folgende: Nach dem Beginn der Ausstrahlung im April 1998, machten sich einige aus dem Produktionsteam im Sommer auf die Reise, sammelten Eindrücke, die sie allerdings nicht alle in der Serie genutzt haben, da diese hier mit schwächelnden Quoten zu kämpfen hatte. Als dann grünes Licht für den Film gegeben wurde, wurden nochmal die alten Aufzeichnungen rausgekramt und eben nach etwas gesucht, was exotisch aussieht und die Welt des Films noch etwas bunter macht. So haben wir auch den Hinweis auf den Sommertreff und ein franzöisches Werbeschild, dass auf Angebote im Frühling hinweist (“les soldes du printemp”), im selben Ausschnitt.

Gestern habe ich den Film mir nach langer Zeit wieder angeschaut, doch schon vor ein paar Jahren, als ich das erste Mal den Film sah, habe ich das Schild entdeckt, und wollte vielen von dieser absurden Randnotiz erzählen. Mit nem Blog zu Japan und seinen Absurditäten habe ich nun die perfekte Möglichkeit dazu…

PS: Cowboy Bebop soll demnächst von Hollywood verfilmt werden, mit Keanu Reeves in der Hauptrolle. Das das auch nicht nur annäherend so gut und bedeutsam wird, wie der Anime, ist klar. Die größere Frage ist nur, ob der Film dann auch auf den Sommertreff im Bahnhof Alexanderplatz hinweist…

Ho-Ho-Hokkaido Kapitel 5: Der Wind bläst südwärts

Runter von der Insel! Mit der Fähre ging es von Hokkaido nach Honshu, um auf dem Rückweg noch einen kleinen Besuch in Aizu-Wakamatsu bei einem Freund zu machen. Auf dem Wasser gings zwar schneller vorwärts als im Zug, doch 8 Stunden Wartezeit waren dann doch nicht leicht…

Nach einer weiteren Nacht auf einem Quadratmeter Boden brauchte ich eine Dusche. Die kostete zwar 270yen, war aber inkl Handtuch, Duschzeug, Zahnbürste, Fön und Rasierer.

Ich wollte nun mit der Fähre wieder nach Honshu zurück, da mein Ticket nur noch für zwei Tage gültig war, und ich mindestens drei Tage zurück nach Tokyo brauchte. Den Besuch in Aizu-Wakamatsu hätte ich dann ebenfalls nicht machen können. Wenn ich den Zug genommen hätte, hätte das auch bedeutet, mindestens zwei Nächte lang in einem Gasthaus oder Hostel unterkommen zu müssen, was auch wieder Geld verschlungen hätte. Der gesamte Trip war ohnehin schon teurer als geplant und mir ging langsam aber sicher das Geld aus.

Ich hatte am Tag zuvor in den Lonely Planet geschaut, auf eine Karte von Hokkaido, wo eine Fährverbindung nach Sendai eingetragen war. Ich fragte im Touri-Büro nach eben dieser Verbindung und sie kramten lange nach einem alten Buch, in dem die Preise standen. Für nur 8000yen fuhr eine Fähre über Nacht die 800km nach Sendai – das sind 10yen pro Kilometer und ich müsste nicht mal ein Gasthaus bezahlen. Die Fähre sollte in Tomakomei, südlich von Sapporo, ablegen. Also nichts wie hin.

In der Nacht zuvor hatte es wieder geschneit und am frühen Morgen sah die weisse Schneedecke noch recht unberührt aus.

Eisekalt wars natürlich trotzdem.

Und wenns in Hokkaido schneit, dann schneit es richtig.

In meinem Eifer den ersten Zug nach Tomakomei zu nehmen war ich super-früh am Bahnhof.


Die Uhrzeit zeigt 7 Uhr, rechts hinten ist der JR Tower

So früh hatte der Bahnhof sogar noch zu und ich hatte etwas Zeit totzuschlagen. Man achte auf den schneebedeckten Glaskasten im obigen Bild. Drinnen siehts so aus:

Und das war nur der Eingang zur Ubahn-Linie.

Draussen versammelten sich indes eine Menge von Tauben, die ein vorsichtiges Interesse an mir entwickelten und auf mich zukamen.

Über meine Faszination mit Tauben hatte ich ja schon in Kapitel 4 geschrieben. Auf einmal, als hätte es ein stummes Signal gegeben, flogen alle Tauben zu einer anderen Stelle vom Platz vorm Bahnhof. Der Grund war simpel:

Eine ältere Dame fütterte die Tauben. Das scheint sie wohl regelmäßig zu tun, die Tauben schienen sie gewissermaßen zu erwarten.
Da die Vögel nun alle intensiv mit Fressen beschäftigt waren, konnte ich mich heranschleichen und auf Tauben-Augenhöhe Bilder machen.

Meine Kamera kam leider mit den schnellen Bewegungen unter diesen morgendlichen schlechten Lichtverhältnissen nicht gut klar.

Ich hatte auch zunehmend das Problem, dass mir der Speicherplatz ausging. Ich hatte ja keine Möglichkeit meine Fotos auf meiner Reise irgendwo zwischenzuspeichern, so blieben mir nur die Karten, die ich mit mir hatte. Und die wurden langsam voll.

Das frühe Aufstehen hat mir nicht viel gebracht, der erste Zug nach Tomakomai ging erst um neun Uhr, für 1.500yen. Mein 5 Tage Ticket musste ich so nicht benutzen und konnte auch einen schnelleren Expresszug nehmen.

In Richtung Sonnenaufgang fuhr der Zug dann aus Sapporo raus.

Für Einige war es bestimmt noch zu früh…

In Tomakomai angekommen suchte ich das Touri-Büro auf, was versteckt in einer dunklen Ecke vom Bahnhof war. Drinnen war ein älterer Herr, der sich tierisch freute endlich mal einen Touristen begrüßen zu können, sogar aus dem Ausland! Im Hintergrund lief grad eine Symphonie von Beethoven. Allerdings verkniff ich mir diesmal den “Ich bin aus Deutschland” Kommentar und fragte direkt nach der Fähre. Ich bekam eine Karte und einen Busfahrplan. Der Bus würde erst in einer Stunde kommen, also konnte ich genauso gut laufen, dachte ich. Auf der Karte sah die Distanz auch nicht so weit aus, am Ende brauchte ich dann aber zwei Stunden zum Hafen. Die ganze Zeit dabei den schweren Rucksack auf dem Rücken.

Achso, falls sich jemand fragt, ob Tomakomei etwas für Touristen ist: Nein, ist es nicht.

Es ist schon eine ziemlich trostlose und weite Ecke Hokkaidos. Der Hafen, der vor rund 60 Jahren eröffnet wurde, ist das Wichtigste an Tomakomei. Und damit meine ich nicht den Hafen für die Fähre sondern den für die Industrie, der gesamt Hokkaido versorgt.
Macht auch Sinn, mit Flugzeug und Zug kommt man schwer durch Hokkaido, um viele Güter zu transportieren ist der Hafen wichtig.

Er sah trotzdem ziemlich trostlos und verlassen aus. Zwischenzeitlich fühlte ich micht so falsch hier, hier konnte doch unmöglich irgendwo ein Fähr-Hafen für Touris sein.

Allerdings nehmen Touris auch den Bus und laufen nicht durchs Industriegelände.
Ein Mann stoppte mich dann freundlich auf einem Kohlelager und meinte in Englisch “Fähre?”. Ich “Ja, ja!”. In Japanisch erklärte er dann, wo ich lang musste. Ich verstand allerdings seine Handzeichen mehr als sein Japanisch: Da drüben und dann rechts.

Das Fährgebäude war recht gross, innen war jedoch kaum Betrieb. Es sah genauso verlassen aus, wie das gesamte Hafengelände, und es gab mehr Reinigungspersonal als Fahrgäste.

Ich wollte direkt ein Ticket kaufen, da ich mir nicht sicher war, ob es nun wirklich 8000yen kostet. Schließlich war das Buch im Touribüro in Sapporo ziemlich alt. Ich bekam auch erhebliche Zweifel als ich das Schiff sah.

Das konnte doch unmöglich nur 8000yen kosten. Ich hatte auch nur etwas weniger als 10.000yen dabei. Sollte es drüber sein, müsste ich mir irgendwo flugs noch Geld besorgen.

Problem war nur, dass der Ticket-Schalter erst um 15 Uhr aufmacht. Angekommen bin ich 12 Uhr. Ich musste drei Stunden warten bevor ich überhaupt Klarheit hatte. Also Warten….

Durch die großen Aussichtfenster drang viel Licht und es war recht warm, ja fast schon heiss wenn man direkt in der Sonne saß.
Auf meine Reise hatte ich nur drei Bücher mitgenommen: Das Buch von meinem Klienten, dass er mir nach dem letzten Shooting schenkte, den Lonely Planet und mein Tagebuch.
Ich hatte die Tage zuvor im Zug mehr aus dem Fenster geschaut als gelesen, doch hier gabs nicht viel zu sehen. Den Lonely Planet hatte ich schon zweimal durch und zum Schreiben hatte ich keine Lust. Blieb also nur das Buch meines Klienten, welches ich gegen 15 Uhr dann auch durch hatte.
Aber das muss man sich mal vorstellen, auf der gesamten Reise habe ich ca. 50 Stunden sitzend oder wartend verbracht und nur ein wirkliches Buch-Buch mitgenommen….

Um 15 Uhr machte dann der Ticket-Schalter auf und die billigste Variante war tatsächlich 8.000yen, genannt “Carpet”, zu deutsch “Teppichboden”. Na das wird ja komfortabel… Die Fähre sollte um 19 Uhr auslaufen.

Im Souvenirshop, von denen es im Gebäude reichlich gab, genehmigte ich mir ein, nunja, sattmachendes Bento. Danach war Däumchendrehen angesagt.
Aber so ein Ruhetag, nach den vielen Tagen mit sovielen Eindrücken war echt sinnvoll, denke ich. Ich konnte all die Erfahrungen sacken lassen, Platz auf der Kamera schaffen und ein wenig nachdenken.
Es gab zwar Fernseher, doch bis 17 Uhr lief da nur strunzlangweiliges Golf. Mehr und mehr Passagiere kamen nun in den Warteraum. Einige auch nur, um andere abzuholen. So wie auch drei ältere Damen.

Zu dem Zeitpunkt war der gesamte Wartebereich leer, nur ich war da und die Reinigungsfrau. Die drei alten Damen kamen rein, schwatzten laut und setzten sich direkt in die Reihe hinter mich. Alles war frei! Doch sie zogen es vor, direkt hinter mir ihre lauten Gespräche zu führen.

Ich konnte natürlich nun nicht einfach aufstehen und gehen, das wäre ja unhöflich. Ich versuchte es zunächst mit biologischer Kriegsführung und zog die Schuhe aus. Dazu sollte ich erwähnen dass ich seit 4 Tagen dieselben Socken anhatte, und damit durch Sapporo und halb Hokkaido marschiert bin. Ich bin da recht resistent, aber sogar ich fühlte mich vom Geruch gestört.
Doch es half nichts, sie schwatzten weiter. Nichtmal “Der Ausländer stinkt” fiel. Hardcore-Omas. Glücklicherweise schien dann die Sonne direkt auf mich und meine Socken, also konnte ich so tun als fühlte ich mich geblendet und verdrückte mich. Die alten Damen gingen dann auch als mit der 17 Uhr Fähre die vierte alte Dame kam und ihr Kaffekränzchen komplett war.

Im Fährgebäude gab es übrigens auch ein recht langweiliges jedoch kostenloses Museum über den Hafen und das Fährgebäude. Leider alles nur in Japanisch.
Gegen halb sechs hatte dann endlich einer Erbarmen und wechselte den Kanal. Von da an lief eine japanische Gameshow. Das Konzept war, die Person, mit dem größten peinlichen Erlebnis, körperlicher Fehlfunktion oder sonstigen traurigen, jedoch vermeintlich unterhaltsamen Schicksal vor die Kamera zu zerren, die versammelten Comedians machten dann ein paar Witzchen und vergaben Punkte. Die Person mit den meisten Punkten gewann dann eine Reise.

Unter den Kandidaten waren dicke Schulmädchen, schwitzende Aktmodelle, Aktmodelle mit Hämoriden (die im Close-Up gezeigt wurden), Models mit Falten und auch eine Dame mit Bart und Warzen im Gesicht, die das Mitleid von allen bekam und dann die Reise gewann.

Gegen 18 Uhr kam dann die Armee. Eine kleine Kompanie der Japanese Self Defence Force, komplett in Tarnkleidung, nutzte auch die Fähre. Der Offizier hatte die Mannen im mittleren Alter ordentlich im Griff.

Gegen 19 Uhr lief dann die Fähre ein und wir konnten endlich aufs Boot. Der Kapitän und die Belegschaft in schicker Uniform begrüßte jeden Passagier persönlich. Ich war der einzige westliche Ausländer an Bord.

Ich suchte meine Unterkunft auf. Es gab eine simple Klassentrennung: Billig unten, teuer oben. Natürlich gab es neben den 8.000yen Varianten auch luxuriösere Suiten, für bis zu 40.000yen für die Nacht und Überfahrt. Mein Zimmer war übrigens das hier:

Dünne Matten auf Teppichboden. Meine Matte erkennt man daran, dass es die unordentlichste ist. Da ich sehr früh mein Ticket besorgte, war mein Bett auch die Nr.1, ganz links. Mein Nachbar tauchte allerdings nicht auf, sodass ich seine dünne Matte auch nutzen konnte.

Gesamt ist hier Platz für16 Personen, Männlein und Weiblein nicht getrennt. Eine junge Koreanerin hatte damit sichtliche Probleme. Das Durchschnittsalter der Leute in meinem Zimmer war allerdings recht hoch, und sie sahen allesamt kaputt und fertig aus. Wohl Hafenmitarbeiter, die wieder zurück nachhause zur Familie fahren.

Das Schiff war recht edel jedoch verwirrend eingerichtet. Es gab Pseudo-Art-Déco Elemente wie den Treppengang in der Mitte.

Und dann wiederum ein Art Pseudo-Hawaii Thema, dass sich durchs gesamte Schiff zog.

Hokkaido ist aber von Hawaii und seinen Temperaturen weit entfernt…

Alles ein gesamt sauberer, neuer und angenehmer Eindruck.


Überall Nautili als Lampen

Ach und Vending Machines gabs natürlich auch.

Dazu auch noch ein Sento an Bord und natürlich auch eine Karaoke Bar. Ebenso ein Kino, in dem an diesem Tag “Gran Torino” von Clint Eastwood lief, dass ich mir nur allzu gerne auf Japanisch angesehen hätte, jedoch war ich viel zu müde und ging früh schlafen.

Gegen 20 Uhr legte dann das Boot endlich ab. Vorher lief ich noch auf dem frei zugänglichen, jedoch windig kalten Aussendeck herum.

Ein Blick noch auf den Industriehafen.

Überall gab es Fernseher bzw. Monitore. Auf dem lief zwar nur das Schiffsprogramm, bis ich mal einer der Fernsehbedienungen in die Hand nahm und das Programm wechselte. Bis zum Schlafengehen gabs dann nicht nennenswertes japanisches Fernsehen.

Mich plagte der Hunger, aber ich hatte kein Geld um im Bordrestaurant zu essen, es reichte gerade mal für eine Packung Chips. Ich musst lachen, als ich die Leute aus den teuren Kabinen kommen sah und ich selbst nur wenige hundert Yen in der Tasche hatte.

Die Nacht auf See war erstaunlich angenehm und am nächsten Morgen gab es einen wunderschönen Sonnenaufgang.

Das Boot fuhr immer noch voran, die Küste von Honshu bereits deutlich zu erkennen.

Drinnen gab es Frühstück – allerdings nicht für mich. Die 1500yen hatte ich einfach nicht dabei. Ich packte mein Kram zusammen und wartete vorm Fernseher auf unsere Landung. Hierbei kam nun allerdings etwas wirklich Interessantes: Neben einer ziemlich coolen Sendung, die von Studenten gemacht wurde, kam eine Art World-News-Special, in der Nachrichtensendung aus den USA, England, Frankreich und auch die Tagesschau aus Deutschland hintereinander weg, mit japanischen Untertiteln, gezeigt wurden.
Die große Neuigkeit des Tages war damals der Tunnel unter dem Ärmelkanal, in der am Tag zuvor ein Zug stecken blieb und 2000 Leute für mehrere Stunde gewissermaßen gefangen waren. Es war sehr interessant, wie die unterschiedlichen Nachrichtensendungen das aufbereitet haben:

Amerika – Der Eurotunnel war nur eine kurze Meldung die am unteren Bildrand eingeblendet wurde, stattdessen gab es einen 7min Bericht über einen “Hero Dog”, der irgendwas gemacht hatte.

England – Der Eurotunnel war natürlich ein großes Thema, doch es wurde sehr sensationell und emotional berichtet, mit ungeschnitten und ungefilterten Material eines Mannes im steckengeblieben Zug, der laut und aggressiv Antworten vom Zugpersonal haben wollte, die ja genauso hilflos waren wie er, und den Zug auch nicht fortbewegen konnten.

Frankreich – Der Eurotunnel dominierte die Sendung, komplett mit Historie und wie viele französische Leistung doch in den Tunnel geflossen ist und wie es den Franzosen (und nur denen) im Zug unten nun geht

Deutschland – Es wurde sachlich über den Eurotunnel berichtet, jedoch schnell die Frage gestellt “Kann sowas auch in Deutschland passieren” zu dem dann deutsche Politiker befragt wurden, die keinen Bezug zum Thema hatten. Der nicht vorhandene deutsche Aspekt und die deutschen Politiker, die sich zu dieser Schlagzeile vor die Kamera bewegten, bekam prozentual genauso viel Zeit wie die eigentliche Neuigkeit.

Wenn man das so im Vergleich sieht, fällt einem erst auf, wie dämlich das doch ist. “Herr Politiker, sie haben zwar nichts mit Verkehr zu tun, noch mit dem Eurotunnel, oder sonstwie, doch bitte geben sie uns einen Kommentar für unseren Bericht.”

Raus aus dem Boot in ein anderes Fährgebäude. Das Geld für den Bus hatte ich diesmal wirklich nicht, also lief ich zur nächsten Bahnstation. Ich hatte mir diesmal die Kanji für die Bahnstation aufgeschrieben und auf meinem anderthalb-stündigen Gang zum Bahnhof begegneten mir gerade einmal 5 Personen, denen ich die Kanji zeigte und die mich dann auf den richtigen Weg schickten.
Im ersten Konbini seit Hokkaido frühstückte ich dann mit dem restlichen Geld, dass ich noch hatte.

Vorbei am Twitty Twister…


Tarantino Fans wissen Bescheid…

…Radfahrwegen die offensichtlich ein Betrunkener gemalt hatte….

…zum Bahnhof und in den Zug nach Sendai. Sendai war der erste Ort auf dem Weg nach Hokkaido und ich war froh, wieder hier zu sein. Ich rief meinen Freund in Aizu-Wakamatsu an und meinte, dass ich in ein paar Stunden da bin. Am Bahnhof ging ich dann noch in eine Bäckerei und kaufte mir für die letzten paar Yen einen Toast mit Spiegel-Ei drauf. Das erwähne ich, weil es ein wichtiger Punkt für den Plot ist.


Endlich mal wieder Zug fahren….

Einen Zwischenstopp gabs dann in… ich glaube es war Koriyama…

Jedenfalls recht langweilig da… Ich hatte auf dem Schiff meine langen Unterhosen ausgezogen, da ich ja nun in Honshu war, was ja nicht so kalt sein dürfte. Doch als ich in Fukushima ankam, fröstelte es mich dann doch sehr.

Und nach insgesamt 6 Stunden kam ich dann in Aizu-Wakamatsu an. Am Bahnhof begrüßte mich dann mein Freund, ein Deutscher, den ich das letzte mal im Oktober in Tokyo gesehen habe (er war auch bei der Wanderung auf den Ooyama dabei). Aizu-Wakamatsu liegt in den Bergen und war noch schneereicher als Sapporo. Über Eis und Schnee gingen wir zu seiner Wohnung, die fast so kalt wie ganz Aizu war.
Wir wollten dann durch die Stadt und was Essen, doch hier machte sich nun das Spiegel-Ei auf Toast bemerkbar, dass spontan wieder rauswollte.

Eine Stunde auf dem Klo später war um ich einige Gramm leichter und um die Erkenntnis klüger, kein Spiegel-Ei auf Toast in einer Bahnhofsbäckerei zu kaufen, dass da wer weiss wie lang schon liegt…

Wir gingen dann zum Ramen Restaurant gegenüber und es gab Oliven in einer Schale…


🙂

Aizu lächelte mich an, der nächste Tag konnte also nur gut werden.

Strecke diesmal: ca. 1000km, zwei Tage

Ho-Ho-Hokkaido:
Kapitel 1: Das weite Land
Kapitel 2: Lange Unterhosen FTW
Kapitel 3: Winterwunderland
Kapitel 4: Eiszapfen und das beste Klo der Welt
Kapitel 5: Der Wind bläst südwärts
Kapitel 6: Eingefrorene Samurai
Kapitel 7:Das Ende der Reise

Kirschblütenblätterregen

Ein Klient hatte mich zum Hanami im Inokashira Park in Koenji eingeladen, am letzten Wochenende der Kirschblütensaison 2010. Der Wind ließ die Blüten regnen.

Zu Kirschblüten und Japanern wurde schon soviel geschrieben, jedes Jahr aufs Neue das Gleiche oder Ähnliches. Ich hab nur eins dazu zu sagen: Wenn Bier und Wurst einmal im Jahr auf Bäumen blühen würde, hätten wir diese kollektive, blinde Begeisterung in Deutschland auch. Und ja, ich würde Wurstbäume begrüßen.

Ich hatte ein Shooting am Freitag und der Klient lud mich dann am folgenden Sonntag zum Hanami (Picknick unterm Kirschbaum) im Inokashira Park in Kichijoji ein. Es sollte auch mein ehemaliger Mitbewohner kommen, der mich damals an ihn vermittelt hatte.
Hanami ist, wenn man es ehrlich betrachtet, auch nur eine Gelegenheit zum kollektiven Saufen – etwas was mich eher abschreckt. Aber da ich in diesem Jahr, in dem ich in Japan bin, arbeits- und krankheitsbedingt kaum etwas von den Kirschblüten mitbekommen habe, wollte ich mir das mal geben. Ich bin zwar kein Blumen-und-Blüten-Fotograf, und ein Motiv was alle anderen schon millionenfach fotografiert haben, finde ich eher unspannend, doch was soll man machen, es ist nun mal Kirschblüten-Saison in Japan…

Bei 23°C und Sonnenschein bin ich mit dem Rad die 10km zum Inokashira Park gefahren, eine schöne Strecke durch ruhige Gegenden mit kleinen Häusern. Schon auf dem Weg zum Park konnte man lauter Kirschblütenbäume sehe, die einfach mal massig in Japan angepflanzt sind – für ihre drei Wochen Ruhm im Frühling.


Der Park hat einen mittelgroßen See, den man mit ausgeliehenen Tret- und Ruderbooten befahren kann

Ich kam drei Stunden später als eigentlich angesagt wurde. Ich hatte Anfang März schonmal ein Shooting im Inokashira Park, hatte aber keine Zeit mir den damals genauer anzuschauen. Also lief ich erstmal umher und suchte die Leute. Ein Haufen Ausländer findet sich bestimmt leicht, dacht ich. Doch denkste, unter den tausenden trinkenden, johlenden Gruppen konnte ich die betrunkenen Gaijins nicht ausmachen, zumal die einzigen Beiden, die ich kannte, nicht anwesend waren, wie ich später erfuhr. Was solls, dachte ich, geh ich halt rum und mache Bilder.

Andere dachten ebenso, obwohl sie den Pinsel statt Kamera nutzten.

Na, alles perfekt?

Lieber noch mal nen Strich nachziehen…

Andere genossen lieber still.

Andere checken die Kamera ob auch alle Kirschblüten es in Pixel geschafft haben.

Ich bin dann zu einem kleinen Schrein gekommen, wo eine Art Aufführung und Programm lief. Alte und junge Menschen in Masken und klassischen Kostümen, traditionelle Musik und Gedöns.

Der Schrein ist Benzaiten gewidmet, einer “rachesüchtigen Liebesgöttin”, die ursprünglich aus Indien stammt und im Laufe der Jahrhunderte irgendwie japanisiert wurde. Zudem prangte überall im Schrein das Wappen des Hojo-Samurai Clans (dazu hier mehr, mehr so mittig im Artikel). Wie sich das alles im Laufe der Geschichte zusammengefunden hat, und ob die es da nur aufgebaut haben, weil sie es voll cool fanden, das mag man heut nicht mit Bestimmtheit sagen. Es ist jedoch allgemeiner Aberglaube, dass Benzaiten dafür verantwortlich ist, dass Paare, die sich eben diese Boote auf dem See ausleihen und romantische umhergondeln, nach dem Ausflug flugs trennen.

Ob jetzt ein Gott dafür verantwortlich ist, oder einfach die Situation, mit seinem Partner auf einem engen Raum isoliert zu sein, sich dabei heftig zu konzentrieren, damit man die vielen anderen Boote nicht rammt und dabei Manövriertipps vom Partner hören muss – es sei dahingestellt.

Dazu ein Schlag aus meiner Jugend: Im Sommer 2003 machten wir eine Klassenfahrt in die Tschechische Republik, erst in die Bergen und dann nach Prag. Mein Lieblingslehrer, den ich bis heute schätze und mit dem ich in Kontakt bin, war damals Klassenlehrer. Er ist leidenschaftlicher Ruderer, das bedeutete also für fast jeden Wandertag und Klassenfahrt einen Ruderausflug (später hatte ich dann bei ihm auch einen Ruderkurs).
Ich war im Boot mit einem meiner besten Freunde – doch am Ende des Tages hatte ich die Schnauze voll. Ich war so angepisst, 6 Stunden harte, körperliche Anstrengung in einem Scheissboot mitten auf einem scheisstschechischen Fluss zu sein. Rudern strapaziert die Nerven, ist aber ein prima Beziehungstest. Achja, er ist weiterhin einer meiner besten Freunde.

Inzwischen hatte ich auch endlich eine Antwort auf die Nachricht, die ich an meinen Klienten geschickt hatte (“Wo seid ihr??”). Er meinte, ich soll eine Kiko anrufen. Das tat ich auch, auch wenn die von nix wusste. Irgendwie schafften wir es dann, uns zu treffen und ich kam zur Gruppe meines Klienten. Er selbst war seit Stunden verschollen und mein ehemaliger Mitbewohner ist nicht gekommen. Untereinander kannten sich alle auch kaum, was, gepaart mit Alkohol, eine prima Basis für offene Gespräche lieferte, da es keine etablierten Grüppchen gab. Es war von 10 Leuten nur eine Japanerin, der Großteil amerikanisch (und betrunken). Ich fragte nur nach Tee, verteilte meine mitgebrachten deutschen Gummibärchen und machte mich beliebt.

Als der allgemeine Alkoholpegel ein unangenehmen Level erreichte, zog ich es vor Bilder zu machen.


Ist mir leider erst im Nachhinein aufgefallen aber: Achtet mal auf links unten im Bild. Die Frau rudert und der Kerl liegt bräsig im Boot ^^

Bevor wieder einer mault, im obigen Bild habe ich etwas getrickst – und zwar schlampig. Ich fand das Motiv mit der Dame recht schön, nur sitzt hinter ihr ein Typ, den wollt ich wegretuschieren. Ich lade jeden ein, es besser zu tun als ich, hier ist das Original.

Der Wind wurde immer kräftiger und pustete schon eine ganze Weile die Blüttenblätter durch die Bäume und aufs Wasser. Auf einmal kam ein recht heftiger Windstoss und alle im Park machten “Oooooooohhhhh!”. Alle. Ein wahrer Blütenregen setzte ein, verstummte jede Konversation und ließ jeden Menschen im Park nur auf diese Naturpracht schauen.

Wie Schnee im Frühling.

Diesen Moment im Park, diesen Moment der kollektiven Begeisterung, den teilten wirklich Alle. Jung und alt, Japaner oder Ausländer. In dem Moment zählen die Kirschblüten mehr als alles anderes. Vielleicht macht diese kollektive Begeisterung für etwas Reines und Schönes die Faszination von Sakura aus – mehr noch als “wir pflanzen sie an, weil sie halt schön sind” (Zitat einer japanische Freundin)

Ich hätte gern ein Model gehabt, sie in die Mitte von dem Blütenregen platziert und Lächeln lassen. Das hätte mehr Lebensgefühl ausgedrückt als all die gezückten Kamerahandys und geöffneten Bierdosen. Apropos…

Ein deutscher Blog beschreibt die Kirschblüten bzw. die Anbetung dieser in Form von Hanami als “Hanami drückt die Einheit von Yin und Yang vielleicht am besten aus”. Wie ich dort schon als Kommentar schrieb, sehe ich es anders. Hanami ist eher die Einheit von Kamerahandy in der einen, und Bierdose in der anderen Hand.

Hier noch ein paar unsortierte Impressionen:

Als die Sonne sich langsam verabschiedete und dunkle Wolken auftauchten, verabschiedete ich mich. Mein Klient tauchte dann übrigens doch noch auf. Ich erlebe ihn sonst nur immer als sehr konzentriert und nachdenklich, es war angenehm ihn mal unbeschwert und voll guter Laune zu erleben. Er war jedoch auch schon sichtlich angeheitert. Er stellte mich dann als besten Portraitfotografen in Tokyo vor, was ich nicht unbedingt schlecht fand.

Ich bin dann eine(!) Stunde im Park umher geirrt um mein Fahrrad zu finden, und eine weitere Stunde rund um Kichijoji um den Weg nach hause zu finden. Zwischenzeitlich bin ich dann wieder im Park gelandet, ohne eine Ahnung wie.

Mein Fazit: Sind schon schön, die Sakura – aber ein Wurstbaum hat dann doch irgendwie mehr Substanz.