Die kreative Künstlerseele von Tokyo

Ich war auf der Design-Festa Tokyo 2009: dem größten internationalen Kunst Event in ganz Asien. Tausende von kleinen, freien Künstler stellten ihre Werke aus und verkauften sie. Es herschte eine kreative Atmosphäre die ich zum ersten Mal in Tokyo spürte und die ich so nur aus Berlin kannte.

(Der Typ hatte eine interessante Präsenz, ging betont cool und posierte ganz von alleine. Ich machte ne Menge Bilder bis er es bemerkte 😉 )

Ich komme aus Berlin, welches international für Künstler immer beliebter wird. Und gerade weil in Berlin so viele Künstler leben, herscht dort eine sehr kreative Atmosphäre. Kunst und Kunstprojekte anzuschieben ist in Berlin sehr, sehr viel einfacher als in Tokyo. Ich selbst würde mich auch als Künstler bezeichnen wollen, und als jemanden der junge Kunst mit diversen Projekten unterstützt – auch weil es in Berlin einfach möglich ist, schon als 17/18 jähriger solche Projekte zu starten. In Berlin fragt keiner, wo du studiert hast, wie viel Erfahrung du hast oder was deine Eltern machen. Solange du eine coole, kreative Idee hast, und damit andere begeistern kannst, reicht das um Unterstützer zu gewinnen.
(Beim Geld sieht das allerdings anders aus, da Berlin chronisch pleite ist. Aber so ist in Berlin viel Kunst gratis)

Das hatte mir in Tokyo bisher immer gefehlt, diese Freiheit kreativ sein zu können. Vorallem junge Künstler suchte ich sehr lange. Ich war wirklich sehr, sehr glücklich, sie auf dieser Design Festa zu finden, und wieder in dieser kreativen Atmosphäre zu leben.

Die Design Festa kann man sich wie als real gewordene DeviantArt Website vorstellen (oder eine andere beliebige Website wo angehende Künstler ihre Werke zeigen). Nur dass die Design Festa nicht nur auf zweidimensionale Kunst beschränkt ist, sondern auch Maskenbildner, Schmuck, Mode, Puppen o.ä. zulässt. Und vorallem: Der Künstler versteckt sich nicht hinter einem anonymen Nicknamen wie milchkuh73 im Netz, sondern er steht direkt vor dir, neben seiner Kunst. Du kannst mit ihm reden, dich austauschen und ihn direkt unterstützen indem du seine Werke kaufst. Ich find es wunderbar, wie in einer Konsum-orientierten Gesellschaft wie Japan, Kunst und Kommerz Hand in Hand gehen, ohne dabei die Kunst abzuwerten. In Deutschland ist das ja immer ein bisschen schwierig mit Kunst Geld zu machen bzw. die Werte richtig einzuschätzen.

Die Design Festa findet zweimal jährlich in der Tokyo Big Sight statt. Künstler können Stände mieten, ihre Sachen ausstellen und verkaufen. Tokyo Big Sight ist ein großes Messegelände auf Odaiba, der künstlichen Insel vor der Bucht von Tokyo.
Die Big Sight ist bekannt für große Manga Conventions, wo unveröffentlichte Manga Zeichner ihre eigenen Werke verkaufen, die sie selbst gedruckt haben.

Ich hatte Tokyo Big Sight das erste Mal in einem Manga gesehen und hielte es für ein sehr ungewöhnliches Gebäude, das sich der Mangazeichner nur ausgedacht haben musste:

Umso überraschter war ich, als ich dann tatsächlich vor diesem riesigen Raumschiff stand:

Drinnen in der Tokyo Big Sight standen dann alle Zeichen auf Kunst. Begrüßt wurde man von einem bunten Tor:

Drinnen war die zentrale Halle, in der sich einige exklusive Künstler eingemietet hatten und in der Mitte fand Musik statt, vor einem großen, sitzenden Publikum.

Die Musik war ähm sehr japanisch. Das heisst, es gab sowohl generierte Pop Musik, vorgetragen von hübschen Mädchen (die beim Publikum gut ankam),

dann gab es traditionelle japanische Elemente, gemischt mit dem Stil einer amerikanischen Big Band, die ich kurz beim Proben erwischt habe:


(man beachte den Spalt durch den ich die Kamera hielt und heimlich fotografierte 😉 Ich wollt einfach wissen woher die Musik kam)

und dann gab es einen ähm Mittelalter-Auftritt, wo Japaner sich in europäischen Ritterrüstungen bewegten:

Das ist als wenn Deutsche einen auf Ninja oder Samurai machen…

Rund um die zentrale Halle waren die Messe-Hallen, wo jeder Künstler mit einem eigenen Stand vertreten war. Ein wirkliches Konzept gab es da nicht, alles war wild durch- und nebeneinander.

Und auch Musik gab es hier, abseits der Haupthalle. Wundersamerweise nirgendwo störend.
Es gab die Kostüm-und-Kinder-Musik:

Es gab Tricky, der seinen eigenen Fanclub mit dabei hatte…

…und nun ja, ein besonders warmer Exot war.

Tricky
(Quelle: flickr/designfesta)

Tricky’s Musik war nicht so dolle, aber er hat sich eine besondere Choreografie einfallen lassen, den sein vorher instruierter Fanclub fleißig mittanzte. Das Publikum drum herum stieg mit ein, und machte seinen Tanz mit. Sein Fanclub stand sogar noch um ihn herum, als um 19 Uhr das Licht ausgemacht wurde, und alle gingen. Tricky ist schon ein cleverer Entertainer. Wer mehr von ihm will, er hat genug CD’s auf Lager:

Tricky CD
(Quelle: flickr/designfesta)

Und weit entfernt von Tricky (vom Talent und Lage), versteckt in einer Ecke, stand meine neue Lieblingsband!

Das hier ist Flava, eine junge Jazz-Kombo, die hier Lieder aus ihrem neuen und ersten (Mini) Album vorgetragen hat. Ich hab natürlich gleich ihre CD gekauft und zuhause rauf und runter gehört. Live sind sie allerdings noch viel besser als auf CD, ich werd mir demnächst mal ein Konzert von ihnen anhören.
Hier mal eine Hörprobe aus einem Konzert in Shibuya, Tonqualität ist so la la.

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=7ROeLImufkk&hl=ja&fs=1&]

Flava’s hübsche und noch viel mehr talentierte Sängerin ist 26 und arbeitet als Office-Lady in einem IT-Unternehmen. Das mag man sich so gar nicht vorstellen können, wenn man sie live gehört hat.

Flava
(Quelle: flava.hiho.jp)

Wie schon erwähnt, gibt es neben der Musik noch so ziemlich jeden anderen Bereich der Kunst, von daher will ich jetzt einfach ein paar Buden und Impressionen vorstellen:


(sie war ca. 5-6 Jahre alt, man kann nie früh genug mit der Kunst anfangen =) )

Sie hatte eine wunderbare Gesangsstimme, wenngleich sie auch etwas schüchtern war und leise sang. Wer mehr von ihr sehen möchte, und mir fällt da jemand ein, der das bestimmt möchte, der kann in ihren Youtube-Channel schauen.


Eine T-Shirt Vending Machine


Eine vor Ort angefertigte Zeichnung, man achte auf die vielen Details, in groß sieht man es besser.


???


Mister T beschützt Schokolade


OKTOPUS-MANN GEGEN KUGEL-MANN!!


…sich von der leeren Leinwand inspirieren lassen…


Wenn man diesem Blog glauben mag, ist Live Painting ganz groß angesagt. Viele Künstler bemalten ihre Buden auch. Eine Kunst, die nur die zwei Tage der Design Festa dauern soll. Es macht einen nachdenklich, aber wenn man bedenkt, wieviele tausend Leute von eben diesen Bildern Fotos machen, und sie für die Ewigkeit erhalten oder Freunden zeigen, so ist der Kunst doch Genüge getan.


fließender Verkehr, rein und raus.


Und den Info-Stand immer im Blick.


Ein Samurai wacht über alle Buden….


… und bedroht Fotografen, wenn sie ihm zu nahe kommen 😉


Ein Skelett macht für 500yen eine Manga-Zeichnung von dir. Schnäppchen!


Tatoos konnte man sich auch machen lassen.


Für alle, die Schwierigkeiten haben, Kanji zu lernen, präsentiere ich die Kanji-Symmetrie. Einfach die Kanji umdrehen, und schon habt ihr das englische Wort, wie “look”:


Ich weiß ja, das große Brillen momentan sehr angesagt sind, aber der Fotograf hier hat den Vogel abgeschossen.


Wie so oft, direkt und eng beieinander. Hier zwei Bands die gleichzeitig um die Wette spielten, ohne dabei wirklich Lärm zu produzieren. Links hinten ist Extasy Box, die Flöten und Synthesizer-Kombo.


Es gab auch einen Bondage Stand, bei dem keine Fotos erlaubt waren. Das heisst, ich hab kein Foto von jungen Japanerinnen, die sich spaßeshalber von einer Lack-und-Leder Dame in Seile einwickeln lassen. Doch Madame habe ich erwischt, man beachte ihre Werkzeuge and ihrem Gürtel….

Auf der Design Festa liefen so viele verrückte Leute und Kostüme rum, es gab wirklich wunderbare Motive. Zum Beipsiel der Herz-Mann, der über und über mit Herzen voll war und die Liebe verbreiten sollte – dabei doch eher stets ein frustriertes Gesicht hatte.
Oder die puren Maids, die mit grimmiger Miene ihre Zigarette rauchten. Oder viele, viele verrückte Buden, wo der Künstler im Kostüm davor saß. Doch die habe ich alle nicht abgelichtet. Fotografieren war zwar sehr oft erlaubt und erwünscht, doch wie schon mal in einem Beitrag erwähnt, ist das mein Beruf, den ich auch nicht immer 24/7 ausüben möchte.

Wenn mich jemand nach meiner Art der Fotografie fragt, sage ich manchmal: “Aus Fleisch, Wurst machen”. Bleiben wir mal bei der Metapher:
Ich war auf der Design Festa nicht beruflich, sondern um mir viele neue und fremde Sachen anzuschauen. Das ist wie als ob ein Metzger in den Zoo geht. Wenn der nen Elefanten sieht, denkt der auch “aha, Lende, Steak, alles klar”. Wenn ich auf der Design Festa bin, seh ich auch lauter Motive, Geschichten, Momente. Aber irgendwie hat mir die Lust gefehlt, jedem Motiv hinter her zu springen, ständig die Objektive zu wechseln und abzudrücken. Sonst bin ich ja bei solchen Veranstaltungen auch offiziell als Fotograf für die Presse o.ä., doch diesmal wars ganz privat.
Ein wenig hab ich genau das bereut, nicht ständig mit dem Auge im Sucher zu sein, weil es wirklich viele tolle Sachen zu Sehen gab. Doch ich wollt auch einfach nur mal genießen. Andere kreative Sachen sehen, ohne selbst kreativ sein zu müssen.

Es gab auch viele Fotografen auf der Design Festa, ihre Bilder allerdings oftmals ohne besondere Qualität. Doch sie freuen sich, wenn man ihre Bilder anschaut und mit ihnen spricht. Ein Fotograf hatte die halbe Welt bereist, und war ganz entzückt mal ein paar Ausländer an seinem Stand zu haben. Mir musste er dann natürlich auch die Bilder aus Deutschland zeigen 😉

Es geht bei der Design Festa nicht ums verkaufen. Es geht eher darum, gesehen zu werden. Die vielen kleinen Aussteller freuen sich riesig, wenn man sich ein paar Minuten Zeit nimmt, ihre Kunst anzuschauen. Ihre Kunst, in der sie ihre Gedanken und Gefühle verarbeiten haben, mit der sie etwas mitteilen möchten. Mit meinem bisschen Japanisch konnte ich noch sagen, dass mir ihre Sachen gefallen, und darüber waren sie jedesmal zutiefst dankbar.

Es sind tausend Aussteller, oft direkt nebeneinander. Trotzdem ist es weniger ein heftiger Konkurrenzkampf. Viel mehr sind sie Teil der großen kreativen Seele von Tokyo.
Ich würde sowas gerne in Berlin machen, genug Kleinkünstler gibt es ja. Ich frage mich allerdings, ob man nicht die japanische Höflichkeit braucht, damit das alles auf so engen Raum nicht in Gewalt ausartet…

Die junge Kunst in Tokyo hat eine ganz andere Qualität. Ich vermute das liegt daran, dass japanische Künstler erst ab einem gewissen Level genug Selbstvertrauen und Glaube in die eigenen Werke aufgebaut haben, um sich öffentlich präsentieren zu wollen. So erklärt sich auch, warum eine wunderbar talentierte Band wie Flava, die es seit 6 Jahren gibt, erst in diesem Jahr ihr erstes Album rausbrachte.
Wenn ich da an Deutschland denke, fallen mir 21-jährige Fotografen ein, die meinen ohne Ausbildung oder Erfahrung in Tokyo als Fotograf arbeiten zu können. Oder 21-jährige Rapper, die kurz nach dem Abi ihr erstes Album auf den Markt werfen (ich kenn ihn gut seit er 6 ist, ich darf das so sagen 😉 ).

Aber das wiederum find ich an jungen deutschen Künstlern, insbesondere in Berlin, so inspirierend. Sie treten frech auf die Bühne und sagen “Welt, hier bin ich, und ich bin bunt!”.
Zu einem der letzten Projekte, die ich in Deutschland machte, dem Bildband zur jungen deutschen Fotografie, würde ich gerne eine Ausstellung in Tokyo machen. Im selben Zusammenhang würd ich gern ein ähnliches Projekt mit jungen japanischen Fotografen machen, und beide Sachen dann in Deutschland ausstellen und vergleichen.

Pünktlich um 19 Uhr wurden die Lichter in den Hallen ausgemacht, und das große Raumschiff spuckte seine temporäre Besatzung aus:

Draußen im Regen und der Dunkelheit sah es sogar noch bedrohlicher aus:

Ich wollt noch zeigen, was ich denn alles gekauft habe, aber das dann in nem zweiten Post, da der hier schon so lang ist. Aber es war ein großartiger und inspirierender Tag – für Alle. Und ich hab in Tokyo endlich das gefunden, was ich hier so lange suchte. Und das machte mich, zum ersten Mal seitdem ich hier bin, so richtig, richtig glücklich 🙂

Dreistigkeit

TKK – Symbolfoto

Das Internet ist ein rechtsfreier Raum, meint man. Nur für 5% der heruntergeladenen MP3s wurde gezahlt, der Rest ist illegal geflossen.
Bei Fotos gibt auch einen regelmäßigen Bilder-Klau im Netz, bei dem man als Fotograf schon arg auf der Hut sein muss, um nicht allzusehr verarscht zu werden.

Wie viele andere Fotografen bin auch ich in einigen Onlinecommunities, um meine Bilder zu zeigen, Kritk zu hören und mit anderen (jungen) Fotografen zu reden, Erfahrungen auszutauschen, Ideen zu entwickeln.

Eine Plattform die ich dabei besonders schätze, ist jugendfotos.de. Jugendfotos.de ist eine Plattform der Jugendpresse Deutschland, die zum Ziel hat, Bilder für Jugendmedien und Jugendprojekte kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Um die Bilder zu sehen, muss man sich anmelden. Im Gegensatz zu flickr oder der vor Klugscheissern wimmelnden fotocommunity ist jugendfotos.de nicht öffentlich, man muss sich vorher anmelden. Doch auch diese Hürde schützt nicht vor Dreistigkeit.

Um ein Bild runterladen zu können, muss man eine Begründung und seinen Namen angeben. So erreichte mich jetzt dies hier:

Hallo Fitz! Dein Name wird im Impressum erscheinen. Das Foto wird spätestens am 25.09.09 live sein. Viele Grüße, die TK-Logo-Redaktion

…und zwar zum Bild ‘Sehnsucht’, was mit bei einem Shooting mit S. entstand, und ich persönlich sehr mag, weil es für mich viel erzählt:

Ich freue mich wenn meine Bilder gesehen werden, eine Schülerzeitung damit ihre Artikel bebildern kann oder wenn ich Kritik dazu höre. Aber ich freue mich nicht, wenn eine Krankenkasse damit pseudo-redaktionelle Inhalte in ihrem TK-Logo Magazin füllt, um auf TKK Angebote hinzuweisen

Und am Ende vom Beitrag:

Ich arbeite als Fotograf. Damit verdiene ich meine Miete und mein Essen. Die TKK tut das, indem sie Versicherungen verkauft. Doch wenn sie nun mehr verkauft, weil sie sich Bilder kostenlos aus dem Internet holt um ihre Angebote zu bewerben, gehen die eigentlichen Urheber leer aus.

Vielleicht ist das auch Kalkül, um die durch Mangelernährung erkrankten Künstler dann als Kunden zur TKK locken zu können. Doch besonders dreist find ich auch zwei Zeilen, die sich tief im Impressum verstecken:

Hinweis: Trotz intensiver Recherche konnten die Urheber einiger Fotos nicht ermittelt werden. Sollten Sie Urheber dieser Fotos sein, bitten wir Sie um Kontaktaufnahme.

Klartext: Wir nehmen dein Bild erstmal und benutzen es. Solltest du es nicht durch Zufall finden und uns Bescheid sagen, ist das nicht unser Problem.

Und wie intensiv kann diese Recherche sein, wenn sich der Urheber nicht finden lässt? Heutzutage steht der immer daneben, dadrunter oder ist verlinkt. Es sei denn man war so dreist wie die TK-Logo. Dann klaut dreist von dreist, und es wird immer frecher.

Ich hatte Ihnen nun eine Email geschickt und erwarte, dass sie mein Bild innerhalb von einer Woche entfernen, sonst werde ich rechtliche Schritte einleiten.
TK-Logo ist bei jugendfotos.de nicht unbekannt, ich bin nicht der erste der sich über diese Dreistigkeit beschwert und den Anwalt einschalten will.

Auch wenn es natürlich sehr viel krassere Fälle im Netz gibt, so bleiben diese Methoden schon recht frech.

Nachtrag: Ich hab inzwischen Antwort von TK-Logo bekommen, das Bild wurde entfernt. Hoffe auch andere Fotografen bleiben so aufmerksam, und passen auf, was mit ihren Bildern passiert

“verschollen in den japanischen Bergen” ODER “in den warmen Futon einer Sekte”

Aus 2-3 Stunden geplanten Waldspaziergang ist eine 10 stündige Bergwanderung geworden, und die einsetzende Dunkelheit zwang uns, die Nacht in den Bergen zu verbringen. Zwei Stunden vom nächsten Dorf entfernt gehörte das einzige Haus einem religiösen Kult oder Sekte, die uns einen Schlafplatz und Essen gab, aber Fragen nicht wirklich gern beantworten wollte…

Tokyo ist groß.
Wenn man zwei Stunden Richtung Westen fährt, wo die Berge und Wälder beginnen die Häuser zu verdrängen, so ist man zwar mitten in der Natur und japanischen Nirgendwo, aber immernoch in Tokyo. Sanne-san, eine Deutsche die ich hier kennen lernte, wollte wandern gehen, und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, mitzukommen. Ich wollte eh mal wieder aus der Stadt raus und was sehen, und ein kleiner Spaziergang durch die Natur tut ab und an mal gut.
Sie hatte einen Lonely-Planet Hiking Guide, der einen “familienfreundlichen” 2-3 Stunden Weg empfohlen hatte, rund um den 1100m hohen Berg Mitake, und den 1200m hohen Berg Otake (die wir beide erklommen haben).


(in Turnschuhen, kurzen Hosen und Hemd wohlgemerkt)

Der Weg war alles andere als “familienfreundlich”: Teilweise war er ganze Strecken lang nur 40cm breit, über lockeres Geröll, glatte Felsen und ohne Geländer oder andere Sicherung. Stets ein 500m steiler Abgrund auf der einen Seite.

Es war anstrengend. Sehr anstrengend.
Aber da oben zu sein ist schon großartig. Diese wildgewachsene Natur ist unbeschreiblich, fast schon wie in den Filmen von Hayao Myazaki. Wild, natürlich gewachsen und von keiner Menschenseele berührt.

Und da oben, mitten in der Bergen, war ein Schrein auf ca. 900m Höhe. Gab viele Pilger, die alle passender gekleidet waren als wir, mit Wanderstöcken und festen Schuhen.
Auf dem Berg Otake war ein großer Schrein, so wie ich es verstanden hab wurden da Hunde vereehrt. Deswegen hatten viele Wanderer auch ihre Hunde mit den Berg hochgeschleppt. Wobei die Hunde in Japan nie größer als 30cm werden, damit sie auch Platz haben, in kleinen japanischen Wohnungen. Von daher sind kleine Hundearten wie der Dackel beliebt, auch wenn ich vermute, dass dieser Hund den gesamten Weg getragen worden ist.

Es waren auch viele Rentner unterwegs, die die gefühlten 20.000 Stufen hoch zum Schrein mit einem dankbaren Lächeln nahmen. Das wir, als Gaijin, nach ihren Befinden fragten, freute sie ungemein

Vom Schrein sind wir dann Richtung Berg Mitake gelaufen, in blinden Vertrauen an unverlässlich platzierten Wegweisern.

Vorbei an kleinen Bergflüsschen und wunderschöner Natur. Es kamen uns immer weniger Menschen entgegen, was uns zunächst verwunderte, aber uns auch nicht vom weitergehen abhielt.
Dann auf einmal:

Stille.

komplette Stille.

Sowas kannte ich persönlich noch garnicht. Ich bin in Berlin aufgewachsen, selbst nachts gibt es da überall Geräusche. Und vor meinem Fenster in Tokyo liegt der Tokyo-Expressway. Den tausenden Autos, die den befahren, ist die Tageszeit egal, da ist es tags wie nachts laut.

Aber dort in den Bergen war es einfach nur stille, absolut keine Geräusche. So still, dass einem die Ohren bluten.

Durch diese Stille machten wir uns weiter auf den Weg, immer höher, steiler und halsbrecherischer. Irgendwann überraschte uns die Dunkelheit, da die Sonne hier schon gegen 18.30 untergeht. Und wir hatten absolut garnichts dabei.
Weder Essen, noch Wasser, noch warme Klamotten oder überhaupt ein Licht. Mit Kamera-Blitz und Handy-Leuchte kamen wir zwar ein paar Meter, sahen aber schnell ein, dass das wenig Sinn macht.
Und dann, mittem im Wald auf dem Berg, mindestens 2 Stunden Marsch durch die Dunkelheit von der nächsten Stadt entfernt, war ein Haus, und es waren Menschen drin.

Wir klopften etwas zögerlich an, denn Menschen, die einsam im Wald lebten, sind ja meist etwas wunderlich oder könnten gefährlich sein. Es waren ungefähr 7-8 ältere Leute, die grad ihr Abendessen vorbereitet haben. Sanne-san’s Japanisch ist besser als meins, also erklärten wir uns, aber der älteste aus der Gruppe sprach auch ganz gutes Englisch. Wir wollten nur nach einer Lampe fragen, um weiter zu gehen. Doch sie meinten es ist gefährlich bei dieser Dunkelheit, und meinten, wir könnten dort im Haus übernachten.
Insgeheim hatte ich genau das auch gehofft, weil mich auch das Abenteuer in den Wäldern zu übernachten ziemlich gereizt hat. Aber dass es so klappte, überraschte uns sehr, und wir waren vor Dankbarkeit ziemlich sprachlos. Wieviele Menschen nehmen schon wildfremde Leute bei sich auf? Zudem noch Ausländer?

Es stellte sich heraus, dass es noch mehr Häuser zu dem dort gab, und die Gruppe in einem anderen schläft. Wir hatten also das gesamte Haus für uns.

Die Räume für uns waren oben, während die Gruppe unten blieb und das Essen machte. Überall gab es Futons und Matratzen, zu unserer freien Verfügung. Nach der anstrengenden Wanderung legten wir uns erstmal kurz hin, und mussten erstmal realisieren, dass wir nun in den Bergen übernachten. Von unten zog der Geruch von Essen nach oben.
Wir hatten den ganzen Tag nichts gegessen, nur ein Brötchen auf dem Weg. Schließlich gingen wir von 2-3 Stunden aus. Doch an dem Punkt wo wir waren, sind wir nach mehr als drei Stunden gelangt, und es war nocht nicht einmal die Hälfte des Weges.

Wir hatten tierischen Hunger, aber trauten uns nicht nach etwas zu Essen zu fragen, da sie uns ja schon eine kostenlose Übernachtung ermöglicht haben. Von unten riefen sie dann: “Mister und Miss, you can come down now”. Unten war das Essen schon angerichtet, mit zwei gefüllten Tellern für uns. Wir wussten garnicht was wir sagen sollten, Sanne wurde ganz still und traute sich nicht, das Essen anzurühren, weil sie ohnehin schon so dankbar und verlegen war.
Und ich: Ich hatte einfach nur Hunger und fing an.

Es gab Curry-Reis mit Kartoffeln, Gemüse, Suppe, und ein Hühnerbein für jeden von uns. Wir hatten ein schlechtes Gewissen, doch da wir ihre Gäste waren, boten sie uns immer zuerst alles an, bevor sie sich selbst etwas nahmen.

Beim Essen kamen wir ins Gespräch. Mit Englisch und Japanisch kamen wir ganz Gut zurecht, und konnten ihre Fragen, ganz Gut beantworten. Unseren Fragen hingegen wichen sie aus, sie wollte nicht wirklich verraten, was sie da oben in den Bergen machen, oder wer sie sind. Als ich Fotos machte fragte er gleich, ob ich die veröffentlichen will. Ich sagte nein:

So wie wir es verstanden haben, sind sie Teil einer religiösen Gruppe, Kult oder Sekte, und ihrer Organisation gehört das Haus. Doch warum sie ausgerechnet hier mitten im Wald sind, wollten sie nicht verraten. Es fühlte sich etwas merkwürdig an, aber die Dankbarkeit überwiegte.

Das hier war Sumi, auch wenn sie meinte, sie hat noch viele andere Namen. Sie war Chinesin, die aber auch gutes Englisch sprach. Sie wurde von den Anderen als kleine Philosophin beschrieben und sie redete auch unglaublich viel.
Sie hatte früher mit Juwelen gehandelt, aber nun im- und exportiert sie Champagner-Bier. Auch nach Deutschland, wo es “Keller-Weizen” heisst. Haltet mal danach Ausschau, Sumi’s Schwester hat das Bier erfunden ^^ Wobei es auch sehr skurril war mitten in den japanischen Bergen über deutsches Bier zu sprechen. Oder über Berlin-Zoo, den der ältere Herr vor ein paar Jahren besucht hatte, und nun ganz stolz erzählte.

Wir wollten unsere Dankbarkeit zeigen, indem wir beim Aufräumen und Abwaschen helfen, aber da wir Gäste waren, wurde das als eher unhöflich und respektlos dem Gastgeber empfunden. Gaijin-Fauxpas #312

Mit vollen Magen legten wir uns in unseren Futon. Es wurde still ums Haus. Wirklich richtig still. Ich glaube die Nacht lässt sich am besten so beschreiben:

Wirklich komplette, allumfassende Dunkelheit. In der Stadt hat man ja immernoch ein bisschen Licht ins Fenster scheinen, durch Neon-Röhren oder den Mond. Aber der Wald um uns rum hat das ganze Licht und den Wind gefressen. Was bleibt, ist Dunkelheit.

In Buddhistischen Tempeln gibt es oft einen Meditationsraum, ein kleines Zimmer, oft in Stein gehauen, und mit einem Fels verschlossen, so dringt weder Licht noch Geräusche hinein, und der Mönch ist alleine auf seine spirituellen Suche. So ähnlich war es da oben, auf ca. 800m Höhe.
(Zum Vergleich, der Berliner Fernsehturm ist 368m hoch. Und der ist schon verflucht hoch)

Jedes Geräusch, auch noch so klein, war umso intensiver. Nach dem ersten kurzen Schlaf aufgrund der Erschöpfung, war es eine angespannte Nacht. Denn die Möglichkeit, dass die Sekte aus Axtmördern besteht, stand ja noch im Raum. Und wir wurden auch vor Tanuki (japanischer Marderhund) gewarnt, die ganz fix ins Gebäude gelangen können. Es huschte auch mal was an meinem Kopf vorbei, ich zog es aber vor, nicht mit der Taschenlampe nachzuschauen…

Als dann der Regen einsetzte, gab es eine gewohnte Geräuschkulisse und ich konnte entspannt einschlafen….

Der nächste morgen war erholsam.

Der Nebel wanderte über die Berge und in den Spinnennetzen fing sich der Morgentau

Schon schön da oben.

Wir konnten dann auch zum ersten Mal richtig sehen, wo wir eigentlich übernachtet und nette Menschen getroffen haben:

Mit leeren Magen ging es dann weiter, auf den Berg und durch den Nebel, immer am Abgrund entlang.

Schon mystisch.

Sanne meinte nach jedem Weg bergauf “Jetzt geht es nur noch bergab!”. Nach dem 12. Mal begann ich an ihr zu zweifeln.
Der Weg den wir dann gingen, war schon bei Tageslicht sehr schwer und halsbrecherisch. Bei Dunkelheit dürfte es glaube lebensgefährlich gewesen sein, auch wenn ich zu keinem Zeitpunkt da oben auch nur irgendwie Angst hatte. Mehr Freude, über dieses Abenteuer, diesen Weg ins Ungewisse, Unerwartete.

Oben gab es dann nochmal einen kleinen Schrein mit Schutzgöttern daneben

Wir haben bei keinem Schrein gebetet oder den Naturgöttern etwas dargeboten. Vielleicht haben uns diese Säcke deswegen durch diese Schikanen geschickt.

Und irgendwann, nach vielen Blicken auf Bäume und noch mehr Bäume, hoch oben, weit entfernt von allem

konnten wir die Stadt mit der Bahnstation entdecken

Zwischen dem Foto und der Ankunft lag dann aber nochmal zwei Stunden.

Verschwitzt und verdreckt kamen wir dann in einem Restaurant an. Das erste Essen an diesem Tage, als wir gegen 15 Uhr ankamen.

einfach nur großartig.

Im Zug dann nen Sitzplatz zu finden war mit unserem Zustand nicht schwierig, man räumte freiweillig den Platz um nicht neben uns sitzen zu müssen.

Zwei Stunden aus Tokyo raus, und in einer völlig anderen Welt. Schreine, Naturgötter und nette, gastfreundliche Menschen. Aus ein paar Stunden wurde so ein ganzes Wochenende, frei in den Bergen.
Das ist das Japan was ich suchte.

—-

(Zum besseren Verständnis der Höhenunterschiede hab ich noch mal ein nicht ganz maßstabsgetreues schematisches Modell angefertigt)