Nach Oshima ging es weiter südlich nach Niijima: Das Wetter war unberechenbar und wechselte innerhalb von kurzer Zeit von Regensturm zu Sonnenschein und wieder zurück. Der Lonely Planet sagt über Niijima, das man dort einige der besten Strände Japans findet. Der Lonely Planet lag falsch, aber ich fand ein Onsen am Strand, in dem ich lag und die Sonne im Pazifik untergehen sah. Mein Regenschirm, der mich um die halbe Welt begleitete und mir sehr lieb war, ging kaputt und ebenso auch meine Kamera.
So machte ich mich auf zu die Insel zu erkunden
Mit der Fähre von ging es weiter nach Süden. Der Regen war auch an diesem Morgen recht heftig und prasselte gegen die Fenster, während die grauen Wolken nichts gutes erahnen ließen.
Zwischen Oshima und Niijima liegt Toshima, die die Fähre zuerst ansteuerte. Völlig panisch rannte ich da schon zum Ausgang, mit Sack und Pack, doch man sagte mir, dass Niijima erst der nächste Halt ist. Ich hatte mir zwar die Kanji für “Niijima” aufgeschrieben, allerdings nur das hintere Kanji ‘島 – shima/jima’ welches einfach nur ‘Insel’ heisst. Das konnt ich mir noch merken, weil es ein bisschen wie ein Boot mit Segel aussieht.
In Niijima angekommen ging es dann richtig los mit dem Regensturm. Ich spannte meinen treuen Schirm auf, hörte ein kurzes ‘Krack’ und er sackte wieder zusammen. Mit Tasche und Schlafsack bepackt hatte ich keine Hand frei, mir das genauer anzuschauen, also suchte ich einen Unterschlupf.
In der Nähe des Hafens stand eine halbe Ruine mit offenen Türen, innendrin war ein Grill. Offensichtlich eine Art Strandbar, zur Saison oder zu besseren Zeiten.
Ich schmiss meinen Schirm erst einmal in die Ecke, setzte mich hin und aß einen Onigiri, den ich noch in Oshima gekauft hatte. Hier könnte ich die Nacht verbringen, es war geschützt und ich hatte einen Schlafsack bei. Doch wollte ich wirklich hier übernachten, im Sturm und in der Kälte?
Einen genaueren Blick auf den Schirm ergab, dass der Kranz, der die einzelnen Streben in der Mitte zusammenführt und -hält, durchbrochen war.
Ich wollte davon ein Bild machen, holte die Kamera raus und schaltete sie ein, doch sie ging nicht an. Rütteln und Schütteln brachte nichts.
Hier war ich nun, 200km südlich von Tokyo, in einer Ruine mitten im Regen. Mein Schirm, der mich nach Russland, Irland, Polen, Frankreich, und durch 3 Jahre Schulzeit begleitet und beschützt hat, war kaputt und hatte keine Aussicht auf Rettung.
Meine Kamera, meine Arbeitsgrundlage und Expressionsmittel für meine Seele, lag tot in meinen Händen.
Mir war nach umkehren und nachhause gehen. Doch ich wollte es nicht so enden lassen! Ich aß meinen Reiskuchen auf, atmete tief durch und schaute meine Kamera noch mal genauer an. Ein wenig am Ein- und Ausknopf rüttelnd fand ich heraus, wo das Problem lag. Ein simpler Wackelkontakt, ich musste den Knopf nur stets mit dem Finger in Position halten, dann würde es funktionieren. Unbequem, aber machbar.
Und mein Schirm? Tja… Es gab nicht viel, was ich in diesem Moment für ihn tun konnte, also ließ ich ihn zurück, versprach mir aber, für ihn zurückzukommen.
Da Niijima nicht so groß ist, und nur über ein Town Office verfügt, machte ich mich durch den Regen und ohne Schutz auf den Weg dorthin. Vielleicht hatte ich nochmal so viel Glück wie in Oshima.
Ich fragte nach einer Unterkunft. Auf der gesamten Insel gabs nicht viel, ein Ryokan und zwei Hotels. Da das Ryokan gleich um die Ecke war, und ich noch nie vorher in einem traditionellen japanischen Gasthaus geschlafen hatte, wollte ich mir die Erfahrung geben. Der Preis war mit 7.500yen zwar ordentlich happig, aber es war zweimal Essen eingeschlossen. Es war die richtige Entscheidung, denn so gut hatte ich bisher in Japan noch nicht gegessen.
Man hatte etwas Sorge, ob ich als Ausländer alle Gepflogenheiten eines Ryokan verstehen würde. Man suchte also ganz hinten aus dem Gasthaus ein junges Mädchen, die ein ganz klein wenig Englisch konnte.
Sie lieferte sich dabei ein paar Gefechte mit der Hauskatze, was ganz lustig zum Anschauen war.
Blick aus meinem Fenster im Ryokan:
Ich hatte den Raum komplett für mich, und es lag ein Futon bereit. Dass ich den Raum mit Hausschuhen betreten wollte fand das Mädel sehr lustig. Als das Mädel weg war kramte ich noch die beiden anderen Futons aus dem Schrank und stapelte sie übernander, wie ich das seitdem immer mache, wenn ich in einem japanischen Gasthaus übernachte. Ist halt weicher, gell.
Kurzes Durchatmen. Meine Situation vom ‘im Regen mit kaputter Kamera in einer Bruchbude’ hat sich schlagartig verbessert. Es geht halt immer, irgendwie.
Ich machte mich also auf die Insel zu erkunden, mit dem Schirm vom Ryokan und stets einen Finger verkrampft am Einschaltknopf meiner Kamera, auf dass sie ja nicht noch mal ausgeht.
Man merkt der Insel die Lage im Südpazifik schon an, alles wuchert wie bescheuert.
Ich machte mich auf dem Weg zum Strand, der ja vom Lonely Planet so empfohlen wird. Entlang des Weges kamen mir einige Inselbewohner entgegen, die sich allesamt sehr freuten, mal einen Ausländer zu sehen. Sie lächelten mich an und kramten das wenige Englisch, das sie konnten, heraus und grüßten mich mit “Hello”. Wenn ich dann mit “Konnichiwa” erwiederte, freuten sie sich umso mehr.
Ich streifte durch die Insel und entdeckte auch die einzige Schule, in die ich auch prompt reinspazierte.
Auf ner Insel zu leben und dort zur Schule zu gehen muss cool sein. Wenngleich auch etwas abgeschieden vom Rest der Welt.
Vor der Schule stand eine steinerne Figur:
Das ist eine Moyai-Statue. So wie ich das verstanden habe, sind die durchaus nach Vorbild der Figuren auf den Oster-Inseln entstanden, aber geprägt von lokalen Künstler.
Einigen kommt es vielleicht bekannt vor, am Bahnhof Shibuya steht bzw. stand eine Version dieser Steinköpfe von Niijima:
Das Shibuya-City Office sagt dazu:
Moyai Statue
Shibuya Station South Exit, Phone: 04992-5-0048 (Niijima Tourist Association)
Moyai means to “work together” in the dialect of Niijima. The pumice stone is unique to Nijima Island.
Als ich aus der Schule herauskam und weiter Richtung Strand lief, kam mir ein Schulmädchen entgegen, die mich schon vom anderen Ende der Straße neugierig anschaute. Als sie mich passierte drehte sie sich auch ständig nach mir um, bis sie dann in die Schule reinging. Wohl noch nie nen blonden Gaijin gesehen, wa? 😉
Der ständige Regen, der dann zum Glück aufhörte, hatte viele Straßen geflutet. So auch hier, eine ehemalige Bahnstrecke. Aber auf Niijima fährt kein Zug. Nicht mehr.
Weiter, immer weiter und irgendwann erreichte ich den Strand.
Just in diesem Moment brach die Sonne durch. Ich war allein. 20km Strand und ich war alleine. Ein sehr bewegender Moment, nur ich und der Pazifik.
Ein Blick nach links
Ein Blick nach rechts
Und ich war allein.
Ich machte es mir erstmal gemütlich und legte meine Sachen in den Sand.
Da sind jetzt zwei Schirme drauf. Ich dachte, da ich einen neuen Schirm brauche, um den Alten zu ersetzen, kauf ich ihn gleich bei nächstbester Gelegenheit. Hatte natürlich auch den Nachteil, dass ich nun die ganze Zeit zwei Schirme mit mir rumschleppen musste.
Mit mehr und mehr Sonnenschein, kamen auch mehr und mehr Leute, die die Weite des Sandstrandes nutzten.
Zum Baden waren die Welle zu hoch, und von links deutete sich schonwieder Regen a.
Ich machte mich auf den Rückweg. Jedoch knallte dann die Sonne unbarmherzig runter. Wolkenlose 32°C, ich zerfloss in Schweiss.
Auf dem Rückweg kam ich auch an einem Koban vorbei, bei dem ich nach dem Weg fragte. Dort fand ich wiedermal den Beweis, dass Japan ein sehr sicheres Land ist, und auf der Insel auch nichts los ist.
Ich kam rein und sah ca. 10 Polizisten, die alle etwas unbeschäftigt rumstanden. Sie schauten mich zunächst neugierig an, und ich hechelte ein “Kon…nichiwa” zur Begrüßung”. Daraufhin alle (!) zusammen und gleichzeitig (!!) zurück: “Konichiwa!!”.
Ich fragte dann nach dem Weg zu meinem Hotel, dessen Namen (!) und Ort (!) ich mir diesmal auf meiner Karte (!!!!!) notiert hatte. Auf Japanisch nach dem Weg fragen gehört zu meinen Spezialitäten, also konversierte ich mit einem Beamten nach dem richtigen Weg. Sein Kollege währenddessen holte ein dickes Buch unter dem Thresen hervor, in dem die wichtigsten Phrasen in Englisch standen.
Ich hatte schon die Auskunft erhalten, die ich wollte, da zeigte er mit dem Finger in dem Buch auf: “Where do you want to go?”.
Weiter entlang zum Hotel, an Getränke-Automaten vorbei, die wohl nur einmal in der Woche aufgefüllt werden. Irgendwann hatte ich dann trotz Wegbeschreibung den Weg verloren. Denn ‘Nach dem Weg fragen’ kann ich zwar gut, die Antwort dann aber verstehen nicht so sehr.
Ich fragte dann einen Hausbewohner, ob er mir sagen kann, wo mein Hotel ist. Ich verwies auf den Namen, der auf dem Schirm geschrieben war, und er wusste Bescheid. Er wollte mich dann mit seinem Auto hinfahren, was mich sehr überraschte, ich aber ehrlich dankend annahm.
Auch als ich im Reisebüro nach einem Supermarkt/Konbini fragte (man musste zuerst lachen, Konbini? Auf der Insel?) fuhr der einzige Typ, der dort arbeitet, mir hinterher und lud mich ins Auto ein, und fuhr zum Supermarkt. Ist ja nicht so, dass täglich tausend Touristen bei ihm vorbeischauen, da kann man ruhig mal den einzigen Gaijin zum Supermarkt fahren.
Zurück im Hotel fiel mir mein Schirm noch ein. Nach einer kurzen Verschnaufpause machte ich mich auf den Weg Richtung Ruine, während die Sonne so langsam unterging. Entlang vom Strand der anderen Seite der Insel, hat man immer die Berge im Nacken
Strandpromenade, hinten rechts ist der Hafen.
Die Sonne brannte wirklich unbarmherzig
Diese besagten Moyai-Statuen fanden sich zahlreich entlang des Weges, allerdings auch nicht sooo spektakulär, als das ich davon ein Foto hätte machen müssen.
Hinterm Hafen befindet sich das Yunohama-Onsen, auf einer kleinen Anhöhe gelegen, direkt am Strand und Meer, mit weiten Blick über den Pazifik und die Abendsonne.
Es ist ein wenig pseudo-griechisch gestaltet, bietet aber verschieden warme Onsen-Becken, eine fabelhafte Aussicht und ist vorallem gratis. Man kann 24 Stunden lang hinein, und es ist ein gemischtes Bad, also Badeklamotten sind Pflicht. Ich glaub, bei klaren Himmel kann man viele Sterne über der Insel sehen.
Da lag ich nun, im Sonnenuntergang, im heissen Wasser und sah den Pazifik die helle Kugel schlucken. Sehr entspannend. Nach einer Nacht im Kapselhotel, in der ich zwei Nächte zuvor geschlafen habe, kam das meinem Rücken ganz Recht. Ich hab dort Bilder mit meinen Unterwasserkamera gemacht, aber noch nicht entwickelt.
Aus dem Wasser und zum Abendbrot ins Ryokan. Vorher noch zu besagter Ruine und meinen Schirm abgeholt.
Ich weiss bis heute nicht, was das genau war. Eher eine pseudo-Ruine, mit europäischer Architektur und Treppengang ins Nichts. Vor dem Gebäude waren Steintafeln, mit Grüßen und Nachrichten von jungen Leuten aus aller Welt, die hier wohl mal eine Party gemacht haben (vornehmlich Surfer dabei).
Mit kaputten Schirm dann zum Ryokan und zum Essen. Es war ein traditionell japanisches Menü, mit vielen Schälchen und Zutaten, und Reis ohne Ende. Es war wirklich sehr lecker, obwohl mir ein paar Sachen dann doch zu krass waren. Ich glaube ich hab mich ganz gut angestellt, obwohl ich wahrscheinlich die Dekoration mitgegessen habe. Naja, war trotzdem lecker. Auch wenn das japanische Pärchen nebenan am Kichern war…
Ich fragte nach einer Cola und konnte hören, wie die Dame dann hinausging, am Getränke-Automaten eine Cola gezogen hat, dann in ein Glas umfüllte und mir servierte. Kriegen wohl nicht so häufig solche Anfragen 😉
Im Zimmer habe ich mir dann den Schirm noch einmal genauer angeschaut. Nicht nur der Kranz war kaputt, der Schirmbezug hatte an vielen Stellen Risse. Es war halt eben ein Gebrauchsgegenstand, mit sichtlichen Verschleiß. Vier Jahre intensive Benutzung hinterließen eben Spuren. Selbst wenn ich hier jetzt flicke, wie lang würde es dauern, bis wieder etwas reisst? Ich fasste einen Entschluss.
Ich ließ meinen Schirm im Südpazifik. Es fiel mir nicht leicht, gerade weil so viele Erinnerung daran hingen. Doch… Die Erinnerungen kann mir keiner nehmen, die bleiben erhalten. Ich hätte zwar gern einen Schirm gehabt, in den ich auf 40 Jahren schaue und sage “Der hat die ganze Welt gesehen”, doch dieser Schirm sollte es nicht sein. Doch ich versprach mir und dem Schirm zu gedenken, indem ich einen neuen Schirm kaufen werde in Berlin, aus Titan und anderen unzerstörbaren Materialen. Und der wird dann die Welt sehen.
Meine Fähre am nächsten Tag ging um 16 Uhr Richtung Tokyo, viel Zeit zum rumkriegen. Ich wollte mehr Fotos machen, doch es ging einfach nicht, es war unbarmherzig heiss. Nach 20 min in der Sonne hielt ich es nicht mehr aus und verkroch mich ins Hafengebäude. Von drinnen konnte ich das Wetter draußen beobachten, während ich ein paar Zeilen schrieb. Ab und kam noch ein Regensturm vorbei, der die Straßen überflutete und danach wieder der Sonnenhitze Platz machte. Das Wetter im Südpazifik ist eben unberechenbar.
Auf der Rückfahrt bremste die Fähre kurz ab und es kam eine Meldung, dass wir jetzt durch ein Gebiet fahren “in dem große Säugetiere” leben.
Wale.
Aus dem Fenster konnte ich mehrere große Schiffe sehen, die sich in diesem Gebiet tummelten. Bestimmt alle “wissenschaftlich” unterwegs….
Die Ankunft am Abend in Tokyo war gleichzeitig mein Einzug in meine derzeitige Wohnung. Noch kaputt musste ich mir noch einen Futon besorgen und fiel dann völlig erschöpft ins Bett.
Am nächsten Tag konnte ich nur noch liegen, zuviel habe ich gesehen, erlebt und erlaufen.
Ich denke immernoch gern an dieses “Insel-Abenteuer” zurück. Und schon auf Niijima hatte ich mir über das Internet eine neue Kamera aus Deutschland bestellt (die dort billiger sind als hier), sie sollte in zwei Wochen ankommen.
Eine spannende Zeit in Tokyo sollte folgen…
Teil 1: Insel-Abenteuer!: Oshima
Artikel (von mir) über alle Inseln der Izu-Shoto: auf yes!Tokyo