Die kreative Künstlerseele von Tokyo

Ich war auf der Design-Festa Tokyo 2009: dem größten internationalen Kunst Event in ganz Asien. Tausende von kleinen, freien Künstler stellten ihre Werke aus und verkauften sie. Es herschte eine kreative Atmosphäre die ich zum ersten Mal in Tokyo spürte und die ich so nur aus Berlin kannte.

(Der Typ hatte eine interessante Präsenz, ging betont cool und posierte ganz von alleine. Ich machte ne Menge Bilder bis er es bemerkte 😉 )

Ich komme aus Berlin, welches international für Künstler immer beliebter wird. Und gerade weil in Berlin so viele Künstler leben, herscht dort eine sehr kreative Atmosphäre. Kunst und Kunstprojekte anzuschieben ist in Berlin sehr, sehr viel einfacher als in Tokyo. Ich selbst würde mich auch als Künstler bezeichnen wollen, und als jemanden der junge Kunst mit diversen Projekten unterstützt – auch weil es in Berlin einfach möglich ist, schon als 17/18 jähriger solche Projekte zu starten. In Berlin fragt keiner, wo du studiert hast, wie viel Erfahrung du hast oder was deine Eltern machen. Solange du eine coole, kreative Idee hast, und damit andere begeistern kannst, reicht das um Unterstützer zu gewinnen.
(Beim Geld sieht das allerdings anders aus, da Berlin chronisch pleite ist. Aber so ist in Berlin viel Kunst gratis)

Das hatte mir in Tokyo bisher immer gefehlt, diese Freiheit kreativ sein zu können. Vorallem junge Künstler suchte ich sehr lange. Ich war wirklich sehr, sehr glücklich, sie auf dieser Design Festa zu finden, und wieder in dieser kreativen Atmosphäre zu leben.

Die Design Festa kann man sich wie als real gewordene DeviantArt Website vorstellen (oder eine andere beliebige Website wo angehende Künstler ihre Werke zeigen). Nur dass die Design Festa nicht nur auf zweidimensionale Kunst beschränkt ist, sondern auch Maskenbildner, Schmuck, Mode, Puppen o.ä. zulässt. Und vorallem: Der Künstler versteckt sich nicht hinter einem anonymen Nicknamen wie milchkuh73 im Netz, sondern er steht direkt vor dir, neben seiner Kunst. Du kannst mit ihm reden, dich austauschen und ihn direkt unterstützen indem du seine Werke kaufst. Ich find es wunderbar, wie in einer Konsum-orientierten Gesellschaft wie Japan, Kunst und Kommerz Hand in Hand gehen, ohne dabei die Kunst abzuwerten. In Deutschland ist das ja immer ein bisschen schwierig mit Kunst Geld zu machen bzw. die Werte richtig einzuschätzen.

Die Design Festa findet zweimal jährlich in der Tokyo Big Sight statt. Künstler können Stände mieten, ihre Sachen ausstellen und verkaufen. Tokyo Big Sight ist ein großes Messegelände auf Odaiba, der künstlichen Insel vor der Bucht von Tokyo.
Die Big Sight ist bekannt für große Manga Conventions, wo unveröffentlichte Manga Zeichner ihre eigenen Werke verkaufen, die sie selbst gedruckt haben.

Ich hatte Tokyo Big Sight das erste Mal in einem Manga gesehen und hielte es für ein sehr ungewöhnliches Gebäude, das sich der Mangazeichner nur ausgedacht haben musste:

Umso überraschter war ich, als ich dann tatsächlich vor diesem riesigen Raumschiff stand:

Drinnen in der Tokyo Big Sight standen dann alle Zeichen auf Kunst. Begrüßt wurde man von einem bunten Tor:

Drinnen war die zentrale Halle, in der sich einige exklusive Künstler eingemietet hatten und in der Mitte fand Musik statt, vor einem großen, sitzenden Publikum.

Die Musik war ähm sehr japanisch. Das heisst, es gab sowohl generierte Pop Musik, vorgetragen von hübschen Mädchen (die beim Publikum gut ankam),

dann gab es traditionelle japanische Elemente, gemischt mit dem Stil einer amerikanischen Big Band, die ich kurz beim Proben erwischt habe:


(man beachte den Spalt durch den ich die Kamera hielt und heimlich fotografierte 😉 Ich wollt einfach wissen woher die Musik kam)

und dann gab es einen ähm Mittelalter-Auftritt, wo Japaner sich in europäischen Ritterrüstungen bewegten:

Das ist als wenn Deutsche einen auf Ninja oder Samurai machen…

Rund um die zentrale Halle waren die Messe-Hallen, wo jeder Künstler mit einem eigenen Stand vertreten war. Ein wirkliches Konzept gab es da nicht, alles war wild durch- und nebeneinander.

Und auch Musik gab es hier, abseits der Haupthalle. Wundersamerweise nirgendwo störend.
Es gab die Kostüm-und-Kinder-Musik:

Es gab Tricky, der seinen eigenen Fanclub mit dabei hatte…

…und nun ja, ein besonders warmer Exot war.

Tricky
(Quelle: flickr/designfesta)

Tricky’s Musik war nicht so dolle, aber er hat sich eine besondere Choreografie einfallen lassen, den sein vorher instruierter Fanclub fleißig mittanzte. Das Publikum drum herum stieg mit ein, und machte seinen Tanz mit. Sein Fanclub stand sogar noch um ihn herum, als um 19 Uhr das Licht ausgemacht wurde, und alle gingen. Tricky ist schon ein cleverer Entertainer. Wer mehr von ihm will, er hat genug CD’s auf Lager:

Tricky CD
(Quelle: flickr/designfesta)

Und weit entfernt von Tricky (vom Talent und Lage), versteckt in einer Ecke, stand meine neue Lieblingsband!

Das hier ist Flava, eine junge Jazz-Kombo, die hier Lieder aus ihrem neuen und ersten (Mini) Album vorgetragen hat. Ich hab natürlich gleich ihre CD gekauft und zuhause rauf und runter gehört. Live sind sie allerdings noch viel besser als auf CD, ich werd mir demnächst mal ein Konzert von ihnen anhören.
Hier mal eine Hörprobe aus einem Konzert in Shibuya, Tonqualität ist so la la.

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=7ROeLImufkk&hl=ja&fs=1&]

Flava’s hübsche und noch viel mehr talentierte Sängerin ist 26 und arbeitet als Office-Lady in einem IT-Unternehmen. Das mag man sich so gar nicht vorstellen können, wenn man sie live gehört hat.

Flava
(Quelle: flava.hiho.jp)

Wie schon erwähnt, gibt es neben der Musik noch so ziemlich jeden anderen Bereich der Kunst, von daher will ich jetzt einfach ein paar Buden und Impressionen vorstellen:


(sie war ca. 5-6 Jahre alt, man kann nie früh genug mit der Kunst anfangen =) )

Sie hatte eine wunderbare Gesangsstimme, wenngleich sie auch etwas schüchtern war und leise sang. Wer mehr von ihr sehen möchte, und mir fällt da jemand ein, der das bestimmt möchte, der kann in ihren Youtube-Channel schauen.


Eine T-Shirt Vending Machine


Eine vor Ort angefertigte Zeichnung, man achte auf die vielen Details, in groß sieht man es besser.


???


Mister T beschützt Schokolade


OKTOPUS-MANN GEGEN KUGEL-MANN!!


…sich von der leeren Leinwand inspirieren lassen…


Wenn man diesem Blog glauben mag, ist Live Painting ganz groß angesagt. Viele Künstler bemalten ihre Buden auch. Eine Kunst, die nur die zwei Tage der Design Festa dauern soll. Es macht einen nachdenklich, aber wenn man bedenkt, wieviele tausend Leute von eben diesen Bildern Fotos machen, und sie für die Ewigkeit erhalten oder Freunden zeigen, so ist der Kunst doch Genüge getan.


fließender Verkehr, rein und raus.


Und den Info-Stand immer im Blick.


Ein Samurai wacht über alle Buden….


… und bedroht Fotografen, wenn sie ihm zu nahe kommen 😉


Ein Skelett macht für 500yen eine Manga-Zeichnung von dir. Schnäppchen!


Tatoos konnte man sich auch machen lassen.


Für alle, die Schwierigkeiten haben, Kanji zu lernen, präsentiere ich die Kanji-Symmetrie. Einfach die Kanji umdrehen, und schon habt ihr das englische Wort, wie “look”:


Ich weiß ja, das große Brillen momentan sehr angesagt sind, aber der Fotograf hier hat den Vogel abgeschossen.


Wie so oft, direkt und eng beieinander. Hier zwei Bands die gleichzeitig um die Wette spielten, ohne dabei wirklich Lärm zu produzieren. Links hinten ist Extasy Box, die Flöten und Synthesizer-Kombo.


Es gab auch einen Bondage Stand, bei dem keine Fotos erlaubt waren. Das heisst, ich hab kein Foto von jungen Japanerinnen, die sich spaßeshalber von einer Lack-und-Leder Dame in Seile einwickeln lassen. Doch Madame habe ich erwischt, man beachte ihre Werkzeuge and ihrem Gürtel….

Auf der Design Festa liefen so viele verrückte Leute und Kostüme rum, es gab wirklich wunderbare Motive. Zum Beipsiel der Herz-Mann, der über und über mit Herzen voll war und die Liebe verbreiten sollte – dabei doch eher stets ein frustriertes Gesicht hatte.
Oder die puren Maids, die mit grimmiger Miene ihre Zigarette rauchten. Oder viele, viele verrückte Buden, wo der Künstler im Kostüm davor saß. Doch die habe ich alle nicht abgelichtet. Fotografieren war zwar sehr oft erlaubt und erwünscht, doch wie schon mal in einem Beitrag erwähnt, ist das mein Beruf, den ich auch nicht immer 24/7 ausüben möchte.

Wenn mich jemand nach meiner Art der Fotografie fragt, sage ich manchmal: “Aus Fleisch, Wurst machen”. Bleiben wir mal bei der Metapher:
Ich war auf der Design Festa nicht beruflich, sondern um mir viele neue und fremde Sachen anzuschauen. Das ist wie als ob ein Metzger in den Zoo geht. Wenn der nen Elefanten sieht, denkt der auch “aha, Lende, Steak, alles klar”. Wenn ich auf der Design Festa bin, seh ich auch lauter Motive, Geschichten, Momente. Aber irgendwie hat mir die Lust gefehlt, jedem Motiv hinter her zu springen, ständig die Objektive zu wechseln und abzudrücken. Sonst bin ich ja bei solchen Veranstaltungen auch offiziell als Fotograf für die Presse o.ä., doch diesmal wars ganz privat.
Ein wenig hab ich genau das bereut, nicht ständig mit dem Auge im Sucher zu sein, weil es wirklich viele tolle Sachen zu Sehen gab. Doch ich wollt auch einfach nur mal genießen. Andere kreative Sachen sehen, ohne selbst kreativ sein zu müssen.

Es gab auch viele Fotografen auf der Design Festa, ihre Bilder allerdings oftmals ohne besondere Qualität. Doch sie freuen sich, wenn man ihre Bilder anschaut und mit ihnen spricht. Ein Fotograf hatte die halbe Welt bereist, und war ganz entzückt mal ein paar Ausländer an seinem Stand zu haben. Mir musste er dann natürlich auch die Bilder aus Deutschland zeigen 😉

Es geht bei der Design Festa nicht ums verkaufen. Es geht eher darum, gesehen zu werden. Die vielen kleinen Aussteller freuen sich riesig, wenn man sich ein paar Minuten Zeit nimmt, ihre Kunst anzuschauen. Ihre Kunst, in der sie ihre Gedanken und Gefühle verarbeiten haben, mit der sie etwas mitteilen möchten. Mit meinem bisschen Japanisch konnte ich noch sagen, dass mir ihre Sachen gefallen, und darüber waren sie jedesmal zutiefst dankbar.

Es sind tausend Aussteller, oft direkt nebeneinander. Trotzdem ist es weniger ein heftiger Konkurrenzkampf. Viel mehr sind sie Teil der großen kreativen Seele von Tokyo.
Ich würde sowas gerne in Berlin machen, genug Kleinkünstler gibt es ja. Ich frage mich allerdings, ob man nicht die japanische Höflichkeit braucht, damit das alles auf so engen Raum nicht in Gewalt ausartet…

Die junge Kunst in Tokyo hat eine ganz andere Qualität. Ich vermute das liegt daran, dass japanische Künstler erst ab einem gewissen Level genug Selbstvertrauen und Glaube in die eigenen Werke aufgebaut haben, um sich öffentlich präsentieren zu wollen. So erklärt sich auch, warum eine wunderbar talentierte Band wie Flava, die es seit 6 Jahren gibt, erst in diesem Jahr ihr erstes Album rausbrachte.
Wenn ich da an Deutschland denke, fallen mir 21-jährige Fotografen ein, die meinen ohne Ausbildung oder Erfahrung in Tokyo als Fotograf arbeiten zu können. Oder 21-jährige Rapper, die kurz nach dem Abi ihr erstes Album auf den Markt werfen (ich kenn ihn gut seit er 6 ist, ich darf das so sagen 😉 ).

Aber das wiederum find ich an jungen deutschen Künstlern, insbesondere in Berlin, so inspirierend. Sie treten frech auf die Bühne und sagen “Welt, hier bin ich, und ich bin bunt!”.
Zu einem der letzten Projekte, die ich in Deutschland machte, dem Bildband zur jungen deutschen Fotografie, würde ich gerne eine Ausstellung in Tokyo machen. Im selben Zusammenhang würd ich gern ein ähnliches Projekt mit jungen japanischen Fotografen machen, und beide Sachen dann in Deutschland ausstellen und vergleichen.

Pünktlich um 19 Uhr wurden die Lichter in den Hallen ausgemacht, und das große Raumschiff spuckte seine temporäre Besatzung aus:

Draußen im Regen und der Dunkelheit sah es sogar noch bedrohlicher aus:

Ich wollt noch zeigen, was ich denn alles gekauft habe, aber das dann in nem zweiten Post, da der hier schon so lang ist. Aber es war ein großartiger und inspirierender Tag – für Alle. Und ich hab in Tokyo endlich das gefunden, was ich hier so lange suchte. Und das machte mich, zum ersten Mal seitdem ich hier bin, so richtig, richtig glücklich 🙂

In der Höhle eines Otaku

Ein Autor, der Anime- und Otaku-Kultur studiert, recherchiert derzeit für ein neues Buch über Otakus, und hat mich beauftragt, einige Bilder zu liefern. Im Zuge der Recherche führt er einige Interviews mit Professoren und Kritikern, die sich wissenschaftlich mit diesem Thema auseinandersetzen. Einer der Professoren war Otsuka Eiji, der uns in sein Atelier einlud: ein künstlicher Ort, voll mit lebensgroßen, toten Puppen, Zeichnungen und ohne Fenster – damit nichts von der Aussenwelt eindringen kann. Zwischen Figuren und Manga führten wir in dieser Otaku Höhle das Interview.

Das ich ein Anime- und Manga-Fan bin, will ich nicht leugnen. Genauso wie beim Medium Film gibt es aber gute und schlechte Beispiele dieser Kunstform. Ein Otaku ist nun jemand, der völlig in dieser Scheinwelt der Anime und Manga lebt, egal wie gut die Qualität dieser sein mag. Ausschlaggebend ist meist, das ein Anime genug “süße” Mädchen mit langen bunten Haaren und großen Augen hat.
Aber auch beim Begriff Otaku scheiden sich die Geister. “Hardcore-Fan” wäre eine Beschreibung, Spinner oder Freak ein anderer. Wirklich werten möchte ich das auch nicht.

Als ich anfing mich mit 12/13 für Anime zu begeistern, tauchte auch schon der Begriff Otaku auf. Zu dieser Zeit war Otaku ein gewisser Titel, der respektiert wurde. Wer viele Anime kannte und sein eigen nannte, der war Otaku, ein Anime-Experte.
In Japan war das wohl durchaus auch mal eine zeitlang so, bis einige Otakus durchdrehten und kleine Mädchen in ihre Keller sperrten. Die Medien verkehrten den Begriff Otaku arg ins Negative. In den letzten Jahren ändert sich das aber, und die “Generation Otaku” wird anders betrachtet. So bezeichnete sich auch der ehemalige Premierminister Taro Aso selbst als Otaku.
Otaku kann man auch jemanden nennen, der sein Hobby sehr stark auslebt und viel Zeit und Geld investiert. In der Hinsicht gibt es wohl auch Sport-Otaku und Fotografie-Otaku.

Was Anime-Otakus so anrüchig bzw. so “pervers” macht, ist die zunehmende Sexualisierung des Ganzen.


Quelle: Furu Anime Panikku Das hier ist aus einem Manga über Brot Backen. Ernsthaft.

Bei vielen Anime gilt derzeit “Sex vor Story”. Es reicht um Quote zu machen und Fans zu gewinnen. Es gibt dafür einen schönen Begriff: Fanservice. Das bedeutet, dass, selbst in einen normalen Manga, ab und an mal ein Panty-shot vorkommt, knappe Kleidung oder große Brüste bei der Protagonistin.
Einen Manga den ich aufgrund seiner Story und seines Humors sehr schätze ist One Piece, und auch hier streut der Autor selbst ein bisschen Fanservice ein:

n

Das ist im Prinzip dasselbe wie eine hübsche Schauspielerin für einen großen Film zu casten.
Sex sells.
Das gilt in Deutschland wie in den USA wie auch in Japan. Nur wird das im Bezug auf Otaku nur allzugerne nur darauf reduziert, wie auch in den Maid Cafes, in denen ich ja selber schon war.

Fakt ist allerdings auch, dass, im Gegensatz zu einer hübschen Schauspielerin oder einem hübschen Model, Anime- und Manga-Figuren nicht real sind. Sie existieren nicht.
Sie existieren nicht mit diesen Proportionen oder diesen leichten, aufreizenden Verhalten. Trotzdem werden sie von einigen Otakus so geliebt, als wären sie real. Sie werden zwar von echten Menschen synchronisiert, doch die sehen dann in der Realität meist etwas anders aus, als ihre Anime-Figur.
Echter.

Japan leidet an Kinderarmut. Noch mehr als Deutschland. Und das weniger, weil sich die Eltern in Japan keine Kinder leisten können (was ja in Deutschland das Problem zu sein scheint), sondern weil es eher mit der Vermehrung hapert. Sexualität findet nicht wirklich zuhause im Bett statt, sondern in den Medien.
Pornos werden in jedem Konbini verkauft und auch öffentlich in der Bahn gelesen. Das Fernsehen enthält viel mehr unterdrückte Sexualität als in Deutschland (in Deutschland ist sie eher offensiv und direkt). Trotzdem ist in Deutschland Sexualität was sehr privates, in Japan eher was sehr mediales.

Das möchte ich ebenfalls nicht werten, oder weiter ausführen. Im Zusammenhang mit Otaku möcht ich nur eine interessante Theorie vorstellen: 70% aller (unverheirateten) Japaner sind ohne Partner, die Geburtszahlen sind rückläufig aber der Umsatz von Otaku-Artikeln nimmt zu. Die Generation Otaku, falls sie existiert, gilt als sozial zurückgezogen und lebt ihre Sexualität vorm Fernseher oder Computer aus. Ob es da wirklich einen Zusammenhang gibt, weiss ich nicht, aber ich finde den Gedanken sehr interessant.

Otsuka Eiji ist nun einer derjenigen, die sich einige Gedanken um diese ganze Otaku Kultur macht. Er ist auch einer derjenigen, die diesen Begriff in den 80er Jahren geprägt haben.
Er lud uns nun, mich und den Autor für den ich das Interview begleitete, in sein Atelier ein. Es war in einem ehemaligen Künstlerviertel von Tokyo, in einem großen Wohngebäude mit hässlichen, kühlen, unkreativen, gesichtslosen Fluren:

Hinter einer von diesen anonymen Türen verbarg sich das Atelier von Herrn Otsuka. Es war recht dunkel, was es für Fotos schwierig machte. Keine Fenster. An den Wänden hingen lauter Zeichnungen, auf dem Boden stapelten sich Manga und in den Schränken waren lauter lebensgroße, gruselige Puppen.


Bin die ganze Zeit rumgelaufen um Bilder aus allen Perspektiven zu machen. Und natürlich hab ich den Stapel Bücher umgestoßen….

Es war schon etwas merkwürdig dort, vorallem weil Otsuka Eiji selbst auch das Klischee vom dicken, perversen Otaku zu erfüllen schien, mit seinem runden Bauch und den lebensgroßen Mädchenpuppen in der gesamten Wohnung Dazu kommt, dass er selbst vor einigen Jahren das Skript zu einem Lolicon-Hentai schrieb, was wohl korrekt übersetzt wär mit “Kleine Mädchen Porno”.

(Letzter Absatz wird mir bestimmt wieder fragwürdige Suchmaschinen-Besucher einbringen….)

Das Interview verlief wohl recht spannend, auch wenn ich wiedermal kein Wort verstanden habe. Otsuka Eiji und Hiroki Azuma, den ich ja schonmal fotografierte, sind die beiden großen Denker wenn es um Otaku Kultur geht. Eine Japanerin meinte zu mir, als ich ihr vom Shooting erzählte:

“Otsuka Eiji?? He’s fucking famous!!

Die Beiden können sich aber absolut nicht leiden, und Otsuka zog auch ordentlich über Azuma her 😉

Absolut alles in diesem Raum war künstlich. Selbst ein kleiner Miniaturbaum auf dem Tisch war aus Plastik.

So künstlich wie die Scheinwelt, in der die Otakus leben.

Nach dem Interview bat ich ihn, zu posieren. Ich richtete die Deckenlampen aus und platzierte ihn vor all den Puppen in seinem Schrank. Ich fand das irgendwie passend.

Ganz besonders stolz war er auf eine Zeichnung, die wohl schon recht früh als ‘moe’ galt:

Moe bedeutet, dass man etwas besonders süß findet. Das Ziel von vielen Anime in letzter Zeit, ist es eben dieses Gefühl von moe zu erzeugen, also etwas besonders putzig oder niedlich darzustellen. Meist auf Kosten einer interessanten Story.

In Anime- und Manga-Kreisen ist moe etwas gutes, etwas schönes. Ich persönlich find es grenzwertig, da die Unterschiede zum erwähnten lolicon recht fließend sind. Es ist ein Ding, ein Kind süß zu finden. Aber bei moe spielt auch ne gewisse Sexualität mit hinein, die ich für unangebracht halte. So werden Kinder gezeichnet, mit Proportionen und sexuellen Merkmalen wie Erwachsene, die sich allerdings noch wie Kinder verhalten, damit sie möglichst “süß” daher kommen.

Ich find das, nun ja, eher so:

nach der wahl gibts wal

(Ja, das ist Walfleisch auf dem Teller und beinahe im Mund von der Japanerin. Das Ganze war in nem Wal-Restaurant, man erkennts an dem glücklichen schwimmenden Wal im Logo)

Japan hat ja nun demnächst einen neuen Premier Minister. Dem seine Frau sagte folgendes:

“It was a very beautiful place and it was really green.”

Und das sagt sie nicht über das Parteizentrum der Grünen, über Grönland oder über den allmählich beginnenden Herbst in Japan, sondern über ihren Trip zur Venus.

“While my body was asleep, I think my soul rode on a triangular-shaped UFO and went to Venus,”

Frau Miyuki Hatoyama meint nämlich vor 20 Jahren von einem Raumschiff mitgenommen worden zu sein. Das Ganze hat sie auch in einem Buch festgehalten mit dem Titel “Very Strange Things I’ve Encountered” – was glaube auch der Titel von jedem zweiten Blog ist, der sich mit Japan befasst.

Da das Ganze als Meldung relativ dürftig ist, gibts noch etwas Musik, zur Einstimmung auf den Herbst, und weil ich nun schon über zwei Monate hier bin. Die Zeit verfliegt…
Daher auch nun “Time Flies”, ein Stück was ich derzeit recht häufig höre, von einer wunderbaren japanischen Jazz Pianistin: Hiromi Uehara.

(Dauert etwas bis das Stück Fahrt aufnimmt, aber ruhig mal anmachen, genießen, und vielleicht dazu die Fotos hier durchsehen.)
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a kraut in a crowd

Beim Bon Odori in Koenji, dem zweitgrößten in Japan: Viele Menschen, viel Gedränge, viele Fotos – und viel gute Laune. Die japanische Kultur findet nicht in Museen statt, sondern lädt auf der Straße zum mitmachen ein.

Der Sommer in Japan, und besonders in Tokyo, wird begleitet von vielen Sommerfestivals. Auf einem davon, einem Matsuri, war ich ja bereits. Während es bei einem Matsuri nur ums Essen, Trinken und Spielen geht, steht bei einem Obon bzw. dem dazugehörigen Tanz “Bon Odori” der Tanz und Musik im Vordergrund. “Obon” wird von einigen Reiseführern gerne mit “Totenfest” übersetzt, ich finde aber, das trifft es nicht ganz. Dafür sind alle viel zu gut gelaunt. Es geht mehr um die Ehre und Würdigung der Ahnen.

Der “Bon Odori” (“Odori” heisst soviel wie “Tanz”) in Koenji hatte ein eigenes Thema, welches ich allerdings nicht so recht verstanden habe. Der Editor vom Metropolis, der mich hierzu einlud, erzählte mir, dass die Tradtion dort wohl von irgendeinem alten Shogun kommt, und ein Dieb verehrt wird. Was auch die Masken erklärt, denn diese Haube, zusammengebunden unterhalb der Nase, ist ein altes japanisches Kostüm für einen Dieb.

Das Odori ist eine alte buddhistische Tradition, welches die Japaner selbst mit einer alten japanischen Tradition zelebrieren: In großen Gruppen auftauchen und die Straßen überfüllen.
Ich hatte schon extra das Fahrrad genommen, um den vollgestopften öffentlichen Verkehrsmitteln zu entgehen, aber trotzdem war der Andrang echt extrem.

Teilweise bekam ich wirklich keine Luft, weil sich asiatische Körper gegen meinen Brustkorb stemmten. Ich konnte nur die Kamera hoch halten, um sie zu sichern und frei Hand ein paar Bilder zu machen, vom Odori, das ich, obwohl ich nur 2 Meter davon entfernt war, aufgrund der vielen Menschen absolut nicht sehen konnte.

Ich weiss nicht wieviel es waren, aber eine Million war bestimmt da:

Für eine Strecke von 50 Metern habe ich ungefähr eine halbe Stunde gebraucht, und dann noch einmal 20 Minuten um in der Menschenmenge den Editor vom Metropolis zu finden.
Zeitweise war ich echt genervt von all den vielen Leuten, das aller erste Mal seitdem ich in Japan bin, aber das gab sich schnell nachdem ich das Festival sehen konnte.

Die gute Laune der Tänzer steckt an und überträgt sich auf die Menschenmasse drum herum. Ihr Tanz war zwar simpel, aber faszinierend. Und simpel genug, um einfach mitzumachen.
Von jung bis Alt waren alle dabei.

Es gab verschiedene Straßenabschnitte wo getanzt wurde, und es traten verschiedene Gruppen auf. Vergleichbares in Berlin wäre wohl nur der Karneval der Kulturen, und mit einer ähnlichen guten Laune und Ernsthaftigkeit wie in Berlin gingen auch hier die Tänzer voran, um die Ahnen zu ehren und das Publikum zu unterhalten.

Mit zunehmender Stunde (das Ganze ging insgesamt drei Stunden), wurden die Tänzer auch leichtfüssiger und gutgelaunter:

Auch wenn Einige es wieder zu ernst nahmen:

Die Reaktionen vom Publikum waren unterschiedlich, jedoch als Motive wunderbar. Es gab die stillen Geniesser:

Die Jugend, die es vorgezogen haben, das Fest nur durch ihre Kompaktknipse zu betrachten, statt selbst mal hinzuschauen:

Und den obligatorischen “Du musst lauter reden, da ist grad ein Festival hinter mir!”-Typ:

Ein paar waren auch nur skeptisch, warum denn alle so komisch gekleidet sind:

Der Umzug bestand aus mehreren Gruppen, die auf verschiedenen, abgetrennten Bereiche der Straße auftraten. Angeführt wurden sie von einer Art Standartenführer, der vorweg tanzte

Dann gab es den, ich nenn ihn mal so, “Kapellmeister, der mit einem kleinen Gong, fester Stimme und starker, richtungsweisender Hand die Gruppe in Reih und Glied hielt:

Die Trommler gaben dann, wenn auch etwas genervt von der Schwere der zu tragenden Trommel, den Takt vor:


Auch die Kleinen wollten es probieren. Doch zuerst wird geschaut wie es geht:

und dann selbst marschiert:

Zwischendrin waren dann die Flötenspieler

Ihnen folgten dann die Tänzer, die Männer dann so:

oder etwas spezieller, so:

und die Frauen in Kleid und extravaganten Hüten, folgten so:

Und nur Japanerinnen schaffen es, in simplen Holzschuhen, die nur auf zwei Holzkanten stehen, elegant zu tanzen:

Pünktlich um neun Uhr endete der Umzug, und die Polizei bat uns freundlich, aber bestimmt, nun endlich zu verschwinden:

Und schon nach 20 Minuten war alles aufgeräumt und abgebaut. Das ich mir eigentlich noch was zu Essen kaufen wollte, nach getaner Foto-Arbeit, schien die Buden nicht zu interessieren.

Aber es war auch ein anstrengender Tag, für alle Beteiligten.

Fototechnisch war ich vom Tanz und Publikum sehr angetan. Nach anderthalb Stunden hatte ich bereits meine komplette Speicherkarte und zwei Rollfilme voll. Auch wenn die Bedingungen nicht die besten waren, in der Nacht und Dunkelheit, und kaum genug Platz um nah ranzugehen. Ständig lief irgendeiner durchs Bild. Die besten Chancen hatte ich frei Hand, was ganz gut funktionierte. Bin ganz froh nun eine neue Kamera zu haben, die konnte mit diesem wenigen Licht sehr viel anfangen.

Für alle, die den Straßenumzug gern mal in Bewegung sehen würde, mit passender Geräuschkulisse:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=bFh059CvMqY&hl=de&fs=1&]

Und nun: Selber machen!