…und am Ende bleibt nur das Echo

Eine junge japanische Band, die ich im Oktober letzten Jahres traf, zu meiner Lieblingsband ernannt habe, und mit der ich Silvester verbrachte, gab im April ihr letztes Konzert. Ich war als Fotograf den ganzen Tag dabei, von der Probe bis der Vorhang fiel.

Sayuri

Die Geschichte der Band FLAVA, der Gründerin und Sängerin Sayuri und mir lässt sich in einigen Blogeinträgen nachlesen, vom ersten Treffen bis zum 7 Stunden Konzert am Silvesterabend. Nach 6 Jahren Bandgeschichte bestand die Band aber eigentlich nur noch aus der Sängerin und Songschreiberin Sayuri selbst, ihre begleitenden Musiker wechselten sich dabei ab und entstammen alle aus einem kleinen, fast schon familären Kreis junger Musiker in Tokyo. Beim letzten Konzert waren auch viele mir bekannte Gesichter dabei.

Alle jungen Musiker beherschten ihr Instrument, spielen seit teilweise schon 10 Jahren. Auch wenn das in Berlin schon reichen würde, als Musiker über die Runden zu kommen, so schaut das in Tokyo weitaus anders aus. So sind alle Musiker nebenbei noch Kellner, Angestellte oder Conbini-Handlanger. Schade um die Zeit, in der sie nicht für andere Menschen Musik machen können.

Das letzte Konzert der Band FLAVA sollte in Adachi stattfinden, der alten Heimat von Sayuri, im Norden von Tokyo. Treffpunkt war in aller Früh auf einem Bahnhof, wo ich sie erstmal nicht fand. Für Sie hieß es nur ‘Such den Gaijin!’, ich musste die Gesichter von viele Japanern abchecken um sie zu finden. Nebenbei leerte ich noch eine Cola, da ich in der Nacht zuvor weniger als eine Stunde geschlafen hatte, da ich noch an irgendeinem Projekt saß.

Ich wurde dann von Sayuri begrüßt. Ihr Englisch hatte sensationelle Fortschritte gemacht, aber auch mein Japanisch, sodass wir nahezu ohne Probleme kommunizieren konnte. Mit ihr zusammen am Bahnhof stand auch ein hagerer, schüchterner Japaner, komplett ohne Englischkenntnisse. Er wurde als der offizielle Fotograf von FLAVA vorgestellt, eine Position die ich heute ebenfalls inne hatte. Für so eine kleine Band wie FLAVA gleich zwei Fotografen, das ist schon was.

In den 6 Jahren Bandgeschichte gab es nämlich schon einen Fotografen, bevor ich dann nach Japan kam. Beim letzten Konzert konnte der dann natürlich nicht fehlen, auch wenn Sayuri meine Bilder ebenfalls schätzt.

Er selbst war kein Profi, er hatte allerdings Fotoretusche und Bildbearbeitung studiert. Trotzdem gab es, nunja, Spannungen auf meiner Seite zwischen uns. Der Grund war, dass wir beide dasselbe machten und in direkter Konkurrenz standen, und seine Kamera.

Er hatte nämlich, im Gegensatz zu mir, eine Kamera die wirklich als professionell bezeichnet werden konnte, dazu auch Objektive im Wert von mehreren tausend Euro, für die er natürlich eine ganze Weile gespart hatte, die aber natürlich eine ganz andere Qualität liefern konnte, als meine Kamera. Wenn wir nun also dasselbe Motiv ablichten, ist sein Bild zwangsläufig besser. Ich versuchte, wie sonst auch, genau das zu vermeiden, doch wenn man nur ein paar Meter zum Bewegen hat, und sich das Motiv (Band auf der Bühne) nicht sonderlich verändert, sind die kreativen Grenzen dann doch gesetzt.

Vor dem Konzert in einer Halle in Adachi ging es noch in ein Studio, dass die Band für eine Stunde gemeinsames Einspielen gemietet hatte. Die Leute in der Band waren allesamt cool drauf und hatten viel Verständnis für die zwei Fotografen, die sich hier im engen Raum mit ihnen aufhielten und ständig rumknipsten.

Der andere Fotograf beobachtete alles still aus der Ecke, sein Objektiv ließ das auch zu. Ich musste mich viel bewegen und nah rangehen für einen guten Schuss. Zudem waren an der gesamten Wandfläche Spiegel angebracht, sodass es schwierig war, nicht selbst im Bild zu sein, oder nicht noch den anderen Fotografen drin zu haben.


Keyboarder


Bassist, mit nach wie vor cooler Frisur


Der Mann am Rhythmus-Gerät

Er hier war auch schon Mitte 30 und ich meinte, mein Bruder ist auch so in dem Alter. Von da an nannte ich ihn ‘Aniki’, was soviel wie ‘Brüderchen’ heisst. Fand er lustig.


Gitarrist

Sayuri gefiel es zu Anfang garnicht, dass wir Fotos machen, so ganz ohne Make-Up und Bühnendress. Also musste kurz nochmal was aufgelegt werden, und los gings.

Gesamt ging es doch recht professionell zu, die Leute beherschten ihr Instrument und nach wenigen Takten hatten sie alle Abläufe für das einstündige Konzert drin. Aufgeregt war keiner – und traurig auch nicht. Ich war tatsächlich der Einzige, der es bedauerte, dass dies schon das letzte Konzert von FLAVA sein sollte. Sayuri lächelte jedesmal nur, wenn ich sie drauf ansprach. Sie will weiterhin Musik machen, und einen Neuanfang beginnen. Nicht, dass die Zeit mit Flava schlecht war, doch die Band war wie gesagt nur noch sie selbst. Für die Zukunft wäre solo vielleicht besser, meint sie.

An dieser Stelle machte sich nun die Cola bemerkbar, die ich auf leeren Magen getrunken hatte. Es rumorte und schmerzte und ich verdrückte mich aufs Klo. Als ich noch auf dem Klo war, war die Stunde rum, die Band machte sich auf den Weg zum Konzert und fragte sich, wo ich denn bin. Mein Magen hatte zwar noch etwas zu sagen, doch die Sitzung auf dem Klo musste ich schnell beenden.
Ich ging zur Band, wartete bis alles draussen waren und ging unter dem Vorwand, ich hätte noch was vergessen, wieder zurück und erklärte dem Betreiber, dass das Klo momentan nicht mehr ganz so frühlingsfrisch aussieht, mit zehn Entschuldigungen obendrein. Der langhaarige Rocker verstand dann endlich und ich machte mich aus dem Staub, bevor er den Status vom Klo überprüfen konnte. Aber ganz ehrlich, warum viele japanische Klos auf Klobürsten verzichten ist mir schleiherhaft.

Wie dem auch sei, an der frischen Luft auf dem Weg zur Konzerthalle krampfte mein Magen nur noch halb so sehr und ich schaffte es Sayuri die 100 schweren CDs abzunehmen, die sie schon durch halb Tokyo schleppte und nach dem Konzert verkaufen wollte.

In der Konzerthalle hatten wir dann etwas Zeit bis zur Generalprobe, die andere mit Essen verbrachten. Der Gedanke an Essen brachte mich wieder aufs Klo, wo ich nur zehn Minuten lang auf dem Boden lag. Irgendwann gings dann wieder, doch 15min später suchte ich wieder das Klo auf, diesmal das einzige westliche Klo im gesamten Gebäude, wo ich eine längere Sitzung begann in der alles rausgeschmissen wurde, was keine Miete zahlte. Danach gings wieder, auch wenn mir noch den ganzen Abend flau war.

Zur Generalprobe hatte Sayuri wieder das Kleid gewechselt.

Die Band machte sich auf einer schrecklich beleuchteten Bühne vor einer gräßlich, langweiligen weissen Wand bereit.

Die Bühne und die Aufstellung, vorgegeben vom Veranstalter, war zu groß und uninspiriert komponiert, meines Erachtens. Zudem gab es strenge Vorgaben, wo wir uns als Fotografen bewegen können und wo nicht.

Seit meinem ersten Konzert-Shooting habe ich einen großen Gefallen daran gefunden. Ich mag die Lichter, die Emotionen, die Atmosphäre, die sich so gut mit Bildern transportieren lässt. Zudem ist es jedesmal ein neue Herausforderung an Kompositions-Technik und Equipment. Allerdings war das Konzertshooting hier, abgesehen von der fabelhaften Musik, nicht sonderlich spaßig, aus verschiedenen Gründen.

Ich suche ja sonst selten nach einfachen Ausflüchten, aber…

Die Top 5 der Gründe warum ich beim letzten Konzert von FLAVA keine guten Bilder machen konnte

1. Mein Magen rebellierte

Mir war entweder nach Kotzen oder Kollabieren.

2. Die Vorgaben vom Veranstalter

Was konkret bedeutete, dass ich nur Fotos von Schräg-Unten-von-der-Seite machen konnte, oder nur komplett im Profil, vom Bühnenrand. Mein Kollege hatte mit seinem 1600€ Tele-Objektiv einen größeren Zoom, konnte also auch hinter dem Publikum Bilder machen und hatte so ein Foto frontal, ich war da technisch etwas eingeschränkter.

3. Die Gewissheit, dass hier noch ein anderer Fotograf rumlungert, der dasselbe macht wie ich, und evtl sogar besser

Sowas drückt irgendwie auf die Motivation.

4. Die gute Musik

Ich wollte lieber komplett zuhören, statt mich auf gute Bilder zu konzentrieren.

5. Schlechte Lichtverhältnisse

Und nicht schlecht im Sinne von “herausfordernd”, schlecht im Sinne von langweilig, statisch, uninspiriert und ohne Atmosphäre.

Platz für 300 Leute gabs, ganz voll wurde es leider nicht. Allerdings war es selbst für Japaner unnötig kompliziert an Tickets zu kommen. Mich hatte Sayuri eingeladen, das galt dann auch als meine Bezahlung.

Viel Üben musste sie jedoch nicht, es wurde nur die Akustik getestet.

Dann ging es wieder in den Aufenthaltsraum, der mit seinen Tatami-Matten aussah wie ein Zimmer in einem Ryokan. Das Konzert an diesem Abend gestalteten zwei Bands: FLAVA mit Sayuri und Sariyajin. Das waren die Flyer:

Links ist Sayuri als Manga-Figur. Sehr gut getroffen, wie ich finde. Die Homepage der Künstlerin findet sich hier.

Die andere Band war auch im Raum, alle Mitglieder waren älteren Semesters. Die Sängerin von Sariyajin und Sayuri machten sich derweil mit Make-Up und Dress bühnenfertig, und waren fortan nicht mehr ansprechbar. Ich spielte derzeit mit der Kamera meines Kollegen rum…

…der wiederum mit meiner rumspielte, wodurch obiges Foto entstand.

Der Gitarrist baute derweil eine Art Rekoder fürs Konzert auf.

Er sieht zwar sehr wild aus, spielt aber in einer Jazz Band und ist ein sehr gelassener Geselle. Ich meinte, so wie er aussieht, spielt er doch bestimmt in einer Rockband. Er sagte nur, ja, das denkt jeder.

Dann ging es endlich auf die Bühne.

Das letzte Foto bevor der Vorhang sich öffnete. Ich war wohl aufgeregter, als alle in der Band zusammen (weswegen das Foto auch verwackelt ist)…

Die Musik fing an zu spielen und der Vorhang hob sich.

Nun will ich garnicht mehr so viel schreiben, sondern einfach nur Impressionen zeigen.

Mit viel Gefühl in der Stimme bewegte sie das Publikum.

Und sie spielte die Klanghölzer.

Keine Ahnung wer Sie war, sie tauchte irgendwann auf und wurde dem Rest der Band auch nicht vorgestellt…

Und heute für Euch an der Kamera: Fritz!

Sayuri genoss es, wieder für Menschen singen zu können. Und auch wenn das ihr letzter Konzert war, nie zeigte sie auch nur eine Spur von Trauer. Ich glaube, dafür ist sie auch ein viel zu positiver Mensch, der sich mehr auf die neuen Herausforderungen nach FLAVA freut.

Auch wenn FLAVA natürlich immer nur sie war, ohne Band.

Das letzte Lied…

…und dann gab es FLAVA nicht mehr.

Mit einem Lächeln verließ sie die Bühne und ging in den Vorraum zum Saal, CDs verkaufen, Freunde begrüßen und Autogramme geben.


Verkaufsstand

Ich wurde dann natürlich auch oft als der Fotograf aus Deutschland vorgestellt, woraufhin dann immer alle ‘ooooohhh’ machten – und mir ihre kleine Digitalkamera in die Hand drückten, zum Gruppenfoto.

Nach all den Autogrammen, verkauften CDs und Gesprächen mit Fans, bat ich Sayuri noch um ein Portrait…

…vor einem absolut gräßlichen Hintergrund. Doch sie wollte nicht mehr große Anstrengungen unternehmen für ein Foto. Dafür gabs heut schon genug Gepose, Gestelle und in die Kamera Gelächle. Sie war müde, auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen wollte.

Die Band machte sich dann auf ins Izakaya, ich blieb noch mit Sayuri zurück und half beim Verkaufen und Einpacken. Ich hörte auch noch Sariyajin, der Folgeband zu. Sariyajin ist ein Begriff aus dem Anime und Manga Dragonball, dementsprechend bestand deren Reportoire an Songs auch aus vielen Anime-Klassikern.

Sariyajin setzte dabei auf viele klassische Instrumente. So gab es einen Flügel auf der Bühne, eine Violinistin, ein riesigen Contrabass und auch verschieden große Trommeln. Zusammen spielten sie dann ein Lied, dass ich seit über 10 Jahren schon kenne und gerne höre: “Yakusoku wa iranai”, geschrieben von Yoko Kanno, gesungen von Maaya Sakamoto.

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Ich kannte es bisher nur als mp3, hiernun hörte ich es in einer fantastischen Version live. Ich hatte Gänsehaut und seitdem hört sich die mp3 so leer an…

In Sariyajin spielen wie gesagt Leute älteren Semesters, mit umso mehr Erfahrung. Die Violinistin spielt nun schon seit 20 Jahren(!), der Piano-Spieler (der bei der allgemeinen Vorstellungen der Bandmitglieder das 7-11 Conbini Intro spielte) nun schon seit 15 Jahren. Trotzdem können Sie nicht davon leben. Ich hab der Sängerin dann gesagt, dass ich Yoko Kanno ebenfalls schätze und ihr sehr dankbar bin, für diese Liveversion und ihr kamen fast die Tränen.

Mit Sayuri bin ich dann zum Izakaya. Auf dem Weg hab ich mein Deutsch-Japanisch Wörterbuch vergessen und sie ihr Songbuch. Beides kam dann zwei Tage per Post vom Veranstalter zu uns nachhause.

Im Izakaya saß die ganze Band, erschöpft und zufrieden. Ich trank dann mal einen Tee, das erste mal wieder was im Magen seit 8 Stunden. Sayuri verteilte etwas Geld, was vom Abend durch CD Verkäufe und vom Veranstalter rumkam. Sie hatte allerdings den Konzertsaal gemietet, nicht der Veranstalter die Band. So läuft das in Tokyo.

Ich fragte die Bandmitglieder wieviel es gab, sie wussten es nicht und es war ihnen auch egal. Sie machen das nicht fürs Geld. Ich betone das nochmal: Sie spielen jahrelang Musik auf der Bühne nicht für Geld, sondern weil sie Freude dran haben. Umso sympathischer ist dann ihre Musik.


Das letzte Gruppenfoto

Kirschblütenblätterregen

Ein Klient hatte mich zum Hanami im Inokashira Park in Koenji eingeladen, am letzten Wochenende der Kirschblütensaison 2010. Der Wind ließ die Blüten regnen.

Zu Kirschblüten und Japanern wurde schon soviel geschrieben, jedes Jahr aufs Neue das Gleiche oder Ähnliches. Ich hab nur eins dazu zu sagen: Wenn Bier und Wurst einmal im Jahr auf Bäumen blühen würde, hätten wir diese kollektive, blinde Begeisterung in Deutschland auch. Und ja, ich würde Wurstbäume begrüßen.

Ich hatte ein Shooting am Freitag und der Klient lud mich dann am folgenden Sonntag zum Hanami (Picknick unterm Kirschbaum) im Inokashira Park in Kichijoji ein. Es sollte auch mein ehemaliger Mitbewohner kommen, der mich damals an ihn vermittelt hatte.
Hanami ist, wenn man es ehrlich betrachtet, auch nur eine Gelegenheit zum kollektiven Saufen – etwas was mich eher abschreckt. Aber da ich in diesem Jahr, in dem ich in Japan bin, arbeits- und krankheitsbedingt kaum etwas von den Kirschblüten mitbekommen habe, wollte ich mir das mal geben. Ich bin zwar kein Blumen-und-Blüten-Fotograf, und ein Motiv was alle anderen schon millionenfach fotografiert haben, finde ich eher unspannend, doch was soll man machen, es ist nun mal Kirschblüten-Saison in Japan…

Bei 23°C und Sonnenschein bin ich mit dem Rad die 10km zum Inokashira Park gefahren, eine schöne Strecke durch ruhige Gegenden mit kleinen Häusern. Schon auf dem Weg zum Park konnte man lauter Kirschblütenbäume sehe, die einfach mal massig in Japan angepflanzt sind – für ihre drei Wochen Ruhm im Frühling.


Der Park hat einen mittelgroßen See, den man mit ausgeliehenen Tret- und Ruderbooten befahren kann

Ich kam drei Stunden später als eigentlich angesagt wurde. Ich hatte Anfang März schonmal ein Shooting im Inokashira Park, hatte aber keine Zeit mir den damals genauer anzuschauen. Also lief ich erstmal umher und suchte die Leute. Ein Haufen Ausländer findet sich bestimmt leicht, dacht ich. Doch denkste, unter den tausenden trinkenden, johlenden Gruppen konnte ich die betrunkenen Gaijins nicht ausmachen, zumal die einzigen Beiden, die ich kannte, nicht anwesend waren, wie ich später erfuhr. Was solls, dachte ich, geh ich halt rum und mache Bilder.

Andere dachten ebenso, obwohl sie den Pinsel statt Kamera nutzten.

Na, alles perfekt?

Lieber noch mal nen Strich nachziehen…

Andere genossen lieber still.

Andere checken die Kamera ob auch alle Kirschblüten es in Pixel geschafft haben.

Ich bin dann zu einem kleinen Schrein gekommen, wo eine Art Aufführung und Programm lief. Alte und junge Menschen in Masken und klassischen Kostümen, traditionelle Musik und Gedöns.

Der Schrein ist Benzaiten gewidmet, einer “rachesüchtigen Liebesgöttin”, die ursprünglich aus Indien stammt und im Laufe der Jahrhunderte irgendwie japanisiert wurde. Zudem prangte überall im Schrein das Wappen des Hojo-Samurai Clans (dazu hier mehr, mehr so mittig im Artikel). Wie sich das alles im Laufe der Geschichte zusammengefunden hat, und ob die es da nur aufgebaut haben, weil sie es voll cool fanden, das mag man heut nicht mit Bestimmtheit sagen. Es ist jedoch allgemeiner Aberglaube, dass Benzaiten dafür verantwortlich ist, dass Paare, die sich eben diese Boote auf dem See ausleihen und romantische umhergondeln, nach dem Ausflug flugs trennen.

Ob jetzt ein Gott dafür verantwortlich ist, oder einfach die Situation, mit seinem Partner auf einem engen Raum isoliert zu sein, sich dabei heftig zu konzentrieren, damit man die vielen anderen Boote nicht rammt und dabei Manövriertipps vom Partner hören muss – es sei dahingestellt.

Dazu ein Schlag aus meiner Jugend: Im Sommer 2003 machten wir eine Klassenfahrt in die Tschechische Republik, erst in die Bergen und dann nach Prag. Mein Lieblingslehrer, den ich bis heute schätze und mit dem ich in Kontakt bin, war damals Klassenlehrer. Er ist leidenschaftlicher Ruderer, das bedeutete also für fast jeden Wandertag und Klassenfahrt einen Ruderausflug (später hatte ich dann bei ihm auch einen Ruderkurs).
Ich war im Boot mit einem meiner besten Freunde – doch am Ende des Tages hatte ich die Schnauze voll. Ich war so angepisst, 6 Stunden harte, körperliche Anstrengung in einem Scheissboot mitten auf einem scheisstschechischen Fluss zu sein. Rudern strapaziert die Nerven, ist aber ein prima Beziehungstest. Achja, er ist weiterhin einer meiner besten Freunde.

Inzwischen hatte ich auch endlich eine Antwort auf die Nachricht, die ich an meinen Klienten geschickt hatte (“Wo seid ihr??”). Er meinte, ich soll eine Kiko anrufen. Das tat ich auch, auch wenn die von nix wusste. Irgendwie schafften wir es dann, uns zu treffen und ich kam zur Gruppe meines Klienten. Er selbst war seit Stunden verschollen und mein ehemaliger Mitbewohner ist nicht gekommen. Untereinander kannten sich alle auch kaum, was, gepaart mit Alkohol, eine prima Basis für offene Gespräche lieferte, da es keine etablierten Grüppchen gab. Es war von 10 Leuten nur eine Japanerin, der Großteil amerikanisch (und betrunken). Ich fragte nur nach Tee, verteilte meine mitgebrachten deutschen Gummibärchen und machte mich beliebt.

Als der allgemeine Alkoholpegel ein unangenehmen Level erreichte, zog ich es vor Bilder zu machen.


Ist mir leider erst im Nachhinein aufgefallen aber: Achtet mal auf links unten im Bild. Die Frau rudert und der Kerl liegt bräsig im Boot ^^

Bevor wieder einer mault, im obigen Bild habe ich etwas getrickst – und zwar schlampig. Ich fand das Motiv mit der Dame recht schön, nur sitzt hinter ihr ein Typ, den wollt ich wegretuschieren. Ich lade jeden ein, es besser zu tun als ich, hier ist das Original.

Der Wind wurde immer kräftiger und pustete schon eine ganze Weile die Blüttenblätter durch die Bäume und aufs Wasser. Auf einmal kam ein recht heftiger Windstoss und alle im Park machten “Oooooooohhhhh!”. Alle. Ein wahrer Blütenregen setzte ein, verstummte jede Konversation und ließ jeden Menschen im Park nur auf diese Naturpracht schauen.

Wie Schnee im Frühling.

Diesen Moment im Park, diesen Moment der kollektiven Begeisterung, den teilten wirklich Alle. Jung und alt, Japaner oder Ausländer. In dem Moment zählen die Kirschblüten mehr als alles anderes. Vielleicht macht diese kollektive Begeisterung für etwas Reines und Schönes die Faszination von Sakura aus – mehr noch als “wir pflanzen sie an, weil sie halt schön sind” (Zitat einer japanische Freundin)

Ich hätte gern ein Model gehabt, sie in die Mitte von dem Blütenregen platziert und Lächeln lassen. Das hätte mehr Lebensgefühl ausgedrückt als all die gezückten Kamerahandys und geöffneten Bierdosen. Apropos…

Ein deutscher Blog beschreibt die Kirschblüten bzw. die Anbetung dieser in Form von Hanami als “Hanami drückt die Einheit von Yin und Yang vielleicht am besten aus”. Wie ich dort schon als Kommentar schrieb, sehe ich es anders. Hanami ist eher die Einheit von Kamerahandy in der einen, und Bierdose in der anderen Hand.

Hier noch ein paar unsortierte Impressionen:

Als die Sonne sich langsam verabschiedete und dunkle Wolken auftauchten, verabschiedete ich mich. Mein Klient tauchte dann übrigens doch noch auf. Ich erlebe ihn sonst nur immer als sehr konzentriert und nachdenklich, es war angenehm ihn mal unbeschwert und voll guter Laune zu erleben. Er war jedoch auch schon sichtlich angeheitert. Er stellte mich dann als besten Portraitfotografen in Tokyo vor, was ich nicht unbedingt schlecht fand.

Ich bin dann eine(!) Stunde im Park umher geirrt um mein Fahrrad zu finden, und eine weitere Stunde rund um Kichijoji um den Weg nach hause zu finden. Zwischenzeitlich bin ich dann wieder im Park gelandet, ohne eine Ahnung wie.

Mein Fazit: Sind schon schön, die Sakura – aber ein Wurstbaum hat dann doch irgendwie mehr Substanz.

“Kommt alle, die Glück suchen, nach Tokyo”

Obiger Titel ist ein Zitat aus der deutschen(!) Version von “Honey Tokyo“, einem neuen PR-Anime-Film zur Stadt Tokyo.

Ich arbeite zwar indirekt für die Stadt Tokyo, und direkt für die deutsche Abteilung der Tourismusabteilung, aber das ist nicht der Grund, warum ich diesen PR-Film, der Anfang des Monats online ging, für berichtenswert halte. Das Anime Studio, dass den 10-minütigen Film produziert hat, ist nämlich das Studio 4°C, welches, wie ich schonmal erwähnt hatte, zu meinen Lieblingsstudios gehört.
Eigentlich ist der Stil von 4°C viel zu speziell, um es in einem Mainstream-Touri-Promotion-Film zu nutzen – dass die Stadt Tokyo es trotzdem gemacht hat, finde ich sehr cool.

Und irgendwo macht es auch Sinn: Das Studio 4°C ist international bekannter und beliebter als in Japan selbst. Möchte man nun Touris aus dem Ausland gewinnen, hat man mit dem Studio vielleicht mehr Glück, als mit einem langweiligen Beitrag von Toei-Animation beispielsweise (die eher Massenware machen).

Die Story ist wie folgt: Honey, eine Japanerin (?) aus der Zukunft, kommt ins heutige Tokyo um das Glück bzw. die “Seele” zu finden, die es in der Zukunft nicht mehr gibt. Sie selbst ist dabei recht gefühllos und kommt wie ein Roboter daher. Sie sammelt dann einen Jungen auf der Straße von Tokyo ein und fliegt dann ziemlich hektisch mit ihm in Tokyo umher. Vorher sammelt sie sein Glück ein, indem sie ihm die Farben aussaugt und Schwarz-Weiss macht. Bei ihrem hektischen Flug durch Tokyo sammelt sie dann überall das Glück bzw. die Farben ein, um es für die Leute in der Zukunft zu sammeln.

Das alles solange, bis der Junge Honey bittet, endlich damit aufzuhören, sich Zeit zu nehmen und Tokyo mal ruhig und entspannt zu erleben. Das Tempo des Films ändert sich merklich, es wird ruhiger und wärmer. Zusammen klappern sie dann Touri-Spots, Tempel und Restaurants ab. Honey findet mehr und mehr Gefallen an Tokyo und wird auch menschlicher.

Es endet dann, zugegeben etwas kitschig, damit, dass sie sich in Tokyo und den Jungen verliebt.

Trotzdem ist der Anime Kurzfilm von Regisseur Yasuhori Aoki, der gleichzeitig auch das ungewöhnliche Character-Design übernahm, mehr als nur ein PR-Film. Ich persönlich sehe es so:

Die Dame aus der Zukunft steht für den allgemeinen, gehetzten Tourist aus dem Ausland. Zukunft bedeutet hierbei eben “aus einer anderen Welt”, wo die meisten Touris eben herkommen. Und genau wie die meisten Touris hetzt sie zu Beginn durch Tokyo, um möglichst viele Sehenswürdigkeiten mitzunehmen. Den Prozess des “Farbe aus dem Ort nehmen” kann man auch schön so sehen, als ob sie überall hingeht, nur um Fotos vom Ort zu machen, um sie zu hause zu zeigen – ohne sich wirklich Zeit zum verweilen zu nehmen.

Die Quintessenz des Anime ist dann eben nicht nur “Kommt nach Tokyo” sondern “Nimm dir Zeit, verdammt, und hetz nicht von einem Ort zum anderen”. Dabei gibt es eine wunderbare Balance zwischen Story, PR-Bildern, Botschaft, Kommerz und Gefühl. Sowas kriegt auch nur das Studio 4°C hin.

Der Film endet damit, dass Honey wieder nach Tokyo kommt – und viele Leute aus der Zukunft mitbringt. Und die Touri-Flut der Menschen aus der anderen Welt beginnt…

Den Film gibts mit Untertiteln in insgesamt 8 Sprachen und eben auch in Deutsch:

-> Weblink: Honey Tokyo

Die goldenen Gassen von Shinjuku

Zugegeben, ein etwas dramatischer Titel für einen kleinen Bereich voller Bars und Bars und Bars – die Shinjuku Golden Gai

Für den Tokyoguide zu Shinjuku bin ich auch durch die Shinjuku Golden Gai gezogen, einem Ort, von dem ich vorher wenig gehört hatte, und der so versteckt liegt, dass man ihn nicht findet, wenn man nicht weiss, wo er ist. Ich musste auch lange suchen. Die Wegbeschreibung klingt auch, als ob sie aus einem Märchen stammt:

Hinter dem Rotlichtviertel Kabukicho liegt ein Tempel, dahinter, zwischen zwei großen Bäumen hindurch, führt eine Straße durch einen kleinen Wald. Links davon ist dann die Golden Gai.

Und was soll ich sagen, irgendwo hatte die Beschreibung recht.

Das ist der Weg, ein Steg über Gras, zwischen Bäumen hindurch. Die Anzahl und Dichte der Bäume hier, versteckt hinter ein paar Häusern, ist in Shinjuku echt aussergewöhnlich.

Mir kam das alles vor wie aus einem Anime, so ein fantastisches Setting, Natur trifft Großstadt.

Und überall elektrische Geräte an den Wänden und ein Kabelwirrwarr zwischen den Ästen.

Nur am verrosteten Straßenschild kann man dann erkennen, dass man es endlich gefunden hat.

Die Golden Gai – das sind verschiedene kleiner Gässchen, mit einer Gesamtfläche von gerade mal 2km², auf der sich Bars dicht an dicht drängen.

Einige sind dabei gerade mal so groß, wie die Eingangstür breit. Insgesamt werden es wohl mindestens 1000 Bars sein. Wie die sich alle halten können, ist mir ein Rätsel. Einige spezialisieren sich stark, wobei dann ziemlich absurden Bars und Sprüche an der Tür herauskommen.


Na ob das wirklich eine japanese hentai Bar ist….

Die Golden Gai ist bzw. war allgemein als Künstlerviertel verschrien. In den 70er Jahren drängten viele junge Künstler in die kleinen Bars, dazu kamen Regisseure, Mangaka, Schreiber… Mit der Zeit wurden die Künstler älter und gingen, oder blieben sporadisch. Trotzdem kommen noch viele hierher und suchen den Geist vom alten Golden Gai, und folgen dem Ruf, von dem sie gehört haben.

Die “Gaijin-Problematik”, also wie man mit Gästen umgeht, die die eigene Sprache nicht sprechen, wird unterschiedlich gelöst. Einige locken Englisch-sprechende Kunden stark an, und kassieren dann auch stark ab, mit 1000yen Eintritt zu den 6m² der Bar. Andere wiederum schreiben in Englisch an die Wand: “Hallo Ausländer, wenn du nur das hier lesen kannst, brauchst du gar nicht erst durch unsere Tür kommen”.


Life is a bitch, but I love bitch and bitch loves me

Nette Lebensphilosophie. Komplett mit Diskokugel.

Zwischen den Gassen und den Bars, gibt es dann nochmal kleinere Durchgangsgassen.

Einige zappenduster.

Und Kabel überall…

Eigentlich gibts dort ein strenges Fotografierverbot, überall weisen Schilder daraufhin. Und bei Nacht, wenn Betrieb ist, wird das wahrscheinlich auch stärker forciert. Ich hatte im Tageslicht mehr Erfolg, allerdings kann ich so auch nicht für die Golden Gai bei Nacht sprechen. Ich werds mir bei Gelegenheit mal geben.

Mir gefallen die kreativen, kleinen Bars, auch wenn viele deutlich “Abzocke!!” schreien. Ob sich in der Golden Gai immernoch viele Künstler auf- und unterhalten und sich betrinken kann ich hier und jetzt nicht sagen. Mittlerweile weiss ich aber, dass es in Tokyo bessere Plätze gibt, um Kunst zu zeigen und mit anderen ins Gespräch zu kommen.