Ho-Ho-Hokkaido Kapitel 1: Das weite Land

Mit Local-Trains von Shinjuku nach Sapporo, durch die weite Tôhoku-Region im Norden Japans bis zur Schneelandschaft von Hokkaido. Eine Reise von 7 Tagen und vielen Stunden im Zug. Viele Menschen habe ich entlang des Weges getroffen, ein anderes Japan erlebt und bin durch Schnee gestapft. Hier nun das erste Kapitel, der erste Tag der Reise, von Hatsudai nach Sendai…

Das hier ist eine Animation, sollte sie nicht korrekt angezeigt werden, klickt drauf oder sagt mir Bescheid.

Prolog

Durch Japan zu Reisen ist durchaus lohnend. Vorallem um aus dem gehetzten, gestressten, überfüllten Tokyo einmal rauszukommen. Da das Geld bei mir chronisch knapp ist, versuche ich immer kostengünstig zu reisen. Eine günstige Alternativen, ich hab es schon mehrmals erwähnt, ist das Seishun-18-kippu, mit dem man für nur 11.000yen zu bestimmten Zeiten im Jahr, für fünf Tage überall in Japan den Zug benutzen kann, ausgenommen den Shinkansen oder alles sonstige, was sich schneller bewegt als ein Fahrrad. Übrig bleiben tun da nur die Local Züge, die eigentlich nur für kurze Strecken gedacht sind. Das japanische Zugnetz ist allerdings so ausgeklügelt gebaut, dass man sich nur mit Local Trains von Fukuoka bis nach Sapporo bewegen kann. Auf meiner Reise traf ich auch tatsächlich einen, der das genau so machte.


Die gesamte Reisestrecke nach Sapporo

Die Local Trains sind, wie schon erwähnt, nicht gerade die schnellsten. Nach Sapporo habe ich so drei Tage gebraucht, die ich größtenteils im Zug verbrachte.
Doch bereut habe ich diese Zeit nicht. Man sieht mehr vom Land, als im Flugzeug oder in einem Shinkansen, der nur vorbeirauscht. Man fährt durch kleine Ortschaften, wo die lokalen Bewohner ein- und ausstiegen. Einige Züge waren nur einen Waggon lang und fuhren nur einmal in der Stunde, oder gerade einmal fünfmal pro Tag. Das ist Reisen – und eben nicht nur von A nach B kommen.

Kapitel 1: Das weite Land

Meine Reise begann mit Augenringen. Ich hatte in der Nacht zuvor gerade einmal eine Stunde geschlafen, um möglichst früh aufzustehen und den Zug zu nehmen. Vorher musste ich jedoch zur Bank und dann überhaupt das Ticket kaufen. Da 7/11 sich zu dem Zeitpunkt, Mitte Dezember, entschlossen hatte, ihren ATM Service für ausländische Karten einzustellen, hatte ich erstmal kein Reisebudget. Ich bin dann in voller Montur wieder nachhause und fragte meinen Mitbewohner, der mich zum nächsten Post Office schickte, wo ich dann 30.000yen abhob. Ich hoffte das würde für die gesamte Reise reichen, doch, nunja, das tat es nicht.


Hatsudai nach Sendai

Ich konnte die Reise auch nur machen, weil ich zuvor einen Artikel + Fotos verkauft hatte, und meine Eltern etwas halfen. Trotzdem passte ich auf, nicht zu viel auszugeben.
Am Tag zuvor informierte ich mich noch über die Route im Reisebüro. Die Dame dort hielt mein Vorhaben zwar für ziemlich verrückt, fand es dann aber doch so spannend, dass sie mir viele Infos gab und Zugstrecken ausdruckte, an die ich mich wunderbar halten konnte. Sie wünschte mir dann noch Viel Glück. Ich konnte es brauchen.
Meine Mitbewohner meinten dann noch zum Abschied, dass ich mich definitiv verfahren werde, und entweder früher nachhause komme, weil ich aufgebe, oder später, weil ich nicht nachhause finde.

Ich betone nochmal dass ich kaum Japanisch kann, weder sprechen noch lesen. Es war schon ziemlich verrückt sowas anzugehen, und zu dem Zeitpunkt war ich mir sicher, dass kein Gaijin zuvor diese Strecke fuhr, die so abseits von allem liegt und so mitten im Nirgendwo.

Bis zum ersten Foto sollte noch eine Weile vergehen, das obige ist gemacht in Omiya. Leider nicht im Bild: der etwas ältere Herr, der mit einem imaginären Golfschläger sein Handicap verbesserte.

Ich hatte einen dicken Rucksack dabei, indem viele Klamotten waren. Weil Hokkaido is ja kalt, ne?

Meine Strecke alleine mit Local Trains war in etwa so:

SHINJUKU

* JR Tohoku Line

transfer UTSUNOMIYA

* JR Tohoku Line

transfer KUROISO

* JR Tohoku Line

transfer KORIYAMA(FUKUSHIMA)

* JR Tohoku Line

transfer FUKUSHIMA(FUKUSHIMA)

* JR Tohoku Line

SENDAI(MIYAGI)

Und die ganze Liste, von Shinjuku nach Sapporo war noch bedeutend länger…

Der Zug führte durch das weite Land der Tôhoku Region. Während ich im Zug saß, las ich im Lonely Planet etwas über das Gebiet, durch das ich da fuhr. Es ist recht dünn besiedelt und Touristen verirren sich kaum hierher. Ich kann es nachvollziehen. Einzigartigkeiten, die sich gut auf Postkarten oder Touri-Bilder für zuhause machen, findet man hier wenig. Natürlich gibt es Onsen, Wälder, Berge und Reisfelder, doch es ist natürlich nicht so einprägsam wie ein Tokyo oder Kyushu. Doch gerade dieses weite ‘Nichts’ fand ich sehr angenehm.

Leider konnte ich das in einem Foto nicht so gut abbilden, aber guckte man aus dem Fenster, links und rechts, so war da einfach nur Feld, mit verstreuten Häusern und einem Berg am hinteren Horizont. Die Zugstrecke führte durch die Felder, mit dem Zug als einsamen metallenen Objekt im großen, weiten Grün. Für das perfekte Bild hätte ich aus dem Zug aussteigen müssen, doch das war im Reise- und Zugplan leider nicht drin.

Die Züge waren stets recht spärlich gefüllt. Das ich für mehrere hundert Kilometer der einzige Blonde im Zug war versteht sich von selbst.

Von Shinjuku an lief alles reibungslos, die Züge kamen oft und schnell, warten musste ich kaum. Der erste große Stopp war in Koriyama, wenn ich mich soweit richtig erinnere. Ich kam so gegen 13 Uhr dort an, nachdem ich gegen 11 Uhr meinen ersten Zug genommen hatte und Utsunomiya passierte (wo ein gewisser anderer Herr mal 5 Wochen lang drüber bloggte).

Kuroiyama war ziemlich tot. Ich bin einmal die Hauptstraße runter und wieder zurück.

Es gab nix besonderes zu entdecken, was mich dezent frustrierte.

Also bin ich wieder zurück zum Bahnhof wo es wenigstens einen Conbini gab. Nach einer Weile kam dann endlich mein Zug. Der Bahnhof war menschenleer, trotzdem ertönte überall eine automatische Ansage, was es etwas gespenstisch machte. Ich war der Einzige, der es hören konnte, doch ich verstand es nicht.

Weiter durchs weite Land.

In dem Zug würde ich jetzt über ne Stunde sein, Zeit ein wenig rumzuspielen.

Ich begann mir Gedanken über die Dörfer und Bewohner zu machen, die hier so weit draußen wohnen. Warum wohnt man hier? Können die Bewohner was interessantes oder aufregendes machen? Oder existiert nur der Alltagstrott vom täglichen Leben und gelegentlichen Fernsehkonsum. Auch wenn es natürlich sehr arrogant ist, so als Vorbeifahrer Urteile über das zu Fällen, was draußen vor dem Fenster passiert.

Die Sonne begann sich langsam zu senken und der Himmel zog sich zu.

So langsam merkte ich auch, wie schlecht es war mit nur einer Stunde Schlaf zu starten. Zu diesem Zeitpunkt wollte ich nur nach Hause, dort steht mein weiches Bett. Ich war zwar erst 5 Stunden im Zug, doch es ging nich mehr. Würde ich noch weiter fahren, würden mir irgendwo in der Pampa die Augen zu fallen und ich würde sonstwo landen. Im Lonely Planet suchte ich nach einem preiswerten Hostel in der nächsten Stadt. Das war zu dem Zeitpunkt Sendai. Hatte ich nie vorher gehört, schien aber laut Lonely Planet ganz interessant zu sein.

Der Lonely Planet hatte recht.

Im Lonely Planet stand etwas von einem Hostel, das früher ein Bauernhaus war. Das klang cool, da wollte ich hin. Im übervollen Hauptbahnhof von Sendai fand ich dann die Touri-Zentrale, wo ich, mit vorgefertigten Sätzen aus dem Lonely Planet, nach dem Hostel fragte. Sie haben zwar ne Weile gebraucht bis sie mich verstanden haben, und hatten mittendrin auch echt die Lust verloren, es mir zu erklären, doch irgendwie klappte es dann doch.

Das Hostel war etwas ausserhalb, also musste ich nochmal den Zug nehmen. Mit dem Seishun-18-kippu alles kein Problem. Ich bin dann irgendwo in einem Gebiet angekommen, dass vorher wohl für Gewerbe reserviert war, und davor Farmland war. Heute begann sich ein Wohnviertel auf dem teilweise noch brachen Land breit zu machen. Ich fragte den Bahnfutzi in der Station nach dem Hostel. Das heisst, ich fragte nicht, er sah meinen Rucksack, lächelte und meinte: “Hoseteru?”. Ich grinste und sagte “Hai!”. Endlich einer der mich versteht.

Er hatte bereits eine Karte parat, die er mir nochmal ordentlich erklärte. Ohne wär es auch hoffnungslos gewesen zu finden. Aber mit dem Hostel hatte ich wiedermal Glück.

Es war ein traditionelles Haus und ich war in dieser Nacht der einzige Gast. Der einzige, im gesamten Haus.

Man hatte erst Bedenken, ob ich mit meinem Japanisch zurechtkomme, aber wenn ich eins verstehe dann einen Zeigefinger, der auf alles Relevante im Haus deutet. Ich hatte einen ganzen Raum für mich, der sogar noch unter 2000yen kostete, wenn ich mich recht entsinne…

Meine Laune besserte sich schlagartig:

Und nachdem ich auch meinen schweren Rucksack abgelegt hatte, fühlte ich mich auch wieder lebendiger. Ich merkte den Hunger, der mich seit der letzten heissen Nudelsuppe in der Bahnstation Utsonimya plagte. Essen gabs im Hostel keins, also bin ich wieder nach Sendai rein.

Im Zug, der auch vom Flughafen Sendai zur Stadt führte, saßen dann drei Deutsche in meinem Wagen. Einer davon versuchte bei einer der begleitenden Japanerinnen zu landen, indem er in Englisch von seinem gestrigen Instant-Nudelsuppen Abenteuer erzählt hat. Die Japanerin nickte höflich mit, lachte wenn er lachte – und verstand null.

Doch mal ernsthaft, was machen Deutsche in Sendai? Einer bloggt(e) ja von da, vielleicht weiss er es…

Angekommen in der Stadt und die Erinnerungen an das Tokyo, das ich verlassen habe, kamen wieder hoch.

Rund um den Bahnhof war Hektik, Stress, Lichter und Menschen.

Auf dem Weg zum Hostel habe ich vom Zug aus mehrere beleuchtete Türme gesehen, die mich interessierten. Ich bin dann also nochmal im Touri-Büro vorbei um zu fragen was das ist – und auch um sie nochmal ein wenig zu ärgern. Das waren mehrere Fernsehtürme, die in verschiedenen Farben leuchteten. Insgesamt fünf an der Zahl, alle um Sendai verteilt und um die 150m hoch. Aber nicht offen fürs Publikum. War leider auch schwierig zu erwischen, aber hier, die Lichtsäule links im Bild.

Nachdem ich mich dann in einem Konbin gestärkt habe, wollte ich mir das Schloss von Date Masamune anschauen, bzw. das was davon übrig war.
Date Masamune war bzw. ist ein ziemlich bedeutende Figur in der Tôhoku Region, über seinen Namen sollte ich noch mehrmals stolpern. In Sendai hatte er als Daimyo sein Schloss, von dem nur noch das Steinfundament steht. Doch genau das wollte ich sehen.

Ich hatte irgendwie ne Karte, und auch ab und an nach dem Weg gefragt, doch irgendwann habe ich mich hoffnungslos verlaufen. Ich fragte einen Studenten nach dem Weg und er meinte: “Dann gehen wir zusammen hin.” So traf ich Tomihari.


Ich meinte zu ihm “He, guck mal wie Date Masamune”

Tomihari ist ein Jura-Student. Er würde gerne Anwalt werden um Menschen zu helfen. Er mag deutschen Fussball und sein Englisch ist passabel. Manchmal stockte es etwas, doch im Groben und Ganzen konnten wir uns gut verständigen.

Er wusste garnicht wie oft er schon hier oben beim Schloss war, als Schüler geht man hier regelmäßig hoch in Sendai. Ohne ihn hätte ich es auch niemals gefunden, der Weg war nicht beleuchtet und kaum ausgeschildert.
Tomihari meinte auch ständig “noch 5 min”, doch es streckte sich… Das Problem war, dass mein Hostel um 21:00 Uhr die Tür abschließt, ob ich da bin oder nicht. Daher hatte ich etwas Druck.

Hier mal ein kleiner Exkurs zu Tôhoku und seinen Bewohnern: Da Tôhoku, wie gesagt, recht weit gestreckt ist, neigen die Bewohner dazu, Entfernungen falsch einzuschätzen und Distanzen falsch anzugeben. Fragt man also wie weit der Weg ist, und man krieg 5 min gesagt, kann man ruhig mal 10min dazu addieren. Daran musste ich denken, als mich Tomihari zum Schloss führte.

Irgendwann kamen wir dann und hatten einen wunderbaren Ausblick auf Sendai.

Diesen Moment der Stille, im Schatten vom Arsch von Masamune’s Pferd (oder zumindest seiner Statue)…

…wollten wir festhalten.

Und, nunja, ist wohl ganz gut, dass Tomihari Anwalt wird, und nicht Fotograf 😉

Sendai und die gesamte Tôhoku Region ist mir echt sympathisch. Die Menschen sind offener, weniger gestresst und neugieriger am Fremden, als in Tokyo. Sendai ist zudem auch ein wichtiges Zentrum für Anime und Manga, viele Zeichner stammen aus der Umgebung und Sendai hat schon mehrere Modetrends gesetzt. Eine leicht zu übersehende, aber nicht zu unterschätzende Perle im Norden.

Tomihari und ich konnten dann zum Glück noch den Bus zum Bahnhof erwischen und ich schaffte es noch rechtzeitig ins Hostel, wo ich dann auch schnell einschlief.

Der nächste Morgen begann früh, um halb sechs. Ich wollte möglichst früh den ersten Zug erwischen und Strecke machen. Vorher musste ich allerdings etwas gegen die Kälte tun, die über Nacht durchs Haus gekrochen ist, und es an den Fenster kondensieren ließ.

Ein Blick aus dem Fenster.

Es sah nicht gut aus, doch was solls, ich wollte weiter. Noch ein kurzer Blick auf das Haus zum Abschied…

…und weiter gings, Richtung Norden. Noch an diesem Tag sollte ich den ersten Schnee sehen, doch Hokkaido war noch weit weg….

Ho-Ho-Hokkaido:
Kapitel 1: Das weite Land
Kapitel 2: Lange Unterhosen FTW
Kapitel 3: Winterwunderland
Kapitel 4: Eiszapfen und das beste Klo der Welt
Kapitel 5: Der Wind bläst südwärts
Kapitel 6: Eingefrorene Samurai
Kapitel 7:Das Ende der Reise

Wie konnte das nur passieren?

Wie mein Foto auf das Cover einer Zeitschrift in Japan gelangte.

Cover vom Japanzine magazine, Januar 2010

Eines meiner Lieblingsprichwörter ist “Wo gehobelt wird, da fallen Späne”. Für mich bedeutet das, dass auf jede Aktion, eine Reaktion folgt, ob gewollt oder nicht. Denkt man das dann weiter, ist jede Aktion auch wiederum eine Reaktion auf eine vorherige Aktion, und so weiter und so fort.
Ich habe mal überlegt, welche Ereignisse dazu führten, dass mein Foto auf das Cover eines Magazins gelangt ist. Es ging weit zurück, bis zum November 2008:

November 2008
Ich gehe in ein Buchladen um ein Buch über junge Fotografie zu suchen. Ich finde keins also beschließe ich selbt eins zu machen. Die Arbeit an junggesehen, einem Bildband zur jungen deutschen Fotografie, beginnt und bis zum Druck der Bücher sollte es noch bis zum Sommer 2009 dauern.

Sommer 2009
Nach jahrelangen Träumen und kurz nach der Fertigstellung von junggesehen bzw. kurz nachdem die .pdf zu Druckerei geschickt wurde, fliege ich im Juli nach Japan.

3. Tag nach der Landung
Ich gehe zum Stammtisch von doitsunet, der deutschen Community in Tokyo. Ich bin noch nicht ganz angekommen und frage nach, was man den machen kann, um sich besser im neuen Land einzuleben. Man gibt mir den Ratschlag, den Hobbies nachzugehen, die man schon in der Heimat verfolgt hat.
Eins meiner Hobbies ist es, junge Kunst und Fotografie zu fördern, warum nicht eine Ausstellung zu junggesehen, zur jungen deutschen Fotografie, in Tokyo machen?

August
Ich habe einen Fotoauftrag, der mich mit Leuten im Goetheinstitut bekannt macht. Danach dann frage ich nach, ob sie mir bei der Ausstellung helfen können.

Nach langen Hin und Her und vielen Anfragen, ob ich ihnen mein Projekt vorstellen kann, lädt das Goethe-Institut zum Treffen ein. Sie finden das zwar alles ganz schau, wollen aber auch nicht viel machen, “weil es ist ja so und überhaupt schwierig das alles und sie wissen schon, ne”?

Beim Verlassen des Instituts werfe ich noch einen Blick auf die Kleinanzeigen an der Wand. Es wird eine Aushilfe gesucht und ich fühle mich angesprochen.

Ich gehe zu dem Cafe und die Ereignisse von “professionell pleite” finden statt. Wie auch dort erwähnt meinte man zu mir, dass ich doch als Fotograf qualifizierter sei, als als Kellner, und man gab mir noch diverse englischsprachige Magazine mit, die in Tokyo und in Japan erscheinen. Darunter den Weekender und das absolut elendige Being a broad magazine. Im Letzteren war eine Anzeige einer Fotografin, die ich anschrieb und nachfragte, ob sie denn nicht ne Assistenz sucht.

September
Sie suchte tatsächlich und nahm mich auf. Als ich ihr meine Fotos zeigte, gähnte sie. Als sie mir ihre zeigte, tat ich das ebenfalls, allerdings eher innerlich, man ist ja höflich.
Sie war Australierin, seit neun Jahren in Tokyo und hat sich auf Gaijin-Fotografie spezialisiert. Das heisst, bei Gaijin Events wie großen Feiern von Managern, US-Armee Stützpunkten, oder sonstige Aufträge von Menschen die seit Jahren in Tokyo leben, aber kein Japanisch können und/oder keinen japanischen Fotografen engagieren wollen, ist sie dabei.

Ich lerne viel von ihr. Allen voran, dass man keine gute Bilder machen muss, um als Fotograf Geld zu verdienen.

Sie denkt sehr wirtschaftlich, ein Denken was mir manchmal fehlt. So zum Beispiel wird sie engagiert, bei einer US-Militär-Gala zu Fotografieren. Wichtigste Aufgabe dabei ist es, möglichst viele Leute abzulichten, denn die Leute ordern dann online bei ihr die Fotos. D.h. sie wird für das Fotografieren selbst bezahlt, und dann nochmal für die einzelnen Abzüge. Das läuft sehr gut für sie, die Qualität ihrer Bilder finde ich allerdings bescheiden, bzw. es ist nicht das, was ich mit der Fotografie erreichen möchte.
Allerdings konnte ich wirklich von ihr lernen, was es bedeutet, mit der Fotografie Geld zu verdienen. Sie war sehr streng, aber irgendwo auch erfolgreich. Ein paar Zitaten von ihr:

“You’re selling your pictures not to photographers, but to people.”
Heisst, ich soll mir weniger Mühe mit Komposition und Bildgestaltung geben, die meisten Kunden achten da eh nicht drauf.

“You’re not in Berlin anymore”
Als ich meinte, wieviel Geld ich in Berlin verlangte, und wie wenig das doch ist nach Tokyo-Maßstäben.

“Don’t ask so many questions, Fritz”
Weil ich mich immer sehr gern mit den wichtigen Leuten unterhielt. Aber als Journalist ist man nunmal neugierig.

“Do what I say”
War ihr Motto.

Sie arbeitete wirklich viel, 6 Tage die Woche, 18 Stunden pro Tag. Am 7. Tag betrank sie sich, bis sie das Bewusstsein verliert – Ihre Worte, nicht meine. In der Zeit, in der ich für sie arbeitete, lächelte sie nur einmal, und zwar der Tag an dem ich in Anzug und rasiert erschienen bin. Ihre Reaktion:

“Wow Fritz, you look like a real person now! I have to look at you more often now.”

Warum erzähle ich von ihr? Es hat viel mit dem Foto zu tun, mit dem ich aufs Cover kam.

Making of: le Bild
Meinen ersten Auftrag für sie hatte ich drei Tage nach dem Vorstellungsgespräch. Es ging auf einen Stützpunkt der US-Armee. Treffpunkt war 6.45Uhr in Meguro. An dem Tag wachte ich genau 6.42 Uhr auf, in Shinjuku, 40min von Meguro entfernt.

Bezahlung war 1000yen die Stunde. Sollte ich einmal ausfallen, und nicht rechtzeitig Bescheid sagen, stellt sie mir die ausgefallene Arbeitszeit in Rechnung. Würde ich also nicht innerhalb von 3min in Meguro sein, würde ich ihr eine ordentliche Summe Geld schulden, die ich überhaupt nicht habe.
Ich kramte ihre Nummer raus und rief panisch an. Was ich eigentlich sagen wollte war: “OHMEINGOTTSORRY!! ICH KOMME SOFORT!!”. Doch was ich stattdessen sagte, war “Ich habe den falschen Zug genommen, ich komme etwas später”.
Schnell etwas Wasser ins Gesicht gespritzt, zum Zug gerannt und losgefahren. Halb acht kam ich an, ungeduscht und vom Rennen verschwitzt. Sie war zwar sauer, aber mehr konzentriert auf den Auftrag und sie meinte, es sei ihr auch schonmal passiert. Doch noch einmal sollte ich das nicht machen.

Es ging zum US-Armee Stützpunkt. Die Kinder der dort positionierten Soldaten hatten an dem Tag ein Fußballturnier, und die Fotografin sollte die 150 Kinder ablichten. Stets in derselben Pose. Ich sollte nur Sachen tragen und/oder festhalten, mit Fotografieren war nicht viel. Ich tat es trotzdem.

Es regnete in Strömen, und viele Kiddies hatten auch absolut keine Lust auf Fußball.

Die Leute dort waren allesamt, nunja, sehr amerikanisch, was Gesäß und Gemüt anbetrifft. Was ich an Amis mag ist, dass sie sehr schnell sehr freundlich werden, wenngleich ich mir auch bessere und tiefere Gespräche zur aktuellen Politik erhofft hatte. Doch es blieb amerikanisch-oberflächlich.


Er hat irgendwas gewollt und nicht bekommen, und war daher etwas verärgert über Mutti

Nach dem Ende des Auftrags war die Fotografin zufrieden mit mir und meinte noch “You smell.”. Kein Wunder, ungeduscht wie ich war.
Das nächste Fußballturnier war am nächsten Wochenende, ich sollte alles daran setzen, nicht zu spät zu kommen.

Am nächsten Wochenende hatte mein Mitbewohner wieder Gäste, die bis 4 Uhr Morgens die Türen scheppern ließen. Um 5 Uhr Morgens stand ich nach einer Stunde Schlaf auf, da ich diesmal überpünktlich sein wollte.

Eine halbe Stunde vor der Zeit war ich in Meguro und trank die zweitbeste, kühle, koffeingetränkte Cola meines Lebens. Ich hatte Zeit und die Kamera dabei, also lief ich umher und sah mir das morgendliche Treiben um 6.30Uhr an.

Anruf der Fotografin, sie käme wohl zu spät und ich solle beim Starbucks warten. Ich ging zum Starbucks und dort stand ein Wachmann, der den Boden nassspritzte.

Das ist die bearbeitete Version. Das hier ist das Original:

Man sieht das Auto links. Genau dieses Auto gehörte der Fotografin, die 3 Sekunden später neben mir anhielt, und mich ins Auto lud. Bevor sie dann los fuhr, holte sie sich einen Kaffee. In der Zeit schaute ich mir das Foto an, was ich eben gemacht habe, und musste lachen.

Dezember
Hier machen wir einen große Sprung. Ich hatte nach dem Auftrag nur noch einen weiteren für die Fotografin, seitdem keinen mehr. Ich denke das ist gegessen und ich bereue es auch nicht wirklich. Es kam noch eine Mail von ihr am 23.12., in der sie meinte, dass sie grad aus dem Urlaub kommt und mich für morgen, Weihnachten, braucht. Tut mir Leid, sage ich, das ist zu kurzfristig.

Ende Dezember hatte mein Mitbewohner wieder Besuch. Zwar diesmal nur zwei Leute, dafür so penetrant, laut und nervig wie zehn. Vor Tokyo waren sie in Kyoto und brachten von dort das Japanzine Magazin mit, welches ja nur in der Kansai Region erscheint. Auf dem Klo las ich das dann und stolperte über den Aufruf zum Foto-Wettbewerb “the Gaijin Eye“. Ich reichte ein paar Bilder ein und erstmal passierte nichts.

Januar
Ich bekomme eine Mail vom Japanzine Magazin. Mein Foto würde unter anderen in der Auswahl zum Cover stehen. Ich freute mich natürlich. Doch danach kam dann nichts mehr.

Einer der Blogs die ich regelmäßig verfolge hatte dann mal einen Artikel über Japanzine. Als ich den las, fiel ich fast aus dem Futon

Da war das aktuelle Cover vom Japanzine Magazin, mit meinem Foto! Ich wusste von nix. Meine Reaktion kann man in den Kommentaren lesen:

AAAHHHHH!! das is ja mein Foto auf dem Cover!! (http://tokyofotosushi.wordpress.com/2009/09/22/druck/) ich hatte mein Foto zwar eingereicht, aber davon wusste ich nix. haste das Blatt noch??

Ich schrieb dann gleich dem Magazin. Sie wollten mir dann ein paar Exemplare zuschicken und gestern kamen sie nun auch bei mir an.


Weiss auf Schwarz, der Beweis

Die Abstimmung zum Cover selbst fand öffentlich auf Facebook statt:

Die Kommentare favorisierten eher die anderen zwei Fotos, hier eine Auswahl der Stimmen zu meinem Beitrag:

The policeman with the hose. This pic is the shnazzle!!!

On a more serious note I guess it represents the slightly comical, cynical at times perspective we all have for Japan, while still finding something good in it, or at least something new.

mmm…the policeman holding the hose…seems to have a meaning oi it!tryin to make japan cleaner and more better..well,anti ang nga bilog nyan..

The taxi shot is the best and most beautiful photo, but in the context of the cover story, I agree with what someone said before … we gaijin are (or are perceived as) subversives in this homogeneous society. The Pissing Policeman gets my vote and I wish I’d snapped it.

The one with the guard. I assume it’s a hose? But the angle the photo was taken makes you look twice. Great shot!

i would say for the title most fitting is the policeman but the photolanguage of this picture is somehow to artistic (not design). i would definetly give it a little bit more the look of number 3. BUT really asking myself i would say none of the pics is really fitting. sorry…just an idea but why not picture from stuff which is somehow more … Mehr anzeigenwondering like japanese toilet (i know maybe too simple but just this direction). everyday things which are still wondering or confusing but i guess u dont have anymore time…

Die Begründung, warum es genommen wurde, war also: Der Japaner macht etwas typisch Japanisches (etwas sauber und rein halten) und der Gaijin (ich) missversteht das aus seiner Perspektive. Darum ist dieses Foto auch zum Wettbewerb “the Gaijin Eye” auf dem Cover, wenngleich viele andere Einträge schöner und handwerklich besser waren. Die Aussage passte einfach.

Viele Ereignisse führten dazu, dass mein Foto auf dem Cover eines Magazins ist. Und ich fand es spannend, mal zu überlegen, welche Umstände dazu führten. Viel mehr bin ich noch darauf gespannt, zu welchen Ereignissen und welchen Fotos, dieser Abdruck führen wird.

Bye Bye Hatsudai

Am Montag ziehe ich um. Zeit für einen Rückblick auf 6 Monate Japan und ein halbes Jahr WG in Hatsudai, Shinjuku.

Die Wohnung in Hatsudai hatte ich schon gefunden, bevor ich nach Japan geflogen bin. Über das Forum der deutschen Community Tokyo habe ich öffentlich nach einer WG gesucht und wurde von meinem jetzigen (Noch-)Mitbewohner angesprochen. Hier würde Einer ausziehen und das Datum deckte sich auch schön mit meinem Flugdatum. Ich hatte mir Fotos angeschaut, die eigentlich nur meine Vorurteile von kleinen japanischen Zimmern bestätigten, doch Miete und zwei deutsche Mitbewohner Ende 20, die fließend Japanisch können, dazu die Wohnlage zentral in Shinjuku, gaben dann den Ausschlag.

Es war ein Appartment-Komplex, groß und gesichtslos wie überall in Tokyo.

Aber durchaus mehr als in Ordnung. Mein Zimmer dekorierte ich mit Fotos und Mitbringseln aus Berlin.

In Berlin kann ich von meinem Fenster aus, jeden morgen nach dem Aufwachen den Fernsehturm sehen. Deswegen stellte ich mir in Tokyo einen kleinen Fernsehturm vors vergitterte Fenster.

Vergittert war es, weil mein Fenster draußen zum Gang hin war, durch den die Leute gingen, wenn sie in ihre Wohnung wollten. Das war nicht so schlimm, da unsere Wohnung die letzte im Gang ist.

Nervig war nur, dass mein Fenster direkt zur Straße hinaus geht, wo der Tokyo Expressway entlang läuft, der zwischen Tag und Nacht keinen Unterschied macht und immer laut ist.

Dazu war das Fenster nicht ordentlich abgedichtet, sodass seitdem es etwas kühler ist, immer eine kalte Brise über mein Bett weht. Auch wenn rauchende Gäste da sind, die vor der Wohnung rauchen, zieht das immer schön in mein Zimmer rein und steht und stinkt.

Vor der Wohnung stehen auch viele Fahrräder. Meine Mitbewohner sind beide Bike-Freaks und haben insgesamt nun fünf Räder. Wenn sie Freunde einladen (ebenfalls Bike-Freaks) wird es vor meinem Fenster richtig voll, und vor Drahteseln gibt es kein Treten mehr. Zudem liegt mein Zimmer direkt neben der Haustür, die jedesmal laut scheppert wenn sie ins Scharnier fällt.

Doch die Aussicht auf die Skyline von Shinjuku ist bemerkenswert.


Links das Metropolitan Government Building, rechts das Park Hyatt

Und bei Nacht leuchtet alles auf:

Wenn ich ein Shooting habe, mich auf den Weg mache und die Wohnung verlasse, sehe ich links immer die Hochhäuser von Tokyo und die Skyline von Shinjuku. Schon cool.

Tokyo Diaries

In dem Zimmer hier wohnte früher der Autor von dem Buch Tokyo Diaries, was mich sehr überrascht hat, als ich es erfahren habe.

Ich hatte nämlich das Buch von meinem ehemaligen Arbeitgeber in Berlin zum Abschied geschenkt bekommen. Ich habe es sogar mit nach Tokyo genommen, auch wenn mir die Zeit zum Lesen fehlt, und ich das Buch nur als Unterlage für meinen Laptop benutze. Dafür ist es allerdings super.

Als man mir das Buch schenkte, sagte man mir, dass ich nicht so viel saufen sollte wie der Typ im Buch. Unabhängig voneinander meinten meine Mitbewohner (und somit seine ehemaligen Mitbewohner, die auch im Buch auftauchen), dass der Typ auch Alkoholiker ist, soviel wie der säuft. Na, so sind sie eben die Punkrocker, Rock’n’Roll Lifestyle.

Der Autor zog aus, und eine Woche später zog ich vor einem halben Jahr hier ein. Nun ziehe auch ich aus, um Platz zu machen, für die Freundin meines Mitbewohners. Sie möchte mein Zimmer, also muss ich gehen.

Doch allzu traurig bin ich nicht. Ich freue mich auf meine neue Bude, auch wenn sie mit 4,6qm sehr viel kleiner ist. Es sind aber auch andere Gründe, die mich zum Auszug bewegen.

Seitdem ich hier wohne, wird draußen gebaut, gebohrt, gehämmert und gemacht. Gerne auch mal, so wie gestern, bis 3 Uhr nachts, um den Verkehr am Tag nicht aufzuhalten (dafür dann aber meinen Schlaf in der Nacht). Ebenso auch die Chinesen nebenan, die meinen jeden Tag laut Party machen zu müssen, bis 5 Uhr früh. Die Musik dringt dabei durch die dünnen Wände wie ein Samuraischwert durch mein Trommelfell.

Meine Mitbewohner sind Mitbewohner, aber eben keine Freunde. So halten sie es nicht für notwendig mich zu fragen, wenn sie Gäste einladen, die die nächsten Wochen auf der Couch verbringen und mich bei der Arbeit stören. Meistens sagen sie auch nicht mal mehr wenigstens vorher Bescheid, sodass ich morgens in die Küche gehe und da ein wildfremder Typ auf der Couch liegt und pennt.

Einmal sagten sie mir Bescheid und meinten “Ja, da kommt nachher noch ein Typ vorbei” – und machten sich auf den Staub. Es klingelte und es kam jemand rein. Hinter ihm noch einer, und noch einer, und noch eine, und noch einer, und noch einer. Gesamt saßen dann 7 Leute im Wohnzimmer. Ich musste los, hatte ein Shooting. Ich bat die Leute noch nix zu klauen, und ging los.

Von den 7 Leuten blieben dann die nächsten Wochen immer 2-3 in der Wohnung, während meine Mitbewohner bei ihren Freundinnen übernachteten. Den Luxus hatte ich nicht. Nicht nur, dass ich die dann teilweise mit durchgefüttert habe, ihren Wasser- und Stromverbrauch musste ich dann auch noch bezahlen. Als sie dann gingen und meine Mitbewohner gemeinsam die Wohnung aufräumen wollten, hatte ich einen ganz dringenden Termin mit einem Buch im Park um die Ecke.

Einmal wollte ich auch einen Gast einladen: Ein deutsches Mädel in Tokyo wurde um ihr Geld gebracht und ich wollte ihr helfen. Ich fragte allerdings meine Mitbewohner vorher. Einer meinte nur, dass er darauf keine Lust hatte, und das wars dann.

Allerdings muss man auch sagen, dass nicht alles schlecht war. Einer meiner Mitbewohner übernahm von sich aus eine “Große Bruder” Funktion und half mir viel, was Kontakte und Jobs angeht. Die beiden sind seit 5 Jahren in Tokyo und haben ein gutes Netz an Kontakten aufgebaut. Es war meine erste WG und auch das erstemal, das ich von zuhause ausgezogen bin.

Ich würde mir nur wünschen, dass der Grund warum ich hier ausziehe, nicht so banal wäre, wie dass die Freundin meines Mitbewohners hier rein möchte. Es wurde zwar nie direkt angesprochen, doch es wurde schon Druck aufgebaut, dass ich doch bald ausziehe (und täglich nachgefragt, wanns denn soweit ist). Aus ihrer Perspektive ziehe ich freiwillig aus, wie auch immer sie sich diese These selbst konstruiert haben.

Wie gesagt, allzu traurig bin ich darüber nicht, doch ein halbes Jahr an einem Ort Leben hinterlässt Spuren, und es bilden sich Lieblingsecken und -geschäfte in der Umgebung, die man verlässt. Ich zieh jetzt zwar nur 10min weiter nördlich, doch der Conbini, der bis dahin nur 3 min entfernt war und dessen Angestellte nun einen schon kennen und versuchen auf deutsch zu begrüßen, die sind dann eben nicht mehr so nah.

Oder der Bento-Ojiisan, in der Shoutengai um die Ecke. Ich liebe ja Bento, und in seinem Laden gibt es wirklich gutes Bento (wenn auche etwas teurer). Besonders drollig ist bei ihm, mit wieviel Leidenschaft er Bento verkauft. Als ich das erste Mal da war, hat er mir erzählt, was es denn alles für tolles Bento gibt, wie gesund das ist und wie lecker das schmeckt. Mittendrin stockte er dann kurz, guckte mich an und fragte mich, ob ich ihn denn überhaupt verstehen könnte. Ein bisschen, sagte ich, und er hielt weiter seinen Vortrag.
Seitdem freut er sich jedesmal wie ein frisch paniertes Schnitzel, wenn der exotische Gaijin vorbeikommt, der immer so nett lächelt und grüßt, statt wie die anderen nur die Bestellung durchzunuscheln.
Auch seine Angestellten wissen nun über mich Bescheid, und dass ich die Bento-Namen nicht aussprechen kann, sondern nur drauf zeige. Daher kommen sie immer schon vor die Theke, um mir bei der Auswahl zu helfen. Ist doch nett 🙂

…oder das fabelhafte Curry-Restaurant, dass immer bis 1 Uhr aufhat, was mir ganz gelegen kommt, wenn ich über einem Fotoauftrag die Zeit vergessen habe und noch gern was warmes hätte. Nachts sind auch wenig Leute da, sodass ich Zeit habe meine Gedanken zu ordnen und ein paar Ideen für Fotos und Geschichten zu notieren.

oder die Tokyo Opera City

Die Tokyo Opera City ist ein 60-stöckiges Gebäude und das größte in der unmittelbaren Nähe. Unsere Wohnung liegt direkt neben dem Hochhaus, man muss also nur nach oben gucken, wenn man unterwegs ist und nachhause fahren möchte..

Die Tokyo Opera City liegt über der Hatsudai Bahnstation, und es ist einfach nur cool, auf den Weg zur Arbeit durch ein Opernhaus zu laufen. Sowas gibts auch nur in Tokyo.

Alles was man so braucht, gibt es da, und auch das einzige vernünftige Café in einem 2km Umkreis. Dazu ist es fotografisch höchstspannend.

Der Blechmann steht auch in der Opera City, und singt manchmal:

Es gibt auch Kunst, wie einen einsamen Bronzekerl, umgeben von Marmor.

Beliebt bei den Mädels…


Aus Mangel an Veröffentlichungserlaubnis, mal unkenntlich gemacht…

…aus bestimmten Gründen…

Und dann war da noch…

Der Tag an dem der Laster umkippte.

Er hatte wohl das Loch übersehen. Zuerst steckte er nur drin und fiel dann vollends um. Drum herum standen viele hilflose Wachmänner.

Nach insgesamt vier Stunden konnten sie ihn wieder rausholen, und da wo das Loch war, ist heute eine schöne, weiße Auffahrt zum Autogeschäft dort. Doch bis dahin dauerte es erstmal.

Das war Hatsudai.
Neben Erinnerungen werde ich nur meine Klamotten und meine Matratze mitnehmen, die ich einen schönen Tages vor dem Haus gefunden hatte (astreiner Zustand, ich hatte mich tierisch gefreut, als die da einfach stand, seit Wochen wollte ich eine Matratze um den harten Futon zu ersetzen).

Nun gehts in ein Öko-Haus in Nakano-Shinbashi, 7min mit dem Rad von hier. Das Zimmer ist kleiner, und insgesamt leben in dem Haus, das früher ein Restaurant war, 11 Personen – davon der Großteil japanische Mädchen.

Wie gesagt, ich bin nicht allzu traurig, dass ich ausziehen muss….

Mit dem Auto direkt zum Grab

Westlich von Tokyo, in der Tama Region liegt der Tama Reien: der größte Friedhof von Tokyo, wo Kriegsverbrecher und/oder -helden liegen – und wo man mit dem Auto direkt bis vors Grab fahren kann.

(Kleine Anmerkung: Um die Bilder größer zu sehen, muss man einmal draufklicken, dann öffnet sich das imageshack-Fenster, und dann muss man dort nochmal auf das Bild klicken, dann wirds groß)

Ich sollte das Grab von Richard Sorge fotografieren, welches sich auf dem Tama Friedhof befindet, neben anderen Personen des 2.Weltkriegs wie z.b. dem General, der den Plan zum Angriff auf Pearl Harbor ausgeheckt hat.
Richard Sorge war ein Deutscher, der im 2. Weltkrieg für die Sowjetunion spionierte, enttarnt, und von den Japanern hingerichtet wurde. Historisch gesehen ist es schwer eine deutsch-japanische Feindschaft zu finden, wir waren uns eigentlich immer grün (oder eben braun). Wenn nun also mal ein Deutscher von Japaner getötet wird, bekommt er wenigstens noch ein ordentliches Grab – was ich erstaunlich finde, wenn man bedenkt, dass Richard Sorge kriegsrelevante Informationen an die Russen weitergeleitet hat, die vielen Japanern das Leben gekostet hat.

In Japan selbst ist er durchaus bekannt, wenngleich weniger als historische Person sondern eher als Figur der Popkultur: aus Osamu Tezuka’s Manga “Adolf” oder aus der deutsch-japanischen Koproduktion “Spy Sorge” (welcher auf deutsch den etwas schwülstigen Titel “Richard Sorge – Spion aus Leidenschaft” trägt).


Quelle: GoogleEarth Der Tama Friedhof, der Kreis markiert Sorges Grab

Der Tama Friedhof (多摩霊園) erstreckt sich über 126 Hektar, wurde 1923 gebaut und ist bis heute der größte Friedhof im Großraum Tokyo. Mehr zum Friedhof: hier (dort auch mit der lustigen “Find-a-grave”-Funktion).

Er wurde als einer der ersten Friedhöfe in Japan auch als Erholungspark angelegt. Zum Vergleich: Fast alle Friedhöfe in Berlin gelten auch als Ruhe- und Erholungraum. Ich selbst besuche gern die Friedhöfe im Berlin, vorallem im Sommer wenn alles grün ist und wuchert, und sie gleichzeitig einen kühlen und ruhigen Rückzugsort zur Stadt liefern. Auch für Shootings eignen sich die Berliner Friedhöfe sehr, da sie oft menschenleer sehr sind, und teilweise zugewucherte und vergessene Areale verbergen:


Vergessene Ecke in einem Friedhof im Prenzlauer Berg

Zum Tama Friedhof kommt man am besten mit der Seibu-Tamagawa Line, Ausstieg ist dann Tama Station und von dort sinds noch 7min zu Fuß bis zum Friedhof.

Tama ist ein verschlafenes Nest, die größten Attraktionen sind noch der Friedhof und die Tokyo University of foreign studies, die in einem Dorf dieser Größe für ein überdurchnittlich hohes Gaijin-Aufkommen sorgt. Die Gaijin sehen von Tama allerdings nur die Uni und den Weg zum Bahnhof, abseits davon bleibt es ländlich japanisch. Grabsteingeschäfte gehen übrigens erstaunlich gut, ich habe allein 5 auf dem Weg vom Bahnhof gezählt.


Krematorium

Betritt man den Friedhof wird man erstmal vom imposanten und modernen Krematorium begrüßt, den ein starker Weihrauch-Gestank umgibt.

Es ist ja allgemein bekannt, dass in Japan die Toten nicht beigesetzt, sondern verbrannt werden. Das hat neben religiösen Gründen auch einen praktischen Ursprung: In Japan ist der Platz einfach mal begrenzt. Ein lebloser Körper + Sarg nimmt mehr Stauraum weg, als eine Urne mit den sterblichen Überresten. Konsequenz ist auch, dass es in Japan weitaus weniger Zombie-Filme gibt.

Im Infozentrum fragte ich dann nach dem Grab von Richard Sorge, und man wusste sofort, wo er lag. Dazu muss man sagen, dass er nicht immer dort lag. Früher lag sein Grab im Friedhof zum Sugamo-Gefängnis, einem Gefängnis in dem Kriegsgefangene inhaftiert waren.
Die Haftanstalt nebst Friedhof wurde 1978 plattgemacht um Platz zu machen für das Sunshine 60 Building, ein Hochhaus mit namensgebenden 60 Stockwerken. Richard Sorge bzw sein Grabstein wurde dann nach Tama transferiert, in Parzelle 17/1/21:

Gute Adresse, ruhige Nachbarschaft.

Um sein Grab standen auch reichlich Gedenksteine, doch an die soll sich mal einer machen, der Japanisch kann…

Richard Sorge wurde posthum zum sowjetischen Helden erklärt und war dementsprechend auch in der DDR bekannt.

Das letzte Foto von seinem Grab stammte allerdings aus den 90er Jahren und war nicht mehr wirklich zu verwenden. Man bat mich also hochauflösende Bilder vom Grab zu machen.
An dem Tag an dem ich mich zum Friedhof machte hatte es 19°C und die Sonne schien. Nur an den toten Bäumen und Pflanzen rund um die Gräber konnte man den Winter ausmachen.

Apropos Pflanzen: Ich war überrascht an seinem Grab ein paar Blumen vorzufinden, die jedoch nicht mehr ganz so frisch waren.

Als ich genug Bilder hatte und das Grab verließ, befreite ich die Blumen von ihrer Plastikumwicklung, sodass sie vielleicht im nächsten Regen noch etwas aufatmen können.

Durch den Friedhof laufen mehrere große Straßen, die die Parzellen einteilen.

Das wurde auch von Autofahrern genutzt.

Da man praktischerweise direkt bis vors Grab fahren kann.

Da dies ein recht alter Friedhof ist, gab es viele interessante und traditionelle Gräber zu entdecken.

Mit dicken Buddha…

…oder mistig dreinblickenden Büsten.

Der Großteil der Gräber war absolut sauber und fast schon zu rein, auch wenn einige verwahrlost aussahen.

Einige Gräber hatten das eigeneFamilien-/Clanwappen (Mon) als Symbol. Ein Symbol machte mich dabei besonders stutzig:

Das Triforce, das Symbol der Videospiel-Reihe The Legend of Zelda, von der ich seit über 15 Jahren ein großer Fan bin.


((C) Nintendo) Man achte auf das Triforce in der Mitte

Ich hab dann versucht rauszukriegen, wo der Zusammenhang zwischen dem Symbol auf dem Grab und dem Symbol im Spiel besteht, was es vielleicht bedeuten kann, aber ich habe nicht wirklich was gefunden. Ich hatte dann eine Japanerin gefunden, die mir das mit dem Mon Familiensymbolen erklärt hat, und so kam ich auf die Geschichte vom Hōjō-Clan, die über einen Teil von Kamakura (westlich von Tokyo) regierten, und dort ihre Spuren hinterließen. Die Gräber werden wohl Nachkommen von diesem Clan gehört haben.


Im Videospiel muss man, wenn dieses Symbol auftaucht, seine Ocarina rausholen, das Lied der königlichen Familie spielen, und verschlossene Türen oder Gräber öffnen sich. Leider hatte ich an dem Tag meine Ocarina nicht dabei…

Dann fand ich endlich auch diesen schönen Eintrag, der die Legende um das Triforce und das Familien-Wappen erklärt:

The Hojo family, then, was a very important family in the history of Japan. It is only natural then, that their crest would achieve special prominence too. But the question remains: why did the Hojo family use those three triangles? The answer is . . .

. . . Shintoism, a religion still very prevalent in Japan today. The Hojo family crest has the shape that it does because of the family dragon god, the guardian deity of fishermen. According to legend, Tokimasa Hojo (1138-1215) came into a cave on Enoshima, an island south of modern Tokyo. There he prayed that his descendants would be prosperous. And the dragon god, who dwelt in that cave-and there is a statue of the dragon in the cave today-granted him his wish, leaving behind 3 of his scales. These are the scales that are represented in the three triangles of the “Triforce” of the Hojo.

Quelle: zeldauniverse.net

Ich war echt begeistert, endlich eine Antwort auf die Herkunft gefunden zu haben. So wie es aussieht ist dieses Symbol relativ bekannt und präsent im japanischen Grafik-Design, allerdings eher als Symbol das Dreieinigkeit symbolisiert. Interessant ist jedoch, dass Nintendo dieses japanische Symbold genommen hat, für ein Spiel dass eher im europäischen Fantasy-Mittelalter angesiedelt ist. Nunja, genug davon.

Die Sonne ging langsam unter, und ich wollte noch auf einen angrenzenden Hügel, um einen Überblick über den gesamten Friedhof zu bekommen.

Über die Brücke…

…rechterhand tausende Gräber….

…auf den Hügel, auf dem natürlich auch ein Schrein stand.

Die Sonne ging gerade vor meinen Augen hinter den Wäldern unter.

Unten, vom Fuß des Hügels kamen auf einmal Kirchenklänge, eine Orgel spielte. Da stand ich nun, über den Dingen, eingetaucht in die letzten warmen Sonnenstrahlen des Tages und sakrale Töne erklingen aus der Ferne. Schon abgefahren.

Auch wenn einige das Alles ignorierten und den Hügel nur zur körperlichen Ertüchtigung erstiegen.

Schöne Aussicht trotzdem.

Ich hatte gelesen, dass man den Friedhof ab 15 Uhr verlassen sollte, da sonst die Geister kommen. Es war nun schon 17 Uhr und die Geister waren immer noch nicht da, also machte ich mich auf den Weg nachhause.

Auf dem Weg fand ich noch den Samen / die Frucht von einem Baum, die ich nicht einordnen kann:

Weiss jemand was das ist?

Wird wohl was einheimisches sein, denn in der Tokyo University of foreign studies wusste keiner bescheid…