Eine deutsch-japanische Heirat.
Ich bin kein Hochzeitsfotograf.
Trotzdem fragte mich Anji in der U-Bahn in Tokyo, ob ich im Dezember zur Verfügung stehe. Es war ein Tag im Oktober und das erste Mal, dass wir uns überhaupt mal richtig sahen. Und trotzdem wollte sie gleich, dass ich bei ihrer Hochzeit Bilder mache. Kurz vor Weihnachten, südlich von Hamburg.
Gerne.
Das erste mal traf ich Anji auf den Straßen von Tokyo im Sommer 2011. Ich war gerade zu Besuch in Japan und lebte wieder in meiner alten WG in Nakano, die inzwischen wieder zahlreiche neue Mitglieder hatte. Eine davon war mit Anji gerade vor der Haustür, als ich Richtung Conbini marschierte. Erst versuchten wir es auf Englisch, dann stellte sich aber raus, dass wir beide aus Deutschland kamen und sogar gleich alt waren. Sie war gerade frisch verheiratet und wohnte in der Nähe. Das war mir direkt mal sympathisch. Alle Deutschen, die ich sonst so in Tokyo traf, waren entweder älter als ich, Studenten mit Stipendium, oder blutjunge Working Holiday Reisende. Anji aber arbeitete. Wie ich.
Als ich vom Conbini zurück kam, war sie bereits weg. Ich hatte unsere Begegnung als Randnotiz meiner Tokyo-Reise schon abgehakt, da entdeckte ich zurück in Deutschland einen Blog. Geschrieben von einer jungen Deutschen in Tokyo. Aus Nakano. Frisch verheiratet. Ich zählte zwei und zwei zusammen und schrieb sie auf Facebook an. Von da an unterhielten wir uns regelmäßig über das Leben und Arbeiten in Japan, kreative Berufe und Hoffnungen für die Zukunft.
Erst bei meiner letzten Reise nach Japan sollte ich sie wirklich kennen lernen. Und kaum zwei Monate später trafen wir uns schon in der Kirche.
Das heisst, getroffen haben wir uns erst nach der Trauung. Doch der Reihe nach.
Um 6 Uhr früh machte ich mich auf dem Weg in Hannover. Es gab einen Kälteeinbruch über Nacht, die Straßen waren glatt und dunkel. Die Straßenbahn Richtung Hauptbahnhof hatte Verspätung und der Zug nach Hamburg kommt nur einmal die Stunde. Es wurde knapp. Im Hauptbahnhof musste ich rennen, um den Zug noch zu erwischen. Neben mir rannten noch andere, die schon in der Straßenbahn neben mir saßen. Doch ich war der schnellste. Hinter mir gingen die Waggon-Türen zu und der Zug fuhr los, eh ich wieder Luft schnappen konnte. Aus dem Fenster sah ich noch meine Mitreisenden. Sie hatten es nicht geschafft. Ich hatte jedoch keine Zeit zu verlieren, schließlich galt es eine Hochzeit zu fotografieren. Der wichtigste Tag im Leben.
Zwei Stunden später in Hamburg wurde ich von Anjis Freundinnen aufgelesen und zur Kirche gebracht. Wir standen eine Weile an einer Ampel, mit dem konstanten Blick auf die Uhr. Um 12 sollte die Trauung sein, es war bereits weit nach 11 Uhr.
Links von uns war ein großes Graffiti, es erstreckte sich über eine ganze Häuserwand. Die Wellen erinnerten mich an ein bekanntes ukiyo-e, eine urjapanische Kunstform. Ich nahm es als Omen für den Tag.
Angekommen suchte ich das Brautpaar, doch beide waren nicht zu entdecken. Die Zeit drängte. Ich bereite mich schon mal vor und schraubte das Objektiv an die Kamera, dass ich mir extra für die Hochzeit besorgt hatte. Ich hatte es zuvor noch nie benutzt, mir wurde aber gesagt, es sei das klassische Hochzeitsobjektiv und man könne damit nicht viel falsch machen.
Das Objektiv wog jedoch schwer in der Hand und in der dunklen Kirche war es schwierig, ein scharfes Bild zu zaubern. Die Braut lächelte mich hingegen vom anderen Ende der Kirche an. Um 12 Uhr sollte ich da sein, und um 12 Uhr war ich da. Das vorher keine Zeit mehr für ein Gespräch oder eine Begrüßung blieb, war nebensächlich. Ich denke, sie war auf jeden Fall erleichtert, sich nun nicht auch noch um den Fotografen zu sorgen – auch wenn der Blick häufig in meine Richtung ging. Ist er noch da? Macht er noch Bilder?
Dann das übliche. Kuss, Ring, Familienfotos. Das kannte ich ja alles bereits. Nur die Weihnachtsdeko irritierte, schließlich war zwei Tage später schon Heiligabend und alles war drauf eingestellt. Auch das Wetter. Weiß in Weiß war die Braut im Schnee. Ein Albtraum für die Kamera. Aber die Braut freute sich.
Als ich mit Bekannten über die Hochzeit sprach, meinten die nur: “Die Braut hat ein Lächeln, da lacht die ganze Welt mit.”
Je mehr ich über die Organisation und die Umstände der Hochzeit erfuhr, desto mehr beeindruckte mich ihr Lächeln. Anji hat das komplette Ding so gut wie alleine organisiert. Auch bei der Hochzeit war sie noch die Managerin, bei der alles zusammenlief. Ganz ohne Trauzeugen oder Brautjungfern. Auch die Eltern nahmen nicht zu viel von ihrer Last ab. Von Tokyo aus organisierte sie nun fast alleine eine große Hochzeit im norddeutschen Hinterland. Mit Mitte 20. Respekt.
(Verheiratet waren die beiden schon vorher, nur jetzt folgte die Zeremonie. Vorher fehlte Zeit und Geld.)
Neben der Braut und dem Bräutigam war ich der einzige, der sich einigermaßen in Deutsch, Englisch und Japanisch verständigen konnte. Ich denke, das war auch eine große Entlastung für die Braut. Mit der Familie des Bräutigams, die extra wegen der Hochzeit nach Deutschland reiste, konnte ich gut reden oder eventuelle Fotokommandos geben. Die Braut musste nicht immer übersetzen.
Der japanische Vater lud mich anschließend auch in sein Haus in Saitama ein. Liebenswert.
“Ich brauche mehr Details”
Vorgaben für die Fotos machte die Braut mir kaum. Ich sollte nur möglichst viele Details und Nahaufnahmen mitnehmen. Auch sollte jeder mal auf einem Foto zu sehen sein. Und dann natürlich noch der Kuchen. Selbstdesignt.
Was mir bei meiner ersten Hochzeit noch schwer fiel, waren die Paarportraits. Inszenieren ist ja nicht so meins. Ich hatte diesmal mir etwas überlegt, wollte aber lieber mit dem arbeiten, was mir geboten wurde. Im großen, dunklen Tanzsaal im Erdgeschoss fand ich dann die Fenster, die mir das beste Portrait erlaubten. Etwas rumprobieren, zwischendurch Nase kratzen und draufhalten. Fertig.
Wir hatten vorher allerdings nicht vereinbart, wie lange ich denn Bilder machen sollte. Der Abend wurde immer länger und die Speicherkarten voller. Am Ende kam ich auf 10 Stunden Fotografieren und 2.400 Fotos. Uff.
Alleine kann man auch gar nicht alles mitnehmen. Mal muss die Karte gewechselt werden, oder für den Kuss ist das falsche Objektiv vorne dran. Wie gesagt, ich bin kein Hochzeitsfotograf. Höchstens ein Hochzeitsfotografritz.
Als Ausgleich für den langen Tag stellte mir das Brautpaar ein Zimmer in dem Gasthaus zur Verfügung. Auch zum Essen war ich eingeladen. Das war einfach nur fantastisch. Und das beste: Sobald der Teller leer war, kam eine Kellnerin und füllte ihn wieder auf. Wie ein nicht versiegendes Füllhorn. Der Traum eines jeden Studenten.
Bevor ich gegen 23 Uhr müde ins Bett fiel, nahm ich noch am Mit-Stäbchen-Essen-Wettbewerb Teil. Ich belegte den dritten Platz, nach zwei Japanern. Aber die waren eh im Vorteil.
Anschließend begann die Nacharbeit. Die über zweitausend Fotos durchzusehen, die ja auch fortlaufend gewünscht wurden, war nicht einfach und dauerte lange. Das zwischendurch noch die Semesterarbeiten an der Uni entstehen und abgegeben werden mussten, tat sein übriges. Die Braut wurde ungeduldig.
Damit sie nicht ganz ohne Bilder war, wagte ich ein Experiment. Bereits in der Kamera fiel mir auf, wie filmisch ich fotografierte. Es ergab kleine Sequenzen oder Perspektivenwechsel. Als ich nun also wieder zuhause war, lud ich alle Fotos auf den Computer und ließ sie als Bilddateien ausrechnen. Alle 2.480. Komplett unselektiert und unbearbeitet. Das reine Exportieren dauerte 5 Stunden.
“Der Unterschied zwischen einem Profi-Fotografen und einem Amateur ist: Der Profi zeigt niemals seine schlechten Bilder.”
So ein Sprichwort, das ich auch in meiner Arbeit (und diesem Blog beherzige). Hier nun aber einmal alle Bilder eines Shootings. Von unscharf bis ungenau. Hier könnt ihr mal sehen, wie ich arbeite, welche Momente viele Fotos fordern und wie ich meine Positionen korrigiere.
Das sind die Bilder, direkt wie ich sie gesehen habe.
Die nächste Hochzeit kommt bestimmt. Aber sicher nie wieder mit so vielen Fröschen.
Mehr Bilder im Blog der Braut: Meine Traumhochzeit