Frischer Frühstücksfisch – Teil 1: Der Sonne entgegen

In Tokyo gibt es den größten Fischmarkt der Welt: Tsukiji. Jeden Morgen um 5.30 Uhr findet dort eine Thunfischauktion statt, die jeder Reiseführer über Tokyo anpreist. Für einen Tokyoguide-Beitrag über Chiyoda durfte das also nicht fehlen. Also bin ich durch den Tokyoter Morgen gefahren, immer nach Osten Richtung Sonnenaufgang.

Der Tsukiji-Fischmarkt ist der größte Fischmarkt der Welt. Mehr kann ich darüber nicht schreiben. Denn was da stattfindet, lässt sich wirklich schwer in Worte packen. Man muss es selbst gesehen und erlebt haben, all den Trubel und Chaos um tonnenweise frischen Fisch. Von daher will ich ich hier mal mehr auf die Fotos konzentrieren, um einen bruchteilhaften Einblick in Tsukiji zu geben.
Ich sage bewusst bruchteilhaft, weil nur ein Ausflug in Fotos kaum den ganzen Tsukiji-Kosmos zeigt. Der beste ausländische Fotograf in Tokyo, Alfie Goodrich, sagte neulich mal über Tsukiji, dass er seit über 10 Jahren dort regelmäßig fotografiert, und immer noch nicht am Ende aller Motive ist.

Ich habe auch recht viele Fotos gemacht, daher teile ich den Beitrag mal in zwei Teile auf. Es beginnt mit dem Weg zum Markt, um 3 Uhr Morgens an einem Freitag.

Am Donnerstag zuvor war ich noch im Restaurant arbeiten. Sieben Stunden umherrennen um Wurst und Bier zu verteilen. Nach dem Ende um Mitternacht erzählte ich meinen Kollegen, dass ich nachher noch ein Shooting habe. Mein Arbeitseifer, heute nacht nicht zu schlafen um zu arbeiten, fand großen Anklang. Bei mir nicht unbedingt. Ich hätte gern geschlafen.

Kleine Ortskunde in Tokyo: Mein Restaurant lag in Chiyoda, im Osten von Tokyo, in der Nähe vom Kaiserpalast. Ich wohnte damals in Nakano, im Westen von Tokyo. Und Tsukiji liegt ebenfalls im Osten, in Chiyoda. Distanz zwischen meiner Bude und Chiyoda ist ca. 10km mitm Fahrrad.
Das hieß: Mit dem Rad zum Restaurant, von dort nach Feierabend wieder heim, drei Stunden später wieder zurück nach Chiyoda, nach dem Fischmarkt wieder heim. Alles mitm Rad.

Der Tag ging gut ins Bein, und bei all den Hügelnn auf den Weg war ich damals auch in besserer Form als jetzt im flachen Berlin.
Das Fahrrad musste ich auch nehmen, weil in Tokyo ja zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens kein Zug mehr fährt. Da die Auktion um 5.30 Uhr beginnt und man sehr früh da sein sollte, bleibt dann nur Fahrrad oder Taxi. Also mit dem Fahrrad durch die Tokyoter Nacht.

Nachts gibts auf Tokyos Straßen, neben betrunkenen Geschäftsmännern, nur noch Katzen und Taxis. Die Fahrt war sehr angenehm, freie Straßen Richtung Osten.

Das Schöne war, dass mit fortschreitender Strecke und Zeit, sich die Sonne auch mehr zeigte. Die Sonne geht ja bekanntlich im Osten auf, ich fuhr also direkt auf den Sonnenaufgang zu, durch ein absolut ruhiges und friedliches Tokyo.


Burggraben vom Kaiserpalast…. Heisst das überhaupt Burggraben? Na halt hier, Wasser und so


Stille See

Nachts wird ja auch gern auf Tokyos Straßen gebaut, um tagsüber nicht den Verkehr aufzuhalten. Die einzigen wachen Menschen, die ich zu dieser Zeit traf, waren irgendwelche Ordnungswichtel, die mit ihren Leuchtstäben an den Baustellen standen. Einige waren sichtlich erfreut, dass überhaupt mal einer vorbeikommt, den sie bitten können, ‚dort‘ entlang zu gehen. Einer kam mir direkt vor mein Fahrrad gesprungen und schrie noch „VORSICHT!“. Damit brachte er mich mehr in Gefahr als ihn. Nachdem mein Herz sich wieder gefangen hatte, entschuldigte er sich und meinte, dass hier gebaut wird und ich rechts vorbei fahren soll. Na gut, dass er es mir sagte, die zehn leuchtenden Schilder und Pfeile hätte ich doch glatt übersehen…


Nächtliche Ginza


Statue auf der Ginza, kurz vorm Fischmarkt

Der Fischmarkt liegt am Ende der Luxusmeile Ginza, und auch am äußeren Ende von Chiyoda. Soweit am Ende, dass ich es verpasste, auch wenn die Ginza schon 2km nach frischen Fisch gerochen hat. Kein Scherz, durch den Mangel an Autos und Abgasen war die Luft recht rein und die Gerüche verbreiteten sich weit. Es roch nicht mal unangenehm nach Fisch, einfach nur angenehm frisch.

Der Fluß markiert das Ende von Chiyoda, links ist es noch der Bezirk, rechts nicht mehr. Der Fischmarkt liegt am Fluß, auf dem Foto hinter mir.

Von außen sieht mans nicht, es ist einfach nur ne graue Halle. Einen verdutzten Arbeiter fragte ich, wo denn der Markt ist, und der zeigte nur auf diese große Halle auf der anderen Seite der Straße. Ich parkte mein Rad in einer dunklen Seitengasse und stellte mich an die Ampelkreuzung. Ein Taxi kam angefahren und ein junges Pärchen stand aus. Ich überlegt noch kurz, ob die auch zum Fischmarkt wollen, und meine Vermutung wurde kurz danach bestätigt. Sie steuerten direkt auf den Fischmarkt zu und blieben noch kurz am Eingangsschild stehen. Diesen kurzen Moment nutzte ich, um mich in der Schlange noch schnell vor ihnen zu platzieren.


Ja, da steht „Meister“. Eingangstür vor der wir alle warteten

Zur Thunfisch-Auktion im Tsukiji-Markt kann jeder gehen und es ist kostenfrei. Das machte sie so beliebt, dass bald die Touristenzahlen explodierten. Als sich dann noch einige Amerikaner Touristen nicht näher bestimmten Herkunft daneben benahmen, wurden nach einer einmonatigen kompletten Sperre für Touristen, neue Regeln festgelegt. Diese sagen nun, dass es pro Auktion nur zwei Gruppen à 80 Leute geben darf, die erstmal geordnet in einer Schlange anstehen müssen. Ich war der vierte in der Schlange, vor mir zwei Japanern und eine blonde Ausländerin, vom Akzent her irgendwas nordisches.
Hinter mir war dann, wie erwähnt, das Pärchen aus dem Taxi. Da war es dann so 4.50 Uhr, die Auktion sollte um 5.30 Uhr beginnen. Vorher würde es sicherlich eine Art Belehrung geben, also nahm ich an, es würde bald reingehen.

Inzwischen trafen die ersten Amis ein – laut hörbar für alle. Anscheinend waren sie noch halb betrunken aus irgend einem Club gefallen und wollten nun die toten Fische sehen. Das sie warten mussten, passte ihnen natürlich garnicht und sie beschwerten sich die ganze Zeit. Darüber unterhielten sie sich über ihre nächsten Reiseziele und sprachen die meisten Ortsnamen falsch aus. Aber gut, fließend Japanisch muss nicht jeder können, ich kann es ja auch nicht.

Die Schlange wurde immer länger und die Amerikaner immer lauter. Wir warteten die ganze Zeit darauf, durch die Tür in den Eingangsbereich zu kommen, da fährt auf einmal rechts an uns ein Bus vorbei. Es steigen eine Reihe von Touristen aus, die einfach an uns vorbei in den Eingangsbereich laufen, und dabei sogar vom Personal gelotst werden. Scheinbar gehörten die zu einer Reisegruppe oder Hotel, die einen besonderen Deal mit dem Markt haben, und die erste Gruppe stellen durften. Also mussten wir weiter warten.

Die Amis, alle mit Sonnenbrille und die Damen auf Stöckelschuhen, war das zuviel. Schließlich bezahlten sie keinen Eintritt und konnten dafür auch was verlangen! Während zwei von ihnen in der Reihe blieben, versuchten sich die anderen in die zweite Gruppe zu schleichen, die inzwischen mit orangen Sicherheitswesten aus dem Eingangsbereich herauskamen. Dann waren sie erstmal weg und es wurde ruhiger.

Keine 10min später kamen sie laut zeternd zurück, dass es wohl so doch nicht klappte und wie blöd hier doch alles ist.
Nun kamen auch wir endlich in den Eingangsbereich. Ein emsig lächelnder aber leicht überforderter Japaner drückte uns dann allen eine Broschüre in die Hand und bat uns, eine orangene Sicherheitsweste anzuziehen. Die Broschüre erklärte nochmal die Regeln, in japanisch, englisch und russisch, und dazu mussten wir noch eine Doku über Tsukiji schauen, die in einer Dauerschleife lief. Ich war dank Schlafverzicht ganz vorne, konnte aber noch sehen und hören, was die Amis hinten trieben. Sie versuchten mit dem Japaner, der natürlich kein Wort verstand und nur lächelnd auf die Broschüre verwies, zu verhandeln, dass ihre Freunde, die wohl verpennt haben, auch noch reinkommen, wenn sie später kommen.

Ich hätte ihr Anliegen übersetzen können, aber ich wollte es nicht. Ich verstand aber in diesem Moment, warum diese neue Regeln eingesetzt wurden. Es tanzen einfach zu viele Amerikaner Touristen aus der Reihe, die einfach nicht verstehen oder respektieren, dass das hier kein Vergnügungspark ist, sondern ein Markt auf dem Leute arbeiten und ihrem Geschäft nachgehen.

Nach einer weiteren Wartezeit durften wir endlich zur Auktion, immer aufmerksam beobachtet von den Sicherheitsfutzis, die uns den richtigen Weg zeigten. Zwischendurch mussten wir auch aufmerksam sein, um nicht selbst überfahren zu werden. Ständig fuhren kleine Einmann-Laster hin und her, oder zentnerschwere Fische wurden auf Karren transportiert.

Doch Zeit für Fotos blieb keine, die Sicherheitsfutzis spurten voran und hinter mir kam der Rest der Schlange – und meine Position weit vorne wollte ich nicht verlieren.

Durch eine unscheinbare Tür und an einem weiteren lächelnden Japaner vorbei, ging es dann in die Auktionshalle hinein. Auf dem Boden lagen riesige gefrorene Thunfische, zwischendurch Leute, die sich die Fischkörper genau anschauten. In der Halle, direkt vor der Tür, durch die wir kamen, waren nun zwei orange Bänder gespannt, ungefähr auf Knöchelhöhe. Sie bildeten einen ca. 1m breiten Gang, die Halle entlang. Mehrsprachige Schilder wiesen daraufhin, dass Touristen sich nur in zwischen diesen Bändern bewegen dürfen. Dazu keine Fotografie mit Blitz, laute Rufe oder sonstiges, das die Händler ablenken könnte.

Die Händler selbst jedoch waren anscheinend schon an die Touristengruppen gewöhnt, die sich da täglich beteiligen, und ignorierten uns komplett.
Weit vorne, direkt links am Band positionierte ich mich, mit freien Blick auf Fisch und Volk. Da blieb ich nun, die ganze Zeit über. Die Position wollte ich nicht aufgeben, da schnell alles voll und zugestellt war. Alle Fotos von der Auktion sind also nur aus einer Position gemacht.

Es passiert erstmal nicht mehr viel. Die Herren schauten sich den Fisch an und bereiteten sich auf die Auktion vor.

Am Schwanz wird eine Kerbe eingeschlagen und mit dem Haken wird das Fleisch betrachtet. Die Qualität und somit der Preis eines Fischs läßt sich an der Färbung des Fleisches erkennen, bzw. nur erahnen. Denn eine Schwanzflosse allein macht noch kein gutes Sushi.

Es wird genau inspiziert, ob es sich lohnt, viel für den Fisch zu bieten.

Mehrere tausend Euro pro Kilo sind keine Seltenheit. Daher drängen sich viele Händler um den Fisch und hauen ihre Haken rein, wie Geier in ein totes Tier.

Die scharfen Haken werden dabei an den Gürtel gehängt oder ganz lässig in die Gummistiefel gesteckt.

Die Händler sind natürlich auch wirklich Originale und seit Jahren dabei. Sie sprechen ihre eigene Sprache, handeln seit Jahrzehnten mit Tonnen von Fisch für Millionen Yen – jeden Tag. Mein Vermieter erzählte mir mal, wie er für ein Sushi-Restaurant gearbeitet hat. Sein Meister nahm in an einem Morgen mal mit zum Fischmarkt. Er war zutiefst beeindruckt von den Menschen und den Treiben.

Die Leute kennen sich und gehören derselben Gruppe an. Trotzdem sind es natürlich alles Konkurrenten, die jeweils andere Firmen vertreten. Respekt und Neid, Sieg und Verlust steht da beides an der Tagesordnung. Und zwar an jedem Tag, an jedem Morgen.

Den Beginn der Auktion und den Rest vom Markt behandle ich dann im zweiten Teil. Das mit den Amis möchte ich aber hier noch abschließen:

Als ich aus der Auktion herauskomme, kommt ein junger, etwas gestresster Ami auf mich zu und fragt mich, ob ich Englisch kann. (Interessanterweise habe ich in Japan nur Amerikaner erlebt, die andere Ausländer fragen, ob sie Englisch können. Jeder andere Ausländer, von Indiern und Pakistanis abgesehen, sprach mich immer auf Englisch an.) Klar, sage ich, ich kann Englisch. Dann fragte er mich, wo es denn hier zur Auktion geht. Es war inzwischen halb 7 Uhr morgens und ich meinte, da hätte er früher aufstehen sollen, denn die ist schon vorbei. „Well, Fuck me!“ fluchte er und ging wortlos an mir vorbei.

Als ich später dann wieder nachhause kam und frühstückte, traf ich auf meine japanisch-amerikanische Mitbewohnerin, mit der ich bis heute gut befreundet bin. Ich erzählte ihr von den Amis, die ich heute traf, und sie nickte nur zustimmend. Sie kennt diese Sorte ihrer (halben) Landsleute, und sie ist genauso genervt von denen wie ich. Sie sagte mir etwas, was mir bis heute im Gedächtnis bleibt und wohl am Besten die meisten Amerikaner in Japan beschreibt:

„Viele (Amerikaner) kommen nach Japan und sehen das Land als ihren Vergnügungspark an. Für ihr Ticket wollen sie auch was geboten sehen, und führen sich auf wie zahlende Kunden, ohne zu zahlen oder sich als respektvollen Gast zu verhalten. Und die Japaner sind meistens zu höflich oder sprachlich zu unerfahren, um ihnen zu widersprechen.“

Ob die Amis sich so benehmen, weil vor 60 Jahren mal Krieg war, den sie mit einem zweifachen Massenmord an Zivilisten gewannen, und dann als Besatzungsmacht sagen konnte, wie der Hase läuft? (Hier auch ein schöner Eintrag über Amerikaner und Anti-Japan-Propaganda, die bis heute Vorurteile in Amerika über Japan verursacht)
Oder weil die meisten Amis keine Ahnung von dem haben, was jenseits ihrer Küsten passiert (es sei denn es gibt Öl)?

Ich weiss es nicht. Und ich habe auch genauso einige coole Amerikaner in Tokyo getroffen, mit denen ich nach wie vor befreundet bin und die genauso genervt waren, von dem durchschnittlichen Ami-Touristen, der ihnen begegnet.

Dafür, dass sie sie still lächelnd trotzdem ertragen, und nicht gleich alle Ausländer verteufeln weil ein paar davon sich daneben benehmen (so wie das in Deutschland sonst üblich ist), gebührt den Japanern ein großer Respekt.

Mehr Fisch und weniger Amis gibts dann in Teil 2….

Impressionen: Chiyoda

Für ein deutsches Magazin mache ich derzeit eine Art Tokyo Guide, zu verschiedenen Stadtteilen und -zentren von der Metropole, jeweils mit Text und Bildern. Den Anfang machte Shinjuku, der zweite Teil war Harajuku, der dritte Shibuya, der vierte Shimokitazawa und hier nun Chiyoda.

Chiyoda ist das Zentrum von Tokyo und gleichzeitig das Zentrum von Japan, da so viele Wirtschafts- und Politik-Standorte sich hier sammeln. Und der Palast vom göttlichen Kaiser steht hier natürlich auch. Ich hatte schon ein paar Bilder aus Chiyoda verblogt: das Raumschiff Tokyo und ein Postkartenmotiv vom Kaiserpalast.
Der größte Fischmarkt der Welt, Tsukiji, steht auch hier, aber zu dem komme ich in einem seperaten Beitrag.

Ich fand Chiyoda eigentlich immer ganz angenehem. Am Kaiserpalast entlang ist wahrscheinlich die schönste Radstrecke der Stadt – fährt man Richtung Südosten ist es sogar die angenehmste, weil es 10min lang nur bergab geht. Ich bin die Strecke fast täglich gefahren, da ich so zu meinem Restaurant gekommen bin. Den Weg hinauf, mit Dynamo an, ist allerdings nich so angenehm.

In Chiyoda ist Tokyo wohl am tokyoigsten – Alt und Neu treffen aufeinander. Bei der Durchsicht der Bilder jetzt fiel mir auch auf, wie oft ich mit Gegensätzen gearbeitet habe, ohne wirklich drauf zu achten. Schaut mal genauer hin, ganz oft ist es ein Spiel mit Klein – Groß, Stadt – Natur oder Mensch – Metropole. Das bietet sich in Tokyo ja auch einfach an.


Seht ihr den kleinen Menschen?


Dachgarten auf nem Hochhaus


Die Ginza


Das weite Ende der Ginza am frühen Morgen

Nagasaki – Stadt im Regen

Der zweite Tag in Nagasaki beginnt im Nebel und im Regen. Wie das ganze Land im Juni/Juli ist auch Nagasaki eingepackt in Nässe und Feuchtigkeit – und ich war es ebenso. Eine Freundin wollte am Nachmittag diesen Tages in Nagasaki eintreffen, so hatte ich den halben Tag um die Stadt zu entdecken. Es begann mit einem Friedhof im Nebel…

Nagasaki hat für eine Stadt eine etwas ungewöhnliche Form. Langgestreckt an einer Bucht, in einem Tal zwischen mehreren Hügeln und Bergen gelegen. Diese langgestreckte Form hat bei der Explosion der Atombombe zwar nicht wirklich Schlimmeres verhindert, aber es hat etwas anders und hemmender gewirkt, als in Hiroshima.

Stadtzentrum, auch wenn es keins gibt, liegt eher auf dem östlichen Teil der Bucht. Mein Ziel an diesem Morgen war die Westseite der Bucht, die von Touristen vorallem bei diesem Wetter ignoriert wurde. Auf der Westseite gibt es laut Reiseführer nur eine Seilbahn den Berg hinauf, und einen alten Friedhof für Ausländer, der bezeichnenderweise weit weg von der Stadt früher war.
Ich holte mir mein Frühstück in einem Konbini (Ananas-Saft, irgendwas weiches, teigartiges Süßes und ein weicher Teig mit einer cremigen Käse-Schinken Füllung drin), und schaute beim Essen auf das Meer – oder zumindest das, was man davon erkennen konnte.

Ein einsamer Fischer hielt seinen Angel in die Suppe, wohl in der Hoffnung die Fische würden ihn im Nebel nicht entdecken. In den 20 min, die ich dort weilte, vermochte er allerdings nichts zu fangen.

Ich parkte meinen großen Rucksack am Bahnhof und ging weiter an der Bucht entlang.


Die andere Seite, keine 500m entfernt aber trotzdem im Nebel verschluckt. Links im Nebel und nicht im Bild sind die Mitsubishi-Schwerindustriewerke, die da schon 1945 standen und, wenn ich mich nicht komplett irre, das ursprüngliche Ziel für die Atombombe vom 9. August sein sollten

Ich suchte eine Brücke und mir blieb nichts anderes übrig, als weiter ins Graue zu gehen, da ich einfach keine Brücke sehen konnte. Ich sah nur ein paar hundert Meter weit, danach war nur noch nichts. Auf dem Stadtplan meinte ich eine Brücke gesehen zu haben, also schritt ich voran.

Nach einer halben Stunde fand ich eine und ging rüber. Das hier wirklich touristenbefreite Zone war, merkte ich an den Mangel an den sonst reichlich vorhandenen zweisprachigen Straßenschildern und den verwunderten Blicken, die mir begegneten. Ich wusste nur die grobe Richtung vom Friedhof, also ging ich einfach drauf los, in der Hoffnung den irgendwann dann schon zu sehen. Bei diesem Gedankengang muss mir wohl entfallen sein, dass der Nebel alles geschluckt hatte.

An einer kleinen Kreuzung stand ich nun und versuchte die Himmelsrichtung zu raten. Eine ältere Dame, die mich ganz besorgt von ihrem Blumenladen anschaute, der in dem Grau des Nebels die einzigen Farbelemente lieferte, kam dann auf mich zu, und fragte mich, wohin ich möchte. Ich griff nach meinem Wörterbuch um „Friedhof“ nachzuschlagen, nur um zu merken, dass dieses noch in Tokyo lag und ich vergessen hatte es einzupacken. Mir sind dann nur die Worte für „Tod“ eingefallen, was die Dame etwas beängstigte.

Sie dachte dann, das ich als Ausländer wohl bestimmt zur Seilbahn möchte, doch ich verneinte. Hilflos wie ich, wendete sie sich dann an ihre Tochter, oder Schwiegertochter, so ganz genau konnte ich das nicht erkennen, die mich dann auf Englisch fragte, wohin ich möchte. Sie verstand recht schnell, übersetzte für die alte Dame die mir dann fünfmal und in ganz langsamen Japanisch erklärte, dass ich einfach nur 50m geradeaus gehen musste. Komplett mit Handzeichen und persönlicher Begleitung auf den ersten fünf Metern, damit ich es auch ja nicht verfehle. Sie, die junge Dame und ihr Sohn oder Schwiegersohn, der dann auch aus dem Laden kam, lächelten mich dann noch an und wünschten mir alles Gute. Ich bedankte mich sehr und sah noch, wie sie mir hinterher schauten, als ich im Nebel Richtung Friedhof verschwand.

Am Eingang war ein kleiner Teich, über den eine Brücke zum Friedhof führte. Im Teich blühte der Lotus, in dessen Blätter sich der Regen zu großen Tropfen sammelte.

Zwischen den Pflanzen schwammen ein paar Schildkröten durch den dreckigen Teich.

Wohl in der Erwartung ich hätte Futter dabei, schwammen sie auf mich zu und reckte ihre Hälse aus dem Panzer in meine Richtung.

Auf dem Weg zum Friedhof lief ich an zwei schwatzenden Älteren vorbei, von denen der eine in meine Richtung kam, als ich die Schildkröten betrachtete. Er stand da kurz mit mir im Regen und schaute zu den Tieren und dann zu mir. Ein vertrauensvolles Lächeln bildete sich in seinem Gesicht, und ich glaubte, er wollte mit mir Reden, doch ihn hatte dann wohl doch der Mut verlassen. Er murmelte ein (frei übersetzt) „So ist das, nicht wahr…“, lächelte mich noch einmal an, und ging an mir vorbei.

Hinter dem schmiedeeisernem Tor erwartete mich ein alter und völlig überwucherter Friedhof.
Nagasaki hat eine lange Geschichte vom Handel mit dem Westen, vorallem mit Portugal, England und Holland, und anderen ausländischen Besuchern. Bis dann in der Edo-Zeit die Tore dicht gemacht wurde und nur noch eine kleine Minderheit von Holländer auf einer kleinen eigenen Insel vor den Toren Nagasakis ihr Dasein fristeten und nur einmal im Jahr raus durften.

Über mehrere Jahrhunderte kamen ausländische Besucher nach Nagasaki. Sie blieben und starben unweigerlich hier. Die Japaner oder die eigenen Landsleute erwiesen den größtenteils christlichen Besuchern die letzte Ehre und bestatteten sie mit einem standesgemäßen Begräbnis.

Die Grabsteine sind vom Zahn der Zeit inzwischen komplett abgekaut worden, und nicht einmal der Stein erinnert sich an die Toten, die einst in dieser Stadt gelebt haben.

Das ich mir nun grad einen Friedhof ausgesucht habe, für meinen ersten Ausflug in Nagasaki, ist vielleicht ungewöhnlich, aber durchaus passend. Friedhöfe wirken immer eine gewisse Faszination auf mich aus, sie erzählen die Geschichte der Stadt, ihrer Toten und ihrer lebenden Bewohner, die herkommen und die Toten ehren.
Ich hab mal überlegt, der wievielte Friedhof das jetzt ist, den ich mit einer intensiven Fototour verbunden habe: Seit 2009 war das nun insgesamt siebte, von denen ich allerdings bisher nur einen verbloggt habe. Und sicherlich war der in Nagasaki der Erste im Nebel.

Der Friedhof war, wie so oft in Japan, an einem Hügel gelegen. Am Fuße lag der Teich und die alten Gräber für Ausländer. In zunächst regelmäßigen, dann sehr ungleichmäßigen Terrassen ging es weiter den Hügel hinauf, verbunden zunächst durch eine Steintreppe mit geschmackvollen Laternen.

Relativ geordnet und teilweise durch Tore und Schlösser versperrt, hatte jedes Land und teilweise jede verschiedene Epoche ihr eigenes Areal, von denen nur noch die russische Abteilung eine Plakette hatte.

Der russische Einfluss in Nagasaki ist ein (mir) sehr unbekanntes Kapitel japanischer Geschichte, ich vermute allerdings dass der erst nach der Edo-Zeit eingetreten ist. Bleibt mir nur noch zu sagen, dass die Russen von allen Gräbern, das Neueste und dickste Schloss an ihrem Tor hatten. Nicht das noch einer nen tonnenschweren Grabstein mitnimmt…

Etwas nach den Russen begannen schon die japanischen Gräber, teilweise reichlich verziert und üppig, vermutlich von wohlhabenden Bewohnern Nagasakis, eventuell sogar solche, die durch den Handel mit dem Westen wohlhabend wurden, auch wenn diese Verbindung im Tod wohl etwas weit hergeholt ist.

Friedhof Panorama

Oben war dann erstmal Schluss, denn eine Straße lief durch die Gräber.

Links ging es dann allerdings schon weiter mit dem Friedhof. Ich machte mich auf dem Weg, den Hügel hinauf und an ihm entlang. Wohin der Blick reichte, und das war an diesem Morgen nicht sonderlich weit, gab es nur Gräber. Diesmal alle japanischen Ursprungs, bis auf ein paar chinesische und koreanische Ausnahmen. Das größte und absolut protzigste Grab hatte ein chinesischer Konsul, dass ich so widerlich dekadent fand, dass ich garnicht erst ein Foto davon machte.

Stattdessen lieber von diesen skurilen Gestalten:

Für die Dinger hätte ich gerne eine Erklärung.
So wie ich mir das zusammen reime, waren das religiöse Figuren, deren Köpfe abgetrennt, und durch einen Klumpen Ton ersetzt wurden, in die dann minimale Gesichtszüge geritzt wurden. Diese kleinen Figuren mit ihren abnormen Köpfen fanden sich überall in diesem Bereich des Friedhofs.

Denkt man an Nagasakis Geschichte, kommt mir die christliche Vergangenheit in den Sinn. Für mehr als 200 Jahre war das Christentum in Japan auf Strafe verboten, nur in Nagasaki, welches seit jeher einem Einfluss aus dem Ausland ausgesetzt war, konnte sich eine kleine Minderheit erhalten.
In der Zeit des Verbots wurden christliche Symbole zerbrochen oder komplett zerstört. Darstellungen von Jesus wurden verboten, sodass japanische Christen sich halfen in dem sie buddhistische oder shintoistische Figuren oder Symbole als Statthalter nahmen und für ihre sakralen Zwecke umdeuteten.
Diese kleinen Figuren auf dem Friedhof könnten christliche Heilige sein, deren Köpfe abgetrennt wurden und nun, unkenntlich, wieder ein Gesicht verpasst wurde. Doch diese Figuren könnten unmöglich so alt sein! In der Meiji-zeit, Ende des 19. Jhd. wurde das Christentum wieder „legalisiert“, Jesus und seine Kollegen waren wieder voll okay. Diese Figuren müssten somit älter als 150 Jahre sein.


Friedlich mit dem Buddha zusammen

Vielleicht ist das aber auch nur eine gewisse Tradition, um an diese Zeit zu erinnern, mit neuen Figuren. Doch erstaunlich welche Kapitel der Geschichte sich zwischen den Gräbern verstecken. Um die Geschichte einer Gesellschaft zu begreifen, hilft es auch sich das Vermächtnis ihrer Toten anzuschauen.

Das einzig Lebendige zwischen all dem Stein waren nur die Pflanze, denen der Regen absolut nichts ausmachte.

Neben Pflanzen waren auch zahlreiche Katzen auf dem Friedhof, die mich neugierig und skeptisch zwischen den Gräbern beobachteten.


Seht ihr sie? Sie sah mich definitiv. Spionage-Katzen…

Eine Katze konnte ich locken. Das eingangs erwähnte weiche Käse-Schinken Gemisch, dass ich angewiedert in die Tiefen meiner Umhängetasche verbannte, war der Katze ganz recht.

Für die „Bezahlung“ posierte sie auch gerne für meine Kamera.

Als sie merkte, dass ich meine Kamera wegsteckte und nicht noch mehr weiches Teig-Imitat japanischer Art rausholte, war das Shooting für sie vorbei und sie verschwand wieder, irgendwo zwischen Nebel und Grabstein.

Ich streifte weiter durch das Gelände. Zwischen toten Blumen für tote Menschen…

…vorbei an Efeu, der sich an den Stein wie an das Leben klammert…

…entdeckte ich noch einen weiteren Bewohner dieses Friedhofs, der zwischen zwei Gräbern auf Beute hoffte, die sich in diesem Regen nicht ganz einstellen wollte.

Leider wollte sie partout nicht still halten, ihr Netz tanzte mit dem Wind und die Tropfen leuchteten im Morgennebel.

Bei den Lichtverhältnissen war es leider echt schwer, sie scharf zu kriegen. Obwohl ich eine halbe Stunde(!) probierte, und eigentlich schon nach 15min die Lust verloren hatte, wollte ich sie noch mitnehmen.

Für das Shooting wollte ich ihr, wie der Katze, auch etwas geben. Doch mein Käse-Schinken Brei aus meiner Tasche wär nix für sie gewesen (obwohl anscheinend schon vorverdaut), und ein Käfer, den ich fangen wollte, war leider zu schnell für mich. Na vielleicht frisst sie ja die Katze. Oder andersrum.

An diesem Punkt der Geschichte, eigentlich schon drei Stunden vorher, war ich komplett durchnässt. Zum Fotografieren brauchte ich beide Hände und legte den Schirm oft beiseite. Die hohe Luftfeuchtigkeit und die Bergbesteigung bei 28+°C tat ihr übriges. Zudem war ich müde, weil ich in der Nacht keinen guten Schlaf bekommen hatte. Ich wollte nur noch meine Freundin abholen, in ein Gasthaus gehen und pennen.

Der Nebel hatte inzwischen etwas nachgelassen und ich steuerte auf die nächste große Brücke zu, die über die Bucht führte. Ich konnte keinen Zugang zur Brücke ausser der Autostraße erkennen. Also lief ich einfach unter der Brücke entlang, die ca. 50m über mir verlief. Unten am Wasser, und immernoch ohne Fußgängerzugang, standen ein paar Angler, die etwas frustriert ihre Angeln im dunklen Wasser unter der Brücke hielten. Ich ging auf sie zu und fragte, wo denn die Brücke sei. Etwas irritiert zeigten sie nur nach oben.
Jaja, sag ich, ich mein die Fußgängerbrücke. Einer aus der Gruppe entgegnete dann auf meine japanische Frage in Englisch. „Bridge?“ sagt er, ich antwortete wieder auf japanisch „Ja die Brücke“.

Auf Englisch erklärte er mir dann, zwar etwas grummelig aber höflich, dass da drüben der Zugang zur großen Brücke über uns war. Ich bedankte mich auf japanisch und er wünschte mir mit ebenfalls grummeligen Ton noch einen schönen Tag auf Englisch. Als ich dann etwas von der Gruppe weg war, drehte ich mich nochmal um und merkte, dass der, der Englisch mit mir sprach, mir hinterherschaute um sicherzugehen, dass ich auch die richtige Richtung (gerade aus) nicht verfehle, und rief mir noch mal auf Englisch hinterher, dass es gleich da vorne ist. Sehr freundlicher Herr, auch wenn er auf den ersten Blick recht stoffelig wirkte. Vielleicht macht das der Mangel an Sonnenlicht im Nebel und unter der Brücke mit einem…

Eine unscheinbare gelbe Wendeltreppe führte dann zur großen Brücke hinauf und über die Bucht, wieder direkt zum Bahnhof. Ich war der einzige Fußgänger auf der Brücke.
Wieder am Bahnhof angekommen, und noch etwas Zeit zur Verfügung ging ich wieder zu dem kostenlosen Internet in der Bibliothek. Schließlich hatte ich ja jetzt einen Ausweis.
Ich schickte meiner Freundin noch schnell eine Nachricht und suchte ein paar Gasthäuser raus. Die Entscheidung wollte ich ihr überlassen und sie plädierte für traditionell japanisch. Ich checkte noch schnell die Nachrichten aus Deutschland, denn schließlich sollte heut abend noch das WM Spiel Deutschland gegen Argentinien stattfinden.

Ich machte mich auf dem Weg zum Gasthaus, dass nur 15min vom Bahnhof lag und checkte ein. Ein übereifriger Betreiber freute sich über den ausländischen Besuch und fragte natürlich gleich woher ich komme. Deutschland, sagte ich. Er grinste und meint „Ah, die spielen doch heute? Viel Erfolg!“. Ich konnt mich nur noch schnell bedanken und ein Zimmer für zwei buchen, da rief schon meine Freundin an. Sie ist endlich in Nagasaki gelandet. Ich erklärte dem Betreiber, dass ich sie noch schnell abhole und gleich wieder da bin.

Wobei das nicht ganz stimmt, denn anstatt auf japanisch zu sagen „Meine Freundin ist am Bahnhof“ sagte ich „Meine Freundin ist ein Bahnhof“. Der Faux Pas fiel mir dann auf dem Weg zum Bahnhof bzw zu meiner Freundin noch auf, aber ich glaub, der wusste schon was ich meinte.


Statue am Bahnhof

Mein Gepäck konnte ich dann auch gleich am Bahnhof abholen und wir gingen zum Gasthaus. Unterwegs sprachen wir über Gunkanjima und das WM-Spiel heute abend. Ich meinte „Nachdem Deutschland dann heute gewonnen hat, können wir uns auf die Insel konzentrieren.“ Meine japanische Freundin war irritiert. „Du kannst doch garnicht wissen, dass Deutschland heute gewinnt?“. Doch, doch das konnte ich.

Das Gasthaus roch frisch nach Tatami und war angenehm hell. Ich nahm die dringend benötigte Dusche und schlüpfte in frische Klamotten. Trocken und warm legte ich mir meinen Futon zurecht, dabei wie üblich drei Futons übereinander. Wir redeten noch kurz über Gunkanjima. Unser Kontakt in Nagasaki hatte sich noch einmal gemeldet. Er wollte wissen, für welches Medium ich schreiben will und wie hoch die Auflage ist. Ich gab meiner Freundin alle Infos, legte mich hin und wollte nur kurz meine Augen ausruhen. Sie telefonierte.

ich bin zwischendrin eingeschlafen, ich wachte nur kurz auf, als meine Freundin am Fenster stand und mit dem Verteter der Stadt telefonierte. Ich fand das Licht am Fenster wunderbar, griff im Liegen meine Kamera, drückte ab und schlief wieder ein.


Sie beschwerte sich dann nachher, dass sie auf dem Bild doch arg breit aussieht, aber das macht allein die Perspektive

Irgendwann, als es schon dunkel war, wachte ich auf. Meine Freundin war fixiert auf ihr Handy, das sie in Gedanken versunken betrachtete. Meine erste Frage war natürlich „Wie spät ist es?? Spielt Deutschland schon??“, doch bis zum Spiel waren es noch zwei Stunden, in denen man noch ein gutes Essen einlegen sollte.

Sie gab mir dann die Kurzfassung zu ihren Gesprächen. Wie schon im Wetterbericht angekündigt sind die Wellen vor der Küste leider derzeit sehr stark und es ist gefährlich, zur Insel zu fahren. Sollte es morgen noch machbar sein, bekommen wir im Laufe des Tages einen Anruf. Unser Kontakt bei der Stadt hat einen Fischer organisiert, der uns für ein paar Yen auf die Insel rübersetzt.

Die Insel kann man auch als Tourist betreten, indem man mit hundert anderen auf ein Boot verfrachtet wird, die dann mit dir zusammen 30-45min auf der Insel sind und durchs Bild laufen. Das wollte ich vermeiden, also suchten wir uns Zeiten raus, die nicht mit den Touristen kollidierten. Allerdings war das für dieses Wochenende auch hinfällig, da bei dem Wetter keine Touristen rübersetzten. Für uns sollte eine Ausnahme gemacht werden, wenn das Wetter ist.

Mein ursprünglicher Wunsch war es eine Nacht auf der Insel zwischen den Ruinen zu verbringen. Denn Fotos von der Insel gibt es inzwischen reichlich, doch bei nacht war noch keiner da. Meiner Freundin gefiel der Gedanke absolut nicht, doch ich war gespannt. Nur musste die Stadt Nagasaki entscheiden, ob ich das darf oder nicht. Und da zählten harte Zahlen der Auflage des Mediums und Größe des Abdrucks darin.

Um den Fischer zu treffen, der uns zur Ruineninsel bringen sollte mussten wir in einen kleinen Ort fahren, anderthalb Stunden vor Nagasaki. Wenn der Anruf morgen kommt, würden wir uns auf den Weg machen. Ich machte mir noch Gedanken ums Licht, wenn das Wetter so sein sollte wie heute, doch zunächst zählte erstmal überhaupt auf die Insel zu kommen, wegen der ich hergekommen war. Ddie Zeit drängte etwas, da meine Begleitung bereits in zwei Tagen Nagasaki verlässt, und sie unter anderem auch wegen der Insel hergekommen ist. Und ich selbst würde in 6 Tagen Richtung Deutschland fliegen. Meine Reise nach Japan und nach Nagasaki sollte nicht ohne eine Reise zur Ruineninsel bleiben.

Nun wollten wir endlich was essen. Nagasaki hat, wie absolut jeder Ort in Japan, eine lokale Delikatesse bzw. Spezialität. In Nagasaki gab es unter anderem Nudeln mit Meeresfrüchten, serviert in einer Créme-Soße, die dann meine japanische Begleitung auch orderte. Ich begnügte mich mit Ramen. Dann kam schon das Spiel.

Auf einem HD-Fernseher sah ich dann eines der besten deutsche Spiele bei dieser WM. Beim ersten Tor schrie ich schon das ganze Haus zusammen, bei den dann noch folgenden drei Toren ohne Gegentor nahm ich mir immer ein Kissen und brüllte da hinein. Selbst meine Begleitung, die sonst wenig Lust auf Fußball hat, war von dem Spiel begeistert. Am nächsten Morgen wollte ich mich eigentlich beim Betreiber für meinen lauten Jubel in der Nacht entschuldigen. Doch als der mich dann mit „Gratulation!“ begrüßte, wusste ich, das war nicht mehr nötig.

Nach dem Spiel war ich bester Laune. Deutschland hatte gewonnen und ich würde nach Gunkanjima gehen.

Endlich Sonnenschein im Nebel von Nagasaki

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Die Nagasaki-Nacherzählung:

Teil I – Nach Nagasaki, der Insel wegen
Teil II – Nagasaki, Stadt im Regen
Teil III – Buddha und die zerstörte Stadt
Teil IV – Gräber, die die Stadt hinauf wachsen
Teil V – Die touristenfreundliche Ruine im Pazifik
Teil VI – Eine Insel für die Holländer und ihre Dirnen


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Acht Uhr Fünfzehn morgens

Exponat aus dem Museum in Hiroshima, Spender: Akita Kawagoe

Am 6. August 1945 um 8.15 Uhr morgens blieben in Hiroshima die Uhren stehen. Mehrere zehntausend Menschen verdampften in dem Bruchteil einer Sekunde, nicht einmal mehr Staub blieb von ihren Leben übrig. Für Erwachsene, Kinder, Großeltern oder noch nicht einmal Geborene war vor 65 Jahren jegliche Existenz vernichtet worden.

Ich war in Hiroshima, aber ich möchte hier wenig drüber schreiben. Das hab ich an dieser Stelle im Blog oder ansatzweise in diesem Buch über Hiroshima schon getan. Trotzdem möchte ich mit diesen Eintrag, der am 6. August um 8.15 Uhr nach japanischer Zeit online geht, ein wenig daran erinnern.


Der Atombomben-Dom, die ewige Ruine


Der Dom als Miniatur im Museum


Sehr plastische Darstellung von Szenen nach der Explosion im Museum


500m über diesen Punkt war das Hypocenter, das Zentrum der Explosion. Hier stand früher ein Krankenhaus. Kranke, Verwundete, Patienten und Personal hatten keine Chance auf ein Überleben und wurden komplett ausgelöscht.

Für mich persönlich ist es immernoch schwer mir vorzustellen, wie ein Mensch von einem Augenblick auf den anderen aufhört zu existieren. Wenn jemand stirbt, bleiben noch seine sterblichen Übereste, seine Verwandten, Kollegen oder irgendeine Akte, die ihn nicht vergisst. Wenn alles in weniger als einer Sekunde mit ihm verbrennt und verschwindet, verschwindet der Mensch – komplett.

„Mit jedem Menschen sterben auch die Toten, die nur in ihm noch gelebt hatten.“
Richard von Schaukal