Bye Bye Hatsudai

Am Montag ziehe ich um. Zeit für einen Rückblick auf 6 Monate Japan und ein halbes Jahr WG in Hatsudai, Shinjuku.

Die Wohnung in Hatsudai hatte ich schon gefunden, bevor ich nach Japan geflogen bin. Über das Forum der deutschen Community Tokyo habe ich öffentlich nach einer WG gesucht und wurde von meinem jetzigen (Noch-)Mitbewohner angesprochen. Hier würde Einer ausziehen und das Datum deckte sich auch schön mit meinem Flugdatum. Ich hatte mir Fotos angeschaut, die eigentlich nur meine Vorurteile von kleinen japanischen Zimmern bestätigten, doch Miete und zwei deutsche Mitbewohner Ende 20, die fließend Japanisch können, dazu die Wohnlage zentral in Shinjuku, gaben dann den Ausschlag.

Es war ein Appartment-Komplex, groß und gesichtslos wie überall in Tokyo.

Aber durchaus mehr als in Ordnung. Mein Zimmer dekorierte ich mit Fotos und Mitbringseln aus Berlin.

In Berlin kann ich von meinem Fenster aus, jeden morgen nach dem Aufwachen den Fernsehturm sehen. Deswegen stellte ich mir in Tokyo einen kleinen Fernsehturm vors vergitterte Fenster.

Vergittert war es, weil mein Fenster draußen zum Gang hin war, durch den die Leute gingen, wenn sie in ihre Wohnung wollten. Das war nicht so schlimm, da unsere Wohnung die letzte im Gang ist.

Nervig war nur, dass mein Fenster direkt zur Straße hinaus geht, wo der Tokyo Expressway entlang läuft, der zwischen Tag und Nacht keinen Unterschied macht und immer laut ist.

Dazu war das Fenster nicht ordentlich abgedichtet, sodass seitdem es etwas kühler ist, immer eine kalte Brise über mein Bett weht. Auch wenn rauchende Gäste da sind, die vor der Wohnung rauchen, zieht das immer schön in mein Zimmer rein und steht und stinkt.

Vor der Wohnung stehen auch viele Fahrräder. Meine Mitbewohner sind beide Bike-Freaks und haben insgesamt nun fünf Räder. Wenn sie Freunde einladen (ebenfalls Bike-Freaks) wird es vor meinem Fenster richtig voll, und vor Drahteseln gibt es kein Treten mehr. Zudem liegt mein Zimmer direkt neben der Haustür, die jedesmal laut scheppert wenn sie ins Scharnier fällt.

Doch die Aussicht auf die Skyline von Shinjuku ist bemerkenswert.


Links das Metropolitan Government Building, rechts das Park Hyatt

Und bei Nacht leuchtet alles auf:

Wenn ich ein Shooting habe, mich auf den Weg mache und die Wohnung verlasse, sehe ich links immer die Hochhäuser von Tokyo und die Skyline von Shinjuku. Schon cool.

Tokyo Diaries

In dem Zimmer hier wohnte früher der Autor von dem Buch Tokyo Diaries, was mich sehr überrascht hat, als ich es erfahren habe.

Ich hatte nämlich das Buch von meinem ehemaligen Arbeitgeber in Berlin zum Abschied geschenkt bekommen. Ich habe es sogar mit nach Tokyo genommen, auch wenn mir die Zeit zum Lesen fehlt, und ich das Buch nur als Unterlage für meinen Laptop benutze. Dafür ist es allerdings super.

Als man mir das Buch schenkte, sagte man mir, dass ich nicht so viel saufen sollte wie der Typ im Buch. Unabhängig voneinander meinten meine Mitbewohner (und somit seine ehemaligen Mitbewohner, die auch im Buch auftauchen), dass der Typ auch Alkoholiker ist, soviel wie der säuft. Na, so sind sie eben die Punkrocker, Rock’n’Roll Lifestyle.

Der Autor zog aus, und eine Woche später zog ich vor einem halben Jahr hier ein. Nun ziehe auch ich aus, um Platz zu machen, für die Freundin meines Mitbewohners. Sie möchte mein Zimmer, also muss ich gehen.

Doch allzu traurig bin ich nicht. Ich freue mich auf meine neue Bude, auch wenn sie mit 4,6qm sehr viel kleiner ist. Es sind aber auch andere Gründe, die mich zum Auszug bewegen.

Seitdem ich hier wohne, wird draußen gebaut, gebohrt, gehämmert und gemacht. Gerne auch mal, so wie gestern, bis 3 Uhr nachts, um den Verkehr am Tag nicht aufzuhalten (dafür dann aber meinen Schlaf in der Nacht). Ebenso auch die Chinesen nebenan, die meinen jeden Tag laut Party machen zu müssen, bis 5 Uhr früh. Die Musik dringt dabei durch die dünnen Wände wie ein Samuraischwert durch mein Trommelfell.

Meine Mitbewohner sind Mitbewohner, aber eben keine Freunde. So halten sie es nicht für notwendig mich zu fragen, wenn sie Gäste einladen, die die nächsten Wochen auf der Couch verbringen und mich bei der Arbeit stören. Meistens sagen sie auch nicht mal mehr wenigstens vorher Bescheid, sodass ich morgens in die Küche gehe und da ein wildfremder Typ auf der Couch liegt und pennt.

Einmal sagten sie mir Bescheid und meinten “Ja, da kommt nachher noch ein Typ vorbei” – und machten sich auf den Staub. Es klingelte und es kam jemand rein. Hinter ihm noch einer, und noch einer, und noch eine, und noch einer, und noch einer. Gesamt saßen dann 7 Leute im Wohnzimmer. Ich musste los, hatte ein Shooting. Ich bat die Leute noch nix zu klauen, und ging los.

Von den 7 Leuten blieben dann die nächsten Wochen immer 2-3 in der Wohnung, während meine Mitbewohner bei ihren Freundinnen übernachteten. Den Luxus hatte ich nicht. Nicht nur, dass ich die dann teilweise mit durchgefüttert habe, ihren Wasser- und Stromverbrauch musste ich dann auch noch bezahlen. Als sie dann gingen und meine Mitbewohner gemeinsam die Wohnung aufräumen wollten, hatte ich einen ganz dringenden Termin mit einem Buch im Park um die Ecke.

Einmal wollte ich auch einen Gast einladen: Ein deutsches Mädel in Tokyo wurde um ihr Geld gebracht und ich wollte ihr helfen. Ich fragte allerdings meine Mitbewohner vorher. Einer meinte nur, dass er darauf keine Lust hatte, und das wars dann.

Allerdings muss man auch sagen, dass nicht alles schlecht war. Einer meiner Mitbewohner übernahm von sich aus eine “Große Bruder” Funktion und half mir viel, was Kontakte und Jobs angeht. Die beiden sind seit 5 Jahren in Tokyo und haben ein gutes Netz an Kontakten aufgebaut. Es war meine erste WG und auch das erstemal, das ich von zuhause ausgezogen bin.

Ich würde mir nur wünschen, dass der Grund warum ich hier ausziehe, nicht so banal wäre, wie dass die Freundin meines Mitbewohners hier rein möchte. Es wurde zwar nie direkt angesprochen, doch es wurde schon Druck aufgebaut, dass ich doch bald ausziehe (und täglich nachgefragt, wanns denn soweit ist). Aus ihrer Perspektive ziehe ich freiwillig aus, wie auch immer sie sich diese These selbst konstruiert haben.

Wie gesagt, allzu traurig bin ich darüber nicht, doch ein halbes Jahr an einem Ort Leben hinterlässt Spuren, und es bilden sich Lieblingsecken und -geschäfte in der Umgebung, die man verlässt. Ich zieh jetzt zwar nur 10min weiter nördlich, doch der Conbini, der bis dahin nur 3 min entfernt war und dessen Angestellte nun einen schon kennen und versuchen auf deutsch zu begrüßen, die sind dann eben nicht mehr so nah.

Oder der Bento-Ojiisan, in der Shoutengai um die Ecke. Ich liebe ja Bento, und in seinem Laden gibt es wirklich gutes Bento (wenn auche etwas teurer). Besonders drollig ist bei ihm, mit wieviel Leidenschaft er Bento verkauft. Als ich das erste Mal da war, hat er mir erzählt, was es denn alles für tolles Bento gibt, wie gesund das ist und wie lecker das schmeckt. Mittendrin stockte er dann kurz, guckte mich an und fragte mich, ob ich ihn denn überhaupt verstehen könnte. Ein bisschen, sagte ich, und er hielt weiter seinen Vortrag.
Seitdem freut er sich jedesmal wie ein frisch paniertes Schnitzel, wenn der exotische Gaijin vorbeikommt, der immer so nett lächelt und grüßt, statt wie die anderen nur die Bestellung durchzunuscheln.
Auch seine Angestellten wissen nun über mich Bescheid, und dass ich die Bento-Namen nicht aussprechen kann, sondern nur drauf zeige. Daher kommen sie immer schon vor die Theke, um mir bei der Auswahl zu helfen. Ist doch nett 🙂

…oder das fabelhafte Curry-Restaurant, dass immer bis 1 Uhr aufhat, was mir ganz gelegen kommt, wenn ich über einem Fotoauftrag die Zeit vergessen habe und noch gern was warmes hätte. Nachts sind auch wenig Leute da, sodass ich Zeit habe meine Gedanken zu ordnen und ein paar Ideen für Fotos und Geschichten zu notieren.

oder die Tokyo Opera City

Die Tokyo Opera City ist ein 60-stöckiges Gebäude und das größte in der unmittelbaren Nähe. Unsere Wohnung liegt direkt neben dem Hochhaus, man muss also nur nach oben gucken, wenn man unterwegs ist und nachhause fahren möchte..

Die Tokyo Opera City liegt über der Hatsudai Bahnstation, und es ist einfach nur cool, auf den Weg zur Arbeit durch ein Opernhaus zu laufen. Sowas gibts auch nur in Tokyo.

Alles was man so braucht, gibt es da, und auch das einzige vernünftige Café in einem 2km Umkreis. Dazu ist es fotografisch höchstspannend.

Der Blechmann steht auch in der Opera City, und singt manchmal:

Es gibt auch Kunst, wie einen einsamen Bronzekerl, umgeben von Marmor.

Beliebt bei den Mädels…


Aus Mangel an Veröffentlichungserlaubnis, mal unkenntlich gemacht…

…aus bestimmten Gründen…

Und dann war da noch…

Der Tag an dem der Laster umkippte.

Er hatte wohl das Loch übersehen. Zuerst steckte er nur drin und fiel dann vollends um. Drum herum standen viele hilflose Wachmänner.

Nach insgesamt vier Stunden konnten sie ihn wieder rausholen, und da wo das Loch war, ist heute eine schöne, weiße Auffahrt zum Autogeschäft dort. Doch bis dahin dauerte es erstmal.

Das war Hatsudai.
Neben Erinnerungen werde ich nur meine Klamotten und meine Matratze mitnehmen, die ich einen schönen Tages vor dem Haus gefunden hatte (astreiner Zustand, ich hatte mich tierisch gefreut, als die da einfach stand, seit Wochen wollte ich eine Matratze um den harten Futon zu ersetzen).

Nun gehts in ein Öko-Haus in Nakano-Shinbashi, 7min mit dem Rad von hier. Das Zimmer ist kleiner, und insgesamt leben in dem Haus, das früher ein Restaurant war, 11 Personen – davon der Großteil japanische Mädchen.

Wie gesagt, ich bin nicht allzu traurig, dass ich ausziehen muss….

11 thoughts on “Bye Bye Hatsudai”

  1. Hallo,
    ich fand es sehr schön und lustig geschrieben, auch wenn ich manchmal dachte, dass der Autor (also Du) einfach viel zu gutmütig ist.

    Ich wünsche in der neuen Wohnung bessere Mitbewohner(innen).
    Wenn ich im Juni in Tokio bin, versuche ich die Stellen der Fotografien zu finden, ich finde das immer sehr spannend.

    Viele Grüße
    Thorsten

  2. […] stellt sich mir grad die Frage, wie lange ich noch in diesem Land bleiben kann, darf, soll. Denn: Hier aus der Wohnung muss ich bald ausziehe, da die Freundin meines Mitbewohners gerne mein Zimmer hätte. Ich hatte […]

  3. Du bist echt ein netter Kerl, wenn man das so liest. Ich hoffe, du hast mehr Ruhe und nettere Gesellschaft in der neuen Wohnung.Die Fotos sind wieder mal großartig, besonders gefallen hat mir die Aufnahme vom Gang und der schwarze Himmel mit den weißen Wolken über der Stadt.

  4. Re: 1. Ein Chinese der nach China fliegt
    Warum bist du nicht einmal aus- und wieder eingeflogen? Dann wärst du dem Chinesen einfach begegnet.

  5. weil ich zum einen dann erstmal das geld für nen flug hätte haben müssen. zum anderen hätte ich zwangsläufig eine erlaubnis vom flughafen gebraucht, um die bilder publizistisch verwenden zu dürfen. zumal ich 1-2 tage mit ihm dort leben wollte, das wär den behörden sicher aufgefallen. mir ging es ja nicht nur um die begegnung und ein “hallo wie gehts” sondern eine intensive arbeit mit ihm, dort im abgesicherten bereich des flughafens. das ist eben nicht so einfach.

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