oder: warum tausende Japaner einen Blick auf meine Unterwäsche werfen konnten.
Ich war bei einem japanischen Musikfestival als Fotograf für eine deutsche Band engagiert. Ich wurde angeschnautzt, ignoriert, und meine Hose ist gerissen. Trotzdem war es großartig
Aus Berlin erreichte mich eine Email. Ob ich nicht Lust hätte, bei einem Musikfestival die deutsche Band Tangerine Dream zu fotografieren. Dazu kam dann noch der Zusatz “die ‘legendäre’ Band Tangerine Dream”. Ich hatte mir nichts weiter bei gedacht, und nahm an, es handelte sich nur um irgendeine weitere Berliner Hinterhof-Band, die sich selbst als “legendär” bezeichnet, und nun 2-3 japanische Fans übers Internet gewonnen hat. Als ich mich dann aber ein bisschen mehr mit der Band beschäftigt habe, war mir schnell klar, dass dieses ‘legendär’ schon durchaus angebracht ist.
Die Band Tangerine Dream wurde 1967 gegründet – also vor ca. 42 Jahren. Seit über 40 Jahren sind die erfolgreich im Geschäft. Zugegeben, die Bandmitglieder wechselten über die Jahre. Aber der Bandgründer, Edgar Froese ist von Anfang an dabei, und derjenige, der im Hintergrund das Bandgeschehen lenkt.
Ich sollte die Band bei ihrem Auftritt auf dem Metamorphose Musikfestival auf der Izu-Halbinsel begleiten. Am selben Tag plante ich aber eine Fuji-Besteigung. Ich zögerte mit der Zusage.
Mein Mitbewohner kam dann in mein Zimmer, als ich über dieser Email grübelte und ich erzählte ihm davon. Er machte große Augen und meinte, er schmeisst mich aus der Wohnung, wenn ich mir diese Chance entgehen lassen. Ich sprach dann noch mit einigen Freunden, die meinten, sie würden nie wieder ein Wort mit mir wechseln, sollte ich Tangerine Dream nicht ablichten. Das, und der Umstand dass der Fuji das Ganze Jahr über rumsteht, und das Festival nur einmal ist, überzeugte mich dann, zuzusagen.
Ich fuhr zusammen mit den Video-Leuten, die vom Auftritt eine DVD machten, im Auto zur Izu-Halbinsel. Diesmal auch über den Tokyo-Expressway, den ich ja sonst nur von meinem Fenster aus sehe, und der mich nachts wachhält.
Mit uns fuhr dann ein deutscher Fotograf, der seit 3 Jahren in Tokyo lebt. Der fotografiert große Kampagnen u.a. für Mitsubishi, begleitete die Band Iggy Pop und war sebst ein Jahr als Bassist mit seiner eigenen Band auf Tour. Er hatte natürlich seine Canon 5D dabei, was in mir die Frage hoch kommen ließ:
“Fritze, was machst du eigentlich hier?”
Ich hatte vorher noch nie ein Konzert fotografiert. Meine mittelmäßige Ausrüstung reicht dafür eigentlich nicht aus. Und trotzdem sitze ich hier neben einem professionellen Fotograf und stelle mich selbst als Fotograf der Band vor. Da war der erste Knick, der erste Zweifel an diesem Tag. Es sollten noch ein paar folgen.
Wird jetzt etwas textlastiger, dafür kommen nachher noch Tonnen an Bildern.
Wir kamen gegen 2 Uhr an, bekamen Backstage Pass und alles, und ich bekam erstma die Autorität von einem Bühnennazi zu spüren. Er meinte mich gleich erstma zur Sau machen zu müssen, weil ich keine dunkle Kleidung anhatte, und so ja eventuell auf der Bühne gesehen werden könnte. Er nannte mich unprofessionell, mein Verhalten unentschuldbar und hätte mich am liebsten gleich wieder nach Hause geschickt. Er warf mir noch ein paar andere Sachen an den Kopf, die ich im ersten Moment des Hörens eigentlich auch gleich wieder verdrängte. Diese erste aggressive Reaktion überraschte und schockierte mich sehr, ich wusste gar nicht wie ich reagieren sollte.
Bei Presse-Aufträgen ist der Fotograf immer der Held, alle sind nett zu ihm, weil sie ein gutes Bild haben wollen, und gut in der Presse dastehen möchten. So war ich das gewöhnt.
Doch beim Konzert sind die Musiker die Stars, der Fotograf nur der Dienstleister, der von den Musikern lebt.
Ich wandte mich an den Fotografen, der mit uns kam. Er war ganz entspannt und meinte, dass solche Leute gerne mal die Autorität raushängen lassen. Der Bühnnenazi erzählte dann noch von einem Fotografen, der bei einem Konzert mal auf der Bühne VOR der Band rumturnte. Das hatte den Bühnennazi anscheinend so sehr frustriert, dass er all diesen gesammelten Hass nun an mir auslassen musste.
Innerhalb von zwei Minuten hatten wir dunkle Kleidung für mich organisiert, das war also kein Problem. Und als später noch ein paar mehr Leute kamen, die auf der Bühne rumturnten und filmten, und die auch keine dunkle Kleidung anhatten, hatte das den Bühnennazi nicht mehr interessiert.
Ich vermute wirklich es war so eine “Jetzt zeigen wir dem jungen Spund mal wer hier das Sagen hat”-Aktion.
Die Vorwürfe der Unprofessionalität trafen tief – denn es stimmte ja. Ich hab weder ne Ausbildung, noch ne professionelle Ausrüstung, noch eine jahrelange Erfahrung um mich so nennen zu dürfen. Ich hab nur Talent, und das muss reichen.
Wir kamen um 14 Uhr an, das Festival begann erst um 18 uhr, und die Band spielte erst gegen 22 Uhr. Also effektiv 8 Stunden warten.
Ich lief ein bisschen rum.
Ich war nicht der Einzige, der warten musste:
Warten.
(sie schläft wirklich in dieser Position)
Warten (und telefonieren und über die die wunderschöne Berglandschaft berichten)
Warten.
(achtet auf die Socken)
Über eine 2 km(!) lange Schlange kamen nach und nach junge Japaner aufs Festivalgelände…
…die anscheinend auch ihre Handys daheim gelassen haben, und so probierten sie sich in nonverbaler Kommunikation.
Einige probierten es auch mit Megaphonen, auch wenn sie meines Erachtens nicht direkt ins Ohr schreien müssen:
Da sonst keiner mit mir Reden wollte, und das Reden mit dem Fotograf recht schwierig war (sein Gehör und Konzentrationsfähigkeit waren sichtlich von einem Jahr Touren geschädigt), legte ich mich irgendwo hin und pennte. Als ich dann ein paar japanische Mädchen hab Schreien hören, war das mein Signal aufzuwachen. Das Festival ging los.
Ich hatte ja freien Zugang zum Backstagebereich, wo die Zelte der Künstler standen. Ich kannte keinen von denen, aber als ich dann im Nachhinein erzählte, wer da alles war, erhielt ich viele erstaunte: Was? ECHT??
Ich schlich mich dann schonmal auf die Bühne, um auszuchecken, wie weit ich mich bewegen kann, wie das Licht ist, usw.
Es spielte grad ein Zappelphilipp, der in japanisch “sang”, und dabei jede einzelne Silbe streckte, dehnte und verdrehte. Als er dann seine Rasseln rausholte gingen er und das Publikum richtig ab:
Ich hatte mir zuvor ein paar Sachen zur Konzertfotografie angelesen. Alle sagten, dass es schwierig ist. Das Licht ist niemals gut, man brauch eine gute Ausrüstung und man sollte so nah ran wie möglich. Ich hab dafür nun das allererstemal im manuellen Modus fotografiert, was ganz gut funktionierte und schön anspruchsvoll war.
Als die Band kam, gings mit meiner Stimmung echt aufwärts. Sie waren alle supernett und freundlich. Ich hielt mich zuerst zurück, da ich nicht wusste, ob sie überhaupt mit dem Foto-Dienstleister reden wollten. Doch sie suchten direkt den Kontakt.
Da sie ihr letztes Konzert zuvor in Berlin hatten, kannten mich auch einige. “Hey, du bist doch der Fritz, der in Tokyo lebt und Geldprobleme hat?”. Schon komisch, wenn so eine international bekannte Band, von der meine Freunde sagen, sie ist legendär, meinen Namen und mein Schicksal kennen 😉
Die momentanen Bandmitglieder sind auch recht jung, so um die 30, und sehr sympathisch. Sie hatten immer Zeit für ein Schwätzchen mit mir, oder um für ein Foto zu posieren.
Doch bevor es auf die Bühne ging, ging es unter die Fans, Autogramme schreiben:
Bei der Gelegenheit kann ich gleich mal Alle vorstellen:
Der amüsante Thorsten, Keyboard und Synthesizer
Die impulsive Schlagzeugerin Iris und der enigmatische Gründer Edgar Froese
Die bezaubernde Linda am Saxophon
Der extrem talentierte Bernhard aus Wien, der sich immer nen Spaß draus machte, Grimassen für meine Kamera zu ziehen 😉
Alle spielen auch noch in anderen Bands neben Tangerine Dream.
Der Andrang bei den Autogrammen war recht hoch, sie haben einige japanische Fans.
Dann gab es auch solche, die der Band zu jedem Konzert hinterherreisen, wie der Franzose Charles (der seinen Sohn mitbrachte)…
…und von der Band schon wie ein altes Familienmitglied behandelt wurde. (Für dieses Konzert in Japan hatte er dann allerdings bei einem Preisausschreiben Tickets gewonnen)
Dann ging es wieder hinter die Bühne, bis zum Auftritt war es nicht mehr lang. So langsam wurde ich nervös, als ob ich selbst vor tausenden (!) von Japanern spielen müsste. Das war ja wie gesagt mein erstes Konzertshooting, und nachdem ich so oft am Tag hören musste, wie unprofessionell ich doch bin, hatte ich Zweifel, gute Bilder machen zu können.
Doch dann fiel mir ein, was Sanne-san mir einen Tag zuvor sagte. Sie meinte, ich solle drauf vertrauen, dass ich gute Bilder machen kann, und nicht daran zweifeln. Als ich der Band dann ein paar Fotos von der Autogrammstunde zeigte, meinten sie auch zu mir, sie sind sich sicher, dass ich heute gute Bilder machen kann.
Ich bekam auch den Tipp, ruhig dreist zu sein, um ein gutes Bild zu machen. Denn dafür bin ich schließlich hier – gute Bilder zu machen.
Das ich das, was der Bühnennazi mir vorher sagte, wie weit ich mich auf der Bühne bewegen sollte usw. , komplett ignorieren sollte, bestätigten mir fast alle, unabhängig voneinander.
Ich war dann nicht mehr nervös, und ging mit der Band hinter die Bühne, Minuten vor dem Auftritt.
(Linda, schon im Kostüm mit großen Rabenfedernhut, aus L.A.)
Es war eine interessante Stimmung dahinten. Keine Aufregung, oder Angespanntheit. Es sind halt professionelle Musiker. Es wurde sich höchstens noch warm getrommelt:
Ich schnackte und scherzte noch mit der Band, doch ich wollte die ersten Momente vom Auftritt vor der Bühne, direkt beim Publikum erleben. Ich schlich mich also raus.
Das Publikum war ordentlich begeistert:
Ich konnte mich ja frei vor, hinter und neben der Band bewegen, was ich auch intensiv nutzte. Es war auch ein ebenso intensives Gefühl, direkt neben der Band auf der Bühne zu stehen, die Musik mit dem ganzen Körper zu spüren, oder vor der Bühne direkt auf den Boxen zu stehen, und den Bass zu fühlen.
…und das ist nur ein kleiner Auszug, aus den 800 Bildern die ich diesen anderthalb Stunden machte, und für die ich insgesamt drei Tage in der Nachbearbeitung brauchte.
Ich lag falsch, als ich dachte, ich hätte sowetwas noch nie gemacht, oder ich dürfte das nicht können. Doch mit dem Licht zu spielen, auf ausdrucksstarken Momente zu warten und Menschen & ihre Umgebung zu komponieren – das ist was ich schon immer gemacht habe.
Mir hat diese Herausforderung sehr gefallen, ich lief auch meisten mit einem großen Grinsen um die Bühne herum. Auch die Musik war super, ich werd langsam ein Fan dieser Band. So registrierte ich auch nicht, dass ich mir mittendrin einen großen Riss in meine Hose gemacht habe, der den Zuschauermassen, denen ich stets den Rücken zeigte, einen Blick auf meine Unterwäsche erlaubte.
Es war anspruchsvoll und anstrengend. Aber sehr gerne wieder 🙂
Nur auf diesen harten Ton von Bühnennazis hab ich keine Lust mehr.
PS: Zum besseren Verständnis des Risses, mal wieder eine kleine Illustration:
(inzwischen wieder selbst(!) zugenäht, wie bereits an sechs anderen Stelle dieser Hose. Mutti wär stolz)
Offizielle Seite der Band, auf der demnächst auch die Fotos zu finden sind: www.tangerinedream-music.com
Nachtrag: Die Band war sehr zufrieden mit den Bildern, und es gab einen kleinen Bonus. Und vom Bühnennazi wollen sie sich in Zukunft auch trennen =)
Nachtrag 2: Die Nachricht verbreitet sich im Internet anscheinend sehr schnell, so gelangen die Bilder auch ins Tangerine Dream Fan-Forum