Durch Wolken wandern – Teil 2

Die Fortsetzung von Teil 1: Es ging nun vom Gipfel an den Berg hinunter. Oben war ich bereits am Ende meiner Kräfte, unten war ich dann endgültig dahin. Es war Winter, es war kalt, die toten Bäume um uns herum waren in einen gespenstischen Nebel getaucht. Es fühlte sich an, wie ein Friedhof auf 1000m Höhe. Passend – an dem Tag starb mein Körper Schritt für Schritt.

Wir verließen den Gipfel des Berg Ooyama und machten uns auf den Weg ins Tal, auf der Rückseite des Berges. Von nun an konnte es ja nur bergab gehen, also quasi ohne Anstrengung einfach nur einen Schritt vor den anderen setzen. Nunja…

Wir genossen erstmal die Aussicht vom Gipfel, dafür war eine kleiner Rastplatz auch da.

Die Qualität der Wege variierte. Einige waren lose Trampelpfade auf nackter Erde, einige waren befestigt und beschildert.

Mein Japanisch ist nicht so gut, aber es heisst bestimmt: „Wer bis hier her gestiegen ist, ist selbst schuld und muss alleine runter.“

Allerdings frage ich mich tatsächlich, wie der kleine Laden auf dem Gipfel seine Versorgung sichert. Autos fahren da nicht hoch, Packesel sah ich keine. Wird wohl ständig einer vollbepackt die 1000m hochkraxeln müssen…

Immer durch die nebligen Pfade…

wirklich unheimlich…

Verlaufen konnte man sich nicht wirklich, es gab nur einen Pfad, und der führte bergab. Auch wenn ich stets immer hintendran war, so fand ich immer zur Gruppe zurück. Auch wenn meine Rufe von den toten Ästen und vom Nebel geschluckt wurden, und micht mit dem leisen Echo alleine ließ.

Die einzige Person, die auch nur annährend so gut vorankam, war die Japanerin, die jedoch erst kürzlich wegen ihrem Knie beim Doktor war, und eigentlich garnicht wandern durfte. Was sagt das über mich Großstädter vom flachen Berlin aus, der von einer Japanerin mit kaputten Knie überholt wird…?

Zu meiner Verteidigung, ich war auch eher mit Fotografieren als Wandern beschäftigt, die ganze tote Umgebung faszinierte mich einfach.

Es dauerte mal wieder etwas, bis ich zur Gruppe gestoßen war. Diese stand nun aber an einem Punkt, unter den Wolken, wo man tatsächlich die Aussicht genießen konnte.

Irgendjemand hatte da oben allerdings seine Schaufel vergessen.

Es ging noch eine halbe Stunde weiter und dann standen wir auf einmal auf einem schmalen Pfad, links und rechts ging es steil runter, und es gab einen weiten, baumfreien Blick auf die Landschaft.

Dieser Ort, dieser Moment war irgendwie besonders, sodass fast nur geschwiegen wurde. Gegen die Berge konnte man eh nicht anreden.

Die Sicht wurde besser, und es ging weiter bergab.

Irgendjemand hat auch sein Auto dort oben vergessen. Passiert ja häufiger, dass man in 700m Höhe parkt und dann vergisst wo genau die Karre steht. Jedenfalls hat die Zeit den Wagen ordentlich zerlegt.

Auch die Strommasten zeugten davon, dass wir nicht die ersten hier oben waren.

Zwischendurch ließ sich schon ein Blick auf das Tal und die Stadt erhaschen.

Doch sie war noch weit weg, und die Sonne senkte sich langsam…

Doch weiter gehts…

Und dann war da auf einmal…

Ein Fahrrad. Auf 600m Höhe.

Wie zur Hölle kommt es dahin? ist einer damit hochgefahren? Hat es einer hochgetragen? Ist es aus nem Flugzeug gefallen? Wir machten jedenfalls kurz im Wald, neben dem Fahrrad, Rast. Ungefähr um diesen Zeitpunkt verlor ich die Kontrolle über meine Beine. Die Muskeln wollten nicht mehr reagieren, ich konnte sie nicht starr halten oder entspannen, wie ich das wollte, was dazu führte, dass ich mehrmals beinahe den Berg hinab stürzte, oder auf dem Hintern landete. Selbst ein kräftiger Ast, der mir als Wanderstock diente, konnte meine Beine nicht mehr heilen. Wir mussten immer öfter Rast machen, und die Gruppe auf mich warten.

Ich stolperte dann meinen Weg hinunter, bis wir Wasserrauschen hörten.

Wir waren dann schon fast auf ebener Erde. Noch ein paar Kilometer über flaches Land, absolut finstere Straßen und Waldwege, durch einen unbeleuchteten Tunnel, und als wir dort rauskamen, sahen wir die Stadt schon hinten aufblitzen.

Es war inzwischen schon Nacht, doch 8 Stunden Wanderung waren vorbei. Wir nahmen den Bus und dann den Zug nach Tokyo. Ich konnte keine Treppen mehr laufen. Ernsthaft, es ging nicht, ich konnte meinen Beinen nicht mehr das Signal zum „steigen“ geben. Irgendwie schafften wir es dann in ein Onsen und das warme Wasser belebte meinen Körper.

Danach hatte ich noch eine Woche lang Muskelkater. Und wer mir jetzt sagt „Pfh… Weichei“, dem sag ich: Ja, ihr habt recht. Aber wieviele Weicheier machen tatsächlich aus freien Stücken solch eine Tortur mit, mit nichts anderem dabei als einem Schirm, einer Kamera und einer Banane?

Nicht viele – denn das ist nicht sonderlich clever.

3 Gedanken zu „Durch Wolken wandern – Teil 2“

  1. Die nebligen Bäum sind wieder schön gruselig. Die rosa Jacke vor der Kamera der einzige Farbfleck in dem verwaschenen Graubraun.Man müsste den Weg mal im Frühling gehen, wenn alles blüht und es nicht kalt ist.
    Und natürlich mit mehr Proviant. Haben die Mitkletterer nichts abgegeben?
    Ich würde nie Weichei sagen. Acht Stunden wandern bei diesen Bedingungen und ohne zu wissen, was genau auf dich zukommt, Respekt, dass du durchgehalten hast.

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