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Botschafter in Tokyo und andere Misserfolge #01

Berlin und Tokyo sind Partnerstädte. Ich als Berliner in Tokyo war kurzzeitig mal ein offizieller Botschafter der Stadt – der erste überhaupt, wie es sich herausstellte. Warum das am Ende keine Blüten brachte, genauso wie eine verpatze Doku über Deutsche in Tokyo, und ein Besuch vom Bamberger Bürgermeister, will ich hier erzählen.

Sonst geht es hier ja immer nur um mehr oder weniger erfolgreichen Kram, den ich mache und hier zur Schau stelle. Das nicht alle Projekte und Unternehmungen in Japan so funktionierten, wie ich mir das vorher ausmalte, sollte aber nicht vergessen werden.

Partnerstadt, zumindest auf dem Papier

Tokyo und Berlin sind Partnerstädte. Für meine berliner Ohren ist logisch, dass die deutsche Hauptstadt und die japanische Metropolregion verpartnert sind. Für manch einen anderen mag dieser Größenunterschied vielleicht zu ungleich sein. Doch wie Berlin ist auch Tokyo in Stadtteile eingeteilt, welche wiederum eine gegenseitige Partnerschaft aufweisen können. So ist der Bezirk Berlin-Mitte, wo ich in Berlin wohne, und der Tokyoter Bezirk Shinjuku, wo ich ein halbes Jahr lang in Tokyo wohnte, verpartnert. Das reichte mir schon als Grund, beide Städte einmal anzuschreiben.

Es war relativ früh während meines Japanjahres, ich war dem Land und seiner Bürokratie noch mit viel mehr Optimismus gegenüber getreten. Meine Idee war, mein Projekt zur jungen deutschen Fotografie junggesehen in Tokyo auszustellen, und im Umkehrschluss junge japanische Fotografen in Berlin zu zeigen. Ich selbst hätte dabei kein Gehalt von den Städten erwartet, sondern erhoffte mir nur Räume und Vertriebswege, wie z.b. Email-Listen, um die Leute zu erreichen.
Ich schrieb Berlin an.

Die Berliner Verwaltung ist relativ transparent. Wenn man ein Begehren hat, findet man in der Regel auf der eigenen Website auch einen Zuständigen mit eigener Email-Adresse. Die Bearbeitung vom Begehren kann dann, abhängig vom Ressort, ein paar Tage bis ein paar Wochen dauern. Ein kleines Beispiel aus diesem Marsch durch die Institutionen erlebte ich kurz vor meinem Flug nach Tokyo:

Zu junggesehen plante ich eine Ausstellung, in den Gewölben eines ehemaligen Wasserturms im Prenzlauer Berg, welche für Kunstprojekte offen waren. Ich war kurz zuvor in einer Ausstellung da unten gewesen und ich war sehr angetan vom Ambiente. Ich wollte das Gewölbe mieten, doch vorher musste ich Kontakt zum Betreiber bekommen. Ich schrieb also einen Zuständigen von der Stadt zum Thema ‚Gebäude‘ an, der mich an den Zuständigen für den Bezirk weiterleitete. Ein Copy und Paste später wurde ich zum Kulturbeauftragten des Bezirks weitergeleitet. Dieser wiederum verwies mich an den Betreiber des Gebäudes, welcher mich wiederum an seinen eigenen Kulturbeauftragten weiterleitete – welcher schlussendlich ablehnte, weil es da unten zu kalt sei, wie er sagte.
Der Mailverkehr begann im Mai, die letzte Mail kam zwei Tage vor meinem Flug.


Kleines Shooting aus dem Gewölbe unterhalb des Wasserturms

Ähnlich hoffnungsvoll schrieb ich nun die Stadt an. Die erste Reaktion war typisch: „Wir haben kein Geld“ und „Was wollen sie überhaupt?“. Als ich darüber hinaus war und versicherte wirklich kein Geld von Berlin zu wollen, wurde der Kontakt, nun ja, menschlicher. Ein bisschen Resignation las man immer aus den Emails heraus, denn man will schon gern mal was mit Tokyo machen, aber die, mit der ich Kontakt hatte, machte die Ost-Asien Beziehungen auch nur auf halber Backe, und sowieso fehlte es an Mitarbeitern. Ich bot mich an, da es ja schon den Vorteil gab, dass ich in Tokyo bin. Man leitete mich an eine Japanerin weiter, mit der ich dann einen Termin ausmachte.

Zuständig für alles in Sachen Partnerstädte war das „Shinjuku Multicultural Plaza“ – was groß klingt, aber im Endeffekt nur zwei Räume in einer Büroetage waren. Die Idee hinter dieser „Plaza“ ist es einen Ort zu schaffen, für die Begegnung von Ausländern und Japanern in Shinjuku, welches ja prozentual die meisten wohnhaften Ausländer von ganz Japan vorweisen kann. In einem Mix aus Büro, Bibliothek und Schulraum finden sich nun einige internationale Bücher, mit Impressionen und Sprachtutorials von Tokyos internationalen Partnern und an Tischen saßen vereinzelt Tutoren. Eine junge Französin mühte sich gerade an einem Japaner ab und verdiente sich wohl etwas dazu – nur mit der Sprache, natürlich.

Eine lethargisch wirkende ältere Japanerin starrte mich hinter einem Thresen an. Sie saß nur dahinter, weder tippte sie noch blätterte sie Alibi-mäßig in etwas. Ich wurde begrüßt und argwöhnisch abgeschätzt. Ich sehe doch etwas jung aus für einen Botschafter der Stadt Berlin, sagte sie. „Jaja, das höre ich häufiger“, sagte ich, lachte und verschob mein Alter auf ihre Nachfrage sechs Jahre nach oben.
Die Dame konnte etwas Englisch, stoß aber schnell an ihre Grenzen und ihre lächelnde Kollegin musste ihr aushelfen.

Ich erklärte was ich vor hatte, zeigte ihr das Buch junggesehen und erklärte, was es ist. Es gab respektvolle Anerkennung, aber auch schnelle Distanzierung bei der Frage, wie man das alles umsetzen kann. Ich brauchte ja nicht viel, nur einen Raum und eine Mailingliste. Da müsse man erst mal mit den Vorgesetzten sprechen und könne hier noch nix sagen.
Im Laufe des Gesprächs ging es auch um die bisherigen Leistungen der Shinjuku-Mitte Partnerschaft. Es stellte sich heraus, das pro Jahr eine Gruppe von Jugendlichen auf die Kosten der Stadt nach Tokyo eingeflogen werden, und im jährlichen Wechsel auch umgedreht. In diesem Jahr musste es wegen der Schweinegrippe ausfallen – so war zumindest die offizielle Begründung. Tatsächlich wird wohl der Mangel an Geld der Grund gewesen sein, denn Berlin wäre an der Reihe gewesen Flugtickets zu bezahlen. Mein Schriftverkehr mit der Stadt deutete schon so etwas an, und auch in dem folgenden Jahr wird wohl nichts passiert sein.

Notgedrungen optimistisch verabschiedete ich mich und schaute mir beim Hinausgehen noch die Bücher in den Regalen an. Es gab einen Bildband zu Berlin-Mitte, wo u.a. auch mein Haus zu sehen war. Es war ein komisches Gefühl die alte Heimat zu sehen, hier in einem kleinen, dunklen Büroraum, mehr als 9000km entfernt.

Nach diesem Treffen passierte nicht mehr viel. Mein Kontakt in Berlin wurde nach der nächsten Wahl abgesägt und ich musst mich bei einem neuem Typen vorstellen, der verheissungsvoll Platz für junggesehen im nächsten Jahr im Budget und Kalender freiräumen wollte. Zu beiden ist es nicht gekommen, denn es herschte bald Funkstille. Mehrere Versuche von mir etwas zu beleben ist irgendwo zwischen Deutschland und Japan im Sande verlaufen. Ich zog meine Konsequenz daraus und auch die Erkenntnis, wie es um diese Städtepartnerschaft wirklich bestellt war.


Ausblick aus der Multicultural Plaza

Der unprofessionellste Dreh meines Lebens

Ich als alte Medienhure stand schon oft vor der Kamera für ein Interview, meist bezogen auf Projekte, die ich machte. In Tokyo schrieb mich nun ein deutscher Filmemacher an, der u.a. etwas über mich und meine Zeit in Japan machen wollte, Überlebenskampf und so. Eigentlich war seine Idee „Deutsche in Tokyo“ ein Spitzenthema und ich war schon stolz da irgendwie reingeraten zu sein.
Es war ca. drei bis vier Wochen vor meinem Abflug und ich hatte eigentlich viele Aufträge zu bearbeiten. Für den Dreh nahm ich mir allerdings frei, schlief extra nicht um schon morgens für einen langen Drehtag bereit zu stehen.

Wir trafen uns zum Frühstück in einer kleinen Bäckerei in Shinjuku. Er war auch ein Ossi, kam grad für ein paar Wochen nach Japan um zu heiraten. Die Idee für eine Doku „Deutsche in Tokyo“ kam ihm erst hier, seine Ausrüstung, die er unter dem Tisch verstaute, hatte er hier geliehen. Er lud mich ein und ich erzählte von Japan, meinem Hintergrund in Berlin, meiner Familie und der Zukunft. Er hörte viel zu, ergänzte aber auch oft in langen Passagen Geschichten aus seiner Jugend. Nach einer Stunde Gesabbel sollte gedreht werden.

So, nun bin ich Fotograf, habe selbst schon gedreht oder bei Produktionen mitgewirkt. Ich weiss, was es alles für einen Dreh braucht und nahm es auch ein bisschen auf meine Schultern, ihm da entgegenzukommen. Er wollte ein Interview mit mir drehen, Fragen vor Tokyo Hintergrund. Wir liefen ein wenig umher um einen Hintergrund zu finden, der passte. Zwischen dem vielen Stativ-Getrage und -Aufgebaue war kein Hintergrund gut genug. Entweder wars zu sonnig, zu schattig, zu bewölkt, zu menschenleer oder zu voll. Oft fiel ihm das erst auf, als alles schon stand. Genervt von stundenlanger Lauferei in der Hitze, schlug ich meine Bude vor, die nicht weit weg lag.

Mein Haus in Nakano war neben mir noch von 10 weiteren Personen bewohnt. Ich habe da sehr glücklich gelebt, mit den Mitbewohnern habe ich mich sehr gut verstanden. Gegen Ende meiner Zeit hin zogen allerdings Leute ein, die, nunja, nicht auf meiner Liste der coolen Menschen stehen. Beide waren da, als wir ankamen.

Da war ein dummer Amerikaner – und er war wirklich so dumm wie man es von einem Ami erwarten kann. Ständig machten er sich über meinen schwachen deutschen Akzent lustig, stellte dämliche Frage zu Deutschland und führte sich auf, als würde das Haus ihm gehören. Der Doku-Filmer, mit miserablen Englisch war ein gefundes Fressen für ihn.

Die Andere war eine Halb-Französin/Halb-Vietnamesin, die in London lebte und in Deutschland studiert hat. Sie sprach fünf Sprachen fließend, u.a. auch Deutsch, was sie eigentlich zu einem guten Gesprächspartner hätte machen können. Doch mit ihrem egozentrischen Wesen und ihrer sturen Art zu Diskutieren, die, wie mir später jemand mitteilte, wohl der französischen Art zu diskutieren entspricht, sind wir oft aneinander gerasselt.

Da sie Deutsch konnte und Französin war, war der Dokufilmer nun erstmal mit ihr beschäftigt. Ich war genervt, waren denn jetzt schon Stunden ohne eine einzige Minute im Kasten vergangen und es sollte wohl noch längern dauern.
Er baute nun in der Küche alles auf, positionierte mich und stellte ein paar Fragen. Nach ein paar Minuten stellte er fest, dass das hier doch nicht alles vom Licht passt, und wir gingen aufs Dach, wo die Sonne unbarmherzig knallte.


Unser Dach

Oben baute er wieder alles auf und es folgte nun das erste längere, zusammenhängende Interview. Ich musste die Augen zusammenkneifen, weil die Sonne so hell war, und der Schweiss bildete glitzernde Perlen auf der Stirn. Nichtsdestotrotz hielt ich durch, bis wieder die Ansage kam, dass es hier oben doch nicht passt. Also wieder runter.

Die Französin, die ohne Arbeit in Tokyo war und nun mit sichtlichen Genuss den Trubel, auch um sie herum, genoss, becircte weiterhin den Ossi. Bei der Überlegung nach einem Drehort schlug sie ein Cafe, oben an der Straße vor. Ich protestierte, hatte ich denn schon Erfahrung mit Fotografieren in japanischen Cafés, wo es erstens immer zu dunkel ist und zweitens der Besitzer, mit Blick auf die anderen Gäste, großen Aktionen mit Kameras eher ablehnend aufgeschlossen sind.

„Wir probierens einfach mal Fritze“, sagte er, und genervt ging ich ohne mich nach ihm und seinen Stativ umzudrehen, voran.
Im Café erklärte ich mühselig auf Japanisch, was wir vorhaben. Die Inhaberin guckte genervt und lehnte ab. Für den Trubel mussten wir aber was bestellen, als setzten wir uns hin, während er Kamera und Stativ wieder unter einem kleinen Tisch verstaute.
Plötzlich sah er sich um und meinte, dass es ja doch recht dunkel ist hier. „Ach was?!“, sagte ich mehr als genervt, weil nun nach sechs Stunden immer noch nichts entstanden war und er einfach nur unprofessionell von einem Ort zum nächsten holpert. Ich erklärte ihm, dass er doch mal lieber auf mich hätte hören sollen, der seit einem Jahr professionell hier arbeitet, anstatt auf eine Französin, die ihn lieb anlächelt. „Hast Recht“, sagte er, und schwieg für einen Moment.

Ich wollte es dabei belassen und nur noch auf das Ende des Drehtages warten, da setzt er dem Ganzen noch die Krone auf. Er meinte, er nimmt mich nun wahrscheinlich nicht mehr in den Film, da er mit den paar Antworten, die er bisher auf Film hatte, unzufrieden war. Ich sagte, dass das an seine Fragen lag, die z.b. so persönlich waren wie „Wo sind wir hier?“ oder „Was gibt es hier in der Nähe?“. Wenn er keine Fragen zu meiner Person stellte, konnte er auch nicht erwarten individuelle Antworten zu bekommen. Dann fügte er noch als Begründung für eine Rauswurf aus dem Film an, dass ich nicht „stinknormal“ bin, sondern eben medienerfahren und meine Geschichte wäre zu interessant.

„Wie bitte?“, sagte ich, denn das konnte nicht sein Ernst sein. Schließlich wusste er über meine Geschichte Bescheid, bevor er mich anschrieb. Dass ihm das jetzt nach sechs Stunden Drehtag einfällt war einfach nur höchst diletantisch. So arbeitet man einfach auch nicht mit Menschen, wenn man erwartet, dass sie einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit für einen opfern sollen.

Angepisst, doch aber endlich mit dem Blick auf ein Ende dieses fürchterlichen Drehtags, bat ich ihn, mir doch wenigstens die paar Minuten des Materials zu geben, für meine eigene Erinnerung. „Ne das geht nicht, das macht man im Dokumentarfilm nicht.“. Ich fragte ihn, was denn seine Vorstellung sei, was ich aus diesem vergurkten Tag mitnehmen soll, wenn ich schon nicht im Film auftauche. Es gab keine Antwort, nur eine Rechtfertigung, was man denn als Künstler alles darf.

Mir platzte der Kragen. Ich musste ihm erklären, wie man mit Menschen respektvoll und professionell umgeht, dass man für einen Film und einen Drehtag zumindest mal eine grobe Linie haben muss, die man nicht alle 20min und alle zwei Französinnen komplett verwirft. Auch wenn ich vielleicht kein ausgebildetet Fachmann war, so hatte ich doch mehr Ahnung auf dem Gebiet als er.
Er sah auf die mittlerweile leere Kaffeetasse auf dem Tisch, unter dem sein Equipment lag, und entschuldigte sich mehrmals. Ebenfalls oft ergänzte er, dass ich ja Recht habe und er hofft, dass das hier nicht unsere „freundschaftliche“ Beziehung belaste.

Ich konnte ihn überzeugen, das Ding jetzt noch durchzuziehen. Wir gingen zurück zu meinem Haus und ich meinte, dass wir davor jetzt drehen. Er suchte eine Stelle aus, baute auf, stellte mir die von mir vorgegebenen Fragen zu meinem Leben, sagte der Französin Tschüss und ging zu seiner Frau zurück.

Am Abend kam noch eine Email mit einer Entschuldigung. Das war das letzte, was ich von ihm hörte. Zu dem Film, in dem neben mir noch zwei weitere Deutsche aus Tokyo zu sehen gewesen wären, ist es vermutlich nie gekommen.

Schade eigentlich, wäre es doch ein interessantes Thema gewesen, auch im Hinblick auf die Festlichkeiten zu 150 Jahre deutsch-japanische Freundschaft in diesem Jahr.

Bambergs Bürgermeister Besuch

Einer der wenigen deutschen Fotografen in Tokyo zu sein, bringt Vorteile. Vorallem wenn man auch gut vernetzt ist. Einer dieser Kontakte leitete ein Gesuch an mich weiter, von der Stadt Bamberg und seinen Symphonikern.

Bamberg’s Partnerstadt ist nämlich Nagaoka und der Bürgermeister besuchte nun zusammen mit dem Symphonieorchester Japan. Dabei spielten sie zunächst in Tokyo, in einer der besten Halle für klassische Musik, wie mein damals zuständiger Redakteur in Tokyo sagte, der in seinem Blatt die Bamberger Symphoniker sogar auf der Liste hatte. Nach Tokyo sollte es weiter nach Nagaoka gehen.

Bamberg hat, im Gegensatz zu Berlin, nämlich Geld seinen Bürgermeister und das Orchester um die halbe Welt zu schicken – im Sinne der Völkerfreundschaft.
Um über diesen Event in der Lokalpresse zu berichten und, wie ich vermutete, auch etwas für die Stadt-Präsenz mitzunehmen, brauchte es einen Fotografen und Journalisten der das vor Ort übernehmen konnte.
Mich.

Da das ein ziemlich großer Auftrag wa in meiner Anfangszeit in Japan, wollte ich wenig verkehrt machen. Ich schrieb meinen Vater an und fragte, was ich verlangen sollte. Die Summe, auch in Hinblick auf den Tokyo-Bonus und die weitere absehbare Verwendung, war in meinen Augen okay. Für das Lokalblatt war es allerdings zu viel.

Ich schickte mein Bedauern und fragte dann nach Presse-Karten, doch die waren dann natürlich aus.
Ein paar Wochen später sah ich mir den Beitrag der Lokalpresse dann online an. Natürlich war die Veranstaltung begeisternd, restlos ausverkauft und überhaupt ein Erfolg, der die Flugkosten rechtfertigt im typischen Tonfall eines Lokaljournalismus verfasst, und mit lächelnden, angeblitzten Gesichtern aus der Kompaktkamera bebildert.
Vielleicht war ihre Entscheidung mich nicht zu nehmen richtig, denn das hätte ich so sicherlich nicht hinbekommen.

Bamberg ist natürlich auch bei 150 Jahre Deutschland-Japan dabei…

Nichts ist so wie es scheint

Wieder ein Jahr älter…

Guter deutscher Film mit dem krassen August Diehl

Wollt ja eigentlich zwischen den Jahren noch ein paar Einträge schreiben, aber mich hat eine gewisse Endjahres-Lethargie und auch -Melancholie gepackt. Keine Aufträge, die Kamera seit fast zwei Monaten nicht mehr angerührt und doch eine gewisse unsichere berufliche Perspektive in dieser Stadt, nagen an mir an meinem 23. Geburtstag. Zudem hat mich pünktlich zum Geburtstag meine Krankenversicherung rausgeschmissen, erst im neuen Jahr werde ich wohl eine neue bekommen. Bis dahin darf ich mir kein Bein brechen.

Vor einem Jahr war ich zu meinem Geburtstag in einer kleinen Bar in Tokyo, wo ich von einer Geschichte erfahren habe, die maßgeblich dafür verantwortlich war, dass ich mich entschieden hatte im Land zu Bleiben. Denn vor einem Jahr fragte ich mich, ob das mit Japan alles noch Sinn hatte, ich brauchte Geld und eine neue Wohnung. Zu meinem Geburtstag gab es eine Antwort auf alle Fragen.
Zu diesem Geburtstag, ein Jahr älter, sind die Sorgen ähnlich. Ich brauch ne neue Versicherung, die mich als Selbstständigen keine astronomischen Monatsgebühren kosten, die dann mein geringes monatliches Einkommen übersteigen. Ich muss mir auch in dem Zusammenhang Gedanken über mehr Aufträge machen, die ich nur bekommen kann, wenn ich die Qualität meiner Arbeit steigern kann und mehr Kontakte zu Redaktionen bekomme. Jetzt bin ich noch mehr davon abhängig als noch vor einem Jahr, auch mit dem Hinblick darauf, dass ich dieses Jahr nochmal für ein paar Monate nach Tokyo möchte, und danach dann eventuell ein Studium inkl. Umzug bezahlen muss…

Wenn der eigene Geburtstag zwischen Weihnachten und dem Ende des Jahres liegt, wo nicht viel passiert und es draussen dunkel ist, hat man mehr Zeit für sich und seine Gedanken. Man lässt das Jahr Revue passieren.
Während bei mir im ersten halben Jahr in Tokyo noch jeden Tag etwas passierte, plätschert der Alltag seit meiner Landung nur unbefriedigend vor sich hin. Und mit Gedanken zwischen „Ich will wieder zurück!“ und „Vielleicht muss ich mich doch hier arrangieren…“ lässt sich kaum eine zufriedenstellende Lösung finden, so gefangen und gelähmt zwischen den Vorstellungen für die eigene Zukunft.

Natürlich war die Reise nach Palästina ein Highlight im letzten halben Jahr, aber daneben gabs nicht mehr viel.

Für das neue Jahr, was ja auch das neue Lebensjahr ist, was mag da wohl kommen. Ich könnt mal wieder einen Erfolg vertragen, in letzter Zeit gabs nur Kritik oder Absagen.
Man hat ja immer so eine gewisse Vorstellung, wo man in welchem Alter sein möchte. An seinem Geburtstag wird man dann vor vollendete Tatsachen gestellt, sofort ist man in dem Alter angekommen, für das man vielleicht andere Pläne hatte. Kein 23 einviertel, kein 23 fünfachtel, einfach nur 23. Wenigstens hat man dann ein Jahr Zeit sich drauf einzustellen.
Allerdings bin ich jetzt, ein Jahr älter, genauso unrasiert wie noch gestern mit 22. Man sieht mir mein Alter noch nicht an…

Frohes neues, wa!

In der Zwischenzeit arbeite ich immer noch an einem Inhaltsverzeichnis zum Blog, um all die vielen Einträge einigermaßen übersichtlich zu strukturieren. Die Galerie mit Einzelaufnahmen ist schon fertig.

analog – Palästina und Jerusalem

Geschäft für Kopftuchmode

Ich hatte es ja schon mal gesagt, meine analoge Kamera hat meinen Film gefressen. Von drei halbvollen Filmrollen waren nur noch zwei zu retten, und selbst die waren nicht komplett koscher – und das obwohl sie in Israel entstanden. Genug mit den schlechten Wortspielen, ich hab einfach das Wetter unterschätzt. Die Hitze machte der Mechanik zu schaffen und die hohe Lichtintensität hat den Film, den ich für diesiges Berliner Wetter kaufte, ziemlich ausgebrannt und ich musste im Nachhinein noch abdunkeln. Ein Freund meinte zu mir, dass man so an der intensiven Helligkeit auch die Hitze und Sonne vom Ort besser spüren kann.

Hier nun die analogen Bilder aus Jenin, Palästina und aus Jerusalem. Die Filme, die ich verwendet habe, waren der Kodak BW 400cn und Agfa APX 400.


Flüchtlingslager, im Hintergrund eine Moschee. In der Straße waren nur wir und zwei Kinder. Ein Junge versuchte seine Schwester nach hause zu kriegen, die laut weinte und nicht wollte.


Ein Frauenzentrum/Kindergarten/Jugendclub im Flüchtlingslager. Arabisches Graffiti.


In der Bibliothek des Hauses, mit vielen arabische Werken aber auch einige englische Bücher, die in den halbkaputten Regalen standen.


Ein Kindergarten im Frauenzentrum, in dem wir auch drehten. Während die Mädels ein Interview führten, holte ich meine Kamera raus und versuchte eines der Kinder abzulichten….


…was mit der analogen Kamera allerdings immer einen Moment brauchte, um Licht und Fokus einzustellen. Das Mädchen machte sich ein Spiel daraus und versteckte sich lachend vor meiner Kamera hinter den anderen Kindern, während ich noch am Fokus drehte. Ich veränderte meine Positionen um das Mädchen zu erwischen, und mit der Zeit versteckten sich alle vor meiner Kamera und rannten weg…


…laut lachend rannten sie aus dem Raum, immer meine Kamera im Blick…


…die Erzieherinnen hatten sichtliche Probleme den Haufen wieder unter Kontrolle zu kriegen…


…während das ganze Kinderlachen mit dem Interview aufgenommen wurde.


Eine Art Beauty-Center im Frauenzentrum, kein Zutritt für Männer. Die Frauen machen sich gegenseitig hübsch und bringen sich diese Fähigkeiten bei. Eine von unseren Mädels haben sie auch das Kopftuch gemacht…


…“das Kopftuch ersetzt die Haare“, sagte sie später, „daher wird auch viel Zeit investiert, es schön zu machen“.


Abdeckung der Außenterasse, die selten die heisse Sonne wirklich abhalten konnte


Küche des Essraums, eine warme Brise wehte immer leicht durch die Tür bis zur Terrasse


Pali-Katze, die den Schatten unter unseren Plastikstühlen sucht


Blick vom Dach, auf den Mond über Palästina, den man auch tagsüber im wolkenfreien Himmel sehen konnte


Freedom Theater im Flüchtlingslager, Freiheit in Palästina


Markt, Markt, überall Markt


Ob er ihr nachschaut?


Der Dattelmann


Jeder wollte immer mit uns reden. Reden, reden, reden. Ich versuchte immer mit anderen unterwegs zu sein, sodass ich nicht in Gesprächen festgenagelt werden, sondern Bildern machen konnte. Hier sind zwei palästinensischen Jugendliche im Gespräch mit einem von uns


Während wir am Laden vorbei gingen, der statt eines Schaufensters einfach eine offene Wand hatte, beobachteten uns die zwei Mädels hinten und tuschelten leise. Der Junge versucht uns in den Laden zu locken, doch hatte Pech.


Der Falafelmann.


Ende vom Markt, für diesen Tag

Jerusalem


Klagemauer


Eine steinerne Altstadt, mit dunklen Gängen und Gassen aus Granit… mit Überwachungskamera…

Dr. Nakamats, die Berliner Zeitung und ich

Als erster deutscher Journalist habe ich Dr. Nakamats interviewt – ein exzentrischer Erfinder, der in ganz Japan als Erfinder von Springschuhen, Gehirn-Tees und als lustige Fernsehfigur bekannt ist, und der im Rest der Welt als Erfinder der Computerdiskette gilt. Das Interview schickte ich an die Berliner Zeitung, die es zunächst vehement ablehnten und es ein halbes Jahr später trotzdem abdruckten – ohne mir Bescheid zu sagen.

Dr. Nakamats

Ich war naiv.
Ich bin ein bisschen mit der Erwartung nach Japan gegangen, ein paar nette Bilder im Monat zu machen und die dann nach Deutschland zu verkaufen. Die Kontakte zum Auslandsressort der Berliner Zeitung hatte ich schon vorher aufgebaut, die sich damals schon stark an Beiträgen aus Japan interessiert zeigten.
Schnell stellte sich Ernüchterung ein, denn meine Bilder wollten sie zuerst nicht (nur von Agenturen!) und zahlen schon mal gar nicht. Ich begriff recht schnell, dass Bilder ohne Geschichten sich nicht verkaufen lassen, ich musste diese dann schon dazu liefern. Was für interessante Geschichten in Japan passierten, das konnte ja nur ich wissen, denn meine Redaktion kennt Japan ja nicht und würde mir in der Hinsicht keinen Auftrag erteilen. Mit der Zeit bekam ich ein Gespür dafür, was für deutsche Medien interessant sein könnte. Allen voran müssten meine Themen exklusiv sein, denn wenn sie vorher schonmal von einem Journalisten mit mehr Ahnung, Sprachkenntnissen oder Hintergrundwissen gemacht wurden, konnte ich keine Argumente mehr für mich liefern.
In einem deutschen Blog stieß ich dann auf dieses Video:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=n_w9XMTJnpM&fs=1&hl=de_DE]

Es war der Trailer zu einer Dokumentation über Dr. Nakamats, der schon eindrucksvoll zeigte, was für ein interessanter Typ der ist. Ich recherchierte etwas weiter und fand dabei auch einen sehr guten Beitrag im PingMagazine über Dr. Nakamats. Doch deutsche Beiträge gab es über ihn noch nicht, da kein deutscher Journalist bisher über ihn berichtet hat. Ich witterte meine große Chance.

Ich schrieb den Regisseur der Doku an, dessen Premiere zu dem Zeitpunkt kurz bevor stand. Er kam aus Dänemark und hatte einen deutschen Vater. Wir schrieben uns auch kurz auf Deutsch. Mit dem Hinweis, den Artikel auch groß über die Doku aufzuziehen, was ich als aktuellen Anlass auch brauchte, bekam ich Kontakte zur Sekretärin von Dr. Nakamats.

Es verging etwas Zeit, in der ich meinen deutschen Mitbewohner bat, mir beim Interview mit der Übersetzung zu helfen. Da er schon zwei Jahre in Tokyo lebte, kannte er auch Dr. Nakamats – aus dem Fernsehen und von der Straße. Der selbsternannte Doktor tritt nämlich regelmäßig zu den Wahlen in Tokyo an, gekleidet mit einem weißen Anzug, Zylinder und langen weißen Cape.

Die Sekretärin antwortete dann, und ich meinte schon, dass ich einen Übersetzer für das Interview habe. Doch Dr. Nakamats besteht darauf das Interview in Englisch zu machen, sagte sie, denn das Englisch von Dr. Nakamats ist sehr gut. Das war wohl so ein Prestige-Ding, mit Ausländern auch ohne Übersetzer kommunizieren zu können. Sie gab mir eine Adresse ohne Wegbeschreibung, irgendwo im Westen von Tokyo. Ich machte mich mit dem Fahrrad auf den Weg.

Adressen in Tokyo sind etwas kompliziert. Die Straßen haben keine Namen, nur die Viertel und Nachbarschaften. Man bekommt also nun drei Angaben, erst vom großen Bezirk, dann vom kleineren Viertel im Bezirk und dann die Nummer vom Häuserblock. Innerhalb von diesem Häuserblock hat das Haus dann auch noch eine eigene Nummer, die allerdings nur die Reihenfolge angibt, in der das Haus, verglichen mit den anderen Häusern im Block, gebaut wurde. So gibt es oft Haus Nr. 1 neben Haus Nr. 12 und Nr. 5. Um es kurz zu machen: Ich musste mehrmals nach dem Weg fragen.

Ich musste in der Nachbarschaft nur „Dr. Nakamats“ sagen, damit die Leute lachten und in die richtige Richtung zeigten. Der Doktor war bekannt in der Nachbarschaft, für seine Experimente und Erfindungen, die er gerne auf den Straßen hier im westlichen Tokyo ausprobierte.

Als ich dann vorm Haus stand, gab es keinen Zweifel mehr, dass es das richtige war:


Die schwarze Hausfassade soll kosmische Energie einfangen, sagt der Erfinder

Das Dr. Nakamats House, an der Dr. Nakamats Street Ecke Dr. Nakamats Avenue, auf dem dem Dr. Nakamats Platz. Wer es bis hierhin noch nicht mitbekommen hat, der Kerl ist sehr egozentrisch. Das er die Schilder nur einfach so aufgestellt hat, und Tokyo nicht die Straßen nach ihm benannt hat, versteht sich von selbst, und beschreibt ganz gut den selbsternannten fünffachen Doktor.

In den folgenden Absätzen werde ich nicht den Doktor ausführlich beschreiben, dafür verweise ich mal auf die zwei Artikel, die ich über ihn geschrieben habe. Ich habe die Geschichte über ihn tatsächlich zweimal verkauft, dazu komme ich später nochmal. Bis dahin gilt der Artikel in der Berliner Zeitung vom 4. Oktober 2010 und in der UNICUM Dezember Ausgabe


Ein Windrad im Eingang, um aus Strömungen innerhalb des Hauses Energie zu gewinnen

Den richtigen Eingang zu finden war nicht leicht. Zuerst bin ich durch die offene Tür ins Gebäude, wo offensichtlich eine Art Besucherraum war. Der Name von Dr. Nakamats und sein Gesicht prangten überall.

Dort war irgendwo auch eine Klingel, die ich zwar drückte, aber auf die keine Reaktion kam. Ich ging dann nochmal raus und fand zwei weitere Eingänge. Einer sollte sich später als Eingang zu einem Appartment-Komplex rausstellen, der ebenfalls Dr.Nakamats gehört, und in dem Schüler seiner „Genius Academy“ wohnen. Die „Genius Academy“ bietet Interessierten die Möglichkeit, nah mit dem Meister zu wohnen und ihn ab und an mal bei der Arbeit zuzuschauen. Zu jeder Zeit wohnen ca. 15-20 Leute dort, die die 700€ im Monat zahlen können. Aufnahmekritieren gibt es, bis auf das Geld, kaum welche, auch wenn der Doktor sowieso behauptet, man müsste mit Genie-DNA geboren werden, sont könne nicht zu einem Genie werden. Er hat natürlich diese Genie-DNA. Ob er seinen zahlungskräftigen Schülern einen DNA Test unterzieht, bezweifle ich.

Der andere Eingang war groß mit „Dr. Nakamats House“ überschrieben. Ich klingelte und konnte verständlich machen, dass ich der 14 Uhr Termin bin, der jetzt um 14.15 Uhr hier klingelt. Nüchtern wurde ich drauf hingewiesen, wieder in den Eingangsbereich zu gehen und dort zu warten, bis man mich abholt.


Eine Theke im Eingangsbereich war das „Dr. Nakamats Cafe“

Also wieder zurück. Man ließ mich lange warten, bis die Sekretärin durch zwei schwere Türen kam und mich einsammelte. Beide Türen waren jeweils mit einem Passwort gesichert und mit Dr. Nakamats‘ Gesicht verziert.
Das Haus hat der Doktor selbst designt, schließlich ist er ja ein Genie. Es soll mit verschiedenen gestalteten Arbeitsräumen seine Produktivität steigern. Die Räume bestehen unter anderem aus einer komplett goldene Toilette, einem Indoor-Swimmingpool und einem „Calm Room“ mit Zen-Garten. Alle diese Räume durfte ich nicht betreten, die waren nur dem Doktor vorbehalten.


Überdachter Innenhof des Hauses

Überall im Haus waren einige seiner über 3300 Erfindungen verbaut. So auch auf der Treppe zu seinem Büro im Keller. An der Seite waren die Treppenstufen schräg, um die Belastung auf die Knie beim Aufstieg zu minimieren. Dr. Nakamats hat bei seinen Erfindungen meistens die Gesundheit im Sinn.

Vorbei an vollen Schreibtischen, Regalen und einem allgemeinen Chaos an Dokumenten, ging es zum Büro vom Doktor. Zwei weit ausladende Schreibtische standen in einem fast komplett roten Raum, dekoriert mit Schreibtafeln, Figuren der menschlichen Anatomie, Kameras und Papier, Papier, Papier. Ich sollte vor einem der Schreibtische Platz nehmen, während der Doktor noch an dem anderen zugange war. Er nahm keinerlei Notiz von mir als ich den Raum betrat. Es vergingen ein paar Minuten in denen ich überlegte, ob ich was sagen sollte, doch irgendwann stand er dann auf und ging die drei Schritte zum zweiten Schreibtisch. Er setzte sich hin und guckte mich an.

Ohne Worte gab er mir seine goldumrandete(!) Visitenkarte, die nochmal zeigen sollte, wie großartig er doch ist. Die Anzahl seiner Erfindungen war darauf gelistet, gleich mit dem Hinweis, dass er mehr Erfindungen als Thomas Edison hat.
Etwas überrumpelt nahm ich die Karte an, bedankte mich dafür und für seine Zeit, und gab ihm meine. Wieder wortlos gab er mir ein Buch, eine Art großbebilderte, zweisprachige Autobiografie über ihn.


Cover seiner Autobiografie

Zusammen mit dem Buch gab er mir auch seinen Lebenslauf, kleinzeilig auf einem ganzen A4 Blatt. Dort stand unter anderem, dass er den Nobelpreis gewonnen hat. Das stimmt nicht, denn was er gewonnen hatte war der ig-Nobelpreis, eine Art Anti-Nobelpreis für sinnfreie Forschungen – auch wenn er bis heute der Meinung ist, er hätte den tatsächlichen Nobelpreis gewonnen. Der Doktor bekam die Auszeichnung für die Leistung, seit mehr als 30 Jahren(!) täglich seine Mahlzeiten in Wort und Bild zu dokumentieren. Einer der Aktenordner, die ganze Schränke bei ihm füllen, sah ich auch. Sehr ausführlich. Der Doktor will halt 144 Jahre alt werden, die richtige Nahrung ist dabei sehr wichtig. So trinkt er auch seit Jahrzehnten nichts anderes als „Brain-Tea“, ein Kräutertee, der die Gehirnleistung steigern soll. Diesen „Brain-Tea“ gibt es neben anderen seiner mehr oder weniger nützlichen Erfindungen auch im Dr. Nakamats-Shop zu kaufen.

Das Interview lief sehr schleppend. Auch wenn ich der erste deutsche Journalist war, mit dem er sprach, so war es für ihn nur ein Interview von vielen. Viele Fragen, die ich einfach stellen musste, wurden ihm schon mehrmals gestellt und er war dementsprechend müde, sie zu beantworten. Er verwies stets nur auf sein Buch oder ignorierte meine Fragen komplett. Nach einer halben Stunde war ich mit meinen Fragen durch, ohne viele Antworten bekommen zu haben. Ich wollte mir nun ein paar seiner Erfindungen von ihm zeigen lassen, um so auch viele Fotos für eine große Reportage zu bekommen. Doch der Doktor wollte nicht, und schickte seine Sekretärin.

Wir gingen also wieder zurück in den Eingangsbereich, dem auch die „Dr. Nakamats Library“ angeschlossen war. Ein Museum seiner Erfindungen.

Ziemlich ungeordnet lagen hier nun Erfindungen, Gegenstände und Dokumente aus mehreren Jahrzehnten Dr. Nakamats rum. Die Sekretärin konnte mir mit beschränkten Englisch nicht bei jedem Gerät alles erklären.


Nakamascope – Filmkamera, erfunden für eine deutsche Filmfirma


Einen Computer hat er natürlich auch erfunden


Auswahl aus seinem Verkaufssortiment


Manga über Dr. Nakamats


Dr. Namats ließ sich mal zur Wahl aufstellen, mit dem Versprechen fünf Erfindungen zu haben, die die Welt retten können. Das hier ist eine davon, eine Maschine um aus Wasser Energie zu machen. Dass das Prinzip als Brennstoffzelle schon länger existiert, hat er beim Erfinden, wie so oft, ignoriert.

Ob ich denn auch mal ein paar der Erfindungen selbst ausprobieren möchte, fragte mich die Sekretärin. „Klar!“, sagte ich, und sie verschwand, denn das müsste vorbereitet werden. In der Zwischenzeit könnte ich den Cerebrex ausprobieren, einen Sessel, der, wie sollte es auch anders sein, die Gehirnleistung steigern soll.

Die Idee ist es, Platz zu nehmen und durch den Vorhang vorm Kopf Licht und Geräusche von der Außenwelt abzublocken. Tja und was soll ich sagen, so ein Tuch vorm Kopf funktioniert, man sieht nichts mehr. Der Sessel ist bequem und das wars dann auch. Er hat keine weitere Funktion, trotzdem wird er an den Strom angeschlossen. Doch er vibriert nicht, wird nicht warm, es ist einfach nur ein Sessel mit Tuch.
Der Doktor selbst benutzt den Apparat mehrmals am Tag.

Die meines Erachtens beste und lustigste Erfindung von Dr. Nakamats sind allerdings seine Springschuhe, die er selbst auch oft benutzt.


Scan aus seinem Buch

Die Idee dahinter ist nicht weit zu springen, sondern normal zu joggen und dabei die Gelenke zu schonen. Es funktioniert tatsächlich sehr gut und macht Spaß.

Die Essenz von Dr. Nakamats, das Faszinierende und Absurde, das findet sich in diesen Schuhen. Denn auf den ersten Blick wirken sie absurd und lächerlich. Der Doktor hat sie aber erfunden, weil joggen zu sehr auf die Gelenke geht. Die Springschuhe federn die Belastung auf die Gelenke ab und funktionieren sehr gut. Zu Anfang sind sie ungewohnt. Wenn man versucht normal zu gehen, oder nur zu springen, findet man kein Gleichgewicht. Doch sobald man anfängt leicht zu joggen, fühlt es sich absolut natürlich an. Der Kerl, der mir die Schuhe brachte und beim Ausprobieren half, drückte ich dann die Kamera in die Hand.


Nach dem Springen lernte ich gleich ein neues Wort: „omoshiroi“, japanisch für ‚lustig‘ oder ‚interressant‘, weil der Kerl mich ständig fragte, wie ich den Ausflug fand

Der Doktor meinte es durchaus ernst mit dieser Erfindung. Das er sie so durchgezogen hat, ohne auf irgendwelche Stimmen zu hören, die sowas vielleicht für zu absurd halten, spricht für den Doktor und seine Arbeitsweise. Wenn er sagt, dass er die Gesundheit der Menschen mit seinen Erfindungen im Sinn hat, dann meint er das auch so.

Ich ging dann wieder zurück zum Doktor um mich zu verabschieden. Nachdem ich noch ein Foto von ihm machte, wollte er noch eins zusammen mit mir machen. Er stellte sich neben mich hin, gab seiner Assistentin eine Kamera und fragte mich: „Was sagt man in Deutschland, wenn man für ein Foto posiert?“. „…äh ‚Cheese'“, sagte ich. „Von nun sagt ihr: Dr. Nakama-tsuuuu“, sagte er und betonte die letzte Silbe noch mal mit einer ausholenden Bewegung der rechten Hand, die zum Ende hin das altbekannte Victory-Zeichen formte, dass die Japaner immer auf Bildern machen.
„Dr. Nakama-tsuuu“, sagten wir zusammen, und es klickte. Das Foto wollte mir der Doktor dann allerdings nicht zuschicken, auch nachdem ich ihn mehrmals fragte.

Mit wenig Antworten, verwertbaren Zitaten, Bildern und einem dicken Buch in der Tasche radelte ich wieder nach Hause. Nun begann die Recherche.

Bekannt und unkommentiert

In den folgenden Wochen versuchte ich ein paar Meinungen über Dr. Nakamats einzuholen, was sich als durchaus schwierig erweisen sollte. Wenn zwar jeder(!) Japaner, den ich auf den Doktor ansprach, ihn kannte, so war doch in 99% die Reaktion nur amüsiertes Schmunzeln über ihn und seinen Quatsch, den viele aus dem Fernsehen kannten, wo er regelmäßig in Shows auftritt.


Eine seiner ersten Erfindungen: eine Öl-Pumpe, die er für seine Mutter machte, und dessen Gebrauchsprinzip sich bis heute in Handpumpen in Japan findet

Ich habe die Universitäten angeschrieben, an denen er angibt studiert zu haben, doch die wollten weder bestätigen noch dementieren, dass er an dieser Schule war. Auch vermeintliche Kollegen aus der Wissenschaft wollten nicht zusammen mit ihm genannt werden und sagten nichts zu ihm. Er wird halt einfach nicht ernst genommen, auch wenn er es ernst meint.

Im japanischen Patentamt fand ich dann ein paar seiner Erfindungen, komplett mit Beschreibung und Zeichnungen. Darunter diverse Erfindungen fürs Badezimmer und eine Selbstverteidigungs-Perücke. Ja, eine Selbstverteidigungs-Perücke, aus der man innerhalb von Sekunden eine lange Drahtschnur ziehen kann, die man dann als Waffe benutzt.

Dr. Nakamats in die Zeitung

Ursprünglich hatte ich eine große Reportage über ihn geplant, mit großen Bildern und vielen Worten. Das konnte ich nicht mehr machen, da mir der Inhalt fehlte. Als reines Interview ging es eh nicht, also ging es nur als Portrait. Ich bot es also der Berliner Zeitung an, denen ich dann einen viel zu langen Beitrag schickte. Nachdem zwei Wochen lang keinerlei Reaktion auf meinen Text kam, und ich das Geld dringend für die Miete brauchte, fragte ich noch mehrmals nach und bekam eine Absage. Der Text würde als Portrait nicht funktionieren, die These haut nicht hin und ist so nicht druckbar.

Ich war von dieser Absage niedergeschlagen. Nicht nur, dass ich die Miete nicht zahlen konnte, ich zweifelte auch an meinen Fähigkeiten als Schreiberling. Ich schob den Artikel erstmal beiseite und wollte mich später drum kümmern. Insgesamt habe ich dann knappe zehn Monate lang an diesem Artikel gesessen. Er hat mich quasi blockiert, ich traute mich an keinen großen neuen Auftrag rein, eh nicht dieser abgelehnte Beitrag in einer Form ist, die es in die Zeitung schafft. Vorher würde mir auch überhaupt das Selbstbewusstsein fehlen, wieder Angebote zu schreiben.

In der Zwischenzeit passierten zwei Sachen. Der Regisseur des Films, mit dem ich bisher guten Kontakt hatte, auch über Hintergründe zum Erfinder, fragte mich nun, ob ich das Foto für das Filmplakat der Dokumentation machen kann. Cool, sag ich, aber ich müsste etwas verlangen. Schließlich ist das mein Job und ich lebe davon. Ich hätte nicht viel verlangt, vielleicht nur 50€, wohlwissend dass er das Bild und Plakat dann im weltweiten Vertrieb für den Film nutzen würde. Seine Reaktion war Unverständnis, er hätte das nicht von mir erwartet, schließlich würde er auch ab und an kostenlos für coole Projekte arbeiten. Ich sparte mir eine Bezahlung zu rechtfertigen oder drauf hinzuweisen, dass ich über seinen Film berichte und damit ordentlich bewerbe, denn das war sinnlos. Ich beließ es dabei und erwartete, dass er professionell damit umgeht.

Ein paar Wochen später hatte ich noch zwei, drei Fragen zu ihm und den Film. Seine Antwort war erpresserisch. Er meinte, es gibt Journalisten, für die er sich viel Zeit nimmt, und einige, bei denen er das nicht tut. Er machte klar, dass ich die Antworten kriege, wenn ich ihm das Foto gebe, ohne es so konkret auszusprechen. Auf solche Spielchen hatte ich keine Lust, und so schrumpfte der Anteil in der Berichterstattung über seinen Film auf ein geringes Maß.


Scan aus dem Buch

Die zweite Sache, die in der Zwischenzeit passierte, war ein Kontakt zum Studentenmagazin UNICUM. Ein Freund, den ich in Tokyo kennenlernte, hatte jahrelang für das Magazin gearbeitet und sich für mich in der Redaktion eingesetzt. Es war ein langer Kampf, war doch die Redaktion komplett ausgetauscht worden seit seiner Zeit, doch nach vielen Anrufen und Mails hatte er eine Kontaktadresse für mich organisiert. Ich sollte ein paar Themenvorschläge hinschicken und hatte grad nix anderes als Dr. Nakamats. Das Thema kam gut an, und da die Berliner Zeitung ihn eh ablehnte, war das Thema ja frei.

UNICUM gab mir nun eine Deadline, die ich zunächst unabsichtlich ignorierte, da andere Aufträge dringender reinkamen. Ich hatte nach der heftigen Absage der Berliner Zeitung mich auch nicht wieder an den Text getraut. Doch UNICUM war sehr interessiert an dem Thema und verlängerte die Deadline. Wieder in Deutschland war das der Beitrag, auf den ich mich voll konzentrierte. Ich besorgte mir einen befreundeten Redakteur und arbeitete mit ihm an dem Beitrag. Ich hatte grad eine kürzere Version, die zu 95% fertig war, da bekam ich eine Email:

„Hey Fritz, Glückwunsch zum Abdruck in der Berliner Zeitung gestern, mit dem Artikel über Dr. Nakamats!“

Ich fiel aus allen Wolken. Mir hatte keiner Bescheid gesagt, weder jemand aus der Zeitung, noch die zuständige Redakteurin, der ich damals den Text schickte. Ich hatte ja inzwischen wieder bei der Berliner Zeitung angefangen und war bei der Redaktionssitzung am Montag dabei, wo wir auch jedes Mal eine neue Ausgabe der Zeitung bekommen. Ich blätterte die Zeitung allerdings bei der Sitzung nicht durch, sondern packte sie nur in die Tasche.
Nachdem ich nun die Email bekommen hatte, griff ich nach der Zeitung und blättere sie schnell durch. Tatsache, dort war Dr. Nakamats und drüber stand mein Name.

Mein Puls ging hoch und ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Denn hätte ich nicht diese Email meiner Bekanntin bekommen, wäre das komplett an mir vorbeigegangen. Ich vermutete schon ein Kalkül der Zeitung, so an der notwendigen Bezahlung vorbei zu kommen und kontaktierte schon meinen Vater und somit auch den Anwalt.
Er meinte nur, ich soll ruhig bleiben, schließlich sind sie verpflichtet zur Vergütung, wenn sie mein Material mit meinem Namen abdrucken. Ich soll einfach mal anrufen.

Ich rief also an und erklärte meine Situation. Ich wurde von Stelle zu Stelle gereicht, jeder einzelnen war die Situation hörbar peinlich, sowas kommt wohl nicht häufig vor. Am Ende erreichte ich dann den zuständigen Redakteur. Es stellte sich heraus, dass er nur die Urlaubsvertretung war. Die zuständige Redakteurin, der ich vor einigen Monaten meinen Text schickte, war nicht da, und mein Text war wohl nicht gelöscht, sondern in einem Ordner für noch brauchbare Themen gelandet. Die Urlaubsvertretung hatte meinen Text nun aufbereitet und abgedruckt. Es war nun leider keine Kontaktadresse dabei, sagte er mir, sonst hätte er mich noch kontaktiert. Na gut, dass ihn dieser Mangel nicht vom Abdruck abgehalten hat, wa?

Ich wurde dann ins Sekretariat durchgereicht und gab meine Finanz-Informationen durch. Mehr als einen ganzen Monat später kam dann die Vergütung, allerdings nur teilweise. Auf den Rest warte ich heute noch.

Der Artikel war nun gedruckt, aber auch schon UNICUM versprochen. Ich schickte UNICUM die Info, dass der Artikel schon abgedruckt ist, ich dafür aber nix kann. Nach einer Woche Bedenkzeit meldete sich UNICUM wieder und sie wollten weiterhin Dr. Nakamats abdrucken. Sie wissen zwar noch nicht wann, doch ich soll schon mal schicken was ich habe.
Ich schickte ihnen die Version, die ich hatte und ohne Einwände wurde sie genommen. Da der Abdruck noch in den Sternen stand, fragte ich mal vorsichtig nach der Vergütung. Als Antwort kam ein Satz, der mein geknicktes Selbstbewusstsein nach der Ablehnung der Berliner Zeitung und einen glücklichen Gemütszustand als freier Journalist wieder herstellte:

Der Beitrag wird vergütet, wenn ein Redakteur ihn abgenommen und für gut befunden hat, und dieser Moment ist jetzt.

Für die Dezember-Ausgabe von UNICUM war dann noch eine Seite frei und mein Beitrag rutschte rein.
Das ist also das gute Ende von meinem Jahr mit Dr. Nakamats: Nach einem schwierigen Interview, einer langen, glücklosen Recherche und einer heftigen Absage, wurde der Beitrag zweimal abgedruckt. Danach war gewissermaßen der Knoten geplatzt, ich konnte mich wieder frei und produktiv an andere große Themen setzen. Ich bin nun auch um viele Erfahrungen in der Arbeit mit Redaktionen und mit der Recherche reicher.
Vorallem mit der Lektion, dass ein Thema manchmal viel Zeit bis zum Abdruck braucht.

-> Artikel über Dr. Nakamats der Berliner Zeitung vom 4. Oktober 2010
-> Artikel über Dr. Nakamats in der UNICUM Dezember Ausgabe