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Post aus Nah-Ost 2: Wie Tag und Nacht

Der zweite Tag in Palästina. Der erste Tag war lang, die Nacht mehr als kurz. Heute sollten wir also endlich mal wirklich die Orte sehen, statt nur einem Ausschnitt davon in einem Fenster. Viel Tageslicht hatten wir dafür nicht, denn die Nacht brach früh herein…

Nach ca. vier Stunden Schlaf wachte ich in Jeans und Shirt auf der Decke meines Bettes auf, die Brille noch auf der Nase und mein Notizbuch, in das ich bei meiner Ankunft am Morgen noch geschrieben hatte, lag neben meinem Kopfkissen. Irgendjemand sagte „Frühstück“ und ich wankte ins Badezimmer. Der erste Blick in den Spiegel.
Die schlechte Rasur vom Vortag wich schon den ersten Stoppeln. Von draußen scheinte hell und intensiv die Sonne auf die nicht mehr ganz so weißen Fliesen des Badezimmers. Ich spritzte mir etwas nicht trinkbares Leitungswasser ins Gesicht, bemühte mein Deo und stöhnte mein Spiegelbild an. Ich war im Arsch.

Wie ein Untoter schlurfte ich zum Frühstück in den zweiten Stock, ließ mich in einen Stuhl fallen und kaute mit glasigen Augen auf einem würzigen Stück Fladenbrot herum. Mein Kopf war irgendwie im Standby-Modus, noch dabei die intensiven Eindrücke vom gestrigen Tag zu verarbeiten. Sonst passiert das ja im Schlaf, dafür ist das Träumen da. Doch heute Nacht war dafür keine Zeit. Mein Geist funktionierte im Minimalbetrieb.
Kauen. Trinken. Schlucken.
Mit den anderen Reden war da schon zuviel verlangt.

Es blieb auch wenig Zeit, keine 20min später war schon das erste Projekt-Meeting für den Tag angesetzt, wo wir über die kommende Woche und die zu drehenden Filme reden wollten, und auch zum ersten Mal auf die palästinensischen Jugendlichen treffen sollten, die mit uns an den Filmen arbeiten sollten. Vorher mussten wir unsere Pässe abgeben, die Passnummern sollten an die „Touristen-Polizei“ gesendet werden, damit die wissen, wer sich hier gerade aufhält.
Ich habe keine Ahnung, wer oder was diese „Touristen-Polizei“ sein sollte, zumal es hier ja keine Touristen gibt. Aber auch wenn diese Passkontrolle etwas totalitär wirken sollte, so war es auch diese Abteilung der Polizei, die, falls wir Probleme haben sollten, auch für uns da wäre und uns beschützt. So wurde es uns von ehemaligen Besuchern dieses Orts erzählt, mit denen wir uns vor der Reise trafen.
Wir waren aber während unseres Aufenthalts nicht auf die Polizei angewiesen.

„Fritz, ich mach mir Sorgen um dich“, sagte mir jemand aus der Gruppe, den ich kaum ein paar Stunden kannte, aber schon in meinem Gesicht lesen konnte, das heute mit mir nicht alles stimmte. Ich gab ihr zwar Recht, das ich etwas matschig bin, aber erklärte auch, dass mein Gehirn noch damit beschäftigt ist, alles um mich rum zu prozessieren.
Da wir die zwei letzten waren, die ihren Pass abgaben, liefen wir den anderen zum Meeting hinterher, welches ein paar Häuser weiter in dem Garten des Cinema Jenin stattfand. Unter einer schwarzen Plane, die dem sonst verbrannten Rasen etwas Schatten spendete, stellten wir uns ein paar Gartenstühle aus Plastik zurecht und warteten.

Es folgte noch einmal eine kurze Zusammenfassung vom Projekt und was wir hier vorhaben. Als wir eintrafen waren noch keine palästinensischen Jugendlichen vor Ort, diese trudelten erst nach und nach ein. Über den Zeitraum von einer halben Stunde kamen wortlos mehr und mehr junge Leute hinzu, ohne eine Meldung über ihre Verspätung oder sonstiges. Für Deutsche, und Japaner ja auch, wäre das recht unhöflich. Doch im arabischen Raum, so hörte ich von mehreren Quellen, sind Verspätungen von bis zu einer Stunde in Ordnung und müssen nicht weiter kommentiert werden.

Die Vorstellungen fanden dann in Englisch statt und mussten stets übersetzt werden, weil die palästinensischen Jugendlichen dann doch nicht so fließend Englisch sprachen.
Es folgte auch Ringelpietz mit Anfassen – so nenn ich immer diese lustigen Kennenlernspielchen, die mich vom Freiwilligen Ökologischen Jahr bis hin zum Zivi verfolgten, und die ich immer sehr leidlich finde. Der absolute Overkill an diesen Spielchen hatte ich auf einer Seminarfahrt während des Freiwilligen Ökologischen Jahres. Die Fahrt dauerte damals zwar nur fünf Tage, doch bis zum letzten Tag gabs pro Tag mindestens drei dieser Kennenlernspielchen – auch wenn wir uns nach dem 6. Spielchen schon alle auswendig kannten.


Vom Garten sichtbar, eine Tür zur Straße hin, hinter der eine Fahrradwerkstatt war

Nunja, also machten wir nun diese Spielchen, stellte uns nach Schuhgröße, Anzahl Geschwister und Dickdarmlänge Alter auf. Dann noch einen Sitzkreis, in der sich jeder nochmal mit Namen vorstellt und ein Talent von sich preisgibt, stets mit Übersetzung. Als die Reihe an mir war, sagte ich, dass mein Talent ist, Japanisch zu sprechen, aber die Übersetzerin wusste nicht, was „japanese“ heisst, und ich wollte es auch nicht lange erklären.

…Japan liegt da hinten, Richtung Osten. Weit da hinten…


so fertig wie ich

Dann ging es an die Arbeit: Ziel des Projektes war es, kleine Geschichten in Filmen zu der Region zu erzählen. Die ursprüngliche Idee war es, dass wir kleine Dreh-Teams bilden, jeweils noch mit einem Palästinenser zusammen und dann rausgehen zum Drehen. Das haute aber nicht hin, da wir nur zwei Palästinenser hatten, die fließend Englisch konnten: Ein mondänes, selbstbewusstes Mädel mit gelben, hochhackigen Schuhen und Kopftuch, und einen Selbstdarsteller mit Brille, der oft und viel erzählte, vor allem von sich, und dabei einen zusammengerollten Hefter wie einen Dirigentenstab führte.

Trotzdem sollten wir jetzt schon besprechen, was wir hier drehen wollen, und uns so dann in Gruppen zusammenfinden.
Ich hatte ein Problem mit diesem Ansatz. Denn weder kannte ich den Ort, noch wusste ich, was hier überhaupt passiert. Wie sollte man denn jetzt eine Geschichte konstruieren – ohne sie tatsächlich komplett zu konstruieren und inszenieren. Schließlich schreiben wir kein Drehbuch, indem die lokalen Akteure nur das Schauspiel ausüben, das wir Fremde aus dem Westen uns über sie ausdenken. Das ist kein Journalismus. Etwas frustriert zog ich mich aus den kleinen Debatten zurück.

Ich schlug vor, dass wir uns doch erstmal die Stadt anschauen sollten, bevor wir hier uns irgendwas ausdenken, was dann am Ende vielleicht garnicht funktioniert. Schließlich haben wir von Jenin nicht mehr gesehen, als die drei Häuser zwischen Gasthaus und Garten. Mein Vorschlag ging allerdings in der allgemeinen Diskussion unter. Verstummt setzte ich mich wieder auf meinen Plastikstuhl und verschränkte die Arme.

Auf einmal fragten mich zwei Mädels neben mir: „Fritz, magst du Frauen?“. „Klar“, sag ich automatisch. „Gut, dann kannst du ja bei unserer Gruppe mitmachen, mit dem Thema ‚Frauen'“.
Die beiden erzählten mir dann, was sie machen wollten. Sie hatten sich nicht viel ausgedacht, sie wollten einfach nur Frauen aus Palästina suchen, befragen und vorstellen. Ohne viel Dramatik, ohne konkrete These. Einfach eine nüchterne Betrachung von Frauen hier, fernab von Klischees und sonstigen Vorurteilen.

Dieser rein dokumentarische Ansatz überzeugte mich sehr und ich sagte zu. Zusammen waren wir zu dritt, zwei Mädels und ein Kerl. Ich selbst hatte mir kein Thema ausgedacht, da ich auch den Ort nicht kannte und mir auch nichts ausdenken wollte. Das, was mich überall interessiert, woher ich auch komme oder wohin ich gehe, ist junge Kunst. Dazu hätte ich gerne was gemacht, wussten aber nichts, ob es etwas dazu gibt. Auch gab mir diese Gruppe mit den zwei Mädels auch die Möglichkeit, mich mal darin zu üben, mich zurückzunehmen. Sonst bin ich es immer gewohnt, die Recherche komplett allein zu machen oder Projekte gesamt zu leiten. Indem ich mich jetzt mal zurücknehme, bekomme ich mal eine andere Perspektive. Zudem hatte ich auch so mehr Möglichkeiten Fotos zu machen.
Die Mädels boten mir dann noch an, zu versuchen eine junge weibliche Künstlerin zu finden, damit ich auch glücklich werde und mein Thema umsetzen kann.


Die Pali-Katze, die neugierig zwischen den Stühlen rumlief, schnell zutraulich wurde, und sich unter den Stühlen im Schatten entspannte

Die anderen Gruppen konstruierten weiter. Während die Palästinenser irgendwie alle ihre Probleme in einem einzigen Film erklären wollten, gab es noch etwas zu Rap und Hip Hop, und irgendwas mit Studium/Frauen/Leben…
Die Palästinenser wollten die eierlegende Wollmilchsau in Filmform. Das wir nicht alles in ca. 5min Beiträgen unterkriegen, vorallem nicht ohne zu inszenieren, war denen, die noch nie einen Film gedreht hatten, nicht klar. Wir konnten uns dann darauf einigen, dass sie ein Theaterstück schreiben, dass dann abgefilmt wird.
Doch nicht nur sie hatten vorher keine Erfahrung gesammelt, wie man eine Geschichte in einem kurzen Film erklärt. Fast alle hatten noch nie eine Filmkamera in der Hand. Ich schon, daher konnte ich mir ungefähr vorstellen, was funktionieren kann, und was nicht.

Die Gruppe, die Studium/Frauen/Leben machen wollte, hatte am Ende so viele Ideen, die insgesamt viel zu umfangreich waren. Die geheime Leiterin, die zwar nie offiziell gewählt wurde, aber so agierte und auch von allen so akzeptierte wurde, frustrierte in der ersten Recherche zu ihrem Thema vor dem Rechner. Da ich sie schon seit mehreren Jahren aus meiner Redaktion kannte, suchte ich natürlich das Gespräch – auch weil ich selbst schon die Erfahrung hatte, in einem fremden Land in kurzer Zeit eine Geschichte zu produzieren. Sie hörte meine Ratschläge, weigerte sich zuerst, doch sie nahm sie nach einer Überlegung doch noch an. Den Film, den sie am Ende machte, hatte sehr wenig mit der ersten Überlegung, unter der schwarzen Plane im Garten, zu tun.

Die HipHop Gruppe wollte ein Portrait über Rapper aus Jenin machen, diese begleiten und deren Musik zeigen. Auch wenn ich persönlich HipHop nicht mag und wenig Vertrauen in die Gruppe hatte, so war deren Film doch der, der mich am Ende am meisten beeindruckte und der am Besten von vorne bis hinten funktionierte. Er funktionierte, weil die Macher in der Gruppe ihre Leidenschaft für HipHop aus Berlin nach Palästina brachten und dort umsetzten. Es funktionierte auch, weil ihre Protagonisten reden konnten und reden wollten – nicht weniger machten sie ja auf der Bühne.

Die einzige aus unserer gesamten Gruppe, mit Filmerfahrung, war eine freie Dokumentarfilmerin. In unserer Woche in Palästina lief auch ein Film von ihr auf einem portugiesischen Filmfestival, welches es allerdings nicht für nötig hielt, sie deswegen auch zu benachrichtigen.
Diese Filmemacherin machte nun quasi ihre eigene Gruppe auf. Weniger weil sie mit den anderen nicht konnte, sondern weil es für ihr Thema nicht nötig war. Sie begleite jemand aus dem Gaza Streifen, der ohne Pass oder sonstige Dokumente im Krieg nach Jenin flüchtete und nun hier lebte, aber niemals legal eine Grenze wird passieren können, ohne die Behörden zu alarmieren, die ihn dann in den Knast stecken würden. Zuerst wollte er den Film auch nicht machen, aus Angst erkannt zu werden. Nach vielen intensiven Gesprächen mit der Filmemacherin unter vier Augen stimmte er allerdings zu.


Erste Recherche in den Gruppe, bzw. der erste Anruf über Skype zur Freundin daheim. Auch wichtig.

Unser Thema war also nun Frauen.
Die erste Recherche sollte beginnen und wir gingen zurück in unser Hostel. Da alle Rechner besetzt waren, und ich keinen eigenen hatte, überließ ich den Mädels die Aufgabe und zog mich mit Kopfschmerzen aufs Dach zurück, wo ich in einer Hängematte den Muezzins und dem Marktgeschrei lauschte. Ich versuchte wieder einen klaren Kopf zu kriegen, sperrte mit Musik dann doch die fremden Geräusche aus und zog mir den Stoff der Hängematte über die Augen, um auch den warmen Sonnenschein aus meinem Kopf zu halten.

Nach einer Stunde ging es mir wieder besser und ich nahm alles klarer war. Ich setzte mich zu meiner Gruppe und hörte mir die ersten Überlegungen an. Es gäbe wohl ein Frauenzentrum im Flüchtlingslager, dass wir besuchen könnten. Das selbstbewusste Mädel aus der Gruppe palästinensischer Jugendliche, die dort als einziges Mädel saß, wäre auch interessant. Dann vielleicht noch die Familie von einem deutschen Voluntär, die hier wohnt. Und dann noch vielleicht die Lehrerin, die hier im Hostel Deutsch unterrichtet, u.a. auch an palästinensische Frauen. Ich ergänzte noch, dass egal wen wir sprechen, das dann noch zu weiteren Kontakten und Interviewpartner führen wird. So kannte ich es aus Japan. Ohne viel Pläne, nur mit Namen und Adressen bereiteten wir uns auf den nächsten Tag vor. Viel mehr braucht es auch nicht an Recherche. Am ersten Tag eine Art Drehbuch schreiben zu wollen, ohne zu wissen, was einem die Leute erzählen, ist kein Journalismus.

Und Schwuppdiwupp war es dunkel und das Essen stand an. Ich hatte mich die Woche vorher in Berlin größtenteils von Fertiggerichten ernährt, dazwischen gab es nur den Kram im Flugzeug. Was uns jetzt hier auf großen Tellern mit einem Lächeln von einem schnauzbärtigen Mann serviert wurde, war das beste Essen in einer langen Zeit.
Ich weiss gar nicht mehr, was es gab, nur dass es gut war und ich das so noch nie hatte. Salate, Soßen und Reis auf großen Tellern, damit sich jeder seine Portion nehmen konnte. Und natürlich Hummus, Hummus, Hummus. Wir aßen draußen, bei immer noch sehr warmen Temperaturen, aber einer tiefen Dunkelheit bereits um 18 Uhr abends. Die Wespen, die ich auf den Tod nicht ausstehen konnte, hatte die Hitze leider nicht verbrannt und sie kamen jetzt rausgekrochen. Die Katze, mit der ich mich bereits beim Meeting am Mittag bekannt gemacht hatte, ließ sich einfach von mir rufen und gerne streicheln. Im Gegensatz zur deutschen Durchschnittskatze war sie hier recht dünn und immer auf der Hatz.

Das Essen, was wir dort hatten, ist immer so gemacht, dass man es zusammen mit diesem Fladenbrot isst, welches man einfach öffnen kann und so eine Brottasche ergibt, in die man dann alles füllt. Der deutsche Döner ist eine Form von diesem Brottaschen-Essen im arabischen Raum. Das Brot an sich ist relativ fad, auch wenn es stark gewürzte Varianten gibt. So bekamen wir auch dieses ungewürzte Brot zum Essen und kombinierten beides. Es war wunderbar.
Auch wenn man es schmeckte, dass das Gemüse nicht so knackig und geschmacksintensiv war, wie man es aus deutschen Supermärkten kennt. Fast etwas wässrig schmeckten die meisten Gemüsesorten, was mehrere Gründe hat. Zum einen sind die Sachen aus dem deutschen Supermarkt natürlich ziemlich überzüchtet, und im Vergleich mit dem intensiven würzigen Geschmack der Soßen und Pasten fällt das Gemüse auch weniger auf. Es ist aber auch so, dass all das gute Gemüse und Obst aus der Region nach Israel gehen. Nicht weil da jemand seine Macht ausübt, sondern weil es da einfach mehr Geld zu verdienen gibt.

Nichtsdestotrotz war alles gut und sehr lecker, und vorallem gesund! Doch genug vom Essen, beim Schreiben läuft mir schon das Wasser im Mund zusammen.
Nachdem der Koch mit Schnauzbart auch wieder mit einem Lächeln feststellte, dass es uns schmeckte, sollten wir nun endlich mal die Stadt sehen. Einer der palästinensischen Jugendlichen wollte uns seinen Ort zeigen, unser Übersetzer half ihm dabei.

Es war dunkel wie Mitternacht, die Straßen waren ähnlich leer, doch die Uhr zeigte gerade einmal 19 Uhr an. Mit unserer Gruppe, in der fast alle Mädchen blond waren, zogen wir viele Blicke auf uns. Die Mädels kleideten sich zwar alle sittsam, mit Tuch um den Kopf und langen Ärmeln, doch wer sein Leben lang nicht jeden Tag das Kopftuch bindet, der weiss eben nicht, wie man alle Haare darunter verstecken kann. Blonde Zöpfe und Strähnen blitzten immer wieder hervor. Allerdings hatten wir keine Repressalien zu erdulden, es bespuckte uns keiner oder beschimpfte uns, weil wir unsittlich angezogen waren. Einmal meinte unser Stadtführer, dass bei einer Dame etwas zu viel Ausschnitt ist, doch das war in so einem normalen Tonfall gehalten, wie man hier jemanden sagt, dass seine Schnürsenkel offen sind.

Viele, an denen wir vorbei liefen, die vor ihren Läden saßen und abends noch süßes Gebäck oder süße Drinks verkauften, sprachen uns auf Englisch an. Ein bis zwei sogar auf Deutsch. Das häufigste war ein ehrlich fröhliches „Welcome to Jenin“, am zweithäufigsten war allerdings nicht „How are you?“ oder „Where are you from?“ sondern „What’s your name?“. Manchmal gab ich ihn dann raus, aber so oft wie gefragt wurde, konnte ich garnicht erklären, wie man „Fritz“ denn nun ausspricht.


Coca Cola auf Arabisch. Von den vielen viel zu süßen Getränken hier war Cola noch mit am bittersten

Unser Übersetzer, der sich ja auch mit ihnen auf Arabisch unterhalten konnte, sagte etwas, was das Verhalten der Leute ganz gut beschreibt:

Jenin ist eine lebendige Stadt, die Leute wuseln durch die Gegend, jeder kennt jeden. Sie quatschen, sie tratschen. Sie diskutieren ewig, um sich zu vertagen. Sie haben nichts, aber viel Zeit. Zeit, um über sich selbst, ihre Umgebung und ihren Platz in der Welt nachzudenken. Alle wollen, aber nichts ist da.

Die Stadt ist Touristen nicht gewöhnt, denn es gibt wenig, was Touristen interessieren könnte, Sehenswürdigkeiten oder ähnliches. Die wenigen Sehenswürdigkeiten klapperten wir dann allerdings ab. Zum Beispiel ein Platz, an dem eine Pferdestatue aus Altmetall steht. Die Statue steht vor dem Eingang zum (ehemaligen) Flüchtlingslager, in das uns eingeschärft wurde nachts nicht reinzugehen. Eine von uns traute sich trotzdem, wenn auch eher unabsichtlich, und wurde energisch zurückgepfiffen.

Es war nacht, also auch dunkel. Ich ließ die Kamera schon die ganze Zeit in der Tasche, da es eh zu düster war, etwas anständiges abzulichten. Zudem wollte ich die Stadt erstmal auf mich wirken lassen, bevor ich ihr Momente mit der Kamera wegnehme.
Die Hobbyknipser aus der Gruppe, die beim Pferd alle ihre Kompaktknipsen rausholten, kümmerten solche Gedanken wenig. Es wurde das Pferd zu Tode geblitzt, ohne das etwas Brauchbares rauskam. Die Jugendlichen unterm Pferd, die uns erst neugierig betrachteten und dann für die Blitze posierten, freute das alles sehr.

Und dann fuhr ein Laster mit 10-14 Kindern auf der Ladefläche Richtung Flüchtlingslager. Ein Kindertransporter, mit vielen winkenden Händen und kleinen lächelnden Gesichtern in der Dunkelheit.

Hier an dem Platz mit dem Pferd wurde 2005 auch ein 12 jähriger Junge von der israelischen Polizei erschossen, weil er ein Spielzeugwaffe in der Hand hatte.
Die Organe vom Kind wurden vom Vater nach längeren Überlegung und Absprache mit einem zuständigen Geistlichen zur Spende freigegeben und rettete somit die Leben mehrer Kinder, darunter auch ein Kind aus Israel. Davon handelt auch der durchaus sehenswerte Film „Das Herz von Jenin“.

Weiter durch die Stadt kamen wir an einem Tor vorbei, hinter dem nur weiteres Nichts und Brache war, allerdings bewacht von zwei Uniformierten. So wie sie da saßen und mit ernster Miene und dicker Bewaffnung ein großes Tor voller Leere bewachten, gab es ein wunderbares Motiv – wäre es nur nicht so dunkel gewesen. Ich musste nicht meine Kamera rausholen, um das schon vorher zu wissen, also ließ ich sie drin. Ein Hobbyknipser aus unserer Gruppe, der schon öfter meinte mir erklären zu müssen, wie Fotografie funktionierte, hielt allerdings drauf. Uns wurde vorher gesagt, dass es schwierig ist, Uniformierte abzulichten, weil es da unabsehbare Konsequenzen geben kann. So sollte es auch hier sein.

Bevor er abdrückte wurde er schon zu den Uniformierten bestellt. Ein anderer Kerl von uns, der ebenfalls seine Kamera draussen hatte, ebenso. Sie wollten nur um die Erlaubnis für ein Foto bitten, doch es sollte komplizierter werden. Unser Übersetzer musste nun rüber und klären, während ich mit den Mädels auf der anderen Straßenseite wartete, wo ein Klamottengeschäft war, der an diesem Abend einigen Umsatz machte.

Nach mehr als 10min Gerede gab es immernoch keine Bewegung. Ich wollte mir selbst ein Bild machen, wurde aber recht ernst vom Übersetzer wieder zurück geschickt, da mehr Leute alles nur noch komplizierter machen würden. Anscheinend wurde von den zwei Uniformierten ihr Vorgesetzter angerufen. Ich weiss nicht, wieviele Ebenen das noch hochging, aber irgendwann gab es das Okay und die Wachmänner posierten mit ihren Waffen sogar noch vor dem leeren Tor für die Kameras.

Die beiden Hobbyfotografen kamen dann wieder zurück und meinten, das Foto ist nichts geworden. Es war wohl zu dunkel.

Ach, sag ich.
Ja, sagt er, und wir gingen weiter.

Wir kamen vorbei an einem Denkmal für ein im 1. Weltkrieg abgeschossenes deutsches Flugzeug, ein steinernes Monument mit Original Holzpropeller vorne dran.

Ob wir in eine Bar wollen, fragte unser Stadtführer. Wobei „Bar“ nichts ist, wo man Alkohol bekommen hätte, im Islam ja nicht gestattet. Es gibt dann nur süße und intensive Fruchtcocktails. Wir einigten uns aber auf arabischen Tee und gingen zu einem Lokal, vorbei an der dritten Sehenswürdigkeit der Stadt: Eine Art Nachbau einer alten Festung, mit steinern Kanonen davor. Ich hab das Monument nicht ganz verstanden, vielleicht irgendwas mit Kreuzzug, Befreiung, Belagerung, oder Sieg. Das Übliche eben.

Der „echte arabische Tee“ kam in einem Glas mit Lipton-Teebeutel, „Yellow Label“. Die Sorte Tee kannte ich aus Japan, weil es dort der billigste war und ich mich mal wochenlang davon ernährte (99yen die Box). Er war mir noch in Erinnerung, als Heissgetränk ohne eigenen Geschmackscharakter, einfach mit „Tee“-Geschmack. Ich erwartete nicht viel, trank aber trotzdem und war sehr überrascht. Denn den Geschmack vom arabischen Tee macht nicht das Zeug im Beutel aus, sondern die Kräuter und Gewürze, die neben dem Beutel im Glas schwimmten. Der Teebeutel bildet nur eine Basis, den Geschmack liefern die anderen Zutaten. Diese machten den Tee auch sehr süß und es war ein Fehler, ihn wie üblich vorher zu süßen. Aber ein wirklich ausgezeichneter Tee.

Ein Junge kam dann mit einem Handkarren angefahren, stellte sich etwas abseits von uns auf die Straße, aber immer mit klaren, wartenden Blick auf uns und versuchte uns Mangos zu verkaufen. Uns war nicht nach Mango.

Danach hatten wir fast schon alles gesehen, was sehenswert war. Zumindest bei Nacht. Und auch wenn es noch nichtmal 20 Uhr hatte, waren kaum noch Leute auf der Straße, keine Autos und kein Lärm. Zurück im Hostel wendeten sich die anderen Gruppen wieder ihren Themen zu, was bei großer Gruppe und vielen unterschiedlichen Vorstellung zum Thema länger werden konnte. Ich nahm mir mein Stativ und ging aufs Dach.

Ich hatte mein Stativ nur mitgenommen, weil ich hoffte, den Sternenhimmel über Palästina abzulichten. Dieser Abend war allerdings diesig und bewölkt.

Mit Sternen war da nix. Ich merkte beim Aufklappen auch, dass das Stativ etwas kaputt war. Eine Fixierungsverbindung war durchgebrochen, wird wohl beim Flug passiert sein. Ich hatte das Stativ in Japan von jemanden geschenkt bekommen und mit dem Flieger dann nach Deutschland gebracht, doch irgendwo zwischen Istanbul und Tel Aviv wird wohl einer zu hart meinen Rucksack umhergeschmissen haben. Naja, es stand noch, und mehr musste es ja nicht.

So konnte ich auch ein Panorama der Nacht machen.

Leere Straßen wo am Tag Leben und Handel tobt.

Auf einmal merke ich, wie mich jemand aus der Hängematte ruft. Allerdings rief sie mich „Früüöööhtz“, so wie ich immer gerufen werde, wenn ein „kannste mal ein Foto machen?“ hinterher geschoben wird. Mit zwei ‚ü‘ und drei ‚ö‘.

Klar doch, sag ich.

„Das is voll schööööhn“. Gesprochen mit deutlich hörbaren vier ‚ö‘ und einem ‚h‘, es gefiel also.

Es kam dann noch ein Mädel aufs Dach, während ich weiterhin die Sterne suchte.

Es entbrannte dann eine Diskussion über den Dokumentarfilm „Die Bucht“ („The Cove“), der von einer regelmäßigen, „traditionellen“ Abschlachtung von Delfinen in Japan handelt. Ich kannte den Film, ich teile dessen Kritik, allerdings gab ich auch meinen Standpunkt als Journalist, der ein Jahr in Japan gelebt und gearbeitet hat, wieder.
Im Film versuchen ein paar Amis diese Schlachtung von Delfinen in einer Bucht zu filmen und bekommen ständig Absagen von offizieller Seite. Sie beschließen dann in einer hoch dramatisierten Weise das ganze geheim zu filmen. Wie sie aber versuchen, diese Erlaubnis zu bekommen, ist diletantisch und einfaches Mittel zum Zweck, um den Film mehr Dramatik zu verleihen. So wird zum Beispiel keiner bemüht, der Japanisch kann, sondern es wird nur stumpf und emotional auf die Vertreter der Behörden in amerikanischen Englisch eingeredet. Das die kaum was verstehen weiss jeder, der mal versucht hat eine Erlaubnis von japanischen Behörden auf Englisch zu bekommen. Ich habs mehrmals versucht und es funktioniert nicht. Sobald ich dann aber auf Japanisch meine Anfragen schickte, funktionierte es. Doch die Darstellung von unflexiblen Japanern funktioniert ganz gut für diesen Film.
Vor diesem Hintergrund kann ich das „Wie“ des Films nicht ernst nehmen, finde aber das Thema sehr richtig und wichtig.

Allerdings kocht das Ganze dann schnell emotional hoch, mit „die Japaner fischen und essen ja eh alles“, ab und noch ein „Walfang!!!“ eingeschmissen und „du nimmst die ja nur in Schutz, weil du ein Jahr dort gelebt hast“. Emotional kann man keine Diskussion führen und irgendwann kam auch der Punkt wo für mich alles gesagt war und ich nichts mehr ergänzen wollte. Meinen Standpunkt konnten sie zwar verstehen, aber nicht teilen, doch mehr muss auch nicht. Eine Diskussion unter Erwachsenen, wie es sie in dieser Woche noch ein paarmal geben sollte. Angenehm und anregend.

Es kam dann noch jemand aufs Dach, der etwas Frust hatte und schon am ersten Tag ein Fazit vom Projekt ziehen musste. Ein paar seiner Kritikpunkte teilte ich, auch wenn ein Mädel dann korrekt anmerkte, dass heute doch gerade mal der erste Tag ist und wir Vertrauen haben sollten. Das sah er und ich ein. Und während er sich in die Küche zurückzog, wollte ich nur noch ins Bett.

Gerade einmal 10 Uhr abends war ich der erste in unserem Achtbettzimmer. Nach einer überfälligen Dusche unter Wasser, dass ohne wirklichen Druck in der Leitung nur langsam und kalt tropfte, legte ich mich ins Bett. Wieder nahm ich mir die Zeit, alles von heute aufzuschreiben.

Es war der erste richtige Tag in Palästina. Morgen sollten wir schon anfangen zu drehen und auch meine Fotokamera sollte intensiv zum Einsatz kommen. Ich schloss den Akku an den Strom an, stellte meinen Ipod auf Symphonie, und schlief bei laufenden Ventilator ein.

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Post aus Nah-Ost:

Teil 1 – Die Straße nach Palästina
Teil 2 – Wie Tag und Nacht
Teil 3 – Der Tag der kaputten Kameras
Teil 4 – Männer müssen draußen bleiben

Palästina Panorama

Panorama von Jenin, dem Ort in dem ich eine Woche lebte.

Zum Durchscrollen:

Ich liebe diesen kleinen Baum ganz links, der vollendet dieses Panorama wunderbar. In der Mitte, wo die Häuser etwas kleiner sind und etwas schlimmer aussehen als der Rest, ist ein ehemaliges Flüchtlingslager, in der immer noch viele Menschen wohnen und Kinder durch die staubigen Straßen rennen.

Wer will kann mal die Moscheen zählen, die man immer an Kuppel und Minarett als höchste Gebäude rundrum erkennen kann. Ich kam auf fünf Stück.

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Aus dem Archiv #03 – Fritzes Flyer Fersuche (fernab fon Fotografie)

Zwischen Abitur und Zivi probierte ich mich als Gestalter für die Junge Presse Berlin und andere aus. Auch wenn ich es nie gelernt habe, und auch nie wirklich konnte, hatte ich Spaß an den Ideen und der Umsetzung. Hier nun eine Sammlung von Flyern und anderen Sachen, die ich gestaltet habe oder an denen ich maßgeblich beteilligt war.

Gutschein für ein Fotoshooting, den ich verschenkt hatte


Die Rückseite… professionell, ha! Zu dem Shooting ist es übrigens nie gekommen

Zwischen Abitur und Zivi hing ich oft in der Zentrale der Jugendpresse Berlin rum. Ich hing halt wirklich nur rum, da ich zwischen dem Abitur und Zivi ein dreiviertel Jahr freie Zeit hatte, was ich für die Fotografie und andere Projekte gut und gern nutzte.
Die Jugendpresse Berlin (JPB) ist ein Dachverband für alle Schülerzeitungen in Berlin und für junge Medienmacher. Sie kann als Journalismusverband auch Presseausweise ausstellen, was ich auch gern nutzte. Da ich selbst eine Schülerzeitung hatte, die beim Schülerzeitungswettbewerb der Jugendpresse auch mal einen Preis für einen Artikel von mir gewann, kam ich früh in Kontakt mit dem Verein.

Je mehr ich aber in den Verein blickte, desto mehr merkte ich, was dort alles verkehrt lief, was auch erklärt warum ich seit Ende 2008 kaum noch etwas mit ihnen zu tun hatte. Die Jugendpresse Berlin ist wie ihr Dachverband die Jugendpresse Deutschland ein ehrenamtlicher e.V., der von jungen Menschen neben Studium, Schule oder Arbeit getragen wird. Der Verein selbst ist aber viel zu bürokratisch, verkopft und politisch einseitig, um wirklich effizient zu sein. Einige Projekte, die ich zusammen mit der Jugendpresse anschieben wollte (wie z.b. ursprünglich den Bildband) wurden durch irgendwelche Prozesse gebremst, bis ich die Schnauze voll hatte und mich mit den Projekten komplett von der Jugendpresse löste. Es folgten dann noch einige böse Emails, in denen ich als arrogant und eitel beschimpft wurde. Einer drohte mir sogar seinen Hausmüll nach Tokyo zu schicken, denn „die räumliche Distanz sollte ihn nicht aufhalten“.

Zu Zeiten, wo ich die Jugendpresse aber noch als sinnvollen Haufen betrachtete, war ich oft in deren Büros. Warum auch nicht, andere engagierte Menschen zu treffen und mit ihnen zu reden, war sehr erfrischend. So war ich auch an einem Abend im Büro, als nur noch ein Mädel am Rechner saß und gestresst die Computermaus hetzte. Nennen wir sie Anne*.

Ich fragte Anne, ob ich ihr irgendwie helfen kann, schließlich schien sie in einem Berg von Arbeit zu ersticken und ich hatte, wie gesagt, viel freie Zeit zur Verfügung. Ich kann ihr einen Flyer machen, sagte sie, zu einem Seminar der Jugendpresse, die irgendwas mit Fernsehen zu tun hatte.
„Klar“, sagte ich. „Wie jetzt, wirklich?“, sagte sie, hatte sie doch nicht erwartet, dass ich wirklich helfen würde.
Der Flyer sollte in drei Stunden fertig sein. Ich radelte nachhause und setzte mich an den Rechner.

Den Flyer machte ich, wie ich jeden Flyer für die Jugendpresse machte: Ich suchte mir ein Foto auf jugendfotos.de, die dort zur freien Verwendung für Jugendprojekte stehen, dazu dachte ich mir einen knackigen Spruch aus, und der Rest ergab sich von selbst.


Front, die Schrift ist der, aus der Fernsehserie „Friends“ nachempfunden


Rückseite

Nach einigen kleinen Änderungen seitens Anne wurde der Flyer abgenommen und ging in Druck. Von da an ging es los, viele Emails folgten, in der es hieß „He, ich habe gehört du machst so tolle Flyer, kannst du nicht für mich noch einen machen?“. Es dauerte nicht mal eine Woche, bis die erste kam.

Der nächste Flyer war zu einem Theaterstück einer Schulgruppe. Den Flyer hab ich in meinem Archiv nicht mehr gefunden, er war aber auch nicht sonderlich gut.
Dann meldete sich die JPB wieder. Ein Fotografie-Seminar stand an und ein Flyer sollte entstehen. Wieder wurde ich gefragt und lieferte.


Der Text spiegelt auch so ungefähr meine Auffassung von Fotografie zu der Zeit wieder.
Zum Fotoseminar, welches hier angepriesen wurde, sollte es aber in den folgenden zwei Jahren nicht kommen. Irgendwann im Laufe der Zeit wurde ich auch als Seminarleiter bzw. „Lehrer“ eingespannt. Ich machte also ein Konzept, ein Plan für ein Seminarwochenende und nahm Bilder zur Analyse mit. Als ich dann allerdings mit meinem ganzen Material vor dem Büro der Jugendpresse stand, in dem ich das Seminar leiten sollte, stand ich vor verschlossenen Türen. Das Seminar wurde abgesagt und man hielt es nicht für nötig mich als Seminarleiter zu informieren. Das ist JPB, oder zumindest die Sorte Menschen, die das damals zu verantworten hatten.

Ich war zwar sauer, doch ich schätzte nach wie vor die kreative Herausforderung dieser Aufgabe. Selbst aktiv bei der JPB mitzumachen schloss ich aber mehr und mehr aus.

Für ein weiteres Seminar der JPB, einem Grundlagen-Seminar zu Printjournalismus, sollte dann der nächste Flyer entstehen. Ich grübelte lang und suchte verzweifelt nach einem Foto, das auch nur irgendwie entfernt mit Grundlagen zu tun hatte und stark genug ist, Aufmerksamkeit zu ziehen. Stefan Franke, ein junger Fotograf der heute noch mit mir auch am Bildband arbeitet, hatte dann eins im Portfolio.

In Schwarz/Weiss war der Druck auch billiger, was der chronisch verschuldeten JPB auch sehr recht war.

Nachdem ich mich nun mit der (kostenlosen) grafischen Gestaltung so verdient gemacht hatte, bekam ich eine Email vom Vorstand. Für die neue Werbewelle der JPB sollen neue Flyer entworfen werden, und weil ich das so gern mache, kann ich doch auch mal überlegen. Es sollte nicht nur ein Flyer für junge Leute sein sondern auch eine Version für mögliche Sponsoren und Partner.

Ich nahm diese Aufgabe sehr ernst. Da ich diesmal die komplette Aussage der Flyer mir ausdenken musste und wollte, hatte ich die feste Absicht diesmal selbst das Foto zu machen, damit es noch besser zur Aussage passte. Nebenbei probierte ich auch Versionen nur mit grafischen Elementen aus.

Das rockte aber alles nicht so sehr. Den besten Einfall hatte dann eine befreundete Künstlerin, die zu der Zeit eine Ausbildung zur Webgestalterin machte und seit jeher mehr Können und Geschick in diesen Dingen hatte, als ich.
Ich erklärte ihr meinen Gedankengang, irgendwie mit einem Symbol die Jugendpresse Berlin darzustellen. Also Medien, schreiben, jung und Berlin irgendwie in einen Hut zu kriegen. Die eierlegende Wollmilchsau in Flyerform.

Das das nich hinhaut, war klar. Und ich klammerte mich viel an den Berliner Fernsehturm, der ja ein Symbol für Berlin ist und eben auch Funk- und Fernsehsignale und somit Medien aussendet. Sie meinte schnell, dass der Fernsehturm zu einem Stift werden kann, und so genial wie diese Aussage war, so leicht war auch die Umsetzung.

Subtil, schlicht und stark.
Die JPB lehnte es allerdings ab. Ist alles super und so, aber man hatte ja erst neulich ein neues Logo entwerfen lassen, und dieser Fernsehturm-Schreiberling wäre zu sehr ein Logo. Das verwirrt nur.
Und damit hatten sie auch recht. Ich allerdings verliebte mich in dieses Symbol, welches ja auch ein Symbol für mich, als Schreiber in Berlin war. Ich baute es zur eigenständigen Grafik aus…

…und druckte es mir auf ein T-Shirt.

Die JPB meinte, dass sie gerne ein Foto auf dem Flyer hätte und keine Grafik. Ich überlegte ein paar Sachen. Von einem Mädel, schreibend über Berlin sitzend und in Gedanken verloren…

…zum selben Mädel, die dann die BIld-Zeitung zerriss. Alles nicht wirklich simpel und effektiv genug. Bis mir dann die Idee kam, Foto und Grafik zu verbinden, in dem jemand in den Himmel schreibt.


Rückseite. „Fritzfabrik“ war das Logo , unter dem ich die gestalterischen Bemühungen von mir von nun an zusammenfasste. Die Fabrikstruktur sollte meine Frisur darstellen, die Fenster meine Brille, der Schornstein ist eine Schreibfeder

Von der Aussage perfekt. Denn was in den Himmel geschrieben wird, sieht jeder, und trifft auch die Aussage der JPB, jungen Medienmachern dabei zu helfen, gelesen zu werden. Zudem trifft „in den HImmel schreiben“ auch irgendwie diesen jungen, leicht naiven und fröhlichen Umgang mit Medien. Die Silhouette ist weiblich, spricht also auch irgendwie auch Männer an. Und in dem Text sind alle Schlüsselwörter drin, die ich brauchte(„Journalist“, „jung“, „Medien“, „heiter“).

Der Flyer funktionierte, wurde groß produziert und hängt bei mir noch an der Wand. Das war das Beste und Letzte, was ich für die JPB gemacht hatte. Es kamen zwar noch Anfragen rein, ob ich nicht hier da vielleicht nicht auch noch kostenloses Fotografieren könnte, doch ich hatte der JPB bereits genug Zeit geopfert.

Ich war allerdings weiter daran interessiert, grafisch mich ab und an auszuprobieren.
Eine aus meiner Redaktion, nebenbei Hardcore-Jurastudentin und eine der Besten ihres Jahrgangs, sprach mich dann auf einen Erstsemester-Ratgeber für Jura an, dessen Redaktion sie leitet. Erst sprachen wir nur über das Titelfoto, dass sie mich bat zu schießen, doch irgendwann kamen wir aufs Layout und meinen Wunsch, das mal wieder zu machen. Da sie niemanden dafür hatte, gab sie mir als einzigen externen aus der Redaktion die Aufgabe und innerhalb von wenigen Wochen war alles erledigt.


Cover. Ich mag Orange wirklich sehr

Ich konnte wirklich sehr gut mit ihr zusammenarbeiten. Wir hatten ein gutes professionelles Verhältnis, mit klaren Ansagen und Terminen, die wir beide ohne Ausfall erfüllten. Aber auch menschlich verstand ich mich mit ihr sehr gut. Beim Layouten merkte ich allerdings auch, dass Jura absolut nicht mein Ding ist…

Die Arbeit machte Spaß, war aber auch nicht ohne Schwierigkeiten. Mein Zivi ging nun los und ich hatte weniger freie Zeit zur Verfügung. Ebenso hatte ich zwei Jahre nicht mehr mit dem Layout Programm gearbeitet, zuletzt zu Schülerzeitungszeiten und ich musste mich wieder reinfuchsen. Inzwischen, zwei Jahre nach dem Jura-Guide, hab ich schon wieder alles vergessen, was mit InDesign zu tun hatte…

Den letzten Flyer den ich machte, erstellte ich ein halbes Jahr bevor ich nach Japan flog. Diesmal war es jemand, der zwar in Jugendpresse Berlin saß, doch ihr Projekt hatte damit nichts zu tun. Das Jugendradio Hörsturz, vom Offenen Kanal Berlin (heute „Alex“), wollte mehr Aufmerksamkeit erreichen, und da sollte ich mit Flyern aushelfen. Ich fand Radio zu dem Zeitpunkt sehr spannend, zudem war ich fast wöchentlich im Offenen Kanal Berlin zugange, weil ich wegen meinem Projekt mit der Leitung dort zu tun hatte.

Die einzige inhaltliche Angabe zur Gestaltung war: „Fritz, mach ma'“, dementsprechend frei und ahnungslos ging ich an die Sache ran. Ich überlegte mir erst einen griffigen Spruch, zu dem dann das Foto entstehen sollte (im Gegensatz zum JPB Flyer, wo ich erst das Foto machte und mir dann den Spruch überlegte).
„Berlin hört dich!“ schien mir simpel und aussagekräftig genug zu sein, denn da war alles drin: Die Region (Wo), die Aktion bzw. das Medium (Was), und in direkter Ansprache (Wen). Berlin als Großstadt gab dem ganzen auch ne gewisse Größendimension, die dem Radio allerdings nicht wirklich gerecht wurde.

Ich probierte wieder mit Grafiken umher, das war aber alles nicht das Wahre. Und noch mal den Fernstehturm zu bemühen, diesmal mit Kopfhörern, erschien mir mühselig.
Mit dem Bildband ging es zu der Zeit da schon los und so kam ich auch in engeren Kontakt mit einem jungen Fotografen/Künstler, der einen sehr eigenen und humorvollen Stil hatte: Tobias Mittmann fotografiert Alltgägliches, benutzt dann aber Stilelemente aus einem Comic, wie z.b. das Aufsetzen von Augen auf Gegenstände, um witzige kleine Geschichten oder Beobachtungen zu erzählen. Ich bat ihn also um das Bild, ein Mikro mit Kopfhörern.

Dieses comic-hafte sollte speziell junge Leute ansprechen. Die Infos sollten dann auf der Rückseite sein – und zwar alle Infos. Da habe ich viele Streitgespräche geführt, dass so und so etwas nicht geht und das Ganze überladen wirkt. Doch hier der Sponsor musste noch drauf, da noch die Email, und diese drei Infos auch noch… Der Flyer sollte neben zum Hören, auch zum Mitmachen animieren, also musste beides noch drauf. Das Endergebnis war hoffnungslos überladen, aber ich hatte dann aufgegeben zu diskutieren.

Auf die Flyer werd ich in eben diesen Radio im Interview nochmal angesprochen. Das Interview hatte ich einem älteren Blogeintrag hier eingefügt.

Filmfestflyer

2006

Bevor ich selbst Flyer gemacht habe, habe ich machen lassen. Wie oft erwähnt habe ich ja drei Jahre lang ein Kurzfilmfestival für junge Regisseure geleitet, welches ich auch gegründet hatte. Für dieses Projekt musste auch geworben werden, also bat ich einen aus der Parallelklasse, der Ahnung von Grafik hatte, mir auszuhelfen. Die Arbeit war schwierig, da er nicht die Leidenschaft fürs Projekt hatte und ich ihn oft zu Arbeit antreiben musste. Ohne konkretes Konzept konnte und wollte er auch nichts umsetzen. Also fuhr ich mal bei ihm vorbei.

Spontan machte er dann ein Foto von seiner Fernbedienung, was er dann gleich zum Flyer ausbaute. Wenn man ihn auch antreiben musste, so verstand er doch sein Handwerk. Nicht mal eine Stunde dauerte es und der Flyer war fertig. Zwei Wochen später verteilten wir 400 Stück davon in meiner Schule und sie fanden reissenden Absatz. Ich fand nur einen, der achtlos auf den Boden geworfen war, der Rest war rasend schnell weg und in den Schultaschen sicher verstaut. Mir war klar, dass ein gutes Design und ein gewisser Wert der Flyer durch einen professionellen Druck, die Hemmschwelle, es achtlos wegzuschmeissen oder zu zerstören, sehr hoch setzen würde.

Damals finanzierten wir uns viel über Sponsoren, denen wir als Austausch für ihr Geld, eine Werbung auf den Flyern, Plakaten und beim Fest in Aussicht stellten.

2007

Ein Jahr später gab es keine Sponsoren mehr und auch kein Team. Das ganze Fest wurde von mir organisiert und größtenteils finanziert. Ich wollte es als Tradition nicht sterben lassen, aber nebenbei hatte ich auch Abitur, Abibuch und Vorbereitung auf ein Zivi in Japan, für den ich schlussendlich abgelehnt wurde. Ich hatte beim Fest wenig Zuschauer und wenig Filme, doch es rettete das Fest.

Wieder arbeitete ich für den Flyer mit demselben zusammen, der schon im Vorjahr für mich tätig war. Er verstand nun etwas besser, was ich von ihm wollte, aber die Idee mit „Dein Film“ oder „Dein Notausgang“ stammte von mir. Die Fotos hatte er gemacht, dafür bekamen wir Zutritt zum Kino Babylon, die das Festival im großen Saal stattfinden ließen. Den Übergang Schulaula -> alter, großer Kinosaal wollten wir auf den Flyern auch zeigen.


Deutlich sichtbar auf der Rückseite: der Mangel an Sponsoren

2008

Im folgenden Jahr lief vieles anders. Schon im Herbst nach dem zweiten Festival kontaktierte mich eine Freundin, die mir frei anbot, die komplette Gestaltung für das Fest zu übernehmen. Ein absoluter Glücksgriff, war sie doch pflichtbewusster und leidenschaftlicher als ihr vorheriger Kollege. Sie war auch die Webgestalterin, die mir den Tipp mit dem Fernsehturm zum Stift gab.

Es war eine intensive Zeit, keine Frage. Wir diskutierten lange und viel, auch wenn sie schlussendlich oft meine Meinung als Leiter des Projekt zu akzeptieren hatte. Ich hoffe sie hat mir inzwischen viel aus dieser Zeit verziehen, denn nachdem das Fest vorbei war sagte sie direkt, dass sie nicht mehr daran mitarbeiten möchte – auch weil ihr die Zeit für eine erneute intensive Auseinandersetzung fehlte. Das ging in Ordnung, schließlich wurde mir das Fest nach dem 3. Festival auch weggenommen und ich wurde gegangen. Das sie auch ihr Material nicht mehr für die folgenden Festivals hergibt, empfinde ich als sehr Dankbar in unserer Freundschaft und als sehr loyal.

Sie gestaltete nicht nur Flyer, sondern auch die komplette Präsentation mit Mappe, Logo, Plakaten und Webauftritt, der sich heute noch so finden lässt: www.jlg-filmfest.de

Den Text auf den Flyern machte allerdings ich, da lagen dann meine Stärken. Und ich bin sehr stolz auf diesen Flyer.

Die Liste der Sponsoren ist sehr viel länger als bei den vorherigen Festivals, auch wenn ich vier von denen einfach nur so draufgesetzt habe, damit es nach etwas aussieht und zukünftige Sponsoren denken „Ah da machen schon einige mit und halten das Projekt für gut? Okay, ich bin dabei“.
Es klappte.

Es war das beste Filmfestival. Viele Gäste, gute Filme, eine verdammte Live-Schaltung vom Fernsehen (von der ich eine Videodatei habe, die ich leider hier nicht hochladen darf). Nicht zuletzt war es ein gutes Filmfestival, weil die grafische Gestaltung im Vorfeld gut und professionell war.

Mit diesem Filmfestflyer bin ich auch nach Japan geflogen, und hab ihn mir dort an die Wand gehängt, damit es mich an die schöne, schwierige und anstrengende Zeit erinnert, die ich in einmal Berlin hatte.

——–
*Name von der Redaktion nicht geändert.

Post aus Nah-Ost 1: Die Straße nach Palästina

Mitte Oktober war ich eine Woche lang für ein Journalismus-Projekt in Jenin, Palästina. Hier nun meine Geschichte, die auch die Geschichte der Leute ist, die ich begleitet habe und die Geschichte der Menschen, die ich dort getroffen habe. Eine Geschichte aus einer Region, aus der nicht viele Geschichten nach außen dringen, und die doch so viel zu erzählen hat.

Prolog

Eines Tages trudelte eine Email in meine Redaktion ein: Die Organisation „Global Eyes TV“ macht ein Videojournalismus-Projekt in Palästina, finanziert vom Auswärtigen Amt. Zum Einen sollten wir in der nächsten Ausgabe auf dieses Projekt aufmerksam machen, zum Anderen konnten wir uns aus der Redaktion auch drauf bewerben. Ich ließ es mir ein Wochenende lang durch den Kopf gehen und bewarb mich.

Ich wusste nichts über diese Region, die Geschichte oder die aktuelle politische Lage. Ich hab den ganzen Konflikt jahrelang ausgeblendet, als er in den Medien auftauchte, weil ich ihn einfach nicht verstanden habe, und auch garnicht verstehen konnte.
Zudem konzentrierte ich mich eh immer mehr auf den Fernen als den Nahen Osten.

Gerade weil ich so wenig über die Region wusste, wollte ich hin. So konnte ich mir möglichst unvoreingenommen selbst ein Bild der Lage machen. Aber das ich mich auf das Projekt, auf eine neue Herausforderung, beworben habe, hatte auch andere Gründe:
Zu dem Zeitpunkt war ich bereits in dem dritten Monat nach meiner Landung in Berlin – und ich war in einem absoluten Tief. Der „Expat Blues“ traf mich nun voll.
Expats bzw. Expatriate sind Leute, die von ihrer Firma für einige Jahre ins Ausland gehen und dort in den Zweigstellen u.a. leitende Positionen einnehmen. Nach Ablauf ihrer Expat-Zeit werden sie wieder zurück beordert – und fallen in ein Loch. Im Ausland noch in einer gehobenen Position, kommen sie wieder in den alten Trott ihrer Firma zurück. Einige brauchen Jahre um sich zu erholen.

Mir ging es ähnlich. War ich in Japan noch von allen als Fotojournalist akzeptiert und konnte so arbeiten, wurde ich in Berlin wieder in die Rolle gedrängt, die ich vor meinem Jahr in Japan hatte und aus der ich rausgewachsen war. Alle sahen mich nur als unerfahrenen jungen Fotografen, ohne Abschluss.
Meine erste Bemühungen Arbeit zu finden, als Fotoassistent oder Fotograf bei kleineren Publikationen, fruchteten nicht. Das frustrierte und ich stellte mehr und mehr die Frage, warum ich überhaupt wiedergekommen bin. Ich brauchte nur irgendwie ein Signal, ein Zeichen, oder einen kleinen Erfolg, der mir zeigt, dass meine Anwesenheit in Berlin Sinn hat. Sonst könnte ich ja gleich wieder die Koffer packen und in das Land zurückkehren, in der meine Arbeit befriedigender war.

Schlussendlich bekam ich meinen alten Job bei der Berliner Zeitung wieder, mit einem Foto pro Woche. Die ersten Wochen in diesem Job waren absolut unbefriedigend.
Nachdem ich es gewöhnt war, in Japan große Reportagen zu fotografieren, oder interessante Portraits für 200€ pro Auftrag, gab es in Berlin wenig Spannung und wenig Geld. Das liegt vlt. weniger an Berlin, als an meiner Erwartungshaltung, doch es zog mich immer weiter runter.

Dazu kam, dass ich seit Monaten (!) an einem Artikel saß und nicht weiter kam. Und bevor dieser nicht fertig wird, brauch ich mich garnicht erst an weitere Themen setzen.
Als dann auch noch Besuch aus Tokyo kam, wurde mir dieser Unterschied zwischen meinem aufregenden, hektischen und produktiven Leben in Tokyo und der Lethargie in Berlin, nur noch klarer.

Ich hatte schlichtweg meine Motivation für Fotografie verloren. Nicht nur unbedingt, weil ich kaum eine berufliche Perspektive in Berlin sah. Ich fand einfach nichts mehr spannend. Alles war fad.

Meine Bewerbung und Fahrt nach Palästina war gewissermaßen eine Flucht von all dem, was mich in Berlin frustrierte. Eine Flucht nach vorn.

„Du bist dabei!“

Ich bewarb mich also – und dann blieb es eine zeitlang still. An einem Freitag kam dann eine Email: „Wir haben kaum noch Plätze frei, wer zuerst auf diese Email antwortet, ist dabei“. Die Email kam kurz nachdem ich aufwachte, und glücklicherweise entschloss ich mich, erst die Emails zu checken und danach dann zu frühstücken.
Ein paar Stunden später kam die Bestätigung. Ich war der zweite, der auf die Email antwortete, und hatte somit noch den allerletzten Platz erwischt. Ich war dabei.

Vor der Fahrt waren noch zwei Vortreffen in Berlin angesetzt. Bis auf Eine kamen alle Teilnehmer aus der Hauptstadt.
Die Veranstalter, „Global Eyes TV“, kannte ich schon. Als ich Anfang 2009 beim Berliner Fenster gearbeitet habe, kam mir auch eine Pressemeldung von „Global Eyes TV“ auf den Tisch. Global Eyes ist eine Videoplattform für junge Geschichten. Die Idee ist, dass Jugendliche in aller Welt sich eine Kamera schnappen und ihre Geschichte erzählen, fernab von den Dramatisierungen und großen Skandalen der Medien. Wenn ein Erdbeben in Haiti ist, guckt die ganze Welt drauf. Doch wie geht es Jugendlichen sonst dort? Was machen sie? Was finden sie spannend?
Das zu zeigen und eine globale Vernetzung von jugendlichen, ihren Gefühlen, Gedanken und Geschichten herzustellen – das ist die Idee von Global Eyes.

Eine Idee ist allerdings nur so gut wie ihre Umsetzung. Als ich mir damals im Zuge der Recherche ein paar Beiträge auf der Seite anschaute, fiel es mir doch schwer, einige Beiträge bis zum Ende anzuschauen. Um ein Video zu produzieren, braucht es schon ein gewisses Maß an handwerklichen Können, damit die im Video erzählte Geschichte auch verstanden wird.
Ich machte dann einen Beitrag über Global Eyes, der dann auf Sendung ging. Dann gings nach Japan und wieder zurück.

Inzwischen hatte sich bei den Videos auf der Plattform auch einiges getan. Und die Idee von dieser Palästina-Reise war eben auch, dass wir dort hinfahren, mit professioneller Unterstützung und Ausstattung, und dort Geschichten aus der Region erzählen. Wir würden so etwas über Videojournalismus lernen und die dort könnten ihre Gedanken und Geschichten mit uns teilen, die wir dann, einigermaßen ansprechend, ins Netz laden.

Alle Teilnehmer hatten einen, mehr oder wenigen, journalistischen Hintergrund, oder zumindest schon etwas Erfahrung in Print, Fernsehen, Online oder Film. Das machte es sehr angenehm, da alle zwar aus verschiedenen Ecken kamen, es aber ein allgemeines Interesse gab, Geschichten zu erzählen, und sich darüber auszutauschen. Ich fand das sehr erfrischend.

Die Treffen

Beim ersten Treffen waren alle noch nervös und größtenteils schweigsam. Stille macht mich immer unruhig und ich fang dann an zu labern, was mir auch leicht fiel, da zwei Leute aus meiner Redaktion auch dabei waren, und ich so schon jemanden bei den Treffen kannte.

Da ich die meiste Zeit am labern war, konnte ich die anderen nur durch Beobachten einschätzen. Nach einer Woche mit dieser Gruppe musste ich allerdings feststellen, dass ich mit meinen Ersteindrücken komplett daneben lag. Die, die ich für eine anstrengende Ökotussi hielt, ist mir am Ende der Reise am sympathischsten in Erinnerung geblieben. Mit der, bei der ich dachte, die ist nur still und sagt nichts, konnte ich mich am Amüsantesten unterhalten. Und die, mit der ich dachte am Besten klar zu kommen, konnte mich am Ende der Reise nicht mehr sehen.
Und ich, der bei den Vortreffen lange und viel gelabert hat, war in Palästina doch oft mehr für sich und in Gedanken versunken.

So kann der Ersteindruck täuschen.

Der Flug

Als wir Berlin verließen war es kalt.
In dicken Jacken und Mützen trafen wir uns am Flughafen und sammelten uns um unser Gepäck, in dem neben unseren Unterhosen auch Computer und Kamera-Equipment lag. Ich verzichtete auf meinen Computer, der eh schon am Ende seiner Tage war und selbst bei normaler Zimmertemperatur überhitzte. Ich hatte nur meine beiden Kameras dabei und mehr brauchte ich auch eigentlich nicht.
Im Sinne einer harmonischen Zusammenarbeit packte ich aber zusätzlich auch noch frische Kleidung ein.

Die Pässe wurden eingesammelt und die Flugtickets, die von einer Airline sponsoriert waren, wurden verteilt. Es gab kurz eine kleine Verwirrung am Schalter, da in meinem Pass eben nicht „Fritz“ vorne dran steht, ich mich aber als solcher beim Projekt beworben hatte, und auch nach meiner Annahme vergessen hatte, das mal in einem Nebensatz zu erwähnen. So stand auch auf beiden Flugtickets „Fritz“, statt dem Namen im Pass.

Es begannen die ersten Pokerrunden um einen Fensterplatz im Flug nach Istanbul, von wo es in einem zweiten Flugzeug dann nach Tel Aviv gehen sollte. Mir war das relativ egal, ich war immer noch damit beschäftigt zu realisieren, wohin die Reise überhaupt gehen sollte.

Ein Ossi im Nahen Osten

Im Flugzeug saß ich dann neben einem älteren Herrn, der von Istanbul weiter nach Syrien flog. Er sprach mich auf die doch größere Gruppe Jugendliche an, mit der ich reiste. Ich erklärte kurz wer wir sind und wohin wir wollen – und er fing an zu erzählen.

Seit mehreren Jahrzehnten ist er im arabischen Raum unterwegs, schon zu DDR Zeiten war er als Ingenieur dort tätig um u.a. Zementwerke zu betreuen. Mir war bis dahin überhaupt nicht klar, dass die DDR dort aktiv war. Doch doch, sagt er, und erzählt von seinen Erfahrung in Arabien.
Ich war viel zu sehr beschäftigt, diesen spannenden Geschichten zu lauschen, als mir exakte Notizen zu machen. Nur ein paar Anekdoten konnte ich mir erhalten:
So ist zum Beispiel in Syrien mal in der Nähe seines Autos eine Bombe hochgegangen, mit mittelmäßiger Sprengkraft aber lautem Knall, und am nächsten Tag wurde er von seinen arabischen Arbeitskollegen als feige verspottet, weil er sich nach der Explosion gleich aus dem Staub gemacht hätte. So etwas waren die wohl mehr gewöhnt, als er.

Er selbst war nicht sonderlich parteitreu, er war nur treu seinem Handwerk, und da war er anscheinend so ausgezeichnet, dass ihn die Parteiführung um die halbe Welt schickte. Ab und an büchste er auch mal aus und reiste umher, aber immer so, dass es keiner mitbekam.
Er hatte ein unglaublich tiefes Verständnis vom arabischen Raum, dass er in einem sehr pragmatischen und oft, durch das hohe Alter, zynischen Tonfall erzählte, und mich so auf die nächste Woche in Palästina vorbereitete.

Neben dem arabischen Raum war er auch in Kuba zugange, und betreute dort eine Fabrik, die von der DDR geschenkt war. Von dort erzählte er mir zwei Geschichten, die mir noch besonders im Gedächtnis blieben:

Einmal war Honecker zu Gast in Kuba und besuchte den Sozialismus bei der Arbeit in eben dieser Fabrik, die mein Sitznachbar betreute. Fidel Castro war bei dem Staatsbesuch natürlich auch anwesend und besuchte mit Erich die Fabrik. Allerdings hatte Castro weniger Augen für den Sozialismus bei der Arbeit, als für eine junge, weibliche Mitarbeiterin. Castro beschäftigte sich also nur mit der jungen Dame, während Honecker etwas alleine in der Halle rumstand. Mitglieder aus Partei drängten dann meinen Sitznachbar doch mal den Erich zu beschäftigen, der könne doch hier nicht einfach rumstehen. Er zeigte Honecker dann ein paar Schalter und Hebel, bis Castro sich wieder zeigte.

Ein anderes Mal in Kuba wollte er zu einem Strand. Nicht unbedingt an einen Touri-gefüllten, sondern einen eigenen, freien Strand. Besonders hatte es ihm der Strand auf einer Insel angetan, die jedoch militärisches Sperrgebiet war und regelmäßig von Booten umkreist wurde.
Er besorgte sich ein paar Kisten Rum und fuhr zur Militärstation. Er bat um Erlaubnis auf diese Insel zu dürfen, doch die Soldaten winkten nur ab. „Ich hab da diese Flasche Rum im Kofferraum….“ meinte er, und weckte die Neugier der Uniformierten. Sie ließen sich gern die Flaschen zeigen und meinten „Der Ami kommt heut schon nicht vorbei. Lass uns ein paar Flaschen hier, wir bringen dich hin. Wir müssen dich aber begleiten, okay?“. Zusammen mit den Flaschen, Soldaten und deren Gewehren setzten sie also über.

Knallende Sonne, 30°C und warme Uniformen vertragen sich nicht mit Rum. Die uniformierten Begleitpersonen waren nach wenigen Flaschen schon betrunken und schliefen am Strand ein. Mein Sitznachbar konnte zwar ein Boot steuern, aber er konnte ja schließlich nicht ohne die Soldaten wieder zurück. Er trug deren Körper nun also wieder aufs Boot und nahm ihre Kalashnikows, die den Betrunken vom Körper gefallen sind.

Nach der Landung in Istanbul bat ich ihn um seine Visitenkarte und er gab mir eine Empfehlung für eine lokale Spezialität in Palästina: gekochter ganzer Hammel. Die Augen sollen eine Delikatesse sein.
Die Vegetarierinnen in unserer Gruppe hörten das und äußerten laut ihre Ablehnung, woraufhin mein Nachbar meinte, dass sie doch mal mehr Fleisch essen sollten, wenn sie Kinder kriegen möchten.

Istanbul

Der erste Stopp. Schmiedeeiserne Bänke in der Transit-Lobby, überteuerte Duty Free Kram, viele Chinesen. Ein Mädel aus unserer Gruppe kaufte sich ein frisches Bier und kassierte böse Blicke von kopftuchtragenden Frauen.

Die Nachricht, dass uns ein Fahrer in Tel Aviv wegbricht, erreichte uns in Istanbul. Das bedeutete, dass wir in zwei Fahrten die Gruppe bewegen mussten und ein mehrstündiger Aufenthalt in Tel Aviv eingeplant wurde.
Wir gingen noch einmal unsere Aussagen für die israelischen Beamten durch, falls sie uns nach dem Grund unseres Aufenthalts ausfragten. Wir sollten auf keinen Fall lügen – aber die ganze Wahrheit auch nicht erzählen, wenn sie nicht direkt danach fragten.

Im Flieger nach Tel Aviv machte ich zum ersten Mal Bekanntschaft mit Hummus.
Hummus ist ein Kichererbsenbrei, der mir in der folgenden Woche noch zum Frühstück und zum Abendessen begegnen sollte. Jeden Tag.
Ich verschenkten meinen Hummus schon im Flugzeug und sprach ein ernstes Wörtchen mit meinen Magen, worauf er sich in dieser Woche einzustellen hatte.

Tel Aviv


Flughafen Tel Aviv, der linke steile Gang Arrivals, der rechte Departures

Es war bereits Nacht als unser Flieger ungewöhnlich tief über Tel Aviv hinwegzog. Grenzgespräch, Gepäck und auf die Gruppe warten verzögerten sich, da ein Koffer fehlte und gleich großes Gewese gemacht wurde. Tel Aviv hat aber einen sehr schönen Flughafen.

Zwischen Ausgang und Wartenden befindet sich in der Halle nur eine bauchhohe Absperrung, an deren Seiten ein konstanter kleiner Wasserfall runterlief.

Als wir den Flughafen verließen, spürte ich gleich wieder den Sommer auf meiner Haut, der Deutschland schon vor einiger Zeit viel zu schnell verlassen hatte. Die Luft roch leicht salzig nach Meer und eine frische warme Brise zeigte mir, dass ich nun ganz weit weg von Berlin war. Ich grinste und stellte meinen Rucksack ab, um möglichst viel von dieser Luft an meinen Körper zu lassen.

Wir hatten einen alten VW-Bus und einen Fahrer, allerdings auch mehr als 10 Leute in der Gruppe. Ich plädierte darauf zu bleiben, schließlich war ich noch nie in Tel Aviv und die Aussicht, mal wieder bei warmer Luft aufs Meer zu schauen, hielt mich von der Autotür fern.
Wir teilten uns ohne Streit auf, packten unser gesamtes Gepäck in den alten VW-Bus und sagten dem arabischen Fahrer, dass er uns in ein paar Stunden abholen soll, wenn er den ersten Teil der Gruppe nach Palästina gebracht hatte. Er versicherte uns in der Dunkelheit „Schleichwege“ zu fahren und die Grenzposten zu vermeiden. Diese Aussage und das alle Fenster im Auto mit schwarzen Tüchern verhangen war, gab mir zwar zu denken, doch in dem Moment war mir eh nach Meer und Sternenhimmel.
Und zudem saß ich ja nicht im Auto.

Einer aus unserer Gruppe geht auf ein jüdische Gymnasium in Berlin, ohne selbst jüdisch zu sein. Doch er sprach Hebräisch und kannte die Stadt. Er organisierte zwei Taxis, die uns zu einer „netten Ecke“ bringen sollten, wo man das Meer sehen konnte.
Die Straße, an der uns die Taxis absetzten, lag direkt am Strand. Feiner Sand auf dem Asphalt blitzte im Kunstlicht der Laternen, doch ich sah eh nur Richtung Meer und Sternenhimmel.

In Berlin sieht man keine Sterne, wegen der Lichtbelastung und dem oft verhangenen Himmel, in Tokyo aus denselben Gründen erst recht nicht. Doch an der Küste hat man ja oft Glück. Ich bedachte in meiner Euphorie über die warme Temperatur allerdings zwei Sachen nicht:

1. Es war Nacht und da sieht das Meer nicht weil es zu dunkel ist.
2. Tel Aviv ist eine Touri-Hochburg und Party-Stadt.


Links das Meer, rechts das Licht

Das Meer rauschte jedoch und der Sand zu meinen Turnschuhen war feiner als ein Ostseestrand je hätte sein können. Wohl auch, weil unweit unserer Position ein Ungetüm mit Scheinwerfern durch den Sand fuhr und ihn in Kreisfahrten durchsiebte. Auf der Straße pusteten zwei Araber, soviel konnte man an der Sprache erkennen, mit einer Art Laubbläser den Sand vom Asphalt Richtung Strand. Für die niederen Jobs wird ein regelmäßiger Grenzübergang gestattet.

Für 10 Minuten am Strand war ich glücklich, und mit mir und der Welt zufrieden. Dann sah ich mich um.

Die „nette Ecke“ war zu nachtschlafener Zeit sehr ungemütlich. Angetrunkene junge Gruppen standen auf beiden Seiten der Straße, viele knapp bekleidete Damen stelzten über den Asphalt und schauten den Autos hinterher. Und neben uns am Strand machte sich eine Jugendgruppe breit, die zu lauter Musik feierte und gröhlte. Ab und an büchste einer mal aus um halbnackt ins Meer zu rennen nur um dann wieder triumphierend zur Gruppe zurück zu kehren.
Sicherlich ein Klischee, doch denk ich an Israel, denk ich an Religion, zugeknöpfte Damen und komisch gekleidete Herren. Die Nacht in Tel Aviv… überraschte mich.

An dieser Stelle spaltete sich nun unsere Gruppe. Während unsere blonden Mädels die Neugier der Jungs der israelischen Gruppe weckten und sich zu ihnen setzten, blieben ich, unser Arabisch-Übersetzer & Cutter, und zwei weitere Jungs, der Gruppe fern. Unser Übersetzer, sonst ein sehr geselliger und unterhaltsamer Kerl, äußerte klar seine Unlust sich zur Gruppe zu setzen, und ich teilte seine Meinung. Und auch wenn er sie nicht noch klar benannte, so konnte ich mir die Gründe denken.
Zum Einen war der Alkoholspiegel unserer beiden Gruppen unterschiedlich, und ich persönlich finde solche Gespräche dann immer sehr leidlich. Zum Anderen erwartete ich die Art Gespräche, die ich in Japan so oft geführt habe. Zwar selten mit Japanern, aber fast immer mit internationalen Reisenden in Hostels: Wo kommst du her, cool, deine Sprache klingt ja ulkig, was machst du hier, cool, komm uns doch mal besuchen, blah… Small Talk in gebrochenen Englisch, mit echten Interesse oder nicht, und oft erzwungener Begeisterung für das was der andere sagt, aus Gastfreundschaft oder Unsicherheit. Ich habe diese Gespräche zu oft erlebt und die letzten sind nicht so lange her, als dass ich jetzt hier am Strand von Tel Aviv wieder Lust drauf hätte.

(Am Ende der Reise sprach ich noch mal mit einem der Mädels, die sich an diesem Strand zur israelischen Gruppe setzte. Sie erklärte mir, dass die doch was interessantes zu sagen hatten.)

Unser Übersetzer steht mit dem Knöcheln im Meer, während über ihm ein Licht leuchtet. Das ist nicht der Mond, kein Stern sondern ein Flugzeug im Landeanflug. Steht man dort nachts am Strand sieht man dieses Licht, wie es seinen Schein übers Meer bishin zum Strand zieht und immer größer zu werden scheint, bis es donnernd über einen hinwegzieht.

Wir zogen dann Richtung Stadt und ließen die Mädels zurück. Egal welche Straße wir nahmen, es wurde nicht angenehmer. Vom Dönermann, der von einem von uns 18€ für einen Döner abknöpfen wollte, über all die verstreuten Flyer auf den Boden, die für Prostituierte warben. Diese erinnerten mich übrigens stark an Tokyo, an Ecken in Shinjuku. Nur, dass die Mädchen dort immer Schulmädchen-Uniformen trugen.


In Hebräisch werden nicht nur heilige Schriften verfaßt, sondern auch Werbung für Nutten.

Wir holten uns ein Eis, versuchten Ecken zu vermeiden, die noch unangenehmer aussahen, als die, in der wir uns grad befanden, und gingen wieder zum Strand zurück. Die Mädels saßen immer noch da und waren vergnügt. Noch mindestens vier Stunden bis unser Auto kommt.

Irgendwann löste sich die israelische Gruppe auf und wir hatten unsere Mädels wieder. Gemeinsam gingen wir wieder Richtung Stadt, bis unser Übersetzer stoppte und meinte, er wird hier warten – und ich schloss mich ihm an.
Ich war einfach unruhig. Ich kannte weder Gegend, noch Gebräuche, noch Sprache. Dem Übersetzer ging es ebenso: „Selbst wenn jetzt einer auf mich zukommt, ich könnte ihm nicht erklären, dass er mich in Ruhe lassen soll.“ Diese Unfähigkeit machte auch mich unruhig. Zudem lohnte es nicht, bei dieser Dunkelheit, die Stadt mit der Kamera zu entdecken. Wir suchten uns einen Straßenladen, ich kaufte mir einen Eistee und wir nahmen uns einen der vielen Tische, die vor dem beleuchteten Laden in der Nacht auf die Straße gestellt wurden. Sobald ein weiterer Gast kam, wurde ein weiterer Tisch hinzugestellt. Und es waren erstaunlich viele Gäste da, 3 Uhr in der Nacht.

Es war Shabbat, also Sabbat, heiliger Tag. Mir schien es allerdings auch ein Ausgeh-Tag zu sein, viele Lokale um uns rum waren von Jugendlichen besetzt. Allerdings blieben die unter sich und provozierten nicht die Älteren, die mit uns saßen und in der Nacht ihren Tee tranken und schwatzten. Ob es an der Hitze am Tag liegt, dass man sich zum Kaffee oder Tee in der Nacht trifft?
Eine Gruppe älterer Herren, deren graues Haar deutlich auf ihrer braunen Haut selbst in dieser Dunkelheit zu sehen war, spielte laut neben uns Karten.

Ich versuchte nur, wieder zur Ruhe zu kommen und holte meine Kamera raus, um das Leben um uns herum einzufangen.

…und hätte meine Kamera nicht meinen Film gefressen, wäre an dieser Stelle auch ein Bild.

So saßen wir also hier in Tel Aviv, unbekannt und stumm.
Ich habe immer versucht, nicht so raushängen zu lassen, dass wir Deutsch sind. Wer weiß ob ein angetrunkener Idiot mit Holocaust-Verbindung nicht ein Ventil für seinen Frust suchte – und das Ventil sollte nicht mein Gesicht sein.

Das funktionierte ganz gut. Die Jugendgruppe am Strand fand zwar raus, dass wir aus Deutschland kamen, allerdings hörten die auch deutsche Musik aus ihren Boxen, da ging das in Ordnung. Im Straßenlokal, als zahlende Gäste, war der Empfang ähnlich herzlich.
Eine rüstige Dame mit breiter Hüfte und 40-50 Jahren kehrte neben uns die Kippen der Kartenspieler weg und fragte uns, woher wir kamen.

„Where you from? America? I love you!“
„We’re from germany“ korrigierte der Übersetzer
„From Germany? I love you!“

Irgendwann, als der Morgen langsam graute und das Schwarz hinter den Hotelhochhäusern der Stadt langsam zum Blau wurde, kam der Rest unserer Gruppe wieder zurück, unser Israel-Experte mit einem Schawarma in der Hand. Er hatte ihn gekauft, doch es war zuviel für ihn und er dachte „vielleicht hat Fritz ja noch Hunger“. Nette Geste, aber mein Magen diskutierte noch mit mir und dem Hummus über die arabische Küche, und verweigerte erstmal alles.

Seit nunmehr 5 Stunden waren wir in der Tel Aviver Nacht unterwegs und unruhig. Auf Drängen vom Übersetzer wurde nochmal der Fahrer angerufen. Er sei auf dem Weg und wir sollten uns an einem bestimmten Ort treffen, in der Nähe der amerikanischen Botschaft.
Nun mit Hebräisch-Kenntnissen im Team fragten wir uns durch. Es wurde immer heller und ich konnte nun auch wieder Bilder machen.


Palmen!

Die Straßenleuchten waren noch an, doch mehr Meer war jetzt schon zu sehen. Wir gingen zur Botschaft, dann von dort um die Ecke, dann hinter ein Haus und dann waren wir wieder an der großen Straße beim Strand, wo uns das Taxi ein paar Stunden zuvor hinbrachte. Aber diese große, unübersehbare Straße als Treffpunkt auszumachen, wäre natürlich viel zu simpel gewesen.

Auf dem Weg zum Auto kamen wir an vielen leeren Schuhen vorbei.

Tatsächlich leere Schuhe, immer in Paaren standen sie am Straßenrand. Ich habe beim besten Willen keine Ahnung, was das bedeuten sollte. Vielleicht haben sich ein paar angeheiterte Gesellen der Schuhe entledigt um barfuß zum Strand zu gehen – und dann wurden sie einfach vergessen. Doch so viele Paare, die an der Straße standen, das musste einen Zusammenhang haben.

Der selbe alte VW Bus lud uns wieder ein. Scheinbar hatte er es über die Grenze geschafft, und wieder zurück.
Kurz nach der Abfahrt schlief bereits die Hälfte der Gruppe ein. Ich konnte nicht, ich war viel zu aufgeregt von all den Eindrücken und hatte auf der Straße nach Palästina stets die Kamera im Anschlag. Bei solch einem intensiven Sonnenaufgang auch verständlich.

Auf der Straße waren wenig Autos, dafür Radfahrer, Fußgänger und auch ganze Schafsherden.

Das Auto hatte seine besten Tage schon hinter sich, die meisten Gummierungen und Polster waren abgerissen oder lose. Einen Gurt gab es nur für den Fahrer und Beifahrer.

Aus den Boxen tönte der schlechteste Musikmix, den ich seit Jahren gehört hatte, über den ich mich konstant auch bei jedem neuen Pop-Fehlgriff laut beschwerte. Es war nichtmal arabische Musik, sondern US-Songs aus den 70er und 80ern, einige schlecht gecovert, abgespielt von einem alten Tape, dessen Band schon zu oft durch das Gerät gequält wurde.

Wir fuhren vorbei an Siedlungen, eingemauert und eingezäunt, oder komplett frei. Der Blick aus dem Fenster erzählte viel, auch wenn nicht mehr alle wach genug waren, hinzusehen und zuzuhören.

Je weiter wir uns von Tel Aviv entfernten, desto karger wurde das Land. Hügel, mit Geröll, Gestein und Gewächs, die mich an die mediteranen Landschaften von Italien erinnerten. Und das war das heilige Land? Hügel voller Felsen?

Nebenbei bereitete ich mich auf den Grenzübergang vor. Viel hatte ich gehört, von intensiven Befragungen und Durchsuchungen, mit vorgehaltener Waffe oder ohne. Israel ist streng, was die Ein- und Ausreise in die besetzten Gebiete angeht. Wir fuhren auf den Grenzposten zu und ich packte die Kamera nach dem Foto weg.

Um die Zeit war der Grenzposten seltsam leer. Je näher wir kamen, desto weniger sahen wir. Aus den Boxen spielte „Knocking on Heavens Door“ von einem oftkopierten und abgespielten alten Tape, während wir über die Grenze fuhren.
Und dann… waren wir durch.

Es war niemand da! Kein Mensch kontrollierte uns oder kümmerte sich überhaupt darum, wohin wir wollten. Nach all dem Gerede und Panikmache im Vorfeld sind wir einfach durchgefahren. Ich fing an laut zu lachen.

Mein noch wacher Nachbar guckte mich leicht schockiert an, dass ich aus unerfindlichen Gründen anfing herzhaft zu lachen, doch ich fand das alles einfach nur absurd.
Eine aus unserer Gruppe wachte durch mein Lachen auf und fragte, ob sie den Pass für die Grenze rausholen sollte. Ich lachte nur weiter und winkte ab.

Wir waren nun in Palästina und folgten der Straße Richtung Jenin, dem Ort, in dem wir die nächsten Tage leben werden. Das Land wurde immer karger, die Gebäude provisorischer und abgeranzter. An den Straßen fanden sich erstaunlich viele Autowerkstätten. Zumindest die werden oft gebraucht hier.

Wir fuhren vorbei an leeren Hügeln und aufgegebenen Siedlungen. Fast alle Gebäude umwehte der Hauch des Temporären, als wäre hier nichts für Dauer gebaut und könnte so schnell abgerissen werden, wie es hingebaut wurde.

An den höchsten Gebäuden konnte man den vorherschenden Glauben der Siedlung erkennen. Minarette und Kirchtürme (von denen gab es allerdings weniger) stachen an den Hügeln hervor. Unser Fahrer erzählte von Siedlungen, wie der christlichen Siedlung auf einem Hügel links und eine moslemische Siedlung auf einem Hügel rechts. Zwischen ihnen nur das Tal, die Straße und Harmonie. Die, die in dieser Region Stress machen, sind andere…

Durch den Hügel durch ergab sich dann ein Blick ins weite Tal.

Hier und da mal ein Feld, von denen einige an diesem Morgen dampften. Wir fragten unseren Übersetzer, der die ganze Zeit den Fahrer dolmetschte, wie weit der Weg noch ist, doch bevor dieser wieder übersetzen konnte, antwortete der Fahrer auf Deutsch „Sechsundzwanzig Kilometer“. Wir konnten nur erstaunt sagen „ah Deutsch?“ und er sagte „Warum nicht?“. Er hat wohl einen Verwandten in Deutschland und hat ein paar Sachen aufgeschnappt.

Dass er meine ständige Kritik an seiner Musik wohl die ganze Zeit gehört haben musste, wurde mir dann schlagartig klar. Aus Höflichkeit wird er wohl nichts gesagt haben, mutmaßt unser Übersetzer.

De Fahrer fragte: „Wollt ihr mal Kamele sehen?“ und ich zückte schon die Kamera. Wir fuhren an einer Kamelfarm vorbei…

…und ein Vorurteil erfüllte sich. Auch wenn ich keine Kamele in freie Wildbahn oder in der Wüste gesehen habe – so etwas gibt es auch nicht mehr. Genauso wenig wie es in Europa Pferde oder Kühe in freier Wildbahn gibt.

Nicht mehr lange nach der Kamelfarm hielten wir an und es hieß, wir sind da. Inzwischen war es 8 Uhr morgens, der Betrieb auf den Straßen im Ort im vollen Gange. Die Sonne knallte hell und wir verdrückten uns ins Hostel. Wir weckten zwar die, die mit der ersten Fuhre ankamen, doch das war uns egal. Naja, mir zumindest.

Ich war nicht müde. Draußen war es taghell. Die Hähne schrien die Morgensonne an und die Martkschreier ihre Kunden. Autos hupten wild und immerwieder hörte man die Hühner. Hupen und Hühner, das war mein erster Eindruck von Jenin.

Ich legte mich in Klamotten aufs Bett und war nicht müde. Oder anders: Ich konnte nicht schlafen. Soviele Eindrücke prasselten in den letzten Stunden auf mich ein, mein Gehirn hatte noch garnicht alles verarbeitet. Müde schrieb ich alles auf, was mir aus den letzten Stunden im Gedächtnis blieb. Ich schloss meine Augen, um sie kurz auszuruhen.

Vier Stunden später wachte ich in Klamotten auf, der erste Projekttag stand an und das erste Treffen war in 20min. Ich spritzte mir etwas Wasser ins Gesicht und machte mich auf dem Weg. Angezogen war ich ja schon, das sparte Zeit…

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Post aus Nah-Ost:

Teil 1 – Die Straße nach Palästina
Teil 2 – Wie Tag und Nacht
Teil 3 – Der Tag der kaputten Kameras
Teil 4 – Männer müssen draußen bleiben