Seit 25 Jahren betreibt Renate Herrmann eine Puppenklinik in Berlin-Tempelhof, die mittlerweile zu einem großen Archiv von Körperteilen aus Plastik geworden ist. Ihre Tochter hilft bei den Arbeiten an Puppen, Teddys und Figuren, von denen einige bis zu 80 Jahren alt sind und die Weltkriege überlebten – aber die Enkel von heute nicht.
Ans Gitter klammern
Wie schon ein paar mal erwähnt, würde ich gern ab diesem Oktober in Hannover Fotojournalismus studieren. Mein erster Besuch dieser Schule im Dezember letzten Jahres brachte viel Ernüchterung: Auch wenn ich schon ein Jahr in Tokyo als Fotograf gearbeitet hatte, so brachte mir das keine Pluspunkte. Die suchten eine besondere Form der Fotografie, das Geschichtenerzählen nur in Bildern, die ich vorher noch nie gemacht hatte. Die Bilder, die ich mache, bebildern meist einen Text, und so fotografiere ich sie dann auch. In Hannover verlangen sie aber für die Bewerbung Bilderserien, mit einem narrativen Faden. Das bedeutete, dass ich kein Foto aus meinem Archiv verwenden konnte, sondern komplett neue Bilder schießen musste. Es begann mit der Suche nach einem Thema.
Eine Geschichte als Text erzählen, das konnte ich. Diese Fähigkeit behinderte mich aber zunächst, da ich mich doch sehr stark an den Text klammerte, in dem ich abstrakte Zusammenhänge erklären konnte. Mit Fotos eine Geschichte zu erzählen ist sehr viel anders, und eher noch vergleichbar mit einem Film. Da ich auch schon Erfahrung im Drehen von Filmen hatte, kam mir das zugute. So versuchte ich einfach das Thema so umzusetzen, als würde ich einen Film mit dem Fotoapparat drehen.
Nun braucht es nur noch ein Thema. Ich suchte wirklich lange und hielt mich zu sehr mit einem Wunschthema auf: Das Krematorium in Berlin. Mich hat dort ein Blick hinter die Kulissen interessiert, seitdem ich vor einigen Jahren eine spannende Doku über das Haus gesehen habe. Mir war auch klar, dass das Thema grafisch gut umzusetzen wäre, mit vielen interessanten Motiven. Nach Wochen der Verhandlung willigte das Haus dann auch endlich ein, mich dort fotografieren zu lassen, ergänzte dann aber gleich im Nebensatz, dass mir pro Stunde(!), die ich im Haus fotografiere, 314€(!!) in Rechnung gestellt werden – ohne eine Rechtfertigung, wie sich die Kosten zusammensetzen oder ohne das in den Wochen vorher oder auf der Homepage auch nur mal ansatzweise zu erwähnen. Eine ziemliche Frechheit, die ich dann aber höflich ablehnte.
Handwerk eignet sich noch am Besten und einfachsten für eine Serie, denn es gibt eine feste Ausgangssituation, einen Prozess und ein Endprodukt, was man alles begleiten kann. Allerdings wollte ich auch etwas nehmen, was ich periphär noch spannend finde. Die Rubrik “gleich nebenan” vom rbb, in der sie ungewöhnliche oder einzigartige Geschäfte in Berlin besuchen, war da ein guter Fundus. Ich schrieb ca. 10 Adressen, die mich interessierten, an, zwei meldeten sich zurück, und eine davon war die Puppenklinik von Renate Herrmann.
Ich als Kerl hatte natürlich einen ganz anderen Zugang zu Puppen – nämlich garkeinen. Ich wusste aber, dass es viele Motive geben dürfte. Und diese Unbefangenheit ermöglichte mir auch, etwas freier auf das Ganze zu blicken.
Eine Reportage bzw. eine Serie in Bildern zu erzählen ist langwieriger, als nur mit Text. Während man beim Schreiben mit den richtigen Fragen zur interessanten Geschichte kommt, muss man bei Fotos eben auf das richtige Bild warten. Ein Prozess als Text kann einen Satz dauern, braucht man aber Bilder vom Anfang und vom Ende kann es Stunden bedeuten. Es braucht auch ein anderes Vertrauensverhältnis zu den Fotografierten, da Bilder immer noch etwas intimer und persönlicher als blinder Text sind. Ich wusste also, ich brauche viel Zeit. Zeit, nicht nur um auf das richtige Bild zu warten, sondern auch Zeit, damit sich die Fotografierten an mich gewöhnen.
Im alten Kinderwagen links warteten dann die heilen Puppen auf ihre Abholung
An insgesamt zwei Tagen war ich dann als stiller Beobachter im Geschäft. Nach einer Weile wurde ich wirklich nicht mehr wahrgenommen, auch wenn Frau Herrmann in den 25 Jahren des Geschäfts schon mehr als häufig von Journalisten besucht wurde.
Auch wenn sie gesundheitlich nicht mehr so gut bestellt war wie vor 25 Jahren, gab sie sich doch viel Mühe, um Eleganz und Haltung zu bewahren. Eine höfliche Dame, die zurückhaltend und doch sehr bestimmt war.
Sie machte den Laden jetzt mit ihrer Tochter, da die Fingerfertigkeit auf die Dauer die Knochen überlastet. Ihre Tochter hat Zahnarzthelferin gelernt, kann daher filigran arbeiten, macht aber derzeit viel mit Kosmetik.
Frau Herrmann hat eine hohe Meinung von den Fähigkeiten ihrer Tochter, die sie mir aber nur sagte, wenn ihre Tochter nicht im Raum war. Sobald sie wieder da war, wurde sie kritisch beäugt und ihre Arbeitsschritte gemustert. Mutter und Tochter eben.
Überall lagen Köpfe, Beine und andere Ersatzteile für Puppen aus den Jahrzehnten herum. Von den Regalen blickten sie mit leblosen Augen auf die Kunden.
Hinterm Haus im Schuppen lagen noch mehr abgetrennte Körperteile und kleine Mädchen in Plastik.
Ein Kaiserbaby – tatsächlich eine Puppe des Kinds vom Kaiser, über 90 Jahre alt. Ein hässliches Kind Puppenkörper.
Je mehr Kunden kamen und gingen und je mehr mir Frau Herrmann von den Puppen erzählte, desto mehr Einblick bekam ich in deren Geschichte. Die meisten Puppen aus der deutschen Vergangenheit stammten aus Thüringen – und wurden oft in Kinderarbeit gefertigt, da nur die kleinen Hände so fein arbeiten konnten. Kinder machen Kinderpuppen, ohne das es ihnen erlaubt war damit zu spielen. Ich habe versucht diesen abstrakten Aspekt hinter den Puppen in Bildern darzustellen, in dem ich sie etwas bedrückter und farbärmer einfing. Mit Text ist so etwas leicht zu erzählen, mit Bildern kann man etwas, das bereits geschehen ist, nicht mehr abbilden.
Für viele ist die Puppe auch ein Symbol für die heile Kindheit: Ist die Puppe okay, ist die Kindheit okay. Viele, die ihre Puppen in den Weltkriegen gerettet haben, während vielleicht Verwandte um sie herum verstarben, bringen ihre Puppen zu Frau Herrmann, damit sie die Kindheit wieder rettet.
In einer Schublade am Arbeitstisch verbargen sich die Glasaugen für leere Puppengesichter.
Das Problem bei solchen Details, und mein Problem in der Fotografie generell, ist, dass man sich in ihnen verlieren kann. In einer Geschichte, die in Bildern erzählt wird, sind 1-2 Bilder von Details ganz nett, aber sie an sich erzählen nichts. In der Puppenklinik entstanden so 500 Fotos, von denen waren 300 von Details. Klar bietet es sich auch an, aber es bringt keine Geschichte voran.
Die Puppenklinik habe ich vor und nach der Berlinale begleitet. An dieser Stelle einen schönen Dank an Martin, der Student in Hannover ist und mit mir bei der Berlinale im selben Programm war. Er hat mir viele Tipps zu Motiven und zur Auswahl gegeben.
Eine Puppe aus den 40ern, die Kundin aus den 30ern
Und dann war da noch:
Im Februar ist der Laden, der dort 25 Jahre lang war, umgezogen, ins Eigenheim von Frau Herrmann. Vieles war bei meinen Besuchen schon in Kisten verschwunden oder auf dem Weg dahin. An meinem zweiten Tag dort wurde der Arbeitstisch demontiert und weggetragen von der BSR. Vier gestandene Kerle kamen dann in die Puppenstube, argwöhnisch verfolgt von hunderten toten Augenpaaren. Neugierig fragten sie dann, wieviel so alte Puppen denn wert sind und ob, wenn sie bei einer Entrümpelung dann eine alte finden, sie dann ewig finanziell ausgesorgt hätten. Also erklärte die alte Dame den Herren die Welt der Puppen.
Frau Herrmann war übrigens auch schon in Japan und hat sich dort das Puppenhandwerk angeschaut. Zu ihren Schätzen gehören auch Puppen vom japanischen Kaiserpaar, die zuhause auf ihrer Fensterbank sitzen. Viele Kunden bringen Puppen, die nur noch sitzen. Einige personifizieren sie auch und haben dann die Puppen als einzigen Gefährten und Gesprächspartner. Die meisten aber gebrauchen sie für Kinder und Enkel.
Über die letzliche Auswahl der Bilder und, viel wichtiger, deren Reihenfolge habe ich dann lange nachgedacht und mich für 12 entschieden. Diese Serie bildet dann, neben zwei weiteren in meiner Mappe, das Kernstück, weil sie als Serie auch am Besten funktioniert. Die Mappe war auch der Grund, warum ich so wenig gebloggt habe in letzter Zeit, und nicht, weil ich so viele Aufträge habe – ich habe nämlich momentan alle Aufträge verloren. Aber mit der Mappe hab ich auf jeden Fall ein gutes Gefühl.