Making of: Houshi, 1. Teil

1,300 Jahre Geschichte, 46 Generationen, sechs Drehtage und knapp 1.000 Euro Budget. Die Arbeit an dem Film brachte mich an die Grenze meine körperlichen und mentalen Belastbarkeit.
Mehr Szenen und Bilder aus, sowie die Geschichte hinter „Houshi“


Hinweis: In diesem Eintrag zeige ich neben den Fotos auch animierte Sequenzen. Die kurzen Videos müssen einmal kurz angeklickt werden, laufen dann aber in einer Endlosschleife. Bewegt man den Mauszeiger vom Clip weg, ist die Illusion perfekt.

Gedreht hatte ich „Houshi“ erst 2014. Gehört hatte ich von dem alten Hotel aber schon 2012. Wie die Puppen landete es auf meiner Liste von „Themen, die man mal machen könnte, wenn Geld und Zeit da sind“. Diese Liste ist zwar nicht so lang, wie man denken könnte, aber es sind auf jeden Fall viele Geschichten dabei. Ich denke es ist auch ein guter Filter, wenn ein Thema in der Liste ist, aber trotzdem noch Jahre später mein Interesse wecken kann. Das zeigt nur, dass die Geschichte stark ist.

November 2013
Die Puppen waren abgedreht und ich war wieder in Hiroshima. Damals hatte ich noch keinen eigenen Arbeitsraum und hing daher ständig bei Miki und Tomomi im CAT rum. Ein sehr entspanntes Zimmer, mit einer kleinen aber ausführlichen Bibliothek und Blick auf den Wald hinter der Uni. Manchmal konnte man Wildschweine sehen.

Miki und Tomomi waren beide zuvor ein Jahr in Hannover und wir halfen uns immer gegenseitig beim Lernen der Sprache des jeweils anderen. Beide konnten auch meine Emails Korrektur lesen, wenn ich wieder eine Anfrage schreiben musste.

Mit den Puppen abgedreht aber noch nicht geschnitten überlegte ich, welche Geschichte folgen kann. Ich bin mit vier Themen nach Hiroshima gekommen, eine war also schon fertig. Eine Geschichte fiel ins Wasser, weil ich keine Erlaubnis bekommen konnte. Eine andere wurde immer größer je mehr ich recherchierte. Und das letzte Thema verschob ich auf mehreren Monate. Also fing ich mit einer neuen Geschichte an. Houshi.

Ich wollte unbedingt den Winter nutzen um ein Hotel zu zeigen, dass seit Jahrhunderten wie in der Zeit festgefroren war. Die Zeit drängte also.

Meine erste Anfrage auf Englisch wurde ignoriert. Meine zweite Email auf Japanisch, die Miki mit viel Seufzen und Kopfschütteln korrigierte, kam durch. Man war bereit für einen Dreh. Meine Hoffnung, dass sie mir die Zimmerpreise erlassen, wurde leider nicht erfüllt. Aber die Familienmitglieder würden mir alle Interviews geben, die ich führen möchte.
Es ging dann noch eine Weile hin und her, Termine wurde verschoben oder kurzfristig abgesagt. Inzwischen tippte Miki komplett alle Mails für mich. Ich wollte sie als Übersetzerin eh mit ins Hotel nehmen und ihre Augen funkelten bei dem Gedanken an ein Onsen.

(Hiroshima ist zwar durchaus eine lebenswerte Stadt, aber mit heissen Quellen ist es wahrlich nicht gesegnet)

Irgendwann im Januar kam auf einmal eine Mail auf Englisch zurück. Sie stammte von Naomi.
Naomi arbeitet zwar nicht direkt fürs Houshi, übersetzt aber immer Mails mit Anfragen aus dem Ausland. Wie ich später erfahren sollte, hat Naomi drei Kinder, ein eigenes Geschäft und studiert noch nebenbei. Naomis Antworten kamen also immer schleppend.
Der Schnee schmolz wieder, aber noch kein Bild im Kasten.

Der Turning Point
Februar 2014 war eine entscheidene Zeit für mich in Japan. Mein Stipendium lief aus und es sah lange Zeit so aus, als würde es nicht verlängert werden. Mein Visum war zwar noch lange gültig und auch die Uni erlaubte es mir, zu bleiben. Doch das Geld wurde langsam knapp. Neben Houshi hatte ich ja noch andere Geschichte, die ich gerne machen würde. Doch leisten konnte ich sie mir nicht mehr. Selbst die 50 Euro Miete im Studentenwohnheim waren nicht gesichert.

Ende Februar kam dann die Nachricht. Ich kann mich noch sehr genau an den Tag erinnern. Der Himmel war wolkig, aber es sah nicht nach Regen aus. Google hatte mir die Tage zuvor immer vom Regen erzählt, also schleppte ich stets einen Schirm mit. Diesmal verzichtete ich drauf.
Kaum stand ich an der Bushaltestelle, ging es los. Wolkenbruch. Aber heftig. Ich fror im nassen Wind und wurde klatschnass. Ein junger Mann hatte Mitleid mit mir und bot mir seinen Schirm an.

In der Stadt saß ich dann wenig später im San Marco in der Hondori, einer Art Starbucks in Japan. Hier war ich jede Woche und arbeitete, wenn die Uni geschlossen war oder ich mal einen Ortswechsel brauchte. Ich hatte den Rechner aufgebaut und schnitt am Video zu den Puppen. Die Hose war immer noch nass. Am Abend dann die Email. Meine Bewerbung wurde bewilligt, das Stipendium verlängert. Ab jetzt noch einmal 1.000 Euro pro Monat bis August!

Diese neue Möglichkeit brachte auch eine Verantwortung mit sich. Ich würde fortan an mein Geld nur noch in meine Filme stecken und ansonsten sparen wo ich kann. Bis August waren es noch sechs Monate. Wenn ich alle Geschichten schaffen möchte, muss ich meine Zeit und mein Budget straff einteilen.

Mein Professor in Hiroshima freute sich auch über mein Stipendium und fragte gleich, was ich damit vorhabe. Ich erzählte ihm von meinen Projekten und er bat mich, die mal der ganzen Fakultät vorzustellen. Auf Japanisch.

Einige Wochen später hing dann dieser Aushang überall in der Universität.


Der hing da sogar bis September, als ich ging

April bis August 2014 war die intensivste, spannendste, anstrengendste, aber auch erfüllendste Zeit, die ich je erlebt habe. Ich arbeitete an drei Filmen, gleichzeitig und parallel, 10 bis 12 Stunden jeden Tag. War ich nicht unterwegs und drehte, bereitete ich Drehtermine vor oder sichtete Material. Nach langen Einreden auf meinen Professor bekam ich nun auch endlich einen Ausweis, um auch am Wochenende die Uni zu betreten. Den Arbeitsraum für Austauschstudenten, der zuvor nur Abstelllager war, räumte ich auf und richtete ihn ein. Ich machte ein kleines Kino daraus, wo wir Austauschstudenten fremde Filme schauten. Es gab nie eine produktivere Zeit in meinem Leben.

Da ich aber immer in mehreren Projekten gleichzeitig denken musste, war die Zeit auch teilweise sehr anstrengend. Ich war oft müde und schlief schlecht. Ich fing damals an, zu Mitternacht, wenn die Arbeit beendet war, den Berg rauf und runter zu joggen. Das half. Und es half natürlich auch die Projekte abzuschließen.
Erster Dreh und erstes Projekt war Houshi. Drehtermin: Anfang April 2014.

Bei Miki, die ich eigentlich mitnehmen wollte, gab es auch eine große Veränderung. Sie war fertig mit der Uni und wechselte für ihren Master ins 400km entfernte Gifu. Ihr letzter Tag in Hiroshima war der Abend bevor ich zum Houshi aufbrechen sollte. Die Präfektur Gifu liegt zwar direkt neben Ishikawa, wo das Houshi Ryokan sich befindet, aber sie kam leider nicht mit mir. Den letzten Abend wollten wir aber noch zusammen verbringen. Auch gerade deswegen, weil sie vorher mir noch die Fragen für die Familie übersetzen wollte.

Vor ihrem Haus parkte ein großer silberner Umzugswagen mit einer schwarzen Katze drauf. Miki ist DJ und ihre ganzen Platten, die teilweise aus Deutschland stammten, mussten nun irgendwie nach Gifu. Gegen 22 Uhr war der Wagen voll, die Wohnung aber noch nicht leer. Hilft halt nix, sagte sie, und bestellte den Laster nochmal für die nächste Woche.

Miki wohnte in einem alten japanischen Haus auf der anderen Seite der Hügelkette auf dem die Universität gebaut war. Es fuhr dort keine Bahn, das machte die Miete billig. Mein Taxi von der Uni brauchte 30 Euro bis es bei ihr war.

Selbst im April kroch die Kälte an diesem Abend in die Reismatten. Miki machte mir den Heiztisch an und ging in die Küche. Pommes machen. Seit ihrer Zeit in Deutschland steht sie tierisch auf Pommes. Zu ihrem Abschied schenkten wir ihr auch eine kleine Fritöse, für ihr Zimmer im Studentenwohnheim in Gifu. Die stand jetzt noch in der Verpackung in ihrem halbleeren Zimmer, weil es nicht mehr in den Laster passte.

„Fritz, ich kann den Sake nicht mitnehmen. Den müssen wir heute trinken!“

Der Abend mit Pommes und Sake war tatsächlich sehr lustig. Wir haben die halbe Nacht übersetzt und Aufzeichnungen von japanischen Popsternchen geschaut. Miki konnte stets mittanzen und -singen, ich schlief irgendwann mal gegen 4 Uhr erschöpft ein.
Wir beide mussten am nächsten Morgen den Zug Richtung Osten erwischen. Unsere Wege trennten sich am Hauptbahnhof Hiroshima. Sie nahm den schnellen Shinkansen, ich die langsamen und billigen Regionalzüge. Keine zwei Stunden später war Miki schon in Gifu, ich war erst am nächsten Tag in Ishikawa. Die Nacht verbrachte ich im Internetcafé in Kyoto.

Ankunft in Awazu
„Hallo, hier ist Journalist Fritz Schumann. Sie erwarten mich.“ Wie vorher abgesprochen sollte ich anrufen, wenn ich am Bahnhof ankomme. In der einen Hand jonglierte ich das Handy, in der anderen die Kameratasche. Bei meinem ersten Anruf in holprigen Japanisch wurde gleich aufgelegt. Bei meinem zweiten Anruf bot man mir jemanden an, der Englisch kann. Der konnte jedoch nur „Herro?“ und das wars. Jetzt legte ich auf. Beim dritten Anruf sagte ich einfach nur „Hallo, ich bin Gast bei Ihnen, können sie mich abholen?“. Das klappte.

Eine halbe Stunde später stand ein älterer Herr mit Brille vor mir. Das Logo auf seiner Schürze erkannte ich. Ich zeigte auf seinen Schritt, vor dem die Schriftzeichen aufgedruckt waren, und fragte „Houshi?“ Er nickte wortlos.
Im Auto war er wenig gesprächig und konnte nur allgemeine Phrasen zu Bergen und Baseballstadien der Umgebung loswerden.


Ein spezieller grüner Tee, der sehr bitter ist, wird zur Begrüßung gereicht, während die Angestellten das Gepäck aufs Zimmer bringen.

Es war 14 Uhr als ich verschwitzt die große Eingangshalle betrat. Unisono begrüßten mich ein Dutzend weibliche Angestellte im Kimono. Und zwar nur mich, ich war der einzige Gast um diese Uhrzeit.
Erst jetzt wurde mir klar, was für ein Luxushotel das Houshi sein musste. Das ich Journalist bin und hier einen Film mache, wusste keiner der Angestellten. In meinem ungebügelten Shirt und den ungekämmten Haaren machte ich auch sicher nicht den Eindruck eines Profis.

Ich war alleine, Ausländer und unter 50 – solche Gäste gibt es im Houshi mehr als selten. Aber man lächelte und stellte eine deutsche Flagge auf den Tresen.

Bevor ich mit der Familie reden konnte, nahm mich einer der Manager beiseite. Er wollte noch einmal von mir hören, was ich denn genau hier vorhabe. Etwas aufdringlich bat er mich, doch alle Fotos, die jetzt hier entstehen, dem Houshi kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Ich stimmte erstmal zu, ohne dass ich mich auf diesen Deal einlassen wollte.

Shou, einer der drei chinesischen Angestellten, brachte mich zu meinem Zimmer. Er hatte mehr als nur einen Namen, aber Shou war der einzige, den ich sagen konnte. „Den Namen benutze ich für die Japaner. Ist einfacher auszusprechen.“ sagte er mir.
Mein Zimmer war eines von denen, die 300 Euro die Nacht kosten. Shou war für die nächsten drei Tage allein für mich zuständig. Das gehört dazu, wenn man das Zimmer bucht.

Der Raum war kleiner als ich dachte. Aber ich hatte schon schäbiger gewohnt. Und größer als ein Zimmer in Tokyo ist es alle mal. Dann ging Shou an mir vorbei und schob die Wand auf. Ich befand mich erst im Vorraum, das eigentliche Zimmer, mit Blick auf den Garten, war dahinter.
Ich habe nie teurer gewohnt.

Ich schmiss Rucksack, Kamera und Kabel auf den Boden und brauchte erstmal eine Dusche. Shou meinte, ich solle doch lieber direkt in die heisse Quelle springen. Auch in meinem Zimmer kommt das Wasser der Quelle aus dem Hahn. Er fragte mich noch, wann ich denn speisen möchte, was ich zunächst aber nicht verstand. Er benutzte ein sehr altes, höfliches Wort für Abendmahl, was ich nicht kannte. Erst als er es simpler formulierte „Wann willste essen?“ konnte ich ihm 18 Uhr sagen und endlich duschen.

Die Interviews waren erst am nächsten Morgen. Vorher konnte ich nicht viel machen und nahm mir die Zeit, das Hotel erstmal auf mich wirken zu lassen. Die Größe, die Geschichte, die Preisklasse – all das realisierte ich erst jetzt. Ich wusste gar nicht, wo ich mit der Kamera anfangen sollte. Wie sollte ich alleine die 1,300 Jahre einfangen?

Doch vorher erstmal essen.

In dieser Preisklasse wird das Essen vom eigenen Butler Angestellten auf das Zimmer gebracht. Sein Zimmer, in dem er das Essen vorbereitet, liegt direkt auf dem Flur gegenüber. Von dort bring er die Schüsseln, Teller, Fäßchen mit Spezialitäten. Alles köstlich.
Normalerweise sind zwei oder mehr Gäste beim Essen im Zimmer. Ich war alleine. Der Angestellte ist dazu verpflichtet, beim Essen im Zimmer zu bleiben. Er sitzt neben dem Tisch und beobachtet. Die Idee ist, dass er bei der kleinsten Unzufriedenheit, oder wenn Reis, Wein, Wasser fehlen sollte, sofort eingreifen kann, bevor der Gast auch nur die Chance hat einen Wunsch zu äußern. Eine extreme Form der Höflichkeit.

Da saß ich nun also, irgendwo in Ishikawa, vor meinem 300 Euro Zimmer tanzen die Koi-Karpfen im 400 Jahre alten Garten und ein Chinese guckt mir beim Essen zu. Ihm war das nicht annährend so unangenehm wie mir. Ich fing also an, mit ihm zu plaudern. Was sollte ich auch anderes tun.

Shou ist so alt wie ich und seit einem Jahr im Houshi. Ihm gefällt es ganz gut, auch wenn die Arbeit manchmal anstrengend ist. Ein paar Brocken Englisch kann er auch, die er aber wohl in amerikanischen Filmen gelernt haben musste. Manchmal begrüßte er mich im Hotel mit „Howdy Fritz“.
Ein chinesischer Cowboy im japanischen Hinterland.

Das Abendmahl ging eine Stunde und er hörte nicht auf immer wieder neues Essen zu bringen. Irgendwann schmiss ich ihn dann höflich raus, schaute mir noch die neue Folge von Game of Thrones an und ging früh ins Bett. Am nächsten Tag wollte ich als erstes den Sonnenaufgang vom Hoteldach filmen.

5 Uhr früh, übermüdet und im Halbdunkel schälte ich mich aus dem Futon. Ich sammelte die Kamera vom Boden auf und bereitete den langen Tag vor. Eine Liste der Motive war verstaut neben dem Teleobjektiv. Mit einer Dose CC Lemon ging es aufs Dach.

Es war frisch, doch die ersten Sonnenstrahlen machten es ganz angenehm. Nebenan auf einer uralten Baumkrone hockte eine ganze Schar von Vögeln.

Die Sonne beeilte sich dankenswerter Weise und ich konnte schnell runter zum Frühstück. Shou hatte schon alles aufgebaut. Da ich echt kein Morgenmensch bin, bat ich ihn, mich alleine zu lassen. Das Frühstück war weniger ausführlich als das Abendmahl, also akzeptierte er meine Entscheidung. Er fügte noch hinzu, dass er sofort kommen würde, wenn ich einen Wunsch habe.

Naomi, die mir auf Englisch die Emails schickte, bot an, die Interviews zu übersetzen. Ihr kleinster war krank, also kam sie später. Papa und Mama Houshi begrüßten mich und wir gingen zusammen in einen Raum nahe des Garten. Der Lieblingsraum von Zengoro.

Das Interview verlief etwas kompliziert. Naomi redete häufig über die Aufnahme drüber oder unterbrach die Interviewpartner. Es dauerte eine Weile, bis sie meine Arbeitsweise verstanden hatte. Aber sie übersetzte sehr gut. Sie ist quasi auch im Houshi aufgewachsen, geboren ist sie im gleichen Ort. Sie war aber viel im Ausland, spricht vier Sprachen fließend und ihr Mann ist halb Däne, halb Franzose. Zuhause sprechen sie Spanisch.

Zengoro Houshi und sie hatten schon ein gutes Vertrauensverhältnis, von dem ich jetzt profitierte. Er war sehr ehrlich in seinen Aussagen und beantwortete jede Frage eloquent. Nur die Fragen nach der finanziellen Situation des Hotels und ob er je daran gedacht hatte, es zu verkaufen, ignorierte er. „Diese Frage ist nicht würdig einer Antwort.“

Vor der Tür warteten seine Frau und seine Tochter schon. Vater Houshi redete länger als erwartet, also waren die beiden ungeduldig.

Das Interview mit der Mutter verlief nicht sehr gut. Ich merkte schnell, dass sie sich schon sehr früh mit ihrem Leben und ihrer Situation abgefunden hat. Den Wunsch nach mehr hat sie lange schon aufgegeben. Sie hat immer nur das gemacht, was ihr gesagt wurde, und so reflektierte sie auch kaum ihr Leben oder eigene Entscheidungen. Antwort war immer „So wurde es erwartet“ oder „So ist das halt.“ Nichts was ich wirklich als Tonschnipsel nutzen konnte. Zudem schaute sie ständig in die Kamera, obwohl ich sie stets darauf hinwies es nicht zu tun.
Vater Houshi redete anderthalb Stunden, die Mutter nur 17 Minuten.

Dann kam die Tochter.

Sie ist das Herz des Films. Naomi und die Tochter hatten sich vorher nie getroffen, obwohl sie die Familie Houshi eng kannte.
Für die Tochter Hisae war das Interview eine willkommene Möglichkeit, sich einiges von der Seele zu sprechen. Sie hat kein Ventil, keinen mit dem sie offen und ehrlich reden kann. Das merkte ich im Interview. Sie weinte auch mehr als einmal, aber ich entschied mich dazu, das nicht im finalen Film zu zeigen.

Die Tochter wird nie wieder so ein Interview geben, so viel ist sicher. Sie vermeidet auch die Kamera, wo es nur geht. Doch der Patriarch sagte ihr „wir machen das jetzt.“

Der erstgeborene Sohn ist verstorben und sie soll übernehmen. Der zentrale Konflikt in der Geschichte und in der Familie. Ich habe davon erst an diesem Tag erfahren, ich wusste es nicht, als ich zum Houshi aufgebrochen bin. Also frage ich im Interview die Tochter, was sie dazu denkt, dass sie das Hotel übernehmen soll.

Sie wusste von dieser Entscheidung nicht.

Der Vater sagte es ihr vorher nie, sie erfuhr es von mir im Interview, dass sie die nächste in der 1,300 Jahre alten Familien-Linie sein soll. Dass sie die erste weibliche Besitzerin in 46 Generation sein soll. Dass sie die Zukunft ist.

Sie war sehr verwirrt und wusste nicht, was sie sagen sollte. Aber ihre Antworten waren ehrlich und unverfälscht. Eine einzigartiger Moment in der Geschichte der Familie. Und ich war dabei.

Nach dem Interview ließ der Patriarch ein paar Schüsseln Nudelsuppe kommen. Ich saß bei Naomi und Tochter Hisae, Mutter und Vater Houshi saßen an einem eigenen Tisch.
Ich musste an einen Sketch von Harald Schmidt denken, der mal von einer Beobachtung im Zug erzählte. Ein Paar, seit mehreren Jahrzehnten verheiratet, sitzt im Zug und isst mitgebrachte Brote. Sie pellt ihm ein Ei. Harald Schmidt sagte: „Sie pellte ihm ein Ei, wie man nur jemanden nach 30 Jahren Ehe ein Ei pellen kann.“ Wortlos und mechanisch.
So saßen Mutter und Vater Houshi nun auch am Tisch und schlürften ihre Suppe. Mehr als 50 Jahre verheiratet, schauten beide wortlos aus dem Fenster, auf die alte Theaterbühne, die heute nur noch einmal im Jahr bespielt wird.

Wir gingen raus und machten das Familienfoto. Die Idee, das ganze als Video aufzunehmen, kam mir erst am Abend zuvor.
Tochter Hisae war froh, nun nicht mehr vor die Kamera zu müssen und Mutter Houshi zeigte mir das älteste Gebäude im Hotel. Ihr ganzer Stolz.

Die Nacht für ungefähr 600 Euro aufwärts.

Im gesamten Hotel finden sich häufig Darstellungen von Vögeln. Direkt nebenan gab es ja wie gesagt eine Baumkrone voll davon. Ich wollte daraus eine Metapher basteln, die Vögel für die Freiheit bzw. Unfreiheit der Tochter. Hat sich aber doch nicht ergeben. Aber dafür habe ich viele Vögel-Bilder.


Tür vom Aufzug

Naomi erhielt nach dem Interview aufgeregte Anrufe ihrer Mutter. Ihr Kind war noch krank bei der Oma und sollte schon längst abgeholt sein. Weil sie meine Arbeit und die Interviews aber so spannend fand, hing sie noch etwas Zeit ran. Eigentlich wollte sie nur zwei Stunden für mich übersetzen, aber da wir uns gut verstanden, machte sie eine Ausnahme. Ich bezahlte ihr nichts für die Arbeit, war also froh über die Unterstützung.

Tochter Hisae erzählte mir von der ältesten Mitarbeiterin. Die würde ich gern mal treffen, sagte ich ihr, und sie zeigte mir einen alten Nebenraum.

Die alte Dame ist über 80 und arbeitet seit fast 60 Jahren im Houshi. Jetzt näht sie die alten Futons und Kissen wieder zusammen, sechs Stunden jeden Tag. Sie erzählt, dass dieses Zimmer früher für die Geishas war. Es hat einen eigenen Eingang und führt durch den Flur direkt zu den Zimmern der Gäste (einige Geishas boten früher auch andere Dienste an).

Das Zimmer wirkte älter als der Rest vom Hotel. Mein Professor und auch Miki gaben mir zuvor in Hiroshima den Hinweis: Alte Reismatten, auf denen man die Spuren vom Leben erkennen kann, gelten als erfahren und schön.
Ich hielt im ganzen Hotel danach Ausschau, fand es aber nur hier.
Die Kälte zog durch die alte, offene Schiebetür nun auch in dieses Zimmer. In Pantoffeln und Socken zitterten meine Zehen. Die alte Dame nähte indes barfuß auf dem kalten Holzboden.



Früher Geishas im Zimmer, heute Anime-Kissen

Nach der Tour durch das alte Herz des Hotels, traf ich Naomi noch in der Lobby. Ich musste die Interviews, die teilweise sehr intensiv und persönlich waren, erst einmal verdauen, also ließ ich die Kamera ruhen und plauderte etwas mit ihr. Sie bot mir an, mir den Rest vom Ort zu zeigen, wenn wir zusammen ihr Kind abholen können.

Sie zeigte mir den Friedhof der Houshi. Die Gräber bieten einen Blick auf die Kirschblüte in voller Pracht. In Hiroshima waren die Blüten zu der Zeit schon verschwunden.

Sie lud mich dann zu sich nachhause ein. Ihr Mann ist Bäcker, sie betreiben eine kleine aber sehr gute Bäckerei, fünf Minuten vom Hotel Houshi entfernt. Sie boten mir Wein, Käse und Brot an, während die zwei kleinsten Kinder nebenan versuchten einzuschlafen.

Zurück im Houshi sammelte ich weiter ein paar Bilder. Eine wirkliche Pause hatte ich nie. Das Problem daran, wenn man am gleichen Ort schläft und dreht ist nämlich, dass man immer nach Bildern sucht. Ich wollte kurz das Brot von Naomi und ihrem Mann genießen und sah an der Wand das Lichtspiel vom Fluss. Also Pause beenden, Kamera aufbauen und Linse einstellen.

Die Tochter Hisae suchte seit dem Interview immer meine Nähe. Sie hatte sich mir anvertraut und hatte nun natürlich die Hoffnung, sich weiterhin auf mich verlassen zu können. Sobald sie aber meine Kamera sah, sprang sie aus dem Bild. Am Abend konnte ich sie beruhigen. Da ich seit 5 Uhr früh bereits auf den Beinen war, waren alle meine Akkus aufgebraucht und leer. Die Kamera musste pausieren. „Hoffentlich bleiben die Akkus ewig leer“ sagte sie.


Jeden Abend bereiten ein oder zwei Angestellte den Futon im Zimmer für die Nacht vor.

Hisae arbeitete am Abend im Souvenirladen des Hotels. Sie sprang auch nur für jemanden ein, der gerade im Krankenhaus lag. Abends kauft auch eigentlich keiner Souvenirs, doch sie stand hier trotzdem. Für jede Ablenkung war sie dankbar und daher bot sie mir an – nachdem sie sah, dass ich keine Kamera mit mir hatte – eine Tour zu geben.

Als wir an den vielen Türen vorbeizogen erzählte sie von Prominenten oder berühmten Sportlern, die in diesen Zimmern übernachtet hatten. Dabei fing sie immer wieder an zu verhandeln. Hisae ist sehr schüchtern und hat eine geringe Meinung von sich und ihrem Aussehen. Ich meinte, dass der fertige Film wohl so sechs Minuten lang sein wird und sie davon einen Anteil von mindestens drei Minuten hat. Im Laufe des Gesprächs wollten sie mich immer wieder runterhandeln. Teilweise mitten im Satz. Das klang dann so:

„Hier in diesem Zimmer hat ein berühmter Baseballspieler übernachtet und bitte gib mir nur eine Minute im Film statt drei. Da drüben übernachtete mal ein Sänger von SMAP.“

Wir gingen auch kurz raus in den Abend und sie zeigte mir andere Stellen im Ort, wo die heissen Quellen unter der Oberfläche sprudelten oder wo sie für ihren Hund das Futter kauft.

Ich sammelte anschließend noch bis 22 Uhr Material und war platt. Ich fühlte nach dem Interview die Last der Geschichte auch auf meinen Schultern. Wie sollte ich das mit einer Kamera darstellen können? Ich hatte das Gefühl die Geschichte nicht so erzählen zu können, wie es sie verdient. Ich suchte weiter verzweifelt nach Bildern und ging meine Liste durch, bis ich nach 17 Stunden fast konstant Drehen in den Futon plumpste. Am nächsten Morgen wollte Vater Houshi eine buddhistische Zeremonie halten, halb 7 Uhr früh. Dafür musste ich bereit sein.

Bei meinem ersten Besuch hielt er die Zeremonie nur für mich. Deswegen drehte ich sie bei meinem zweiten Besuch noch einmal nach, dann auch mit Gästen. In den finalen Film hat es die Szene trotzdem nicht geschafft, weil die Präsenz vom Vater sonst viel zu massiv gewesen wäre.

Als nächstes: Die Quelle.

Ich schnappte mir Shou und ein Handtuch und wagte mich ins Bad. Alle paar Sekunden musste ich die Linse reinigen, weil sie beschlagen war. (Halb)nackt habe ich auch noch nie gearbeitet.
Shou hat aber alles mit sich machen lassen.

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Als ich fertig war, verstaute ich Kamera, Objektive, Aufnahmegerät und das nasse Stativ von meinem Professor im Nebenraum und legte mich selbst noch einmal für ein paar Minuten ins Wasser.

Die Quelle der Houshi sprudelte vor Jahrhunderten noch direkt unter der Oberfläche. Heute speist sie sich aus drei Quellen, die zwischen drei und sieben Meter tief sind. Das ist aber kein Vergleich mit den meisten anderen Onsen in Japan, die teilweise mehrere hundert Meter tief pumpen müssen.

Die eigentliche Quelle zeigte mir der Patriarch am Ende meines Besuches. Sie ist überraschend unspektakulär.

Im Interview fragte ich die Familienmitglieder „Spielst du ein Instrument?“ Das ist ein recht praktischer Trick im Film, denn erstens komme ich so an lizenfreie musikalische Untermalung und zweitens ist es eine schöne Szene, abseits vom Alltag. Mutter und Tochter meinten dann, sie spielen bzw. üben Shamisen. Für mich hatten sie jetzt nochmal die Shamisen-Lehrerin kommen lassen und haben einen Unterrichtsstunde eingeschoben. Das ist auch eine schöne Szene im Film geworden.

Die Lehrerin war sehr freundlich und lobte die beiden ständig. Aber so richtig gut spielten weder Mutter noch Tochter… Vielleichts lags auch an der Kamera.

Am dritten Tag war ich fertig. Die Knie wackelten, der Kopf dröhnte. Drei Tage ohne Pause schleppe ich das Stativ und die Kamera nun schon durch das Hotel. Ich renne dem Patriarchen hinterher und versuche Hisae zu filmen, ohne dass sie wegläuft. Ich muss ständig kreativ sein und neue Bildideen suchen um dieser großen Geschichte auch nur annährend gerecht zu werden. So ist mein Anspruch.

Am Tag der Abreise stelle ich enttäuscht fest, dass ich es nicht geschafft habe. Drei Tage sind für 1,300 Jahre einfach zu wenig. Ich war unzufrieden, enttäuscht und frustriert mit mir selbst. Aber ich musste wieder zurück nach Hiroshima.
Ich bezahlte die Rechnung für die drei Tage – kostenlos ging zwar nicht, aber ich bekam 70% Journalismus-Rabatt – und Mutter & Tochter brachten mich zum Bahnhof. Tochter Hisae wollte mir unbedingt noch ihren Hund zeigen, einen lauten Kläffer mit frisierten Fell und französischen Namen. Sie warteten mit mir bis mein Zug einfuhr. Ich sagte noch, dass ich wahrscheinlich wiederkommen muss und Hisae fragte aufgeregt „Wann??“

Erst zurück nach Kyoto, dort eine Nacht im Internet-Café übernachten und dann weiter am nächsten Morgen nach Hiroshima. Als ich dort eine Nacht später aufwachte und zur Uni torkelte, fühlte ich mich, als wäre ich einen Marathon gelaufen.

Es war der anstrengendste Dreh, den ich je hatte. Sicher nicht nur wegen der großen Aufgaben, sondern auch wegen dem mangelnden Schlafen davor, danach und währrenddessen. So konnte es nicht weitergehen. Das mindeste ist, dass ich nächstes Mal Pausen einplane.

Es sollte noch fast drei Monate dauern, bis ich erneut im Houshi zu Gast war.

Tokyo Honig

Aus der Reihe: Geschichten, aus denen nichts geworden ist.
Wie in Berlin, Paris oder London gibt es seit einigen Jahren auch in Tokyo den Trend, mehr Natur in den urbanen Raum zu bringen – und auf Hochhäusern Bienen zu züchten. Zwei Dächer habe ich im Spätsommer 2013 besucht.

Es ist ja nicht so, dass jede Geschichte gelingt oder so einschlägt, wie zum Beispiel die Puppen (die es letzten Monat tatsächlich in die National Geographic geschafft haben). Manchmal ergibt eine Recherche eine Sackgasse, ich finde keinen Ansatz für die Geschichte, keinen Zugang zu den Personen oder es fehlt die Zeit. Ebene Geschichten, aus denen nichts geworden ist. Kurz: Gadngi.

Mitte September 2013 bin ich in Tokyo gelandet, erst am 1.10. musste ich in Hiroshima mein Semester beginnen. Und da ich es nicht mag, tatenlos rumzusitzen, wollte ich vorher noch eine kurze Geschichte reinquetschen. Ich hatte zuvor im Asienspiegel über Honigbienen in Tokyo gelesen und fand das Thema eigentlich ganz interessant. Zuerst besuchte ich das „B-Bee Project“ in Yaesu, auf dem Dach eines bekannten Buchhandels.

Das war schon etwas ulkig. Drei Männer im Anzug, plus eine Dame, die nie was sagte sondern stets nur steif daneben stand. Ich sprach mit dem Gründer des Projekts, ein Professor namens Yamada, der auch etwas Englisch konnte.

Er selbst stammt vom Land und vermisst seit seinem Umzug nach Tokyo die Natur. Das große Erdbeben von 2011 gab dann den endgültigen Anstoß für sein Projekt, Landwirtschaft in die Metropole zu holen. Ihm geht es auch darum, dass Kinder und Jugendliche verstehen, woher ihr Obst und Gemüse kommt.
Für das Dach in Yaesu, in der Nähe von der Tokyo Station, musste er hart kämpfen. Der Besitzer war zunächst dagegen und fürchtete Beschwerden von Kunden oder Anwohner. Mittlerweile ist der Besitzer jedoch stolz darauf, bietet im hauseigenen Café selbstgemachten Honig an und hat nun eine eigene Abteilung für die Bienen und nachhaltige Entwicklung. Herr Yamada erzählte mir das alles sehr stockend, denn der Besitzer kam auch kurz zu dem Gespräch und stellte sich mir vor. Erst als er weg war, merkte ich, wie kompliziert und langwierig das alles vorher gewesen sein musste.

Professor Yamada hat große Pläne. Er möchte Reisfelder auf Dächern von Wolkenkratzern, Schweinefarmen im 40. Stockwerk und noch mehr. Bereits jetzt gibt es einen Versuch mit einer kleinen Ziegenfarm auf dem Dach eines Gebäudes, in dem unten Prada verkauft wird.


Mehr als ein paar hundert dieser kleinen Honig-Gläschen schaffen die Bienen nicht. Aber echter Tokyo Honig ist lecker und sehr mild.

Nach all den großen Plänen und zwei Tassen Kaffee gingen wir dann auch mal hoch in den 11. Stock aufs Dach. Die Aussicht war, nun ja, etwas ernüchternd. Drei Bienenstöcke, von denen nur zwei belebt waren. Aber es war durchaus lustig, die Männer im Anzug imkern zu sehen.

Beim Fotografieren trat ich aus Versehen auf eine Biene und zerdrückte sie. Das tat mir sehr leid, aber Herr Yamada meinte nur: Keine Sorge, in einem Monat, wenn es kalt wird, sind die eh alle tot.

Projekt Nummer 2 liegt an der Geschäftsmeile Ginza und ist dementsprechend mehr Glamour. Ginpachi Ginza gibt es nun schon seit mehr als neun Jahren und sie sind sehr gut aufgestellt, was Öffentlichkeitsarbeit und Vertrieb angeht. Zwei Hochhäuser weiter verkaufen sie ihren Honig in einem Luxus-Kaufhaus.
Sie sind das Vorzeigeprojekt in Tokyo. Eigentlich begann es als kleine PR-Aktion in Sachen Umweltschutz einer großen Firma, mittlerweile sind sie aber sehr bekannt.

Es begrüßte mich wieder ein Mann mit Schlips. Beim gemeinsamen Gang zum Treppenhaus entdeckte ich eine Biene, die wohl vom Dach ausgebüxt sein musste. Der Mann holte einen Käscher aus dem Büro und zielte in ihre Richtung. Es war ein tolles Bild, wie ein erwachsener Mann im Anzug versucht eine einzelne Biene zu fangen. Obwohl er stets nur Japanisch sprach, sagte er dabei wiederholt auf Englisch „No photo!“. Daran hielt ich mich auch. Ich wollts mir ja zu Beginn nicht mit ihm verscherzen.

Oben angekommen sah es auf jeden Fall viel größer und bunter aus, als noch in Yaesu. Chef-Imker Tanaka war bereits im Gespräch mit einem Video-Journalisten aus Australien. Ginpachi Ginza bietet zwei mal im Monat einen Presse-Termin, wo sie das gesamte Team einberufen. Sonst ist es auf dem Dach nie so geschäftig.

Der Mann mit Schlips vom Beginn achtete stark darauf, was und was wir nicht aufnehmen durften. Erst als er etwas abgelenkt war durch den Australier, konnte ich mich etwas freier bewegen. Imker Tanaka war nicht so steif, er ließ viel mit sich machen und beantwortete viele Fragen. Er sprach auch gutes Englisch.

Eine Sache, die ich an dieser Stelle mal erwähnen muss: Ich hasse Wespen. Wobei man da schon fast von einer Phobie sprechen kann. Sobald ich im Sommer eine Wespe in meiner Nähe sehe, werde ich unruhig. Bei allem was summt ist mein erster Gedanke oft „Wespe????“. Bei den Bienen war ich daher instinktiv etwas nervös.

(Auch etwas, dass an Japan so toll ist: Es gibt keine Wespen! Aber dann dafür die gefährlichste Hornisse überhaupt. Auch fantastisch thematisiert in einem Comic von TheOatmeal)

Die Japanische Honigbiene ist anders als seine westlichen Verwandten. Sie ist kleiner und ruhiger. Friedlicher. „Wie echte Japaner!“ meinte mal ein japanischer Kommilitone in Hiroshima zu mir, als ich ihm davon erzählte.
Tatsächlich muss man die Japanische Honigbiene nicht mit Rauch ruhig stellen. Man kann sie sogar streicheln, ohne dass sie aggressiv werden. Wie echte Japaner.


Rechts das Dach, auf dem die Bienen sind

Mir wurde während des Fotografierens schwindelig. Nicht wegen der Bienen, sondern, wie sich später herausstellte, wegen der Grippe, die mir mein Bruder noch in Berlin mit auf dem Weg gegeben hatte. Damit schleppte ich mich drei Tage später auch nach Hiroshima, was so ziemlich das furchtbarste war, an dass ich mich derzeit erinnern kann. 43 Kilo Gepäck und Ausrüstung 900 Kilometer nach Westen bei Fieber und Gliederschmerzen.

Es stellte sich heraus, dass der Mann mit Schlips von Beginn der Sohn von Imker Tanaka ist. Das ergäbe eine interessante Dynamik für eine Geschichte.

Ohnehin: was mich an der ganzen Sache so faszinierte, war der Versuch, den „grauen Moloch Tokyo“, wie es meine Mutter manchmal nennt, durch die Bienen zu beleben. Tatsächlich ist Tokyo sehr grau, gerade wenn man es mit Berlin vergleicht. Viele Versuche für mehr Grün sind auch daran gescheitert, dass es keine Bienen gab. Denn das grüne Umland ist zu weit entfernt, als dass die Bienen diese Strecke fliegen könnten. Tokyos Horizont kennt nur Stadt, man muss schon viele Kilometer fahren, bis es wieder grün wird.

Die Bienen in Ginza und Yaesu bedienen sich bei Dachgärten, dem Kaiserpalast oder kleinen Topfpflanzen in der Umgebung. In Ginza bieten sie sogar einen Honig an, der nur mit Kirschblüten gemacht wurde. Die Sorte „Sakura“ ist leicht golden-rosa und schmeckt so, wie die Kirschblüte riecht. Pro Jahr gibt es aber nur wenige kleine Gläschen voll mit Sakura, also haben sie den Wert von ihrem Gewicht in Gold. Naja, fast.

Der Australier machte das Video für das englischsprachige Metropolis Magazin, für die ich 2009 in Tokyo auch gearbeitet hatte. Er bot diese Geschichte vorher der Redaktion an, die lehnte das Angebot ab, und er drehte es trotzdem, in der Hoffnung, dass sie es eventuell doch abkaufen.
Es lief dann Monate später tatsächlich auf der Website der Metropolis, aber ich weiss nicht ob er dafür Geld gesehen hat.

Nun, warum wurde aus dem Thema nichts?

Das hatte mehrere Gründe. Ich wusste nicht, wie klein oder groß ich es aufziehen sollte, in welchem Format und überhaupt für wen. Ich habe Infos und Kontakte zu zahlreichen dieser Urban-Farming-Projekte in Tokyo gefunden. Man könnte das richtig groß erzählen.
Allerdings sind die meisten Projekte nur für die PR, und so richtig innovativ oder weltbewegend ist keines. Unweit von den Bienen in Yaesu gibt es das Hauptquartier der Firma Pasona, die im Gebäude Reis und Gemüse anbauen. Ich hatte mir das alles im Dezember 2013 auch mal angeschaut. Aber schlussendlich verbrauchen die mehr Energie, als das irgendwie nachhaltig wäre und jemanden etwas nützt.

Ich hatte die Geschichte zwischendrin auch schon mehreren Leuten angeboten, aber es passte nie wirklich rein.

Aber entscheidend war dann schlussendlich einfach die Zeit. Ich war in Hiroshima in anderen Geschichten eingebunden und konnte nicht zu den saisonalen Terminen in Tokyo sein.

Ich würde es nicht ausschließen, da später mal was draus zu machen. Aber jetzt ist die Geschichte erstmal nur für die Schublade. Oder eben den Blog.

Ohne Brüste und Budget zu einer halben Million Klicks

Im November 2013 fotografierte ich eine Geschichte. Im April 2014 stellte ich sie online. Im November 2014 hat das Video eine halbe Million Aufrufe – und im Japanischen Fernsehen war ich damit auch.

Eine Zusammenstellung einiger Webseiten, die das Video teilten. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, um die 50-100 werden es aber vielleicht schon sein.

Hintergrund: Die Geschichte, um die es geht & Making-Of & Schnitt

23. April 2014

Nach mehr als einem Monat im Schnitt geht die Geschichte „Im Tal der Puppen“ auf Asienspiel.ch online. Ich hatte sie zuvor allen großen Redaktionen angeboten, aber es gab keine Antwort. Nur der Stern hatte sich gemeldet: Schöne Geschichte, passt aber leider nicht.

Ich musste es unbedingt bis Ende April fertig haben, denn ich wollte den Beitrag bei einem Wettbewerb einreichen, dessen Deadline sieben Tage später angesetzt war.

26. April 2014

Bereits drei Tage nach dem Upload stand die englische Version vom Video bei mehr als 10.000 Klicks. Vimeo wählte es zum Video des Tages.

Mai 2014

Zwei Wochen später waren es bereits 150.000 Klicks. Die deutsche Version vom Video war weit unter 1.000. Ich bekam nun die erste Anfrage von Medien weltweit, die meisten aus dem angelsächsischen Raum. Nur die deutschen Redaktionen hielten sich zurück.
Mich schrieb auch eine ungarische Drehbuch-Autorin an, die auf Basis meiner Geschichte gerne einen Kurzfilm machen würde.

Mit Bloomberg Media gab es nun auch schon den ersten Nachahmer, der die Geschichte und teilweise ganze Einstellungen kopierte.

Juni 2014

Es gab weitere Anfragen von Medien und die erste Verkäufe der Geschichte. Auch der Stern meldete sich nun wieder. Sie haben die Geschichte irgendwo online gesehen und wollten nun eventuell eine Doppelseite bringen. Wurde aber leider nichts draus, ich hatte nicht das passende Motiv.

Nun meldete sich auch die japanische Presse bei mir und es kam zum ersten Beitrag im japanischen Fernsehen.

Redakteur war ein unruhiger Japaner Ende 30 mit rot gefärbten Haaren

Asahi-TV wurde auf mich aufmerksam durch zwei Beiträge in der Asahi-Zeitung, Tokyo und Osaka-Edition. Ohne mein Foto, da das Interview per Mail geführt wurde.


Den Beitrag übersetzten sie dann auch für die chinesische Ausgabe der Asahi

Juli 2014

Das zweite Interview fürs japanische Fernsehen. Wieder Asahi-TV, aber eine andere Redaktion. Wie schon beim ersten Gespräch machen wir das Interview in meinem Arbeitsraum an der Uni.

Der Redakteur war diesmal nicht dabei, sondern nur der Kameramann – ehemaliger Rugby-Spieler aus Tokyo.

Mittlerweile hatte sich an der Uni in Hiroshima herumgesprochen, dass ständig über diesen Ausländer berichtet wird. Eines Morgens sagte die Kassiererin im Uni-Kiosk zu mir „Ich hab dich gestern im Fernsehen gesehen!“
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und antwortete nur „Tut mir leid…“

Die ganze Aufmerksamkeit der japanischen Presse hatte vier Gründe.

1. Ayano Tsukimi, der Puppenfrau, schickte ich im Mai die DVD und ein paar Drucke der Fotos. Sie war wohl so begeistert von mir und dem Film, dass sie jeder Redaktion, die sie nach meinem Video besuchte, meine Kontaktdaten gab und meinte „trefft euch mal mit dem!“ So haben mich viele der Journalisten erst erreicht.

2. Mein Video, welches zu dem Zeitpunkt bei knapp 350.000 Aufrufen stand, ist weltweit abgegangen und sorgte für einen wahren Boom des Tourismus in der Region. Vor allem Ausländer tauchten jetzt im „Tal der Puppen“ auf. Das lokale Tourismus-Büro (vor dem ich damals parkte) stellte sich auf die Fremden und das Video ein. Ein Redakteur berichtet, dass die Taxifahrer im Tal mir besonders dankbar sind für den nun erhöhten Umsatz. Obwohl die Geschichte der Puppen nicht neu war – die Entwicklung mit den vielen ausländischen Touristen war eine Meldung wert.

3. Dann natürlich der Exotenbonus – ein blonder Austauschstudent macht eine Geschichte aus Japan. Eine Zeitung schrieb, dass die Puppen „durch einen deutschen Studenten nun in der ganzen Welt bekannt sind“, was ich für etwas übertrieben hielt.

4. Und Schlussendlich war ich auch einfach der erste, der die Geschichte brachte. Also der erste westliche Journalist. Denn die Japaner waren vor 5 Jahren bereits da, und Taiwan vor 2 Jahren. Ich hatte nur gerade Glück mit dem Timing. Die Redaktionen wollten die Geschichte bringen, und haben mich aus Respekt und Höflichkeit (und sicher auch kuriosen Interesse) in jeden Bericht über die Puppen mit eingebunden.

Es gibt in Japan drei Zeitungen, die im ganzen Land erscheinen. Das ist die Yomiuri, die Mainichi und die Asahi. Alle drei haben mich interviewt. Nur die Yomiuri hat mich dann rausgekürzt. Aber das Interview mit denen war auch das furchtbarste von allen. Es ging zwei Stunden und die unsichere Dame hatte keinen Übersetzer organisieren können. Englisch konnte sie natürlich nicht. Das Gespräch zog sich also, weil ich ab und an mal ein Wort nachschauen musste. Mittendrin schweifte sie dann immer wieder ab und erzählte mir zum Beispiel von den Volksfesten in ihrer Heimat. Ich fragte sie direkt „okay, aber was hat das jetzt mit dem Interview zu tun?“ Die Antwort: „Ach, eigentlich nichts.“
Am Ende fragte ich sie noch, ob das nun ihr erstes Interview mit einem Ausländer war. Sie sagte kleinlaut „Ja….“

August 2014

Nun kam die letzte Anfrage für ein Interview, diesmal von Fuji TV. Ich hatte eigentlich keine Lust mehr, also diktierte ich meine Bedingungen. Ich war nämlich ziemlich voll mit Terminen für die nächste Geschichte und musste viel Material drehen. Meine Bedingungen waren also: ihr kommt zu mir, und nicht ich zu euch und ihr stellt nen Übersetzer.

Ich hatte damals auf ner Insel gedreht. Sie kamen tatsächlich auch zur Küste und brachten einen Übersetzer aus Hiroshima mit.

12 Uhr mittags, 34°C, ein 45 Minuten Interview unter der prallen Sonne. Ich holte mir einen fürchterlichen Sonnenbrand in einem Gespräch, das dann nicht gesendet wurde. Das ganze sollte nämlich für eine dieser japanischen Gameshows gemacht werden, der Name „それマジ!!??“ („sore maji!!??“)
Es war einer dieser Shows, die man schnell produziert, mit den üblichen 12 Comedians besetzt und dann wieder verschwinden lässt. Konzept war: Die Comedians bekommen Aussagen über eine kuriose Geschichte vorgesetzt und müssen raten, um was es geht. Die Übersetzerin habe ich im Interview eigentlich nicht gebraucht, die Sätze waren simpel genug.

Mein Beitrag wurde dann rausgeschnitten – weil ich die Spielchen der Redakteurin nicht mitmachen wollte. Die sagten mir nämlich vor, wie ich meine Sätze zu formulieren haben und was ich sagen sollte. Das hab ich konsequent nicht gemacht. Ich sollte nämlich unter anderem sagen: „Das Dorf ist voll gruselig“ und so empfand ich einfach nicht.

September 2014

Nun kam die bisher letzte Anfrage vom japanischen Fernsehen, diesmal NHK (die japanische ARD). Die hätten sogar die Möglichkeit gehabt, ihr Büro in Berlin zu verständigen, aber zu einem Interview kam es nicht. Weil sie mir aber „so viele Umstände bereitet haben“ und ich dann doch nicht auf Sendung war, gaben sie mir etwas Geld. Nett.

Am 25. September kam dann die Email: Ich habe bei dem Wettbewerb, bei dem ich die Geschichte Ende April einreichte, den 1. Platz gemacht.

Der Tag war abwechslungsreich.

Um 10 Uhr begann das erste Seminar von diesem Semester. Am Tag zuvor war ich nach über einem Jahr wieder nach Hannover zurückgekehrt.
Um 11 Uhr kam die Email vom Wettbewerb. „Herzlichen Glückwunsch, du hast gewonnen! Aber bitte bewahre noch Stillschweigen bis zur Presseerklärung.“
Um 12 Uhr wurden meine Fotos aus Japan an Wand projiziert, u.a. auch die Puppen. Der Dozent fand die Fotos Scheisse. Er hatte noch mehr Worte für meine Geschichten aus Japan übrig, keines davon war positiv. Er hatte nur eine Lektion aus meiner Arbeit, die er den Kommilitonen sagte „Macht keine großen Geschichten!“
Um 12.30 Uhr eine automatisierte Email vom Wettbewerb: „Danke für deinen Beitrag, leider hat es nicht geklappt.“
Um 13 Uhr, ich saß immer noch im Kurs, ging die Pressemeldung online. Auf Twitter hagelte es Glückwünsche. Ich bewahrte mein Pokerface und sagte in der Uni nichts.

Um 21 Uhr von diesem ereignisreichen Donnerstag traf ich ein Mädchen zum Sushi. Sie suchte das Lokal aus. Ich begrüßte die Angestellten auf Japanisch, doch es kam keine Reaktion. Als sie sich später unterhielten und ich das Sushi schmeckte, merkte ich auch, dass hier Thailänder das Lokal führen.
Dem Mädchen erzählte ich nichts vom Preis. Ich wollte nicht angeben. Außerdem sind Mädchen ja meist eher mit ihren Sachen beschäftigt, da wollte ich nicht unterbrechen.

Medien, welche die Geschichte von mir kauften:

– Pro7 (Redaktion Galileo)
– Rheinpfalz am Sonntag
– La Repubblica (Italien)
– Art Investor
– travelbook.de
– ein französisches Magazin, deren Name ich vergessen habe (die haben bis heute eh noch nicht bezahlt)

Ich möchte noch einmal betonen:
Keiner dieser Redaktionen habe ich die Geschichte angeboten. Alle haben mich angeschrieben, weil sie die Geschichte irgendwo gesehen haben.

Pro 7 zahlte mit Abstand am meisten und pünktlichsten. Die Italiener ließen sich am meisten Zeit.

Filmfeste

Es haben mich fünf Filmfeste angeschrieben, vier davon sagte ich zu. „Im Tal der Puppen“ lief bzw. läuft noch auf Filmfesten in London, New York, Italien und den USA. Auch hier gilt: Ich habe den Film nirgendwo eingereicht, die Feste kamen auf mich zu.

Medien, welche die Geschichte zwar haben, aber nichts dafür zahlen wollten:

– BBC
– Vanity Fair
– Australisches Magazin übers Stricken
– Voice of America

Die BBC und Voice of America waren am hartnäckigsten. Erst als sie mich zum vierten Mal per Email und zusätzlich noch per Facebook und Twitter kontaktierten, sagte ich ab.

Ergänzend möchte ich auch die Daily Mail und The Sun aus Großbritannien erwähnen. Die wollten zwar zahlen, aber da wollte ich die Geschichte und meine Arbeit nicht sehen. Es gab noch diverse andere Medien, die ohne was zu zahlen meine Arbeit zeigen wollten, aber die meisten davon sind hier relativ unbekannt. Ich habe keine komplette Liste geführt, aber insgesamt waren es wohl so 30-40 Medien, die mich anfragten.

Medien, welche nichts dafür zahlen wollten, ich aber trotzdem zusagte

– Discovery Channel
– The Atlantic

Beides war im Mai, also kurz nach Upload. Weil ich zu dem Zeitpunkt nur Absagen von deutschen Redaktionen bekam, nahm ich das nächstbeste zu einer Bezahlung: Aufmerksamkeit. The Atlantic habe ich es auch gestattet, weil sie mit In Focus eine großartige fotojournalistische Arbeit machen.

Nach dem Vimeo Staff Pick, aber auch vorher schon, haben sehr, sehr viele Blogs und Webseiten die Geschichte aufgenommen. Sie teilten das Video oder zeigten Screenshots oder einzelne Fotos. Nie hatte mich einer vorher um Erlaubnis gefragt, aber ich ließ das mal laufen. Ich wollte sehen, wie weit das Video es aus eigener Kraft schafft, ohne dass ich es anschieben muss.

Ich ahnte von Beginn an, dass die Geschichte abgehen wird. Wie sehr, das war mir bis zum Schluss nicht klar.

Mein Problem zu Beginn war, dass ich als junger Journalist keinen direkten Kontakt zu den Redaktionen hatte, denen ich es anbot. Ich hatte keine Vertriebsnetzwerk.
Durch die Verbreitung im Netz erhielt ich aber Angebote von Adressen, an die ich niemals dachte. Das Internet wurde mein Vertriebsnetzwerk.

Aber es hat natürlich auch Schattenseiten. Googelt man jetzt „Nagoro“ so sind 90% der Bilder von mir. Wie gesagt, meist veröffentlicht ohne meine Erlaubnis. Wenn das irgendein Blog oder kleine Webseite macht – was solls. Es ist der Preis, den ich für die Verbreitung zahle.

Allerdings hat sich auch die Vanity Fair Italien bedient. Sie haben eine 16-teilige Foto-Klickstrecke mit meinen Fotos gebastelt – ohne meine Erlaubnis.
Ich suche regelmäßig online nach der Geschichte, um zu sehen, wo sie überall auftaucht. So habe ich zum Beispiel auch herausgefunden, dass ein amerikanischer Autor angefangen hat, eine Horror-Geschichte zu schreiben, inspiriert vom Video. Meinen Charakter, den Filmemacher, hat er gegen eine lesbische Filmstudentin und ihre Latino-Partnerin ausgetauscht. Hab ich persönlich absolut null Probleme mit.

Bei der Suche schaue ich aber nur nach deutschen oder englischen Begriffen. Deswegen habe ich drei Monate lang nicht gesehen, dass die italienische Vanity Fair meine Bilder klaute.
Wie gesagt, wenn irgendein privater Blog das macht, ist mir das egal. Wenn aber die Vanity Fair, die zu Condé Nast gehört – einem der größten Verlage der Welt – dann stört mich das schon sehr. Ich habe mir deswegen auch inzwischen schon einen Anwalt gesucht und schiebe jetzt ein Verfahren an.

Ein Redakteur von Asahi TV erzählte mir kurz vor dem Interview, dass er am Tag zuvor im Tal bei den Puppen war. Dort habe er ein deutsches Fernsehteam gesehen. Die Information machte mich stutzig. Im fertigen Beitrag sah ich dann auch das Team und fragte auf Twitter die Redaktion vom Weltspiegel und zum Schluss den (inzwischen ehemaligen) Tokyo-Korrespondenten der ARD. Die bestätigten mir, dass sie in der Tat dort drehten. Das ganze passierte knapp zwei Monate nachdem ich die Geschichte hochgeladen hatte. Ich fragte also „Na, wie seid ihr denn drauf gekommen?“ und hatte schon eine gewisse Ahnung…
Aber nein, hieß es, es sei nur Zufall, dass ich die Geschichte kurz vorher machte… Nunja, sei es drum. Ich fands trotzdem schade. Ich hätte mich über einen Kontakt unter Kollegen gefreut, vielleicht hätte ich ja weiterhelfen können.

Der fertige Beitrag beim NDR.


Foto: Fredrik von Erichsen/dpa

Die Preisverleihung

Am 6.11. war dann in Frankfurt am Main die Preisverleihung vom dpa-Newstalent 2014, wo ich mit der Geschichte den ersten Platz belegte. Dem vorher gingen bereits mehrere Pressemeldungen und auch ein Beitrag in der hannoverschen Lokalpresse.

Beim Einchecken im Hotel sah ich schon die anderen Preisträger in der Lobby. Die eine erkannte mich schon. „Du bist Fritz Schumann, richtig? Ich kenn dich von Twitter!“ Im Verlauf des Tages sollten noch mehr Menschen auf mich zukommen, die meinen Namen kannten, auch wenn ich die Personen noch nie zuvor sah. Ein merkwürdiges Gefühl.

Als ich beim Einchecken dem Hotel meinen Namen nannte, schaute mich ein Herr im Anzug von gegenüber an. „Sie sind Fritz Schumann, richtig? Ich bin Chefredakteur der dpa, ich halte nachher die Laudatio auf sie. Ich habe mir extra Ihren Beitrag ausgesucht, weil er mich so beeindruckt hat.“
Ich konnte nur Danke sage und wusste sonst nicht, was ein so erfahrener und erfolgreicher Journalist mit mir will. Ich ging aufs Klo.

Die Preisverleihung fand im Rahmen der Jugendmedientage 2014 statt, eine Veranstaltung der Jugendpresse Deutschland. Ich war dort früher auch aktiv, bis ich das erste Mal nach Japan flog. Keiner, den ich noch kannte, war mehr dabei. Nur neue Gesichter.

Unser Platz in der zweiten Reihe war reserviert, wir sollten zum Schluss auf die Bühne kommen. Es gab viele Reden und viel Langeweile. Lustig war nur der Aufritt der ehemaligen Redaktionsleiterin der taz, die einen kleinen Kommentar gegen die Presse von Springer so im Nebensatz äußerte. Ich sah in dem Moment in die Reihe hinter mir. Dort saßen Vertreter der Axel-Springer-Akademie, welche die Veranstaltung mitorganisierten. Der halbe Saal feixte, ihre Mienen blieben ernst. Ich lachte.
Tatsächlich wurde ich immer nervöser. Neben mir saß der 2. Platz, die mit Sekt gegen die Aufregung kämpfte und unruhig ihrem Auftritt entgegen sah. Als sie fertig war, grinste sie mich nur breit an. Denn ich war der nächste.


Laudatio… waaahh…

Im Zeitplan, der uns am Abend zuvor per Mail erreichte, stand der genaue Ablauf drin. Nur zwei Minuten hatten wir nach der Laudatio auf der Bühne Zeit für Fragen. Dabei hätte ich viel zu sagen gehabt.

Im Publikum saßen 500 angehende Journalisten, die mich schon während meines Auftritts auf Twitter zitierten. Neben mir der Chef der größten Nachrichtenagentur Deutschlands. Und hinter mir mein eigener Kopf, überlebensgroß projiziert.


Foto: Zeno F. Pensky

Ich vermeide ja jede große Ansammlung von Journalisten wo es nur geht. Viele leere Gespräche über diese „Zukunft des Journalismus“ und die Branche. Dabei findet der Journalismus draußen statt. Nicht drinnen, bei einer Nabelbeschau. Die Frage nach der Zukunft des Journalismus stellt sich mir schon lange nicht mehr. Wir vergeuden so viel Zeit damit, darüber zu reden und Theorien anzustellen, anstatt rauszugehen und zu recherchieren.

(Die Gespräche mit der dpa und den anderen Preisträgern bis 1 Uhr nachts waren dann aber doch ganz spannend.)

Journalismus ist schon komisch manchmal. Ein Jahr zuvor bin ich ins Tal gefahren, um eine Geschichte zu finden. Ein Jahr später stehe ich wegen exakt dieser Geschichte auf einer Bühne und rede zu einem großen Saal der mir am Ende auch noch applaudiert.


Eine Freundin von mir aus Japan nennt das immer das „fritz-face“

Und nach einem halben Jahr online, zwei Tage nach der Preisverleihung war es endlich geschafft:

Die deutsche Version vom Video schaffte es über die 1.000 Aufrufe!

Making of: Im Tal der Puppen

Im November 2013 brach ich auf, ins Tal der Puppen. Im April 2014 veröffentlichte ich die Geschichte. Und im November 2014 erhielt ich in Frankfurt einen großen Preis dafür. Zeit für die Geschichte hinter der Geschichte

Achtung: Wer das Video bis jetzt immer noch nicht gesehen hat, sollte das jetzt tun – „Im Tal der Puppen“ auf Vimeo

Die häufigste Frage, die mir zu der Geschichte gestellt wurde: Wie hast du das gefunden?
Die Antwort ist tatsächlich relativ unspektakulär. Seit meiner Zeit in Tokyo 2009-2010 verfolge ich Webseiten, Blogs, und Twitter zu Japan. Taucht da was interessantes auf, kommt es in eine Liste von „Geschichten, die man mal machen kann“. So fand ich 2010 einen Blogeintrag zu dem Dorf der Puppen. Der Eintrag auf Englisch wurde veröffentlicht im Blog der Tokyo Times, das Original gibt es nicht mehr, aber hier ist eine Kopie.
Lange Zeit war das die einzige englischsprachige Quelle für die Geschichte, und es wurden immer die gleichen Bilder daraus kopiert. Ich merkte damals schon, welchen großen Anklang die Geschichte fand, auch wenn ich den Artikel für nicht sonderlich gelungen hielt.

Als ich dann im Oktober 2013 nach Hiroshima gezogen bin, warf ich wieder einen Blick auf meine Liste der Geschichten. Shikoku, wo das Tal sein sollte, lag relativ nah, also ging ich die Geschichte an.

Die lange Fahrt bis zum Tal

Ich kann die Geschichte nicht erzählen ohne Yuki und Miki.
Beide verbrachten 2012/13 ein Jahr an meiner Uni in Hannover, als Teil des gleichen Austauschprogramms, welches mich nach Hiroshima brachte. In der Zeit traf ich allerdings nur Yuki, und auch nur einmal. Sie wollte eine Ausstellung in Hiroshima machen und suchte noch nach deutschen Fotografen. Yuki spricht kein Deutsch und schlecht Englisch. Sie war absolut froh, dass sie mit mir jemanden gefunden hatte, mit dem sie sich endlich einigermaßen normal verständigen konnte. Wir trafen uns auf ein Stück Kuchen.

Yuki ist eine begnadete Designerin mit riesigen Talent. Sie war mit Abstand die beste Grafikerin als sie noch in Hiroshima studierte und sie gewinnt regelmäßige Wettbewerbe mit ihren Entwürfen. Sie ist auch Sängerin ihrer Band und großer Fan der japanischen Idol-Kultur. Man sieht es ihrem Körper an. Aber die verlässlichste ist sie nicht.

Im Sommer 2013, vor meinem Abflug, sprach ich mit Yuki über diese Geschichte. Sie meinte nur „supercool!“ und „ich stamme aus Shikoku! Ich werde dir helfen!“

Ich wollte die Geschichte unbedingt im Herbst machen, weil ich visuell diesen Zustand zwischen lebendig und tot transportieren wollte, welcher diese Geschichte ausmacht. Nachdem Yuki mich nun immer wieder hingehalten und den Termin für unsere Abfahrt verschoben hatte, setzte ich ihr ein Ultimatum. Jetzt oder nie. Zur Not mach ich es eben ohne sie.


Letzte Vorbereitung und Kameracheck in der Nacht zuvor

Das war an einem Donnerstag. Ich war morgens aus Tokyo zurückgekehrt und es war eigentlich auch geplant, dass wir an diesem Wochenende fahren. Donnerstag Mittag meinte Yuki noch, dass es wohl doch schwierig sei, aber am Nachmittag war sie dann mit dabei. „Soll ich noch jemanden mitnehmen um dir zu helfen?“ fragte sie. Warum nicht. Also rief Yuki Miki an. Treffpunkt war Freitag morgen um 6:45 Uhr.

Auf die Insel

Miki hatte ich vorher ein paar Mal gesehen, aber viel wusste ich noch nicht von ihr. Sie ist DJ, liebt deutschen Techno, hat eine für Japanerinnen ungewöhnlich tiefe Stimme und dazu einen sehr trockenen Humor. Miki war pünktlich.

Der Bus sollte 7.09 Uhr nach Tokushima fahren. Doch selbst um 7 Uhr war Yuki nicht zu sehen. Miki kaufte mir schon mal ein Ticket. Ich hatte nämlich zu dem Zeitpunkt kein Geld dabei und keine Chance welches abzuheben. Meine Kreditkarte muss nämlich regelmäßig aufgeladen werden, was ich zwar zuvor tat, aber das Geld war noch nicht drauf. 7.07 Uhr, kein Geld, keine Yuki, aber ein Busticket, das mir Miki in die Hand drückte. Was nun.

Miki schubste mich Richtung Bus und meinte, ich solle schon mal fahren, die beiden kommen dann nach. Mit der dicken Kameratasche drückte ich mich am Fahrer vorbei, der schon etwas angepisst war, da er schon längst losgefahren sein wollte. Miki meinte noch kurz auf Deutsch, dass der Busfahrer „nicht freundlich“ ist, da ging die Tür vor ihr schon zu. Etwas verwirrt setzte ich mich auf den freien Platz hinter den Fahrer. Der nuschelte daraufhin etwas energisch durch seinen Mundschutz. Ich sagte nur „Hai!“ und setzte mich. Er nuschelte erneut, nun lauter. Jetzt verstand ich es auch. „Ich hab gesagt: Dort nicht hinsetzen!“. Ich trollte mich zum Ende vom Bus.

Es ging durch Täler, durch Berge, über viele Brücken und nach zwei Stunden war ich dann in Tokushima. Kaum war ich aus dem Bus, sprach mich eine japanische Frau an. „Du bist Fritz, richtig?“. Es war die Mutter von Yuki. Sie hatte ihre Eltern überzeugt uns ins Tal der Puppen zu fahren. Sie warteten nun auf uns in Tokushima, aber es war nur der Deutsche da.
„Yuki hat mich angerufen. Sie hat mit Miki die Fähre genommen, sie kommt in Ehime an. Wir fahren jetzt dorthin.“

Zum Verständnis: Shikoku besteht aus vier Präfekturen. Die Eltern stammen aus Ehime, das Tal der Puppen liegt in Tokushima. Die Eltern sind also aus Ehime nach Tokushima gefahren, um dann wieder zurück nach Ehime zu fahren um die Tochter abzuholen, nur um dann wieder zurück nach Tokushima zu fahren.
Yuki ist übrigens Einzelkind.

Die Eltern waren nicht sehr gesprächig. Der Vater ist in der Abfallsentsorgung tätig, die Mutter arbeitet auf dem Markt und hat sich extra für heute freigenommen. Beide haben nicht studiert, die Tochter schon – für knapp 6.000 Euro im Jahr. Aber so richtig Druck, was sie danach machen soll, machen sie ihr nicht.

Immer an der Küste entlang erreichten wir irgendwann den Hafen. Yuki verbeugte sich tief und entschuldigte sich fünf Mal. Miki grinste nur und holte schon mal die Kamera raus. Yuki hatte sich für die Fähre entschieden, weil diese schneller als der Bus war. Was sie nicht beachtete: Die Fähre ist doppelt so teuer und kommt an einer anderen Ecke von Shikoku an.
Am Abend zuvor bat ich Yuki mir die Interview-Fragen auszudrucken, welche sie übersetzen wollte. Ich fragte sie, ob sie das Papier dabei hat, weil mir noch ein paar Fragen eingefallen sind. Doch sie hatte die Fragen in der Fähre liegen lassen. Natürlich.


Bevor es losging, luden die Eltern noch schnell zum Udon ein

Das Idol und der Samurai

Im nächsten Conbini besorgten wir noch Proviant und druckten das Interview erneut aus. Bis zum Tal waren es noch ein paar Stunden, also nutzten wir die Zeit das Interview zu korrigieren.

Mit meinem begrenzten Japanisch schaute ich ab und an aufs Blatt und stellte selbst noch einige Fehler fest. Yuki erzählte in der Zwischenzeit von ihrem letzten Konzert und dem nächsten Auftritt, der im Dezember geplant war. Miki korrigierte mit ernster Miene und fragte ab und an, was ein Wort auf Deutsch heisst.

Nach drei Stunden Fahrt:
„Fritz, wann erwartet uns die Dame?“
-„Sie erwartet uns gar nicht.“
„…du hast sie nicht vorher angerufen…??“
-„Nein, ich weiss nicht einmal ob sie noch lebt.“
„Das heisst wir fahren seit Stunden komplett ins Ungewisse?“
Ich lächelte nur und sagte: „Richtig. Abenteuer!“

Das ist meine Auffassung von Journalismus. Einfach irgendwohin fahren und schauen was sich entwickelt. Alle Kontakte, Antworten und Termine vorher zu haben, das ist langweilig. Aber für Japaner, die alles immer gern dreimal abgesichert haben möchten, war das natürlich nicht einfach nachzuvollziehen. Yuki zeigte sich besorgt, ihren Eltern war es egal und Miki hob nur leicht die Faust und sagte trocken „Abenteuer.“

Die gesamte Autofahrt war tatsächlich sehr unterhaltsam. An der Tür saß Yuki, die sich mit einer Energie in Aufregung und Sorge stürzte, und sich dabei über jeden Fluss, Brücke und dörfische Landschaft kindlich freute. Und neben mir saß ein ernster Samurai, der manchmal nur mit der Augenbraue zucken musste, um eine Pointe zu setzen. Selbst wenn wir die Puppenfrau nicht gefunden hätten, der Roadtrip alleine war die Reise wert. Auch die Eltern freuten sich, mal einen Teil von Shikoku zu entdecken, in dem sie vorher noch nie waren.

Wir fuhren seit über einer Stunde durch das Tal. Die teilweise einspurige Straße am Berg entlang war leer und kurvig. Überall nur Berge, Wälder, Bäume, aber keine Puppen. Nach einer Kurve zu viel bat ich um eine Pause. Mir war schlecht und ich brauchte kurz frische Luft. Wir hielten zufälligerweise direkt neben dem Touristen-Informationsbüro vom östlichen Iya-Tal. Vielleicht wissen die ja was von den Puppen. Yuki und Miki gingen voran, ich folgte langsam. Beim Betreten hatten wir dann unsere Antwort.

Die Puppen sahen genau so aus wie die, die ich auf den Fotos gesehen hatte. Wir fragten die Dame im Büro, die ihren Kollegen holte. Ein lustiger Kauz. Es stellt sich heraus, dass er ein Freund der Puppenfrau ist. Er malte uns eine Karte. „Ohne diese Karte hättet ihr das Dorf nie gefunden“ sagte er noch, als wir gingen.
Glück muss man haben.

Es dauerte noch mal ungefähr eine Stunde, bevor wir das Dorf erreichten. Yuki las ihren Eltern die Karte vor. Je näher wir Nagoro kamen, desto mehr Puppen tauchten links und rechts der Straße auf. Meine Aufregung wuchs. Ich konnte spüren, dass wir der Geschichte ganz nah waren.

Es gab zwar kein Ortsschild, aber als wir ungefähr den markierten Punkt auf der Karte trafen, tauchte rechts von uns ein Haus auf, vor dem sich unzählige Puppen befanden. „Wir habens!“ rief ich von hinten und Yukis Vater fuhr zum Haus hinauf. Yuki und Miki waren nun auch von meiner Begeisterung angesteckt und stürmten hinaus. Wir sahen eine alte Dame, die einem älteren Paar etwas erklärte. Das musste sie sein.

Das lange Interview

„Hallo! Sind Sie Ayano Tsukimi?“
-„…ja?“
„Meine Name ist Fritz Schumann, ich bin Journalist aus Deutschland. Ich würde sie gerne etwas begleiten und einen Film über sie machen!“
-„……..in Ordnung.“

Zugegeben, für japanische Verhältnisse war das sehr direkt. Ich bin mit der Kamera direkt durch die Schiebetür ins Haus gefallen. Und sie war am Anfang auch etwas distanziert. „Ich habe gerade Gäste. Wartet mal zwei Stunden, dann habe ich Zeit für euch.“
Wir berieten uns kurz. Am Abend wollten Miki, Yuki und ihre Eltern eigentlich wieder nach Hause. Und es wurde bereits dunkel. Blieben wir nun alle oder kommen wir später wieder?
Yuki, angesteckt vom Abenteuer und meiner Begeisterung, redete auf ihre Eltern ein, während ich die Kamera aufbaute. Natürlich sagten die Eltern ja. Yuki und Miki wollten auch sofort damit anfangen, den Film zu machen. Ich bat sie aber erstmal mir aus dem Bild zu gehen.

Es dauerte keine 30 Minuten, da kam Ayano Tsukimi wieder zu mir, diesmal sichtlich freundlicher. Wir können das Interview jetzt machen sagte sie. Ich baute Ton und Technik auf.

Yukis Eltern befanden sich während des gesamten Interviews nur einen Meter von Ayano Tsukimi entfernt. Beide schliefen. Die lange Fahrt war dann doch anstrengend.

Das Interview lief schleppend. Es war mein erstes Interview in Japan und Miki stellte meine Fragen. Sie war absolut nervös, aber wahrte als echter Samurai die ernste Miene und blieb diszipliniert dabei. Yuki hielt das Mikro und schlief dabei fast ein.

Die Fragen, die bei Deutschen noch funktionierten, klappten bei ihr nicht. Direkten Fragen wich sie aus, auf andere Fragen antwortete sie nur vage. Teilweise musste ich eine Frage fünf mal stellen, bevor ich eine verwertbare Antwort bekam. Ich war nach dem Interview schon etwas enttäuscht.

Es sollte um das Thema Tod, Einsamkeit und Erinnerung gehen. Doch zitierbare Sätze gab sie mir kaum. Zudem verstand ich zu dem Zeitpunkt nur so ca. 30% der Antworten. Alle 20 Minuten tönte auch ein Alarm und wir mussten pausieren.
In dieser isolierten Region ist jedes Haus mit einem Nachrichtennetzwerk ausgestattet. Falls jemand vermisst ist, vor Unwetter gewarnt wird oder sonstiges. In den Nachrichten tauchten immer alte Damen auf, die verloren gingen oder wieder gefunden wurden. Yuki seufzte bei jeder Nachricht. Ich stöhnte, und Miki raschelte mit dem Papier.

Nach 45 Minuten hatte Ayano Tsukimi keine Lust mehr. Sie gab schon viele Interviews über ihre Puppen, aber keiner stellte je so viele Fragen wie dieser Deutsche jetzt. Ich stellte noch ein paar, aber nach weiteren 45 Minuten war dann auch Schluss. Ich hatte nicht, was ich wollte, und dachte eh nicht mehr, dass ich es bekommen kann.

„Wo schläfst du heute?“ fragte sie mich. Keine Ahnung. Ich hatte drauf spekuliert, dass ich bei ihr übernachten konnte. Doch obwohl sie mich inzwischen dann doch recht sympathisch gefunden hatte, war das nicht drin. Ist in Japan eh nicht üblich.
Sie empfahl mir ein Minshuku, ein simples Gasthaus, 15 Minuten mit dem Auto entfernt. Yuki gleich nervös „Ruf da sofort an! Vielleicht haben die keine Zimmer mehr!“. Japaner habens gerne sicher. Tatsächlich gab es an dem Abend neben mir nur noch zwei weitere Gäste. Die restlichen 20 Zimmer waren frei.

Es war bereits stockfinster und unser Auto quälte sich langsam die Kurven entlang. In den Scheinwerfern tauchten manchmal die Puppen auf und oft stoppten wir kurz erschrocken, in der Erwartung es sei ein Mensch.

Die Nacht im Sturm

Das Minshuku wusste Bescheid und nach einer kurzen Erklärung seitens Yuki ließ man mich auch rein. Noch schnell die Verabschiedung und das Auto fuhr wieder Richtung Ehime. Ich war jetzt alleine.
Der Manager, die Köchin und ein Angestellter Ende 20 begrüßten mich. Ich stellte fest, dass ich meinen Ausweis in Hiroshima vergessen hatte. Zähneknirschend meinte man, das sei kein Problem, ich solle nur meine Adresse aufschreiben. Die wusste ich aber auch nicht aus dem Kopf, schließlich wohnte ich erst seit vier Wochen dort. Die Angestellten wechselten besorgte Blicke.

Ich schrieb einfach „Hiroshima City University“ rein und meinem Namen dazu. „Ach und eins noch…“ sagte ich und zückte meine Kreditkarte. „Akzeptiert ihr das? Ich hab nämlich kein Geld dabei.“ Die Antwort auf die Frage wusste ich schon. Nein, sie akzeptierten das nicht.
Da war also nun ein Ausländer im Gasthaus, ohne Auto, ohne Ausweis und ohne Geld. Ob ich noch was essen möchte, fragte man mich trotzdem.

In der Nacht zog ein Sturm übers Tal, er hatte sich schon am Tag angedeutet. Im Fernsehen sah ich noch einen überraschend lustigen japanischen Film über einen Geist, der als Zeuge in einem Mordprozess aussagt. Der Wind pfeift durch das Holz des Hauses und drückte auf das Dach über mir. Es quietschte, haulte, knackte und wackelte alles. Ich schlief ein.
In der Nacht träumte ich auch von einem Geist, der irgendwas von mir wollte, aber ich bekämpfte ihn am Ende.

Drehtag

Am nächsten Morgen ging ich runter in den Essensraum. Die Drei der letzten Nacht schienen bereits auf mich zu warten. „Du musst heute abreisen“ sagte man mir.

Etwas irritiert setzte ich mich an den Tisch, wo bereits roher Fisch und gekochter Reis warteten. Der Älteste ergänzte: „Es kommt ein Sturm, wir machen heute dicht. Es haben Leute abgesagt und du bist unser einziger Gast. Es lohnt sich nicht. Bitte verlasse uns heute.“ Ich nahm einen Schluck grünen Tee und fragte mich, ob es nicht vielleicht doch etwas damit zu tun hat, dass ich ohne Geld und Ausweis hier gestrandet war.

Zum Dorf der Puppen fuhr kein Bus. Mein Plan war, dass ich entweder trampe oder laufe (ca. eine Stunde). Denn ich musste unbedingt bleiben und die Geschichte machen. Nach etwas hin und her haben wir dann entschieden, dass der jüngste Angestellte mich 30 Minuten zum nächsten Post-Amt fährt, wo ich (hoffentlich) Geld abheben könnte. Der junge Mann war sichtlich nervös und rauchte zwei Zigaretten, bevor ich im Auto war. Sonderlich gesprächig war er auch nicht.

Am Geldautomaten angekommen hoffte ich nur, dass das Geld aus Deutschland irgendwie seinen Weg auf meine Karte gefunden hat, damit ich hier im einsamen Iya-Tal doch noch irgendwie weg komme. Ich war ohne Geld und Auto hier so ziemlich gestrandet. Aber das gehört zum Abenteuer auch dazu, mir machte das nichts.
Der Angestellte drehte Kreise um sein Auto und wartete, bis ich vom Automaten zurückkehrte. Mit 50.000 Yen in der Hand winkte ich ihm zu. Auf einmal wurde er viel freundlicher.

Ich bezahlte die Rechnung und er wollte mich zum Dorf der Puppen fahren. Auf dem Weg machte ich aus dem Fenster viele Fotos. Irgendwann bot er mir auch einfach an zu halten, sodass ich aussteigen konnte.

Nun erzählte er auch von der Puppenfrau. Einerseits war er froh, dass es sie gibt. Die Puppen locken Touristen an und sorgen für Umsatz. Andererseits hat er, wie so viele andere im Tal, auch immer noch Angst vor ihnen. „Besonders nachts, wenn man mit dem Auto unterwegs ist.“ Trotzdem scheute er sich, sich eindeutig oder negativ über sie zu äußern.

Er setzte mich vor ihrem Haus ab und fuhr nach einem kurzen Abschied davon.
Die Puppenfrau hatte schon wieder Besuch, eine Familie. Stolz stellte sie mich vor. „Das ist ein Journalist aus Deutschland, der macht einen Film über mich. Und er kann voll gut Japanisch.“

Bereits im Interview am Abend zuvor bot sie mir an, dass wir zur verlassenen Schule gehen. Die Besucher wollten gleich mitkommen. Ich schulterte schnell die Kamera und rannte hinterher. In der Schule blieb ich dann noch zwei Stunden alleine um alles zu fotografieren, bevor sie mit dem Schlüssel kam und mich abholte.

In der Schule war ich komplett alleine. Nun spürte ich auch, was der Angestellte meinte. Zweimal glaubte ich fest, dass mich einer beobachtet. Dabei war es nur eine Puppe. Es war beide Male die gleiche verdammte Puppe. Das Kind rechts auf der Treppe.

Die Blumen stellt sie jede Woche frisch in der Schule auf.

Als Gag wollte ich eigentlich in dem fertigen Film auch als Puppe auftauchen. Ich nahm also neben dem Lehrer Platz. Am Bart erkennt man es aber leider.

Ob ich schon etwas gegessen habe, fragte sie mich, als sie mich von der Schule abholte. Nein sagte ich, und sie ging wortlos. Zurück im Haus stellte sie mir Onigiri und Gemüse aus eigenem Anbau hin. Es waren die leckersten Süßkartoffeln die ich je hatte.
Ich erzählte ihr von meinem Alptraum mit dem Geist und sie lachte nur herzlich.

Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits 4-5 Stunden das gesamte Dorf und fast jede Puppe abfotografiert. Zwischendurch kamen immer wieder Touristen oder andere Besucher. Viele waren über mich, den jungen Ausländer, genauso verwundert, wie über die Puppen.
Als es dunkel wurde, fragte sie mich „Hast du nicht langsam mal genug Bilder?“

Sie genießt wirklich die Aufmerksamkeit, welche sie durch die Puppen oder die Kamera erhält. Aber sie hat auch diese Einsamkeit und Isolation gewählt. Ständige Besucher, die wieder gehen, das ist in Ordnung. Aber jemand der bleibt… das machte sie nervös.
Wir verstanden uns jedoch prächtig. Es kam später noch eine alte Nachbarin vorbei und zusammen schauten sie Eiskunstlaufen im Fernsehen. Als ich die Puppenfrau fragte, warum ihr das gefällt, sagte sie: „Die sind so jung und sehen alle so gut aus. Wie du!“ und die beiden Damen feixten wie Schulmädchen.

Ihre Freundin konnte ich übrigens nur schwer verstehen. Sie sprach ein komisches Berg-Japanisch, die Puppenfrau musste manchmal übersetzen. Sie gab sich dabei viel Mühe und sprach immer langsam und deutliches Hochjapanisch mit mir.


Die Töpferwaren bot sie auch zum Verkauf an

Gegen Abend fragte sie wieder wo ich heute schlafe. Trotz all der Zuneigung war ihr Haus dann doch ausgeschlossen. Und das Minshuku von letzter Nacht ja auch. Ihr fiel noch ein teures Hotel ein, 20 Minuten mit dem Auto. Die Nacht kostet aber 11.700 Yen. Happig, sagte ich. „Aber es gib wohl keine andere Möglichkeit….“ sagte ich und schaute sie dabei konzentriert an. Sie buchte mir ein Zimmer und fuhr mich auch zum Hotel. Am nächsten Morgen wollte sie mich dort auch abholen und zum Bahnhof bringen.

Zurück aus dem Tal

Das Zimmer war riesig. Für 11.700 Yen bekam man wirklich viel geboten. Das Abendessen dauerte eine Stunde, in der ein Kellner mir ständig neues Essen brachte. Alles lokal, alles köstlich. Aber es wollte einfach nicht aufhören. Die heiße Quelle vom Hotel hatte ich anschließend komplett für mich alleine, da die Gäste noch am Trinken waren.

Ich fragte beim Einchecken nach dem Passwort fürs WLAN. Die Antwort: „Passwort? Wir haben hier kein Passwort. Wir sind soweit draußen, es gibt hier weit und breit keinen, der uns das Internet klauen kann.“ So definiert sich wohl Isolation im 21. Jahrhundert.

Das teure Hotel tat zwar mir und meinem Geldbeutel sehr weh, aber dann dachte ich mir auch: was solls. Bezahlt ist es eh, warum nicht genießen.

Meine Kamera bekam ein eigenes Bett, das hatte sie sich verdient.

Am nächsten Morgen sah ich dann, warum die Puppenfrau das Hotel kannte.

Im Auto erzählte sie mir auch etwas dazu, aber ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich glaube einer der Puppen war/ist der Besitzer vom Hotel.

Sie begrüßte mich nach dem ebenfalls unendlichen Frühstück mit „Na, gab kein Brot, was?“ und lachte. Ich hatte nämlich am Tag zuvor das Frühstück im Minshuku kaum runterbekommen. Kalter Reis und toter Fisch am Morgen ist nicht so meins. Am Abend kein Problem, aber morgens hab ich dann doch lieber irgendwas aus Teig.

Zusammen mit ihrer Nachbarin fuhren wir zum Bahnhof. Wir hielten mal an, weil sie mir eine große Brücke zeigen wollte, auf der wir dann zusammen im Wind schaukelten. Nach einer Stunde zeigte sie mir die erste Ampel seit Nagoro. Nach anderthalb Stunden waren wir am Bahnhof. Sie sagte „Sayonara“, ich sagte „Bis dann“ und sie fuhr davon.

Der Zug kommt einmal in der Stunde, es blieb also noch Zeit mal kurz aufs Klo zu gehen. Das WC befand sich außerhalb vom Bahnhof, ich musste einmal ums Gebäude. Und dort sollte ich dann die letzte von Ayanos Puppen sehen. Anderthalb Stunden von ihrem Haus entfernt, am Eingang vom Tal.

Ich nahm den Zug nach Tokushima, und von dort den Bus nach Hiroshima. Rückblickend war das etwas umständlich, ich hätte direkt den Zug nach Hiroshima nehmen können. Auch wenn es zeitlich ungefähr auf das gleiche hinaus gelaufen wäre.

Am Sonntag Abend war ich dann wieder in dem Zimmer vom Studentenwohnheim. Eine lange Fahrt und gerade mal anderthalb Tage Fotografieren und Drehen hatte ich für die Geschichte. Ich war tatsächlich etwas enttäuscht, aber die Puppen sollten mich noch eine lange Zeit begleiten.

Demnächst geht es dann weiter mit Einträgen zum Schnitt und zum nachhaltigen Erfolg des Films.